Die Deutschen BeschwerdeZentren - Antipsychiatrie in Mitteleuropa


aus dem anarchistischen magazin wildcat, ca Mitte 80er Jahre


Um die Psychiatrie ist es still geworden.

Vor 10 Jahren versetzte die Aufdeckung von zahlreichen Todesfaellen und grausamen Verhaeltnissen hinter den Anstaltsmauern die liberale Oeffentlichkeit in Empoerung. In vielen Gruppen wurden nicht nur diese Skandale, sondern die Funktion der Psychiatrie ueberhaupt diskutiert. Es sah so aus als koennte eine staerkere Bewegung gegen die psychiatrische Aussonderung entstehen. Heute ist davon nicht viel mehr uebriggeblieben. Die meisten BeschwerdeZentren haben sich wieder aufgeloest (* die in Berlin existiert noch immer); die letzten isolierten Grueppchen sind kaum noch in der Lage, gegen die fortbestehende alte und die verstreute neue Psychiatrie wirksam vorzugehen. Eine Diskussion um die Psychiatrie findet nicht mehr statt, vor allem keine politische. Selbst in der radikalen Linken stoesst unsere prinzipielle Ablehnung der Psychiatrie oft auf Unverstaendnis. Die Modernisierung der letzten Jahre hat hier ihre Wirkung gehabt. Nachdem die Verantwortlichen durch die breite Empoerung ueber die mittelalterlichen Zustaende unter Druck geraten sind, haben sie angefangen die schlimmsten Missstaende in den Anstalten zu beseitigen und mit dem Aufbau von neuen gemeindenahen Einrichtungen ihren Einflussbereich noch zu vergroessern.Diese "Alternativen" (Ambulanzen, Tageskliniken, Beratungsstellen usw.) koennen weit besser als die finsteren Anstaltsgemaeuer als Hilfsangebote verkauft werden. Die psychiatrische Gewalt ist weniger sichtbar - die Akzeptanz wieder gestiegen. Wir muessen rueckblickend feststellen, dass wir mit unseren Aktionen dem Psychiatriesystem den Tritt gegeben haben, der ihm als Anstoss fuer die Modernisierung und Ausweitung noch gefehlt hat. Wir wollen hier zunaechst den Kampf des Koelner BeschwerdeZentrums gegen die Psychiatrie, die Staerken und Schwaechen in den einzelnen Phasen, darstellen.


Ende der 60er Jahre gruendeten SozialarbeiterInnen und StudentInnen den SSK als "Sozialpaedagogische Sondermassnahmen Koeln". Sie wollten damit Lebensmoeglichkeiten fuer die vielen obdachlosen Jugendlichen schaffen, denen nur die Strasse blieb, wenn sie der Heimverwahrung entgehen wollten. Schon bald kam es zu Auseinandersetzungen mit der Stadt Koeln, die die weitere Finanzierung des Projekts von der Einhaltung von Auflagen und politischer Zurueckhaltung abhaengig machte. Der SSK beschloss daraufhin, auf die Gelder zu verzichten, und benannte sich um in "Sozialistische Selbsthilfe Koeln". Ehemalige SozialarbeiterInnen und "Betreute" leben seitdem gemeinsam in teils gemiteten, teils besetzten Haeusern und verdienen ihren Lebensunterhalt durch eine eigene Firma (Umzuege, Entruempelungen, Gebrauchtmoebelverkauf, Kohleausfahren). Die woechentliche Auszahlung ist fuer alle gleich.


Neben der Heimkampagne war der Kampf gegen die Sanierung von Altbauwohnungen schon bald ein wichtiger Bestandteil der SSK-Politik: Unterstuetzung von MieterInnen gegen drohende Vertreibung und Hausbesetzungen, die fuer weitere SSK-Gruppen oder andere Wohnungssuchende, z.B auslaendische Familien, gemacht wurden.


