August '95

Antofagasta, 27.07. bis 29.07.1995

Die Tage allein in Antofagasta verbrachte ich mit schmökern und spazierengehen. Als Reiselektüre hatte ich ein den letzten Teil des "Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams und "Das Geisterhaus" von Allende dabei, beides irgendwie passend. Wenn ich nicht las, erkundete ich die Stadt zu Fuß, saß am Hafen und beobachtete die großen Pelikane, wie sie in Scharen auf den Dächern der Häuser tummelten. Ab und an kam ich auch mit Einheimischen ins Gespräch, die wissen wollten, was mich nach Antofagasta verschlagen hätte.

Antofagasta, 29. und 30.07.1995

Click to enlarge An diesem Samstag sollte Micha eigentlich die Stadt erreichen. Also packte ich morgens meine Sachen und zog von meinem Einzelzimmer in ein Doppelzimmer um. Ich hatte gerade alles eingeräumt und suchte noch nach einigen Vokabeln im Wörterbuch, um den Leuten an der Rezeption klar zu machen, daß wenn ein Fahrradfahrer nach mir fragen würde, sie ihn meine Zimmernummer geben und nach oben schicken sollen. Doch als ich noch blätterte, da hörte ich schon von draußen die Putzfrau, wie sie meinte, die "niña" mit dem "bicicleta" wäre in Zimmer 23 und als ich aus der Tür hinaus sah, kam Micha die Treppen hoch gelaufen, mit sonnenverbrannter Haut, staubig und mit aufgerissenen Lippen, wie man sich einen Wüstendurchwanderer vorstellt und grinste bis über beide Ohren. Er erzählte, daß er auf der ganzen Strecke starken Gegenwind gehabt hätte und es verdammt steil rauf und runter gegangen wäre, so daß er schon glaubte, einen Tag länger zu brauchen. Dafür hätte natürlich sein Wasservorrat nicht ausgereicht und er ist deshalb schon früh um 4 losgefahren. Und dann hatte er die restlichen 100 km in nur vier Stunden geschafft, weil es nur noch bergab ging. Er wollte zuerst duschen, bevor wir hungrig in die Stadt gingen.

Am Platz vor der großen Markthalle von Antofagasta gab es einen großen Menschenauflauf. Es spiele eine christliche Band, die die Masse mit ihrem "Halleluja" mit sich riß. Es war eine Veranstaltung, die den großen Wunderheil-Veranstaltungen in den USA nachempfunden war. Der Hauptdarsteller bat laut um das Erscheinen des "Señors" und im Hintergrund stand so eine Art Gospelgruppe und unterstützte ihn. Dann wurde das Lied "Levantate Señor" gesungen (Gott, erhebe Dich), daß uns noch gut in Erinnerung bleiben soll, denn im Refrain hieß es, daß Gott den Teufel mit den Füßen treten soll und alle auf dem Marktplatz trampelten wie wild mit ihren Füßen auf den Boden herum. Amüsiert blieben wir, bis sich die Menge zerstreut hatte. In einer Hähnchenbude wollten wir etwas essen gehen, den die Hähnchen, die sich braun und knusprig an einem Spieß drehten, rochen zu köstlich. Aber als wir bestellten wurde uns gesagt, das es weder Hähnchen noch Pommes oder Bier gäbe. Ich verstand zwar die Welt nicht mehr, aber vielleicht war es bereits zu spät, um etwas zu bestellen. Wir beschlossen ins Hotelzimmer zurückzukehren und die übriggebliebenen Kekse zu futtern, kehrten dann aber bei einem Chinesen neben unserem Hotel ein, der noch geöffnet hatte. Als wir bezahlten, war es bereits weit nach Mitternacht.

In einem Wohnhaus neben unserem Hotel wurde eine Feier abgehalten. Viele junge Leute strömten in das Haus, laute Musik drang auf die Straße. Als wir an der Nachtbesetzung an der Rezeption vorbeischlenderten, wollten sie uns fast nicht reinlassen und sagten, es wäre kein Zimmer mehr frei. Wir zeigten ihnen unseren Schlüssel und dann kapierten sie, das wir bereits im Hotel wohnten. Die Musik der Party dröhnte dumpf und entfernt in unser Zimmer.

