Woher kommt Punk?

In diesem Kapitel soll versucht werden den geschichtlichen Ablauf von Punk, insbesondere von Punk-Rock, zu skizzieren. Dieses Unterfangen ist nicht einfach, da es hier natürlich keine allgemein gültige Anschauung geben kann. Punk selber tendiert ja eher dazu, jegliche geschichtlichen Vorläufer oder Einflüsse zu negieren und sich selbst als wegweisenden Bruch zu sehen. Trotzdem soll versucht werden ein paar Richtungen anzuführen die als Vorläufer angesehen werden können. Auch die Darstellung der Entwicklung von Punk-Rock seit den Sex Pistols ist natürlich strittig, da nicht einmal die Musiker selbst sich oft einig sind, was nun als Punk-Band zu bezeichnen ist und es außerdem kein Anfangsdatum für eine Subkultur geben kann. Dennoch ist dieses Kapitel natürlich für eine spätere empirische Einbettung unumgänglich, und es soll versucht werden, einen vorsichtigen Mittelweg zu finden. Zuvor jedoch wird es nötig sein, das Wort Punk selbst zu definieren.

Definition der Wortes Punk

Zu Beginn dieses Kapitels soll zuerst eine Definition des Wortes Punk erfolgen. Diesem Wort, das uns heute allen so leicht über die Lippen kommt, obwohl viele etwas anderes damit verbinden, wurden im Laufe der Zeit verschiedene Bedeutungen zugeschrieben. Der Ursprung des Wortes ist unbekannt, jedoch kommt es aus dem Amerikanischen und taucht erstmals um 1600 auf. Es bedeutet zunächst, ohne etwas damit zu tun zu haben was wir heute darunter verstehen, soviel wie: In den Englisch - Deutschen Wörterbüchern finden sich zu einem großen Teil die Übersetzungen der oben genannten Beispiele wieder, angeführt werden aber auch Nach dieser kurzen, willkürlichen und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebenden Auflistung fällt bereits auf, daß dem Wort Punk eigentlich immer nur "negative" Bedeutungen mitschwingen, daß es am Rand der Gesellschaft stehende Personen beschreibt. Im Jahr 1976 erhält das Wort Punk dann eine weitere, völlig neue Bedeutung dazu. Mit der Bezeichnung einer völlig neuen Musikrichtung wird in den Wörterbüchern "Punk-Rock" hinzugefügt:

Einflüsse und Vorläufer von Punk

Über jeweilige Vorläufer oder Einflüsse von Punk gibt es viele verschiedene Vermutungen, Ansichten und Meinungen. In der vorhandenen Literatur wird unterschiedliches geäußert, wobei zumeist jedoch zumindest die einhellige Ansicht besteht, daß derartige Einflüsse nicht gänzlich zu negieren sind. Prinzipiell wäre dabei zuerst einmal zwischen Vorläufern zu unterscheiden, die aus den Bereichen der Kunst stammen, und jenen, die sich eher aus den Bereichen der Jugendsubkulturen und Musikstilen rekrutieren. Zu ersterem zählen nachweislich Dadaismus, Lettrismus bzw. Situationismus, als wichtige Musikstile wären aufzuzählen Rasta, Raggae und auch die Beatgeneration mit Protagonisten wie Alan Ginsberg. Als eine Bezugsquelle ist auch der New York Nihilismus zu sehen, eine Szene aus Musikern und anderen Avantgardekünstlern. Als gewissermaßen Wegbereiter für Punk-Rock muß oft auch der englische Pub-Rock herhalten, da Pub-Rock bereits Wege außerhalb der etablierten Musikindustrie beschritten hatte, sowohl was Auftritte als auch Aufnahmen betraf.