BeschwerdeZentren

Im Lauf der Jahre kamen immer mehr Menschen zum SSK, denen die Flucht aus den Klapsen gelungen war. Sie berichteten, wie sie in diesen Krankenhaeusern mit Daempfungsmitteln, Fesseln und Schlaegen fertiggemacht worden waren, und auch von zahlreichen Todesfaellen durch die psychiatrische Misshandlung. All dies war damals draussen weitgehend unbekannt. Um auch andere Leute am Kampf gegen die Psychiatrie zu beteiligen, gruendete die SSK 1977 auf einer Veranstaltung das erste BeschwerdeZentrum, eine Initiative gegen die Verbrechen in Landeskrankenhaeusern. Das BeschwerdeZentrum machte es sich zur Aufgabe, Anstaltsinsassen bei der Durchsetzunge ihrer Menschenrechte zu unterstuetzen und die Verhaeltnisse hinter den Mauern an die Oeffentlichkeit zu bringen.


Der Kontakt nach drinnen wird durch die regelmaessigen Fahrten in die rheinischen Klapsen, durch Besuche von Insassen und Flugblattaktionen aufrechterhalten. Es sind immer wieder dieselben Beschwerden: Zwangsunterbringung, Zwangsbehandlung mit Psychogiften, Schikanen und Misshandlungen durch das Personal und Zwangsarbeit fuer Pfennigloehne. Rechtsanwaelte unterstuetzen Psychiatrisierte bei der Durchsetzung ihrer Minimalrechte. Oft versagt aber der Rechtsweg, denn die meisten Unterdrueckungsmittel in der Klapse sind voellig legal. Fuer die Internierten ist es sehr schwer, sich zu wehren. Mit ihren Daempfungsmitteln haben die Psychiater eine wirksame Waffe in der Hand, mit der sie Widerstand "ruhigstellen" koennen. Um Forderungen der Menschen in den Klapsen zu unterstuetzen, haben die BeschwerdeZentren immer wieder mit Aktionen von aussen Druck gemacht: Demos, Besetzung von Stationen und Bueros, Stoerung von Elendsverwaltern und Sitzungen im Landschaftsverband Rheinland, dem Traeger der Klapsen. usw. Viele die sich an das BeschwerdeZentrum wenden, wollen vor allem eins: raus aus der Klapse. Sie koennen das kaum alleine schaffen, weil sie z. B keine Wohnung mehr haben, oder weil sie nicht offiziel entlassen werden und keine guten Freunde haben, bei denen sie nach einer Flucht laengere Zeit illegal und ohne Geld untertauchen koennen. Der SSK ist so fuer viele zur ersten greifbaren Moeglichkeit geworden, dem Kreislauf von Klapse und Strasse zu entkommen. Hier finden sie erstmal Wohnung, ein (wenn auch minimales) Einkommen, relative Sicherheit vor Behoerden und Bullen, und sind nicht mehr allein - auch wenn manche mit diesem Gemeinschaftsleben nicht klarkommen, andere Lebensvorstellungen haben und nach einiger Zeit wieder abhauen. Bis Anfang der 80er Jahre hatten sich auch in vielen anderen Staedten BeschwerdeZentren gegruendet. Nur wenige in NRW wurden aber von Selbsthilfegruppen aehnlich dem SSK getragen. Die uebrigen BZ's standen immer wieder vor dem Problem, dass sie zwar bei der Flucht helfen und den Psychiatrie-Fluechtlingen vielleicht noch fuer kurze Zeit Unterkunft in einer Wohngemeinschaft geben konnten - aber eben keine laengerfristigen Lebensmoeglichekeiten. Es war in diesen eher studentischen Gruppen auch viel weniger moeglich, einen gemeinsamen Kampf mit den Psychiatrisierten zu fuehren. Das Verhaeltnis Helfer/Opfer konnte in diesen Initiativen nie in dem Masse aufgehoben werden wie im Zusammenleben und - arbeiten des SSK. Diese verschiedene Zusammensetzung der Gruppen wirkte sich auch in die Politik aus: Die Kritik an der Psychiatrie und die Aktionsformen waren beim SSK-BeschwerdeZentrum meist radikaler als bei den studentischen Gruppen, die mehr ueber "Alternativen" diskutierten (und zum Teil schon ihre eigene Berufskarriere in der schoenen neuen Mueslipsychiatrie vorbereiteten). Im Laufe der Jahre hat es im BeschwerdeZentrum verschiedene Schwerpunkte gegeben: Aufdeckung von "Skandalen", Prozesse gegen Psychiater, Unterstuetzung von Menschen in Klapsen und Agitation gegen Psychopharmaka. Wir stellen diese Punkte hier der Uebersichtlichkeit halber getrennt dar. Es sind jedoch keine abgeschlossenen, voneinander getrennten Phasen gewesen: auch heute wird noch ab und zu eine Station oder ein Buero besetzt, um bestimmte Vorfaelle bekannt zu machen, und die Unterstuetzung von Insassen und Psychiatrisierten war von Anfang an eine der wichtigsten Aufgaben. Der Kampf des BeschwerdeZentrum lebte gerade davon, dass wir in den Anstalten immer wieder Leute getroffen haben, die sich unter haertesten Bedingungen mit unglaublichem Mut und Entschlossenheit gegen ihre Unterdruecker gewehrt haben - und das dann von aussen weiter machten, wenn Ihnen die Flucht zum SSK geglueckt war.


