Unerschöpflich ist die Sehnsucht der Frauen nach der Utopie der Gesellschaft zu zweit. Das ist verständlich, denn sie scheint leichter zu verwirklichen als die politische Utopie. Nicht eine ganze Gesellschaft und ihr guter Wille sind dazu nötig, sondern nur zwei Liebende. Entsprechend schließt sich das Paar selbst aus der Gesellschaft aus und bildet eine Sonderwelt, in der andere Gesetze herrschen als außerhalb. Ist draußen die Wildnis der Fremden mit ihrer Kälte und Unpersönlichkeit, herrscht drinnen die Wärme der Intimität. Sind die Menschen draußen einander weitgehend gleichgültig, bedeuten die beiden Liebenden einander alles. Zugleich wird das Scheitern der Liebe nicht als Widerlegung des ganzen Projektes erlebt. Es war halt der falsche Partner. Man passte nicht zusammen. Und so begibt man sich auf die Suche nach einem neuen Partner, mit dem man die Sache noch einmal versucht. Es gibt Frauen, die schon unzählige Male gescheitert sind und doch immer wieder einen neuen Anlauf nehmen. Dabei laufen ihre Liebesgeschichten ab wie politische Revolutionen. Denn beide folgen dem gleichen Muster.

Ja, die Revolution. Sie ist fast so etwas Rauschhaftes wie die Liebe: Nach dem Fall der Bastille wird sie zum Freudentaumel und verwandelt sich in ein Fest. Fremde umarmen sich; zerstrittene Nachbarn versöhnen und küssen sich. Eine ungeheure Euphorie ergreift das Volk. Im Rausch des Festes wird die Nation eins und unteilbar - une et indivisible -, wie es in der Französischen Revolution heißt. Nie haben die Beteiligten etwas Schöneres und Erhabeneres erlebt. Schiller hat in der Ode "An die Freude" den Taumel der Revolution genau getroffen: "Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt. Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt. Seid umschlungen, Millionen, diesen Kuss der ganzen Welt ..." Dann aber erscheinen die ersten Wolken. Unter den Revolutionären gibt es die erste Uneinigkeit.

Genauso geht es dem Paar: Nach dem rauschenden Fest der Liebe wird die Welt neu gegründet. Eine kreative Euphorie erfasst das Paar. Und sie erleben die Welt als wiedergeboren. Auf ihren Gesichtern liegt ein seliger Glanz, der von innen kommt. Und sie genießen ihr Glück. Es sieht so aus, als ob es ewig währen könnte.

Doch da erscheint eine kleine Wolke der Uneinigkeit, ein Wölkchen, nichts weiter. Soll er ihr zuliebe seine montägliche Pokerrunde aufgeben und durch einen Theaterabend ersetzen? Oder ist das zu radikal? Kein Problem! Für seine Liebe opfert er alles. Die Frage hinterlässt nur ein Kräuseln auf der glatten Oberfläche ihrer Innigkeit. Die Pokerrunde fällt aus. Doch dann stellt sich ein neues Problem ein. Die beiden haben sich die Hausarbeit geteilt. Ist doch klar in der Nation une et indivisible! Aber ihre Vorstellung von Sauberkeit ist radikal und seine gemäßigt. Er ist immer früher mit dem Putzen fertig als sie. Sie stellt fest, dass er nicht gründlich genug saugt. Sie muss ständig hinter ihm hersaugen. Die Gläser müssen noch mal abgetrocknet werden. Und schließlich entdeckt sie sich dabei, wie sie auch in der Küche und im Bad hinter ihm herwischt.

Das endet damit, dass sie doppelt so viel arbeitet wie er. Da er es nicht zu bemerken scheint, setzt sie sich die Jakobinermütze auf und erhebt im Konvent ihre Stimme: "Bürger Lebensabschnittspartner!", sagt sie, "deine Putzerei genügt nicht den revolutionären Standards!" "Bürgerin, Geliebte und Partnerin", antwortet er, "du bist im Irrtum. Schau selbst diesen Glanz in der Küche! Diese blitzende Sauberkeit im Bad! Und das Schönste ist, ich werde immer schneller damit fertig. Ich arbeite mit der Methode revolutionärer Rationalität." "Ah, dass ich nicht lache! Bürger, dass es so sauber ist, liegt daran, dass ich hinter dir herputze, und deswegen strengst du dich auch immer weniger an." "Was, Bürgerin! Du kontrollierst heimlich meine Arbeit? Nennst du das revolutionäres Vertrauen? Ist das die revolutionäre Offenheit, die wir uns versprochen haben?" "Und ist das die revolutionäre Sauberkeit, die die Voraussetzung jeder echten Revolution ist?" In der Folge kommt es zur Bildung zweier Parteien mit je einer Person als Mitglied, die sich gegenseitig beschuldigen, ihre private Utopie, die revolutionäre Liebe, verraten zu haben. In den Augen jeder der beiden Parteien ist diese Sünde umso größer, als die Liebe vorher so rauschhaft und beglückend war. Die Partei der radikalen Sauberkeit erhöht deshalb die Oktanzahl ihrer Anklagen. Da ergreift die Partei der Gemäßigten die Flucht und verbündet sich mit den Vertretern der alten Ordnung aus seiner Kumpelhorde. Das überführt ihn als Verräter der Utopie zu zweit. Die Partei der revolutionären Wächterin hat unwiderlegbare Beweise, dass sich der Verräter mit seinen Kumpeln in der Kneipe besoffen und Hetzreden gegen die Revolution gehalten hat. Jetzt ist der Punkt erreicht, wo in der politischen Revolution die Guillotine aus dem Schuppen geholt würde.

