Voll auf Feme

Bushs Antiterrormaßnahmen verändern das amerikanische Recht

Nach dem aktuellen Stand der Dinge kann ein Bewohner der Vereinigten Staaten unter Ausschluß der Öffentlichkeit von einem geheimen Militärgericht auf der Basis von Gerüchten und Vermutungen zum Tode verurteilt werden. Und wenn auch Präsident Bush glaubt, dass der Verurteilte Terroristen geholfen hat, wird er hingerichtet werden, ohne Anrecht auf Berufung vor einem zivilen Gerichtshof. Dieses Szenario entstammt nicht der paranoiden Phantasie eines Verschwörungstheoretikers oder einem Story Meeting in Hollywood, sondern ist die Beschreibung der Rechtslage in den USA, die der Rechtsprofessor der Harvard University Alan M. Dershowitz in einem Essay für die New Yorker Wochenzeitung Village Voice gab. Dershowitz gehört zur liberalen Fraktion der amerikanischen Juristen, doch keineswegs zu den uneingeschränkten Kritikern des Terrorkriegs. Noch vor einigen Wochen befürwortete er die Folter als Druckmittel bei Verhören potentieller Terroristen, soweit dies gerichtlich abgesegnet sei. Doch die neuesten Schritte der Regierung, sich über die die Legislative hinwegzusetzen, gingen ihm dann doch zu weit.

Das beschriebene Szenario sei noch nicht alles, schreibt er weiter. Die militärische Verordnung, die George W. Bush am 13.November erlassen hat, verschärft den US Patriot Act vom Oktober so stark, dass ausländische Terrorverdächtige nun auf unbegrenzte Zeit ohne jeglichen Anspruch auf einen Anwalt oder eine Gerichtsverhandlung festgehalten werden können. Nach dem momentanen Stand der Dinge könnte also in den nächsten Tagen nahe der hanseatischen Küste ein Kriegsschiff der US Marine vor Anker gehen, ein Trupp Elitesoldaten übersetzen und einen Mann festnehmen, der des Terrors verdächtigt wird. Dieser würde auf das amerikanische Schiff verbracht, vor ein Militärgericht gestellt und kurz darauf hingerichtet.

Noch bleiben diese Szenarien Utopie, und sollten Bushs Militärverordnungen jemals zum Tragen kommen, werden die angeklagten Mitglieder der al-Qaida sicherlich auf wenig Sympathie einer Weltöffentlichkeit zählen können, die Bin Laden und seine Leute lieber heute als morgen baumeln sehen will. Doch in Amerika geht es in der Diskussion um Bushs Krieg gegen den Terror immer weniger um den neuen Feind, als um das neue Opfer – die amerikanische Verfassung.

Wie ein Revolverheld

Die Wochenzeitschrift The Nation zeigt auf ihrem Titelbild eine Karikatur, auf der Amerikas oberster Staatsanwalt John Ashcroft vor einer Verfassung mit Einschusslöchern wie ein Revolverheld den Rauch von einer Pistole bläst. „Die Militärgerichte sind die bisher dreisteste Initiative in einer Reihe von Gesetzen und umgeschriebenen Bundesverordnungen, die zusammengenommen ein zweites Rechtssystem installiert haben“, schreibt Matthew Purdy in der New York Times. „Bushs neue Regeln für den Kampf gegen den Terror verändern die rechtliche Landschaft von Grund auf.“ Und selbst konservative Kommentatoren wie der Kolumnist der New York Times William Safire finden harsche Worte für den Präsidenten: „Auf die fehlgeleiteten Ratschläge eines frustrierten, panischen Generalstaatsanwalts hin, hat ein amerikanischer Präsident soeben mehr oder weniger diktatorische Macht ergriffen, um Ausländer ins Gefängnis zu werfen oder hinzurichten“, schrieb er gleich nach der Verordnung. „Wir lassen George W. Bush durchgehen, dass er das amerikanische Rechtsverständnis durch militärische Femegerichte ersetzt.“