"Menschen wie Vieh gehalten."

Die Skandalpolitik...


Die ersten Jahre des BZ waren bestimmt von den "grossen Skandalen". 1977.79 erfuhren wir immer wieder von Todesfaellen in den Klapsen und brachten sie mit moeglichst pressewirksamen Aktionen an die Oeffentlichkeit. In Braunweiler waren Insassen mit Psychopharmaka vergiftet worden; in Dueren von Pflegern totgeschlagen, in Zellen verbrannt, durch Psychogifte in den Selbstmord getrieben worden; in Bonn waren mehrere Menschen auf Alten- und Behindertenstationen elend verreckt. Auf diese "Missstaende" und die Leichen sprang die Presse gut an. Nach der Stationsbesetzung mit der die Bonner Todesfaelle bekanntgemacht wurden, erschienen bundesweit mehr als 150 Zeitungsartikel. Eine kleine Gruppe konnte so ueber die Mobilisierung der liberalen Empoerung spektakulaere Erfolge erreichen: Das Landeskreishospital Brauweiler und verschiedene Stationen mussten geschlossen werden, Klinikleitungen flogen aus ihren Sesseln, die Verantwortlichen feinen Herren kamen auf oeffentlichen Veranstaltungen gegenueber Irren und abgerissenen Gestalten ins Stottern und wussten nicht mehr, wie sie sich rechtfertigen sollten. Ihre Versuche, diese laestige Gruppe mit Hilfe der Justiz mundtot zu machen, scheiterten zunaechst klaeglich. Den Strafantrag wegen der Bonner Stationsbesetzung zogen sie mitten im Prozess zurueck, weil ihnen die Einlassungen und Beweisantraege der Angeklagten zu gefaehrlich wurden, weil sie dadurch weitere Skandale befuerchten mussten. In einem jahrelangen Rechtsstreit um ein Flugblatt zur Schliessung von Brauweiler gingen sie ebenfalls baden. Dort wurde die Schliessung als raffinierte Vertuschungsaktion beschrieben: "Die feinen Herren vom Kennedyufer in Koeln haben den Skandl gemacht, um die Katastrophe zu vermeiden. Der Skandal ist, dass Menschen wie Vieh gehalten werden koennen, mit Daempfungsmitteln vollgestopft. Wer bei diesem Drogenmissbrauch stirbt, wird sang- und klanglos unter die Erde geschafft. Die Katastrophe waere, wenn die ganze Wahrheit ans Tageslicht kaeme. Brauweiler ist nicht ein einzelner Missstand, denn in keinem LKH ist es anders als dort. Dieser Missstand hat System. Dabei sterben staendig in den LKH's Menschen auf zwielichtige Art und Weise, aber die "Aufsicht" des LVR nimmt diese Toten hin." Der Versuch des LVR diese Auesserungen verbieten zu lassen, wurde schliesslich 1983, 5 Jahre spaeter, vom Oberlandesgericht Koeln zunichte gemacht. (das Urteil hat uns allerdings auch nicht mehr viel genuetzt...)