Der Mann fühlt sich in der Zivilisation einfach nicht heimisch. Ihm das vorzuwerfen hieße, einem Büffel darüber Vorhaltungen zu machen, dass ein Antiquitätenladen nicht seine natürliche Umwelt darstellt. Und so wie der Büffel große Flächen von Steppe mit Tümpeln, Suhlen und Schlammlöchern braucht, so braucht der Mann Hobbykeller, Garagen, Sportplätze und Kneipen, wo er sich in der Gesellschaft anderer Männer suhlen kann. Für den Aufenthalt in der Zivilisation muss er erzogen werden.

Die Zivilisation wurde also von den Frauen erfunden. Ihr eigentliches Ziel war

die Zähmung der Männer. Dadurch wurde in der Gesellschaft eine befriedete Zone geschaffen. Das Mittel dazu war der Sex. Er spaltete den Mann in zwei Hälften und verlieh ihm ein Doppelgesicht: Nach außen, gegenüber seinen Rivalen, hatte er weiterhin kampfstark und barbarisch zu sein; nach innen, in Richtung der begehrten Frau, musste er zärtlich und liebevoll sein. Da musste er sich beherrschen und seine barbarische Natur im Zaum halten. Kurzum, er musste sich zivilisiert benehmen.

Er soll mithelfen, das Kind großzuziehen. Sie wundert sich, dass er sich dabei so schwer tut. Dass er Ausflüchte sucht, sich nur zögerlich, wenn überhaupt, an der Babypflege beteiligt, dass er sich dumm anstellt, dass er es an der richtigen Begeisterung fehlen lässt, ja, dass er manchmal sogar den Eindruck erweckt, als sei ihm die Sache zuwider, und sich in vielen Fällen direkt drückt oder gar ganz Reißaus nimmt. Sie kann sich das nicht erklären. Die natürlichsten Gefühle scheinen ihm zu fehlen. "Sieh doch, wie süß das Baby lächelt!" Es hat sogar seine Augen, wie kann er da widerstehen? Er ist ein Ungeheuer, ein kaltherziges Monster und eine große Enttäuschung.

Weil in der alten Gesellschaft die Vaterschaft mit der Mutterschaft parallelisiert wurde, haben wir vergessen, dass das künstlich geschah, und glauben, sie habe dieselbe Grundlage wie die Mutterschaft: die natürliche, spontane, instinktive Liebe zu dem neugeborenen Kind. Weil die Mutter die Liebe zu ihrem Kind als natürlich und fraglos erlebt, unterstellt sie das auch dem Vater. Und da er weiß, dass das von ihm erwartet wird, heuchelt er die Vaterliebe so wie seine Frau den Orgasmus.

Aber ohne die Vorteile des Patriarchats brechen wieder die alten, natürlichen Abneigungen hervor. Das Kind ist nicht nur eine bedrohliche Last, die ihn dreißig Jahre lang finanziell niederdrücken wird, es raubt ihm auch den ersten Rang in der Liebe und Aufmerksamkeit seiner Frau. Plötzlich ist er abgemeldet.

Das Kleinkind zeigt ihm das Leben, das er selbst heimlich führen möchte. Und so fühlt der Mann, wie leise Rivalitätsgefühle in ihm aufsteigen. Er erlebt einen Konkurrenten, der immer stärker werden wird. Er wird ihm die Haare vom Kopf fressen. Zum Schluss wird dieses Monster im vollen Saft stehen, gemästet mit seinem Fleische, während er selbst sich zum Sterben hinlegt. Das kleine Biest erinnert ihn an seine Sterblichkeit. Seitdem es da ist, hat er das Gefühl, dass es nur noch abwärts geht.

Im Grunde hat er einen Widerwillen gegen das ganze Szenario. Aber das darf er nicht zeigen, denn die Rolle der Väter wird nicht mehr wie früher durch die Gesellschaft und die ganze symbolische Ordnung abgestützt. Sie wird allein aus dem moralisch-korrekten Gefühl der Väterlichkeit gerechtfertigt.