Eine eben solche Uneinigkeit herrscht über die Frage aus welcher sozialen und gesellschaftlichen Klasse sich Punk entwickelte. Punk als eine Art Weiterentwicklung der 68-Generation zu betrachten wäre sicherlich falsch, zumal Punks ja ihre Abneigung gegenüber "Hippies" klar zum Ausdruck bringen. Ebenso falsch wäre es, Punk als ein reines Unterklasse Phänomen darzustellen, obwohl natürlich von den Wurzeln her eine starke Verbindung zu den Arbeiterklassesubkulturen besteht. Im Folgen soll näher auf die einzelnen Punkte eingegangen werden.

Dadaismus

Die Dadaisten der 20er Jahre werden häufig als Vordenker und Vorläufer der Punkbewegung bezeichnet. Diese Verbindungen werden gezogen da Dada, ebenso wie Punk, vehement gegen Konventionen und Normen, gegen den herkömmlichen Kunstbegriff und für eine unkonventionelle und respektlose Haltung gegenüber dem Bildungsbürger und seinen Wertvorstellungen auftritt. Kunst und Alltag waren für Dadaisten nicht unterscheidbar, potentiell war alles Kunst, es mußte nur in diesen Rang erhoben werden. Eines der berühmtesten Beispiele von Dada war wohl das Versehen einer Mona Lisa Kopie mit Schnurr- und Ziegenbart durch Marcel Duchamp. Die turbulente Geschichte der Dada-Zentren war jedoch nur von kurzer Dauer. Die Anfänge sind mit etwa 1912 datiert, der Höhepunkt erreicht wurde aber zwischen 1916 und 1923, wobei in den meisten Zentren wie Zürich, Paris, Berlin, New York u. a., die Bewegung nur zwei bis drei Jahre andauerte. Die bekanntesten Protagonisten waren etwa Raoul Hausmann, Hugo Ball, Richard Huelsenbeck, Tristan Tzara u. a. Die Dadaisten waren in den Bereichen der Kunst, Literatur und Musik aktiv und von hier hat Punk sicherlich einige Stilelement aufgegriffen. So wurde zum Beispiel die Technik der Fotocollage von Dada geprägt, was auch in den späteren Punk-Fanzines wieder zu finden ist.

So sehr es sicherlich möglich ist Parallelen zwischen Dada und Punk zu ziehen, so klar treten jedoch auch die Unterschiede zwischen den beiden Kunstformen zu Tage. Zum einen blieb Dada gewissermaßen immer auf Künstlerateliers beschränkt, die Provokation fand fast ausschließlich im Separee statt, während Punk ganz besonders in der Öffentlichkeit, auf der Straße und im alltäglich Leben zu schockieren sucht. Weiters blieb Dada, ganz im Gegensatz zu Punk, eigentlich hauptsächlich auf die Produzenten beschränkt, während die Rezipienten von dieser Geisteshaltung weitgehend ausgeschlossen blieben. Darin zeigt sich ein krasser Gegensatz zu Punk, da sich, um nur ein Beispiel zu nennen, aus dem Publikum der ersten Punk-Bands meist sehr schnell neue Bands rekrutierten.

Situationismus

Die Situationisten greifen später dann einige der Traditionen der Dadaisten auf. Hervorgegangen waren sie aus der 1952 gegründeten Lettristischen Internationale (L. I.), einer kleinen in Paris beheimateten Gruppe von Intellektuellen, die in poetischer Form eine Kritik an der modernen Gesellschaft aufgestellt hatten. Aus der L. I. wurde dann 1957 auf der Konferenz der europäischen Avantgarde die Situationistische Internationale gegründet. Die Situationisten beriefen sich auf den Dadaismus, den Surrealismus und den Marxismus und erregten 1968 die meiste Aufmerksamkeit als sie ihre Gesellschaftskritik in derbe Slogans umarbeiteten und auf die Mauern von Paris sprayten. Die einflußreichsten Hauptfiguren waren Guy Debord und Raoul Vaneigem. Um 1970 herum erlebte diese Philosophie dann eine Renaissance an den britischen Kunsthochschulen und hier wurde unter anderem auch Malcolm McLaren, der spätere Gründer der Sex Pistols beeinflußt: "Man kann meine Ideen in Zusammenhang mit dieser Bewegung bringen. Es handelt sich um eine sehr Kunst-bewußte Bewegung und man ging von der Überzeugung aus, man müsse ungeheure Ansammlungen chaotischer Zustände produzieren, um daraus ein Stückchen Leben zu gewinnen. Mich und andere Kunststudenten inspirierten einige Dinge, auf die sie sich einließen - die Situationisten waren einfach die visuellen Protagonisten. Sie erfanden marxistische Parolen, kritisierten die Konsumkultur und schrieben wahnsinnige Slogans, verwendeten dabei pornographische Elemente und inszenierten wunderbare Happenings, welche die Leute in bißchen verunsicherten.