"Die wahren Schuldigen"

Da die Psychiatrie wie jedes System nur ueber die Menschen funktioniert, die dort arbeiten und mitspielen, wurden sie vom BeschwerdeZentrum Koeln immer fuer ihr Handeln verantwortlich gemacht. Aerzte und Pfleger, die sich besonders durch Gewaltmassnahmen hervortaten, wurden in Flugblaettern namentlich angegriffen und angezeigt. Es gab immer auch Mitarbeiter, die die Arbeit des BeschwerdeZentrums unterstuetzt haben, indem sie Informationen rausgaben oder den Kontakt zu Insassen ermoeglichten. In Einzelfaellen haben wir wederum Mitarbeiter unterstuetzt, die vom LVR fertiggemacht wurden, weil sie sich fuer Insassen eingesetzt oder mit uns zusammengearbeitet hatten. Ein gemeinsamer Kampf war jedoch der unterschiedlichen Ziele - Reformieren oder Abschaffen - kaum moeglich. Die ersten Anzeigen wurden gegen besonders brutale Pfleger geschrieben, die Insassen zusammengeschlagen hatten. Schon bald kam dann die Diskussion auf, dass wir damit immer nur die kleinen Unterdruecker am letzten Ende der Hierarchie treffen, die selbst unter miesesten Bedingungen arbeiten (was sie aber nicht aus der Verantwortung entlaesst) waehrend die Aerzte und Schreibtischtaeter, die sich in den Anstalten eine goldene Nase verdienen, unbehelligt bleiben. Es wurde daraufhin versucht auch diese "wahren Schuldigen" vor Gericht zu bringen und zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist schon ein ziemlich absurdes Unterfangen, ausgerechnet die Justiz gegen die Psychiatrie zuhilfe zu rufen. Kein Wunder, dass das BeschwerdeZentrum in diesen Faellen staendig die Rolle der Staatsanwaltschaft uebernehmen und die Ermittlungen selbst fuehren musste. Die Justiz stellte die Verfahren immer wieder ein und gab den Verantwortlichen rechlich Gelegenheit, Akten und Beweismittel verschwinden zu lassen oder Zeugen unter Druck zu setzen. Schliesslich ist es bei einigen Pruegelpflegern sowie den Aerzten und dem Klinikchef von Brauweiler gelungen, sie auf die Anklagebank zu bringen. Und sie wurden sogar verurteilt. Dass der Chefpsychiater Stockhausen 1981 fuer Todesfaelle in seiner Klinik 2 Jahre (auf Bewaehrung) bekam, war schon aussergewoehnlich. Die Urteile im Brauweiler-Prozess hatten Signalwirkung und konnten in der Folgezeit von vielen Insassen benutzt werden. Vorher waren Psychiater selbstverstaendlich davon ausgegangen, dass das Strafrecht fuer sie nicht gilt, wenn sie Insassen misshandeln, vergiften oder zu Tode behandeln. Nachdem nun ihre Kollegen verurteilt worden waren, wurden manche Aerzte vorsichtiger: wenn Insassen ihnen damit drohten, sich ans BeschwerdeZentrum und Anzeigen zu machen, liessen sie oefters von Zwangsmassnahmen ab. Und mehr als die Eindaemmung der schlimmsten Koerperverletzungen, die nicht mehr durch Gesetze gedeckt sind, ist mit der Justiz gegen die Psychiatrie auch nicht zu erreichen. Es werden zwar immer noch Anzeigen als Druckmittel geschrieben und ab und zu der Justiz mit Aktionen klargemacht, dass sie solche Anzeigen nicht einfach in der Schublade verschwinden lassen kann. Nach den grossen Aerzteprozessen war aber auch klar, dass sich ein solcher Aufwand fuer uns kein zweites mal lohnt.


