Man nannte ihn Rechtsstaat
Sicherheitspaket: Der 14. Dezember markiert den Umbau des Staates zu einem Präventionsstaat
Immer wenn es Nacht wird, lässt man in Deutschland die Rollläden herunter. Ähnlich mechanisch reagiert die deutsche Politik: Immer wenn was passiert, produziert man ein Sicherheitspaket. Es herrscht mittlerweile der Ehrgeiz, das in Rollladengeschwindigkeit zu machen. Man zieht kräftig am Gurt, und das Ding knallt herunter. So war das mit dem Anti- Terrorismus-Gesetz, das am Freitag im Bundestag verabschiedet wurde.
Die Pakete werden im Übrigen immer größer. Würde man alle Sicherheitspakete, die der Gesetzgeber in den vergangenen 25 Jahren geschnürt hat, vor dem Deutschen Bundestag aufstapeln, man könnte damit, wie mit gewaltigen Legosteinen, das Brandenburger Tor nachbauen. Der Gesetzgeber hat Sicherheitspakete produziert, als kosteten sie nichts. Und in der Tat, oft war dies auch so. Der Preis war nur ein Abbau an Rechtsstaatlichkeit – aber den spürt man nicht sofort. Kaum je ist geprüft worden, ob sich Sicherheitsgesetze auch bewährt haben, kaum je hat eine Erfolgskontrolle stattgefunden. Stattdessen galt und gilt das Motto: Noch mehr vom immer Gleichen.
Verglichen mit dem neuen Sicherheitspaket sind freilich die bisherigen Pakete Päckchen. Diesmal also XXL: Neue, umfangreiche Kompetenzen für die Geheimdienste; noch mehr Überwachung auch von unbescholtenen Leuten, die davon in der Regel nichts erfahren; noch ein paar große Löcher mehr in der grundgesetzlich gewährleisteten Rechtsschutzgarantie, im Datenschutz, im Post- und Fernmeldegeheimnis; noch etliche Verschärfungen im Vereins-, im Ausländer- und Asylrecht, noch ein paar Zugaben zum Lausch- und Spähangriff; ungebundene Ermittlungskompetenzen für Geheimdienste und Bundeskriminalamt. Und nicht zuletzt: Ausweispapiere werden künftig Fingerabdrücke und „biometrische“ (zum Beispiel Gesichtsvermessungs-) Daten erhalten. Vielleicht haben die Grünen die „Biometrie“ ja deshalb für verträglich gehalten, weil darin das Wort „Bio“ vorkommt.
Vor gut dreißig Jahren, im Zug der Notstandsgesetze, wurde das Post- und Fernmeldegeheimnis erstmals stark eingeschränkt und die Rechtsschutzgarantie verbogen – weil nicht die Justiz, sondern ein parlamentarischer Ausschuss solche Geheimdienstaktionen (notdürftig) kontrolliert. Damals also wurde den Geheimdiensten erstmals ein Lauschangriff erlaubt, den seinerzeit das Bundesverfassungsgericht knapp passieren ließ. In der von drei Richtern veröffentlichten abweichenden Meinung findet sich der Satz: „...ob der mit der Verfassungsänderung vollzogene erste Schritt auf dem bequemen Weg der Lockerung der bestehenden Bindungen nicht Folgen nach sich zieht, vermag niemand vorherzusagen.“ Die vorsichtige Warnung war eine prophetische Warnung. Seit diesem Urteil von 1970 wurde das Abhören beständig ausgeweitet, explodierten die Überwachungszahlen. Zuletzt waren es 7512 allein im Rahmen von Ermittlungsverfahren (die nicht statistisch erfassten Lauschereien durch Geheimdienste kommen hinzu). Wem das wenig dünkt, der muss wissen, dass mit jedem abgehörten Anschluss eine Vielzahl von Gesprächen abgehört wird; in einem Fall waren es über 120000 Telefonate.
Man wird sich irgendwann die Frage stellen, wann der Rubikon überschritten worden ist. Es könnte gut sein, dass die Antwort dann lautet: am 14.Dezember2001. Dieser Tag markiert, mit einer Kaskade von Sicherheitsgesetzen, die Gründung eines neuen Staatstypus’: des Präventionsstaates, der seine Bürger, um Sicherheitsrisiken zu minimieren, massiven Misstrauens- und Überwachungsmaßnahmen aussetzt, die auf keinem konkreten Verdacht beruhen. Es handelt sich um eine Entrechtung des bisher gewohnten Rechts. Der Geist des Präventionsstaates sieht so aus: Jeder Bürger ist potenziell gefährlich; es muss also erst einmal festgestellt werden, dass er konkret nicht gefährlich ist – er muss sich also entsprechende Überprüfungen gefallen lassen. Bisher war dies umgekehrt. Man nannte das: Rechtsstaat.