Reggae

Punk und Reggae lassen sich zwar nicht kausal zueinander in Verbindung bringen, aber dennoch herrschte, besonders in der Anfangsphase des Punk, eine Art von Akzeptanz zwischen den beiden Lagern. In Großbritannien fand Reggae durch die westindische Einwanderergemeinde Verbreitung, und war zu Beginn eine der wenigen Musikformen, die Punk neben sich duldete. Beeinflußt davon zeigten sich unter anderem die britischen Punk-Bands "Clash" und "Slits" sowie die amerikanische Hardcoreband der "Bad Brains", die als einzige Hardcoreband gänzlich aus Afroamerikanern besteht und alle drei Elemente - Punk, Hardcore und Reggae - nebeneinander verwendet. Gemeinsam hatten die beiden, Punk und Reggae, auch die fast gleich stark erfahrene Ablehnung, wie zum Beispiel durch Skinheads, was auch als einer der Gründe für die kurzzeitige Akzeptanz gesehen werden kann.

Trotz dieser Verwandtschaft waren beide Richtungen jedoch weit davon entfernt sich zu ähneln oder sogar voneinander zu kopieren. Wie bei den meisten anderen Aspekten auch, entwickelte sich Punk in die genaue Gegenrichtung zu seinen Quellen, und Reggae und Punk stehen heute in hörbarem Gegensatz zueinander.

New York Nihilismus

Als wichtiger Einflußfaktor für den britischen Punk wird heute auch der etwa um 1974 anzusetzende New York Nihilismus gesehen. "Anknüpfend an die Pop Art der frühen 60er Jahre suchten Künstler der unterschiedlichsten Sparten hier eine `Punk-Art´ zu schaffen. Alles als wertlos und trivial angesehene sollte als Ausgangspunkt für Kunst dienen und durch eine möglichst schockierende Darstellung dieses Wertlosen sollte das herrschende Wertesytem in Frage gestellt, die Kehrseite dieses Systems ausgestellt werden. Die Szene setzte sich zusammen aus Kunststudenten, Musikern, Jungfilmern, Videokünstlern, Fotografen und Journalisten, als typische musikalische Vertreter dieser neuen Avantgarde sind Patti Smith, die New York Dolls, Iggy Pop, die Ramones u. a. zu nennen. Zunächst waren die Sex Pistols ganz in diesem Sinne auch eher ein künstlerischer Versuch gewesen, "mit dem McLaren den Ansatz des New Yorker Nihilismus in eine situationistische Performance Art umzusetzen und nach seinen Vorstellungen weiterzuentwickeln versuchte. Die Verbindungen zu New York waren auch deshalb sehr stark ausgeprägt, weil Malcolm McLaren zwischen 1974 und 1975 Manager der Band New York Dolls war, die einen wichtigen Eckpfeiler der exzentrischen New Wave Avantgarde darstellten. Der Unterschied zu dem aus Großbritannien stammenden Punk war aber der, daß sich die amerikanischen New Wave Bands nie als Vorreiter eines sozialen Wandels sahen und ihr kommerzieller Erfolg auch den Mainstream Pop und die kommerzielle Plattenindustrie nicht in dem selben Maße zu beeinflussen vermochte, wie dies beim britischen Punk gelang.