Wehrt Euch - Entwaffnet die Psychiater !

Meistenswenden sich einzelne aus den Landeskreishospitals oder Heimen an das BeschwerdeZentrum. Nur selten ist es gelungen den Widerstand zu verbreitern, so dass sich mehr Menschen aus der Klapse an Aktionen zu bestimmten Forderungen beteiligen und die Unruhe in die Stationen und Therapien hineintragen. Dies war z.B der Fall bei verschiedenen besonders ueblen Stationen (vor allem die Knaststationen) oder bei Aktionen gegen die Ausbeutung in der sogenannten Aktivierungstherapie oder Arbeitstherapie (Anlass war, dass von den Pfennigloehnen nun auch noch das Urlaubs- und Krankengeld gestrichen werden sollte.). Es laesst im nachhinein schwer sagen, ob wir mehr Augenmerk auf die Organisierung des Widerstands von drinnen haetten richten sollen, ob das BeschwerdeZentrum hier ueber der Mobilisierung der Oeffentlichkeit wichtige Chancen uebersehen hat. nachdem es mit der "Skandalmobilisierung" vorbei war, wurde diese Frage neu diskutiert. Der Widerstand von drinnen, in den Anstalten, Heimen und gemeindenahen Einrichtungen, wird nun von den meisten als die einzig moegliche Perspektive im Kampf gegen die Psychiatrisierung gesehen. Hauptangriffspunkt muss dabei die brutale Waffe der Psychiater sein: die Psychopharmaka. Es muss darum gehen, eine breite Verweigerung zu organisieren: gegen die aerztliche Behandlung des Leidens an gesellschaftlichen Verhaeltnissen und die Ruhigstellung von Widerstand durch die chemische Zwangsjacke. Solange sich nur Einzelne wehren, geraet das BeschwerdeZentrum immer wieder in Gefahr, Sozialarbeit und Stellvertreterpolitik zu betreiben. Schon oefters wurden Menschen, die den Psychiatern zu unbequem waren, regelrecht zum SSK abgeschoben - auch wenn sie dort gar nicht hin wollten. Die Sozialarbeiter versuchen auf diesem Weg ihre Aufgabe, den Entlassenen eine Wohnung zu besorgen und den Behoerdenkram zu erledigen, auf das SSK abzuwaelzen. Und wenn das BeschwerdeZentrum nicht mehr in der Lage ist wirklich Druck zu machen, kann es in absurde Verhandlungssituationen geraten. So wurde schon um die Daempfungsmittel-Dosis wie auf dem Basar gefeilscht: der Gefangene will gar keine Psychopharmaka, der Arzt will ihn voellig wegdroehnen, das BZ mischt sich ein - und nach laengeren Verhandlungen kommt schliesslich eine mittlere Dosis heraus. Um den Widerstand gegen die Vergiftung mit Psychodrogen (zunaechst in den Klapsen) zu verbreitern, haben wir von der Patientenfront die Idee der Nicht-Einverstaendnis-Erklaerung uebernommen: die Insassen uebergeben dem Arzt eine Erklaerung, dass sie mit der Medikamentenbehandlung nicht einverstanden sind und weisen ihn darauf hin, dass er sich der Koerperverletzung strafbar macht, wenn er gegen ihren schriftlich erklaerten Willen Psychopharmaka gibt. Diese Erklaerung sind zusammen mit Informationen ueber die Psychogifte haeufig in den Klapsen verteilt worden. Viele haben sie unterschrieben und hatten damit auch Erfolg: Ihnen wurde keine Psychopharmaka mehr verabreicht und manche wurden auch ploetzlich entlassen, weil den Psychiatern diese Verweigerer zu unbequem wurden, weil sie eine Verbreiterung des Widerstands gegen die Daempfungsmittel befuerchteten. Zu einem breiteren Medikamentenstreik ist es im Rheinland noch nicht gekommen. Diese Kampagne hat auch die Schwaeche des BZ gezeigt. Ohne eine breite Mobilisierung im Ruecken ist es fuer eine so kleine Gruppe schwer, den Widerstand drinnen wirksam zu unterstuetzen oder ueberhaupt in die Klapsen reinzukommen. Unsere Besuchs-, Haus-, Stations-, Gelaendeverbote und Hausfriedensbruchanzeigen koennen wir inzwischen kaum noch zahlen. Oft wurden gerade die Nicht-Einverstaendnis-Erklaerungen als Grund fuer die Anzeigen und Verbote genannt. Ueberall dort, wo sich Widerstand regt, versuchen sie den Kontakt nach draussen zu verhindern - um die Internierten dann umso besser fertigmachen zu koennen. Manche mussten drinnen ihren Widerstand bald wieder aufgeben: weil sie isoliert dastanden und wir nicht in der Lage waren, von aussen wirklich Druck zu machen. Die Hausfriedensbruchprozesse sind Kabarettstuecke und enden oft mit Einstellung oder sogar Freispruch; manche generellen Gelaendeverbote wurden vom Gericht fuer unzulaessig erklaert. Trotzdem ist es ihnen damit gelungen, die Abschottung wieder dicht zu machen, uns mit nervenden Prozessen beschaeftigt zu halten und die Gefangenen wieder mehr zu isolieren. Wenn mal wieder ein Streifenwagen reicht, um uns vom Gelaende zu scheuchen, koennen wir nur davon traeumen, mit 3000 Leuten wiederzukommen und die Mauern einzureissen..


