Ein Rechtsanwalt, ein kritischer Psychiater und

eine Sozialarbeiterin zur Psychiatrie in der Schweiz:



Der Rechtsanwalt erzählt:

Frau Sophie Zerchin ruft aus einer Arztpraxis an. Sie erzählt, sie habe den Hausarzt um Hilfe gebeten, sich umzubringen. Sie habe ein reiches und erfülltes Leben gehabt, aber jetzt sei genug. Nein selber würde sie es nie tun, aber wenn ein Arzt helfen würde, dann schon. Morgen werde sie wieder in die ambulante Behandlung zu ihrer Psychiaterin gehen. Der Hausarzt verschwindet und spricht am Telefon mit der Psychiatrischen Klinik: "Ich kann die Verantwortung nicht mehr übernehmen. Ich muss Frau Sophie Zerchin in die Psychiatrische Klinik einweisen lassen. Ich mache das nicht gerne, aber Frau Sophie Zerchin ist psychotisch. Ich kenne das aus ihrer Krankengeschichte."


Die Polizei kommt. Frau Sophie Zerchin wehrt sich, schreit um Hilfe. Sie wird mit Gewalt in die Psychiatrische Klinik befördert. "Ein schwieriger Fall", sagen die Polizisten. "Wir machen das nicht gerne". Die Einweisung wird vom Gerichtsarzt und dem Gesundheitsamt bestätigt. Im Einweisungsbefehl steht: "Bei Frau Sophie Zerchin liegt eine akute Selbstgefährdung bei bekannter Geisteskrankheit vor" Die entscheidende Beamtin im Gesundheitsamt sagt, sie habe bei Zwangseinlieferungen immer ein ungutes Gefühl. Die junge Spitalärztin sagt verständnisvoll, Zwangsmassnahmen seien immer kontraproduktiv. Doch Frau Sophie Zerchin brauche jetzt das Neuroleptikum Clopixol. Nötigenfalls werde es auch gegen ihren Willen verabreicht. Wenn sie weiter herumschreie, müsse sie zur Reizabschirmung in die Isolationszelle.


Ein kleines Beispiel aus der Praxis, dass sich so oder ähnlich abgespielt haben mag. Auffallend ist, dass alle Beteiligten gegen ihren Willen handeln. Der einweisende Arzt kann die Verantwortung nicht übernehmen. Der Polizist handelt auf Befehl. Die einweisende Beamtin stützt sich auf die Gerichtspraxis, die Spitalärztin auf die herrschende psychiatrische Dogmatik und den Spital- und Justizapparat, der ihm die Angst nimmt, für die zugefügten Qualen einmal gerade stehen zu müssen.


Frau Sophie Zerchin hat, wie das viele Menschen auf dieser Welt zu allen Zeiten getan haben, den verpönten Wunsch geäussert, sich das Leben zu nehmen. Sie hat niemandem was getan, weder sich selbst noch andern. Doch jetzt gerät sie in die Maschinerie der Psychiatrie. Zu ihrem Besten wird sie von wohlmeinenden Mitmenschen gequält, mit hochpotenten, gesundheitsschädlichen Medikamenten vollgesprizt und eingesperrt.


Die Ausgrenzung des Anderen hat eine jahrtausendealte Tradition. Geändert haben sich nur die Formen. Der Wolf ist schlau geworden. Er versteckt sich mit Erfolg in der Rolle des Expertenschafs. Alle Schafe folgen ihm.


(Sophie Zerchin ist ein Anagramm von Schizophrenie)


Der kritische Psychiater meint:

Wer meint, dass sich die Psychiatrie grundsätzlich gewandelt habe, wer meint, dass psychiatrische Anstalten ein Ort sind, wo psychisch leidende Menschen sich erholen können, wo Ergotherapie und Psychotherapie Ihnen neue Hoffnung machen würden, der irrt sich gewaltig.


Nein, Psychopharmaka - insbesondere Neuroleptika, Antidepressiva und Lithium - werden sogar in zunehmend höherer Dosierung angewendet. Und nach wie vor bestimmen Zwang und Gewalt den psychiatrischen Alltag.


So spricht die bekannte Psychiaterin Nancy Andreasen enthisiastisch davon, dass sich die Psychiatrie gegenwärtig in einer revolutionären Wende befinde, und daran sei, sich hauptsächlich an der biologischen Tradition der Medizin auszurichten. Eine wissenschaftliche stichhaltige Rechtfertigung für diese Wende ist jedoch in keiner Weise erbracht worden. Noch immer ist die biologische Psychiatrie nicht über fragwürdige Hypothesen herausgekommen. Von gesichertem Wissen keine Spur.


Was geändert hat ist das Auftreten der führenden Psychiater gegen aussen. In den Massenmedien gelingt es ihnen leider immer erfolgreicher, ein menschliches und vertrauenserweckendes Bild ihres Fachs darzustellen.


Menschen, die sich dem Einfluss der Psychiatrie entziehen wollen, die Absicht haben, in Freigeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen - ohne Diagnose und Medikation, müssen unbedingt unterstütz werden.


Die Sozialarbeiterin meint:

Manchmal stelle ich mir vor, wie das wäre - eine Schweiz ohne geschlossene Stationen in den Psychiatrischen Kliniken. Eine Schweiz, die Hilfe leistet, wenn man sie sucht, die Menschen aber nicht einsperrt, als Strafe für ihre Verzweifelung. Es gibt Länder, da funktioniert diese Freiheit, in der Schweiz nicht - wird behauptet. Wird behauptet von denen, die die Not, die Verzweifelung der Anderen kommerzialisieren, daraus Profit schlagen, indem sie die Anstalten füllen, um die zu hohe Bettenzahl auszulasten; und immer verbunden mit einer Medikation, die jeglichen Willen zum Widerstand bricht.


Die Macht der Aerztinnen dieser Anstalten, meist ohne Anhoerung der Betroffenen, zu bestimmen, wer gesund und wer krank ist, wer in die Isolationszelle gesteckt wird, wer mit Medikamenten zwangsbehandelt wird - das muss bekämpft werden!


Manchmal wenn ich durch diese Hochsicherheitstrakte irre, frage ich mich weiter, vor was wir uns fürchten. Sind es wirklich Menschen, die eingesperrt sein müssen, oder sind es unsere eigenen Aengste, unsere emotionelle Verkümmerung, unsere Frustration, die wir so einfach verdrängen, wegschliessen ?


Ich schäme mich für die Schweizerische Gesellschaft, die Menschen in Not einfach wie Abfall entsorgt.






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