Irgendwann musste Dieter D. die Anzeige aufgeben, auch wenn klar war, dass es gefährlich sein könnte. Spätestens da würden sie merken, dass er alles wusste, dass er sich wehrte, dass er zurückschlug. Er war Dieter D., geboren 1940, in Prenzlauer Berg, Frührentner in Berlin, und ein Mann, der „das größte Verbrechen, das jemals an einem deutschen Staatsbürger begangen wurde“, nicht auf sich beruhen lassen würde.

Der Text lautete: „Suche Kommunist, sprachkundig in Russisch/ Chinesisch, gut im Formulieren der Menschenrechtsverletzung, die von amerikanischen Sicherheitsorganen in Los Angeles begangen wurden.“ Die Anzeige erschien letztes Jahr im Neuen Deutschland.

Dieter D. ist ein netter Mann, er redet ein bisschen so, als ob er etwas im Mund hat, aber so sprechen viele Amerikaner, und Dieter D. hat über zwanzig Jahre in Los Angeles gelebt. Er ist ordentlich angezogen, trägt eine dunkle Hornbrille und entschuldigt sich dafür, dass er seine Mütze nicht absetzt. Er fühle sich mit ihr wohler, sagt er. Dieter D. ist eitel.

Die Geschichte, die er erzählt, kennen die meisten prominenten Politiker. Otto Schily, Herta Däubler-Gmelin, Hans-Christian Ströbele, Gregor Gysi, Joschka Fischer–ihnen allen hat er schon einen Brief geschrieben und alles genau erklärt. Die Antwort, wenn es überhaupt eine gab, war immer die gleiche: „Herr D., wir können das nicht glauben. Wir brauchen Beweise.“

Er hat keine Beweise, und anfangs konnte er es ja selbst nicht glauben, sagt er. Und natürlich müsse man ihn für verrückt halten. Warum sollte die CIA einen Möbelpacker aus Beverly Hills verfolgen? Er wisse es auch nicht, jedenfalls nicht genau. Hinweise gäbe es. Aber es müsse wichtig sein, denn nicht mal für die CIA sei es leicht, während einer Rückenoperation, für die er 1991 im Krankenhaus war, Überwachungsimplantate in seinen Körper einsetzen zu lassen. „Es ist ein kleiner Chip, direkt hinter meinem Ohr. Man kann es fühlen, “ sagt Dieter D., „jeder kann es fühlen.“ Der Chip schneidet jedes Gespräch mit, und falls dem CIA-Mitarbeiter an der Empfangseinheit das, was Dieter D. sagt, nicht gefällt, ändert er es. Ein Knopfdruck und Dieter D. sagt Dinge, die er nicht sagen will. „Der Chip kann mich steuern. Es sagt mir, was ich über die SPD, über die CDU, eigentlich über alles denken muss.“ Er ist ruhig, wenn er davon redet, und bittet, dass man sich das doch ansehen solle. Man solle ihm ans Ohr greifen. Jedes Gespräch mit Dieter D. endet irgendwann damit, dass ihm der Gesprächspartner ans Ohr greift.

„Hören Sie das denn nicht?“

Einmal ist er zu dem E-plus-Geschäft in der Friedrichstraße gegangen, weil er wissen wollte, wie weit ein implantierter Chip senden könne, und ob es vielleicht einen Ort gäbe, wo er nicht abgehört werden könne. „100 Prozent Empfang in Deutschland, garantiert“, sagte der Verkäufer, der es nett meinte und die Frage wohl nicht verstanden hatte. Dafür verstand Dieter D. Wenn E-plus ganz Deutschland abdecken kann, wozu ist dann eine Supermacht fähig? Der E-plus-Verkäufer verstand das nicht, aber nach einer Weile griff er Dieter D. ans Ohr. „Ja, irgendwie ist da was. Ich habe aber so was auch“, sagte er.

Es muss die Hölle sein. Noch nie hat Dieter D. jemand die Geschichte geglaubt–dabei ist alles so offensichtlich. Er hört die Stimmen, er könnte das, was sie sagen, laut wiederholen, sie sind direkt in seinem Ohr, er kann den Chip fühlen. Sogar die Narben der Operation sind zu sehen. „Hören Sie das denn nicht?“, fragt er. „Hören Sie das nicht?“

Dieter D. ist in der Marienburger Straße in Ost-Berlin geboren, er ist bei seiner Mutter aufgewachsen. Wo sein Vater ist, möchte er nicht sagen. Am liebsten würde er überhaupt nicht von früher reden. „Amerikanische Sicherheitsbehörden implantieren mir einen Mikrochip in den Kopf, und mich fragen die Leute, wie meine Kindheit war?“

Normal sei sie gewesen, ganz normal. Nichts besonderes, gar nichts. Er sei kein guter Schüler gewesen. Später auch kein besonders guter Arbeiter. Mit 20 hatte er bei der Post, bei Siemens, bei AEG, in zwei kleineren Firmen und in einigen Restaurants gearbeitet. Die Chefs mochten ihn nicht. „Ich weiß nicht, woran das lag“, sagt er, „aber es würde mich nicht wundern, wenn es schon damals mit der CIA losging.“ Man dürfe nicht vergessen, was für eine Zeit das damals war. Amerika auf der einen, Russland auf der anderen, der Kalte Krieg, die Kuba-Krise, und er, er mitten in Ost-Berlin. Es war eine Frage der Zeit, bis die CIA auf ihn stieß, stoßen musste. Vielleicht war es ein Fehler, als er mit Anfang Zwanzig beschloss, in die USA auszuwandern. Aber viele Firmen, die ihn in Berlin noch eingestellt hätten, gab es nicht mehr.