Kampf den Psychodrogen - In den Anstalten, Stadtteilen und Fabriken

Die Modernisierung und Differenzierung der Psychiatrie hat den Widerstand dagegen in anderer Hinsicht noch schwieriger gemacht. Wir sind heute nicht nur mit den alten Grossanstalten konfrontiert, sondern mit einem unuebersichtlichen Spinnennetz von zusaetzlichen Einrichtungen. Die Psychiater haben heute mehr Moeglichkeiten als frueher, die Ruhe in ihren Anstalten durch Abschiebung von Einzelnen in andere Einrichtungen aufrechtzuerhalten. Dem BZ fehlt heute nicht nur der Schutz der liberalen Oeffentlichkeit, sondern noch mehr der Widerstand drinnen. Es scheint ruhiger geworden zu sein in den Grossanstalten. In manchen Landeskreishospitals besucht das BZ nur noch die Leute, die es dort seit Jahren kennt, es kommen keine weiteren mehr hinzu. Manche, die sich entschlossen gewehrt haben, wurden in Nacht- und Nebel-Aktionen in Kleinstheime verfrachtet. Diese Abschiebeheime sind noch besser abgeschottet als die Grossanstalten. Waehrend man sich in einem LKH-Gelaende trotz Hausverbot noch ganz gut bewegen kann, ist es fast unmoeglich Leute in den "Waldesruh-" und "Abendfrieden-"Heimen zu besuchen. - man faellt in dieser Friedhofsruhe schon auf, wenn man sich nur auf 100 Meter einem solchen Heim naehert. Ausserdem ist es bei der Vereinzelung und den Entfernungen kaum noch moeglich, ueberall die Kontakte zu halten und auch noch Unterstuetzung zu organisieren. Die moderne Psychiatrie wird vor allem im Vorfeld von Abschiebeheimen und Abschiebeanstalten aufgebaut; sie tastet sich immer weiter in die verschiedenen Lebensbereiche vor. Die Psychodrogen sind allgegenwaertig: in unzaehligen Arztpraxen und Einrichtungen werden sie verteilt, in Fabriken, Schulen, Bueros und Wohnknaesten tonnenweise geschluckt. In dieser verstreuten "Alternativpsychiatrie" haben wir wenige Erfahrungen gemacht. Es war sicher ein Fehler, diesen Bereich so lange ausser Acht zu lassen und sich nur weiter auf die alten Klapsen zu konzentrieren - was jetzt geaendert werden soll. Allerdings wird es sicher sehr schwierig sein, dort Widerstand zu organisieren, nicht nur wegen der verstreuten Lage, sondern auch wegen der Situation in den Einrichtungen. Von "Freiwilligen Patienten", die auf die Hilfe ihrer Psychiater schwoeren, ueber unsichtbaren Zwang bis hin zur direkten Gewalt und Zwangseinweisungen gegen