Verbindung von Punk zu der 68er Generation und zu Arbeitersubkulturen

Obwohl Punk und die protestierende Bewegung der 68er Genreration in gewisser Weise die selben bürgerlichen Werte anprangerten und verurteilten, wäre es mehr als nur falsch eine direkte Verbindung von dem einen zu dem anderen zu ziehen. Ganz im Gegenteil, Johnny Rotten, Sänger der Sex Pistols, bringt seine Abneigung mehr als nur deutlich zum Ausdruck. "Ich hasse Hippies und alles wofür sie stehen, ich hasse langes Haar, ich hasse Pub Bands. Ich will das verändern, so daß es mehr Bands wie uns gibt... Es ist sogar so, daß Hippies in der Skala der am meisten gehaßten Personen bei Punks einen absoluten Spitzenplatz einnehmen. "Bob Dylan brach sich den Hals. "Zu schön um wahr zu sein" schreiben Parsons und Burchill 1978 in ihrem Buch "The boy looked at Johnny". Diese extreme Abneigung mag auf den ersten Blick verwundern, bei genauerem Hinsehen zeigen sich die Unterschiede jedoch bereits sehr deutlich. Der Vision einer von Liebe und Frieden überschwemmten Welt setzt Punk seine Bestandsaufnahme gegenwärtiger Zustände entgegen, in denen Liebe und Frieden seiner Meinung nach "no future" hat. Außerdem besetzten ehemalige Hippies zur Zeit des Punk bereits einige wichtige und hohe Schaltstellen in der Musikindustrie und anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Dennoch ähnelt Punk in gewisser Weise dem Lebensstil der Hippies, auf Grund des durchaus ähnlichen "Feindbildes", immer noch mehr, als dem von Arbeiterklasse Subkulturen, mit denen er auch oft in Verbindung gebracht wird. Der Unterschied dieser Kulturen zeigt sich schon deutlich in der Einstellung zur Arbeitsmoral. Während Punks die Teilnahme am gesellschaftlichen Arbeitsprozeß ablehnen, das "Recht auf Arbeitslosigkeit" proklamieren und ihr Leben nicht selten durch betteln finanzieren, ist Arbeit für die Identität der anderen essentiell. Der Ausländerhaß der Skinheads beispielsweise, stützt sich ja auf die Behauptung, daß ihnen diese die Arbeit wegnehmen würden. Außerdem halten Skinheads zumeist regen Kontakt zu ihren Familien aufrecht, während Punks die Autorität des Elternhauses strikt ablehnen. Die Bekenntnis zu Punk alleine reicht hier meist bereits aus um einen Bruch mit dem Elternhaus herbeizuführen. "In 1983 I decided after going to school for a few semesters that I just want to get into Punk Rock, just Hardcore Punk. So I shaved a mohawk, I started hanging out with people and my father threw me out of the house for being a Punk Rocker.

Natürlich hat Punk von seinem Ursprung her eine starke Verbindung zu der Arbeiterklasse, da ohne deren trüben Aussichten die Bewegung wohl kaum entstanden wäre, jedoch entfernte sich Punk dann im Laufe der Zeit immer stärker von diesen Wurzeln. Diese Tatsache bringt Jay von der Hardcoreband Bad Religion auf den Punkt. "Wir waren keine Ausgestoßenen, keine Opfer der Gesellschaft, sondern wir waren alle, wenn ich ehrlich bin, richtige kleine Streber. Viele Punk Musiker gehören eher der Mittelklasse an, Jugend mit reichen Eltern, die die Unfreiheit durch bürgerliche Wertvorstellungen genauso langweilig finden, wie die Armen ihr Eingeschränkt sein durch Armut. In diesem Sinne ist Punk eigentlich klassenlos, da in zerfetzten Kleidern alle gleich aussehen

 

 

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