Im Bad auf der Terrasse putzte ich mir die Zähne, Micha kochte noch einen Wackelpudding fürs Frühstück und stellte ihn zum Abkühlen auf den Schrank. Wenig später sollte er in meinen Schuhen landen. Ich setzte mich aufs Bett und schrieb noch ein wenig in meinem Tagebuch, Micha hatte schon sein Licht ausgemacht. Ich wollte noch ein wenig schreiben. Jedoch sollte es nicht mehr soweit kommen. Zuerst spürte ich eine Vibration und hörte ein lautes Brummen. Ich dachte, die Musik wäre jetzt noch lauter gedreht worden und machte mich bereit, über den Lärm zu meckern, doch bevor ich überhaupt ein Wort sagen konnte, begann der Boden zu wackeln. Das war auf keinen Fall mehr normal und die Party konnte auch keine Schuld daran haben. Die Sekunden kamen mir vor wie Stunden. Es klirrte, es dröhnte, der Boden schwankte, ich saß immer noch bewegungslos auf dem Bett und schaute Micha, er schaut mich an - bis jetzt kamen wir nicht dazu, einen Ton zu sagen, so schnell war es gekommen - das Erdbeben. Wir sprangen von den Betten auf und hatten nur einen einzigen Gedanken: raus aus dem Zimmer! Um uns die Schuhe anzuziehen, war überhaupt keine Zeit mehr. Bevor wir die Tür erreichten, ergriff Micha noch seine kurzen Hosen, die er zufällig über den Stuhl neben der Tür gehängt hatte. Ich riß die Tür auf, in diesem Augenblick erloschen alle Lichter in der Stadt. Ich trat hinaus und war von Dunkelheit, Tosen und dem gewaltigen Wackeln des Bebens umgeben. Das Laufen viel schwer und ich stand wie unter Schock einfach da und schaute um mich. Micha packte mich und schob mich vor sich her die Treppen hinunter, Richtung Wäscheplatz. Wir stolperte und wurden im Treppenaufgang hin und her geworfen, jede Stufe war kompliziert, die letzte Stufe stolperte ich, Micha zog mich wieder hoch, dann mußten wir links um die Ecke, was äußerst kompliziert war, ich stolperte über eine weitere Stufe und dann standen wir im Garten des Hotels, völlig allein, um uns das Tosen und das Wackeln. Ein weiteres Pärchen kam aus der Tür neben uns und jammerte "Dios mio!" und hatte große Angst.

Das Schütteln des Bebens hatte bereits etwas nachgelassen, aber die Erde schwankte wie verrückt hin und her. Es waren harmonische Bewegungen, so als ob man schaukeln würde und es war fast unmöglich, sich auf den Beinen zu halten. Als wir die Treppen hinunterliefen, war der Himmel von Blitzen erfüllt gewesen - Entladungen der Stromleitungen, die durch das Beben aneinanderstießen. Wir schauten in den Himmel und meinten, Sternschnuppen zu sehen. Diese waren aber eigenartig dunkel und außerdem waren es extrem viele Sternschnuppen auf einmal, bis wir merkten, daß es sich vom Beben aufgescheuchte Vögel handelte, die in Panik durch die Nacht flogen.

Als sich die Erde endlich beruhigt hatte, gingt Micha hoch und holte unsere Taschenlampe und etwas warmes zum Anziehen, das Geld und die Pässe aus unserem Zimmer und schloß es ab. Im Zimmer daneben machte jemand ein halbes Lagerfeuer, um etwas zu sehen und ich dachte mir nur: Klar, jetzt brennt natürlich alles ab und wir müssen Leichen bergen. Ich war so voll Adrenalin, daß mich eigentlich nichts wunderte. Wir zogen uns in Windeseile an, als ich in meine Wanderstiefel stieg, waren sie im Inneren so eigenartig glitschig. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, daß es sich um den Wackelpudding handelte, der in meine Wanderstiefel schwappte, die direkt unter dem Schrank gestanden hatten.