die rebellischen Irren - einheitliche Interessen und gemeinsames Vorgehen sind da noch weniger gegeben als auf einer LKH-Station. Trotzdem ist es gerade hier noetig die Diskussion um die Funktion der Psychiatrie wieder aufzunehmen und der massenhaften Ruhigstellung etwas entgegenzusetzen. Die Psychiatrie stellt sich als Hilfe dar: sie macht unertraegliche Lebensverhaeltnisse ertraeglich, indem sie alle Probleme unter einem Nebel von Psychodrogen verschwinden laesst. Sie verschweigt dabei, dass sie damit die Betroffenen nicht nur koerperlich ruiniert, sondern ihnen den Willen und die Kraft nimmt, sich gegen die Verhaeltnisse zu wehren. Und das gilt nicht nur fuer die Psychopharmaka, sondern genauso fuer die psychiatrischen Diagnosen, mit denen Menschen eingeredet wird, dass sie nun in erster Linie gegen die eigene Krankheit, gegen sich selbst kaempfen muessen. Auch wenn der Ruf der Psychiatrie heute sicher nicht mehr der beste ist: der Mythos von den Geisteskrankheiten, die aerztliche Behandlung erfordern, und der hilfreichen Wirkung der Medikamente ist noch weit verbreitet - und macht einige Gegenpropaganda noetig. Eine breite Verweigerung der Psychiatrisierung haengt aber nicht allein vom Willen und Wirbeln der uebriggebliebenen Anti-Psychiatrie KaempferInnen ab. Wie weit ein Kampf gegen Repression Erfolg haben kann, steht immer im Zusammenhang mit anderen Bewegungen, mit der Staerke des Klassenkampfs. Die Bewegung gegen die Psychiatrie in Italien, die in den 70er Jahren zum bewunderten Vorbild wurde, wird von den Reformern hier gerne als Modell missverstanden. Sie schauen sich an, wie die Einrichtungen dort organisiert sind, um aehnliches aufzubauen und als fortschrittlich zu verkaufen. Das Fortschrittliche an dieser Bewegung ist aber nicht das Ergebnis, sind nicht die heutigen Einrichtungen, sondern es war der Kampf selbst, der als antiinstitutioneller Kampf gefuehrt wurde und letztlich die Abschaffung der Psychiatrie zum Ziel hatte. Nicht zufaellig entstand diese Bewegung in einer Zeit des starken Klassenkampfs in Italien, in der in Fabriken und Stadtteilen gekaempft wurde. Mit dem Niedergang des Klassenkampfs blieb auch die Anti-Psychiatrie-Bewegung stecken und erstarrte in neuen Institutionen, wurde zur flaechendeckenden Erneuerung des Gesundheitsueberwachungssystems.






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