Es ist nicht das erste Mal, dass die USA Militärgerichte innerhalb ihrer eigenen Staatsgrenzen installieren. Das letzte Mal verurteilten sie 1942 sechs deutsche Agenten zum Tode, die von einem U-Boot vor der amerikanischen Küste abgesetzt worden waren, um amerikanische Fabriken, Eisenbahnlinien und Brücken in die Luft zu jagen. Doch während Präsident Roosevelt noch den Anstand hatte, sich die militärische Verurteilung der Nazisaboteure wenigstens nachträglich vom Kongress und dem obersten Gerichtshof absegnen zu lassen, denkt Bush gar nicht daran, die Legislative in die Entscheidungsprozess seiner Regierung einzubeziehen. Die Einrichtung der Militärgerichte wurde per Dekret beschlossen. Die Bürgerrechtsorganisation „American Civil Liberties Union“ (ACLU) rief in einem dringenden Aufruf auch nicht die Regierung an, sondern den Kongreß und den Senat. „Die ACLU wendet sich an die Legislative unseres Landes mit der Forderung, ihre Aufsichtspflicht wieder aufzunehmen“, heißt es da.

Der stellvertretende Bundesstaatsanwalt Michael Chertoff versuchte den Rechtsausschuß des Senats letzte Woche zu beruhigen: „Um wirklich unter die Verordnung zu fallen, müsste man Verbrechen gegen das Kriegsrecht begangen haben.“ Doch eine große Gefahr der Verordnungen sei, so der Harvardprofessor und ehemalige Generalstaatsanwalt Philip Heymann, dass die Formulierungen so schwammig sind, dass sie eben nicht nur gegen Terroristenführer in Übersee, sondern auch gegen die 18 Millionen meist legal in den USA lebenden Ausländer angewandt werden könnten.

Welche Auswirkungen die Antiterrorgesetze haben können, zeigte schon die ersten Fahndungswelle nach dem 11. September. Rund 1200 Männer verschiedener Nahostländer wurden verhaftet, darunter auch 60 israelische Staatsbürger. Öffentlichkeit und Medien wurden weder über die Namen noch über die Anklagepunkte informiert. Etwa einhundert nur stehen unter konkretem Verdacht, mit Terrorgruppen in direkter Verbindung zu stehen. Viele von ihnen sind lediglich potentielle Kronzeugen, die in so genannte „vorsorgliche Haft“ genommen wurden. Ein Verfahren, das gegen die Prinzipien des Rechtsstaates verstößt. In einem Meinungsartikel der New York Times verglich der Kolumnist Bob Herbert die Inhaftierung ohne Verfahren mit den „Desaparecidos“ unter der argentinischen Militärdikatur in den späten 70er Jahren.

Inzwischen regt sich der Protest nicht nur bei den Bürgerrechtlern und den Gesetzgebern. Auch in der Exekutive selbst machen nicht mehr alle Kräfte bei der Demontage des Rechtsstaats mit. Im Rahmen der Terrorfahndnung hat Generalstaatsanwalt John Ashcroft die Direktive ausgegeben, 5000 junge Männer arabischer Herkunft zu „freiwilligen“ Verhören zu bitten. Für den Polizeichef von Portland, Oregon Andrew Kirkland verstieß diese Verordnung gegen zu viele Bürger- und Strafrechte auf einmal. Vor allem gegen das Gesetz gegen „racial profiling“, in dem es um die Verdächtigung auf Grund der Zugehörigkeit einer ethnischen Gruppe geht. Die Polizeikräfte von sieben Städten sind dem Beispiel von Portland schon gefolgt und verweigern Ashcroft die Zusammenarbeit – Hillsboro und Corvallis, beide ebenfalls in Oregon, Detroit im Staat Michigan, Richardson und Austin in Texas, San Francisco und San Jose in Kalifornien.

Auch Europa läuft inzwischen Gefahr, sein Rechtsverständnis dem Kampf gegen den Terrorismus zu opfern. Ein von Anwälten aus 11 Ländern unterzeichneter europäischer Aufruf warnt vor dem Beschluss von europaweiten Antiterrorgesetzen, den die Innen- und Justizminister der EU-Mitgliedsländer am heutigen 6. Dezember fassen wollen. Unter dem Vorwand der Folgen des 11. September wurde der Terrorismus in den vorläufigen Entwürfen so weitläufig definiert, dass auch die Blockade oder Besetzung von Infrastrukturen als terroristischer Akt gelten könnten. Das würde allerdings bedeuten, dass nicht nur Krawalle wie die in Genua und Göteborg, sondern auch ziviler Widerstand und sogar die Streiks von Belegschaften unter die Antiterrorgesetzgebung fallen könnten. Das würde nicht nur das Rechtsverständnis von Grund auf in Frage stellen, sondern die Demokratie an sich.