Wir rannten schnell unter der Terrasse des Hotels hindurch, auf die Straße hinaus, weil wir einen erneuten Erdstoß befürchteten, der uns dann vielleicht das Haus auf den Kopf werfen würde. Erst jetzt kamen die anderen aus den Zimmern des vollbesetzten Hotels. Wir liefen durch die dunklen Straßen der Stadt in Richtung Innenstadt, immer wohl bedacht, uns von hohen Mauern oder alten Häusern fern zu halten. Viele Menschen waren auf der Straße unterwegs und es fuhren auch schon wieder einige Autos, und zwar mit hoher Geschwindigkeit. Das Licht ihrer Scheinwerfer erhellte die Straße. Wir gingen zum großen, freien Marktplatz, dort wo einige Stunden vorher das Konzert abgehalten wurde. Hier hofften wir, daß wir einigermaßen sicher vor einstürzenden Mauern wären und das sich unter uns kein Keller befand. Als einziges Gebäude war das der Telefongesellschaft CTC beleuchtet, die wohl ein Notstromaggregat besaßen. Von den Bergen kam eine Flut von Autos herabgesaust, alle flüchteten in Panik, vielleicht in Richtung Wüste. Die drei Telefonzellen waren von Menschentrauben umringt, die wahrscheinlich bei Verwandten anrufen wollten. Zwei Betrunkene schwankten glücklich Arm in Arm über den Marktplatz und hielten noch ihre Biergläser in den Händen. Sie fanden alles wohl recht lustig und hatten das Beben wohl auch nicht so richtig mitbekommen.

Plötzlich klirrten die Fenster und der Boden erzitterte und schwankten unter unseren Füßen, so daß ich mich vor Angst an Micha festhielt. Das Nachbeben war aber schnell wieder vorbei und wir setzten uns mitten auf den Platz auf eine Parkbank und wurden noch einige Male durchgeschüttelt. Die herumstreunenden Hunde waren dermaßen aufgeregt, daß sie jeden anfallen wollten, der ihnen zu nahe kam. Wie hielten die ganze Zeit unser Abwehrspray bereit, gegen Hunde oder böse Menschen, die die Verwirrung oder die Dunkelheit für ihre bösen Zwecke ausnutzen wollten.

Langsam hatte ich mich vom ersten Schrecken erholten, aber mein Magen fühlte sich gar nicht gut an. Plötzlich, keine 15 Meter von uns entfernt, stieg eine mächtige, ungefähr fünf Meter hohe Stichflamme aus einem Strommasten in den Himmel und der Lärm zerriß die Stille. Man konnte die Hitze der Flamme auf der Haut spüren und das ganze Ereignis zerrte dermaßen an meinen Nerven, daß ich zu zittern begann und die Kälte tat das ihrige dazu. Jetzt gab es wieder Strom und Licht in der Stadt und wir blieben noch zwei Stunden auf dem Marktplatz sitzen.

Gegen Morgen liefen wir müde und fröstelnd ins Hotel zurück und trugen uns mit dem Gedanken, im Garten zu zelten. Wir stellten fest, das fast alle Gäste aus dem Hotel abgereist waren und ein Hotelangestellter mit einem Funkgerät in der Hand hielt auf der Terrasse Wache, um Plünderungen zu vermeiden. Wir legten uns ins Bett, ich hatte Angst und war immer bereit, sofort wieder aus dem Bett zu springen. Ich hatte mich halbwegs entspannt, als erneut die Erde bebte, die Fensterscheibe klirrte und in Befürchtung, das es sich vorher nur um Vorbeben gehandelt hätte, rannten ich wie panisch aus dem Zimmer hinaus, bis in den Garten. Da war der Spuk auch schon wieder vorbei.