Das aber kann nur während einer gewissen Übergangszeit funktionieren. Denn wir erleben gerade eine der tiefstgreifenden sozialen Revolutionen, die es je gegeben hat: die Auflösung der Familie, wir wir sie bisher kannten. Danach wird wieder, wie am Anfang unserer Zivilisation, ein Anreiz dafür gefunden werden müssen, dass Männer die Väter spielen. Oder man verzichtet ganz auf ihre Rolle. Dafür gibt es schon etliche Anzeichen. Die Versorgerrolle wird durch die Leistungen der Gesellschaft ersetzt. Was früher die Familie tat, tun jetzt die Sozialhilfe, das Kindergeld, die Rentenzahlung und die behördliche Aufsicht. Ein ganze Bürokratie ist aus der Notwendigkeit entstanden, die fehlenden Väter durch die Verwaltung zu ersetzen. Schon die Sozialreformer im Kielwasser des Sozialismus und des Darwinismus haben gefordert, die Mutter solle als eine Art Beruf behandelt werden, den Frauen ergreifen können, um für die Reproduktion der Gattung von der Gesellschaft bezahlt zu werden.

Werden nicht neue Prämien für die Vaterschaft gefunden, werden sich die Väter aus dem Staube machen. Das gilt umso mehr, als die wichtigste Gratifikation, die die Bindung des Mannes an die Familie bisher lohnend machte, inzwischen entwertet worden ist: die dauernde sexuelle Bereitschaft der Frau. Der Sex, früher ein knappes Gut, ist frei verfügbar. Stand einst am Ende der Liebesgeschichte die Gewährung der letzten Gunst, steht sie jetzt am Anfang. Das hat die Dramaturgie der Liebesgeschichte stark beschädigt.

Der Mann ist grundsätzlich ein Hauptdarsteller. Er will nicht eine vorgegebene Rolle gut spielen, sondern das Publikum überzeugen, dass ihm die Heldenrolle gebührt. Sein Szenario ist nicht die Aufführung des Stücks, sondern die Besetzungsprobe. Sein Vorbild ist Zettel im "Sommernachtstraum". Als dieser hört, dass in diesem Stück ein Löwe vorkommt, brüllt er: "Let me play the lion too!"

Deshalb lebt der Mann nicht in Distanz zu seiner Rolle, sondern seine Identität ist theatralisiert. In der theatralischen Figur kommt zur Erscheinung, was er seinem inneren Wesen nach eigentlich ist. Ist seine Vorstellung noch unvollkommen, ist dieses Defizit lediglich ein Aufschub, ein Noch-Nicht. Das Theater, das er macht, ist deshalb keine Lüge. Es ist ein Vor-Schein.

Wer die Mitte der Bühne erobert, hat damit bewiesen, dass er ein Eroberer ist. Ihm gebührt also die Mitte der Bühne. Und für den Mann ist jede Versammlung, die die Anzahl drei erreicht hat, eine Bühne. So haben auch die Männer in ihrer Theatralik immer das Imponiergehabe der Götter nachgemacht. Verfügten sie wie Jupiter über den Donner, sagt Shakespeare, so würden sie nichts als donnern, von morgens bis abends donnern.

Männer haben deshalb ein ganz anderes Verhältnis zur Wahrheit und zur Lüge als Frauen. Frauen halten die Aussage von jemandem für eine Lüge, der bewusst das Gegenteil von dem behauptet, was gegenwärtig der Fall ist. Männer dagegen haben ein dynamisches Verhältnis zur Wahrheit. Für sie ist bereits wahr, was zwar noch nicht eingetreten ist, aber in unmittelbarer Reichweite liegt: der greifbare Erfolg, die todsichere Wette, der bombensichere Profit. Sie wissen, es sind nur ein paar lächerliche Details, die dem endgültigen Durchbruch im Wege stehen. Im Grunde kann man schon die Sektkorken knallen lassen.

Das Geheimnis dieses andersartigen Wahrheitsverhältnisses liegt im unterschiedlichen Verhältnis der Geschlechter zur Zeit. Für die Frau ähnelt sie dem Ablauf eines Waschmaschinenprogramms. Die Episoden liegen im Vorhinein fest. Sie sind mit der biologischen Uhr synchronisiert. Irgendwo befindet sich die zentrale Phase des Kinderkriegens. Davor ist die Vorwäsche der Heirat oder der Partnersuche, danach wird gespült, gepumpt und geschleudert.

Anders der Mann. Für ihn sind Zukunft und Vergangenheit nicht nur Streckenabschnitte, die hinter oder vor ihm liegen. Natürlich sind sie das auch. Aber darüber hinaus sind sie Druckausgleichsbehälter des Wünschbaren. Die Zukunft ist der Aufenthaltsort der Wirklichkeiten, die gegenwärtig noch verhindert werden. Die Vergangenheit dagegen ist ein Reservoir von Erzählungen, die im Dienste einer höheren Wahrheit die Geschehnisse berichten, wie sie hätten sein sollen.