Noch jeder Krieg, den der Westen in den letzten zehn Jahren geführt hat (am Golf, auf dem Balkan und jetzt in Südasien), ist mit einem schlau inszenierten Propagandafeldzug einhergegangen. Politik wird im elitären Geheimdienststil betrieben: Desinformation, falsche Information, Übertreibung der gegnerischen Stärke und Möglichkeiten, lügenhafte oder zensierte Kommentare zu den Fernsehbildern. Ziel ist die Irreführung und Entwaffnung der Bürger. Alles wird entweder versimpelt oder bis zur Unverständlichkeit zerredet.

Die Botschaft ist klar: Es gibt keine Alternative. Als die Bombardierung Afghanistans in die zweite Woche ging, räumte das Pentagon ein, dass einige Bomben ihr Ziel verfehlt haben. Zweihundert afghanische Zivilisten sind getötet worden, und es werden noch mehr sein, da seither weiter Bomben fallen.

Gab es irgendwann eine Alternative zu den Bomben? Wenn das wirkliche Ziel nicht nur ein plumper Rachefeldzug war, sondern die ernstliche Schwächung des Terrorismus und die Aburteilung jener, die die Verbrechen vom 11. September in Auftrag gaben, dann lautet die Antwort: Ja. Die Unverhältnismäßigkeit dessen, was jetzt vor sich geht, spricht für sich selbst. Wenn die US-Regierung von den Beweisen für Osama bin Ladens Schuld überzeugt ist, hätte sie – trotz des Kampfes gegen Al-Qaida und die Taliban – versuchen können, seine Auslieferung zu betreiben und ihn vor Gericht zu stellen. Von Israel hätte man lernen können: Dieses Land hat seinerzeit Adolf Eichmann (der eines weit schwereren Verbrechens beschuldigt wurde!) geduldig aufgelauert, um ihn nach geglückter Entführung aus Argentinien in Israel vor Gericht zu stellen.

Wenn hingegen das wirkliche Ziel einfach ein altmodisches, imperialistisches ist, nämlich das Taliban-Regime zu stürzen und durch ein Protektorat zu ersetzen, welches (wie einst die Taliban selbst) „westlichen Werten“ näher steht, dann – und nur dann – sind die Bomben sinnvoll. Das weiß auch die Nordallianz, während sie um Kabul kämpft, genau. Ihre Führer brüsteten sich zunächst, es im Alleingang schaffen zu können, aber die amerikanischen und britischen Kommandos sind inzwischen schon dabei, das Ihre dazu beizutragen, damit die Taliban ihnen nicht wieder, wie schon einmal, eine Niederlage bereiten.

Unterdessen gibt es nichts Neues über den eigentlichen Grund, um nicht zu sagen Vorwand zu diesem Krieg. Wo steckt Osama bin Laden? Ist seine Gefangennahme Teil Zwei der Militäroperation? Und wenn er gefasst wird: wird man ihn töten, was George Bush offenbar jetzt dem CIA zugestanden hat, oder wird man ihn tatsächlich vor Gericht stellen? Und falls ja: wird diese ganze Übung dazu beigetragen haben, die Anziehungskraft des Terrorismus zu mindern, geschweige denn ihn zu besiegen? Wahrscheinlicher ist, dass genau das Gegenteil der Fall sein wird, vor allem in der arabischen und der muslimischen Welt.

Weder Bush noch Blair scheinen recht zu würdigen, dass Osama bin Laden, ob es ihnen gefällt oder nicht, in vielen Teilen der Dritten Welt längst zum Helden geworden ist. Die Studenten in Saudi-Arabien, in Ägypten und im Maghreb werden dafür sorgen, dass sein „Märtyrertod“ nicht umsonst gewesen sein wird. Vor kaum zwei Wochen hat Präsident George Bush vor Journalisten erklärt: „Wie ich reagiere, wenn ich sehe, dass es in manchen islamischen Ländern einen giftigen Hass auf Amerika gibt? Ich will Ihnen sagen, wie ich reagiere. Ich bin entgeistert. Ich kann es einfach nicht glauben, weil ich weiß, wie gut wir sind.“

Was treibt sie zur Verzweiflung?

Sein Kriegsverbündeter Tony Blair hat eine andere Lösung: „Was mir zunehmend klar geworden ist, ist die Notwendigkeit, unsere Medien- und Öffentlichkeitsarbeit in der arabischen und muslimischen Welt aufzuwerten.“ Es ist also alles eine Frage der Qualität der westlichen Propaganda.

Die Einfalt, die sich hier verrät, ist erschreckend. Die hohen Tiere im amerikanischen und britischen Außenministerium kennen zweifellos die Realitäten. Sie müssen wissen, dass es mittelfristig nur eine politische und wirtschaftliche Lösung gibt, keine militärische. Solange den Palästinensern kein lebensfähiger, souveräner Staat zugestanden wird, gibt es keinen Frieden. Arafat mag sich mit seinen Mini-Bantustans von Israels Gnaden begnügen – die palästinensische Bevölkerung begnügt sich damit sicher nicht. Die jüngste Intifada ist auch ein Aufbegehren gegen die Osloer Vereinbarungen – wie auch gegen die Korruption der palästinensischen Führung.

Dann ist da noch der Irak. Kein einziges der Standardargumente für die Fortsetzung der Bombardierung und Blockade des Iraks ist noch stichhaltig. Die Vorstellung, Saddams Grausamkeiten seien einzigartig, ist eine abwegige Einbildung. Die türkischen Generäle, geschätzte Mitglieder der Nato, haben allein in den letzten zehn Jahren 30 000 Kurden umgebracht. Nennt man das „verantwortungsbewusste Moderne“? Eine kulturelle Vernichtungsaktion dieser Größenordnung hat Saddam nie unternommen. Das Königreich Saudi-Arabien erhebt gar nicht erst den Anspruch auf Wahrung der Menschenrechte, und seine Behandlung der Frauen wäre nicht einmal im mittelalterlichen Russland durchgegangen. Und was die Kernwaffen betrifft, so beharrt selbst ein Hardliner wie Unscom-Inspektor Scott Ritter darauf, dass die Aufhebung des Embargos, das gegen Pakistan und Indien wegen deren Nuklearwaffenbesitz verhängt worden war, ein Fehler ist. Israel dagegen verfügt über Atomwaffen, ohne dass auch nur die geringsten Sanktionen zur Debatte stünden.

Es ist diese unglaubliche Doppelmoral, die so viele junge Leute in all den Krisengebieten zur Verzweiflung treibt. Aber wenigstens in einem Punkt gibt es eine sofortige Lösung. Die Aufhebung der Sanktionen und die dauerhafte Einstellung der Bombardierung des Irak würde in der ganzen Welt des Islam eine positive Wirkung zeitigen und die Zahl jener jungen Menschen verringern, die bereit sind, ihr Leben für die „heilige Sache“ in die Bresche zu werfen. Es wäre ein kleiner Schritt nach vorn, wenn wenigstens ein paar unserer westlichen Politiker ihre Stimme im Namen der Vernunft erhöben, solange noch amerikanische und britische Bomber aufsteigen, um zum x-ten Mal die letzten Reste eines geschundenen und ausgehungerten Afghanistan zu bombardieren. Die von der Europäischen Union zur Schau getragene Einmütigkeit bei diesem Krieg ist für die muslimische Welt nicht gerade ein treffliches Beispiel von Demokratie und Meinungsvielfalt.