Er wusste nicht viel über Amerika. Nur das, was man sich erzählte. Die Möglichkeiten seien unbegrenzt, und wer sich anstrenge, werde nicht immer Tellerwäscher bleiben. Als Dieter D. in New York ankam, war nur eines unbegrenzt, die Schwierigkeiten, die er hatte. Er bekam keine Green Card und verdiente wenig. Zumindest das mit dem Tellerwäscher stimmte. Die erste Zeit spülte er Teller in den Restaurants, später durfte er den Boden putzen. Noch später wurde er Möbelpacker. Es war so etwas wie eine Karriere, er bekam die Green Card. „Von der CIA wusste ich damals nichts.“

Es begann, als er seine Frau kennen lernte. Millie, eine hübsche Tschechin, die als Krankenschwester arbeitete. Sie war 19 Jahre älter als Dieter D., aber er liebte sie. Über alles liebte er sie. Es war ihm egal, dass sie früher Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen war. „Ich frage mich aber, ob ed der CIA auch egal war“, sagt Dieter D.

Millie war es auch, die ihn zu einer Operation in Moskau überredete. Dieter D. hatte Probleme mit den Augen, und in Moskau waren damals die besten Augenärzte der Welt. Er ging zur Botschaft und beantragte ein Touristenvisum für die UDSSR. „Kann es etwas Auffälligeres für die CIA geben, als einen Ostberliner, der mit einer ehemaligen Aktivistin der Kommunistischen Partei verheiratet ist, und ein Visum für die Sowjetunion möchte?“, fragt Dieter D. Nein, konnte es nicht. Natürlich ließen sie ihn observieren. Jahre ging das so. Er wusste das, es interessierte ihn aber nicht, es war anfangs nicht so wichtig. Er hatte Millie, sie lebten mittlerweile in Los Angeles, und er arbeitete als Packer. Sollte die CIA doch ihre Zeit verschwenden.

Endstation Gaddafi

„Bis zu meiner Rückenoperation vor elf Jahren.“ Der CIA genügte es plötzlich nicht mehr, sein Leben zu stören, sie wollte es bestimmen. Seit diesem Moment sei alles anders gewesen. „In den Akten des Krankenhauses steht, dass ich mich sofort nach der Operation beklagt hätte, dass ich Stimmen hören würde.“ 1997, nachdem der FBI, die vielen Briefe, die er schrieb, nicht mehr beantwortete, beschloss er, nach Deutschland zurückzufliegen. Er wollte in Berlin leben, weit weg von den Amerikanern. Hier würde man ihm glauben, hier hatte sein Plan eine Chance.

Dieter D. fuhr in die Charité. Er hatte etwas Geld gespart und wollte sich röntgen lassen. Jeder sollte sehen, was in seinem Kopf war. Leider ging das nicht sofort, er hatte keinen Termin. Er musste warten, so lange warten, dass es für die CIA kein Problem war, sich mit den Verantwortlichen der Charité zusammenzusetzen und sie zu zwingen, Dieter D. nicht die Röntgenbilder seines Kopfes zu zeigen. Als der Arzt ihm irgendwelche Bilder zeigte, wusste Dieter D. was kommen würde. „Ich kann sie beruhigen. In ihrem Kopf ist nichts, gar nichts.“

Dieter D. wandte sich an Gregor Gysi. Er hatte ihn im Fernsehen gesehen. Gysi sprach vom kleinen Mann, dem er helfen wolle und Amerika schien er auch nicht zu mögen. Gysi konnte zwar nicht helfen, schickte ihn aber zu einem befreundeten Anwalt, der sich mit Menschenrechtsverletzungen auskennen würde. „Wenn sie den deutschen Krankenhäusern nicht glauben, dann gehen sie doch in ein Land, das Sie für sicher halten. Vielleicht nach China?“ Seit Jahren erzählte Dieter D. die Geschichte und zum ersten Mal hatte ihm jemand einen vernünftigen Vorschlag gemacht. Ein Tipp. Er war Gysi dankbar.

Am 9. November vergangenen Jahres war Dieter D in China. Er war ohne Übersetzer da, weil sich auf seine Anzeige in der Zeitung niemand gemeldet hatte, aber daran lag es nicht. Auch die Chinesen weigerten sich, seinen Kopf zu untersuchen. Er hatte den Einfluss der CIA unterschätzt. Warum sollten die Chinesen seinetwegen einen Streit mit den USA riskieren?

Dieter D. sitzt in seiner Wohnung in Britz und hat beschlossen, nicht aufzugeben. „Ich habe einen Brief an Gaddafi geschrieben. Ich weiß nicht, ob der mir helfen kann.“ Er könne nicht erst sicher sein, wenn er es versucht habe.

Vielleicht sind viele Dinge im Leben des Dieter D. nicht sicher. Vielleicht war er nie in den USA, seine Frau nie Kommunistin, er nie Möbelpacker. Vielleicht hat er eine dieser Krankheiten, die nur dadurch heilen, dass das Gehirn mit den Jahren älter und schwächer wird, und nicht mehr die Kraft hat, zwei Welten aufrecht zu erhalten. Vielleicht.

Es spielt aber keine Rolle. Denn es ist die Wahrheit, Dieter D.s Wahrheit.