Ich legte mich wieder ins Bett. Kaum hatte ich mich wieder in die Decke gekuschelt und war eingedöst, erzitterte erneut das Bett und wieder sprange ich auf, diesmal rannte ich nur bis zur Tür. Das Spiel wiederholte sich einigemale, bis zu dem Zeitpunkt, als es wieder bebte. Müde drehte ich mich um und schaute, was Micha macht und weil er ruhig im Bett lag, blieb auch ich liegen. Irgendwann schlief ich ein und ignorierte die Nachbeben. Wenn bis jetzt nichts passiert war, was sollte denn passieren? Ein Gast des Hotels wollte in sein Zimmer, hatte jedoch in der Aufregung den Schlüssel im Zimmer vergessen. Er ließ sich also vom Personal aufsperren, verwechselte aber wohl die Zimmernummer und so standen sie in unserem Zimmer herum. Wir empörten uns lautstark und die beiden zogen sich entschuldigend zurück.

Wir standen gegen 10 Uhr auf und zogen uns schnell an und setzten uns zum Frühstück auf die Terrasse. Ich wollte einfach draußen sein, denn unter freien Himmel erschienen mir die Nachbeben ungefährlicher. Wir gingen in die Stadt, um nach Schäden zu suchen, die das Erdbeben verursacht hatte und um zu erfahren, mit welcher Stärke Antofagasta erschüttert worden war und ob man noch mit einem stärkeren Nachbeben rechnen mußte. Wir konnten das ganze noch schlecht einordnen. Auf den ersten Blick waren kaum Schäden zu erkennen. Wir fanden nur von der Fassade abgefallene Kacheln, zahlreiche zersprungene Fensterscheiben auf der Straße und abgebröckelten Putz. Nun, dann konnte das Beben nicht so stark gewesen sein, dachte ich mir. Da wir bisher noch kein Erdbeben erlebt hatten, kamen wir zum Schluß, das es sich lediglich um ein Erdbeben von ungefähr Stärke 3 gehandelt haben konnte.

Click to enlarge Erst als wir Richtung Innenstadt liefen, entdeckten wir einen Reporter mit Filmkamera, der vor der Niederlassung der Telefongesellschaft CTC stand und etwas filmte. Neugierig gesellten wir uns zu ihm und entdeckten, das dort die Decke eingestürzt war. In einer Einkaufspassage lagen in allen Geschäften die Waren in den Schaufenstern durcheinander.

Wir wollten einkaufen gehen, doch die Supermärkte platzten vor Menschenmassen aus allen Nähte. Die Chilenen machten Hamsterkäufe. Überall war Brot ausverkauft, es wurden Kerzen und Streichhölzer angeboten und Wasser in Flaschen. Es gab nämlich in der ganzen Stadt kein fließendes Wasser mehr, und wir lebten noch von dem Wasserresten von Michas Wüstenfahrt. Als wir die Menschen beobachteten, wie sie in Panik hamsterten, dachten wir schon, das Hauptbeben wird erst erwartet. Wir gingen wieder ins Hotel zurück und legten uns auf der Terrasse in die Sonne, entspannten uns, immer wieder aufgescheucht von den Nachbeben. Es gab ungefähr alle Viertel Stunde ein Nachbeben und immer klirrten die Fenster.

Click to enlarge Als wir unser Abendessen auf der Terrasse brutzelten, gab es mal wieder ein stärkeres Nachbeben. Genervt stellten wir den Benzinkocher ab, ich sprang auf die Beine und rannte wieder durch die Gegend. Die Putzfrau, die gerade mit einem Putzeimer an mir vorbei lief, fragte belustigt, ob das unser erstes Erdbeben gewesen war. Jetzt tat sie so, als ob sie ganz hart gesotten wäre, aber gestern, was haben wir da jammernden Chilenen gesehen, männliche und weibliche. Ich legte mich früh ins Bett, den ich war müde von den ganzen Ereignissen des letzten Tages, doch bei jedem Klirren der Fenster stieg erneute mein Adrenalinspiegel. Vorsichtshalber haben wir uns aber einen Alarmstuhl zurechtgemacht, auf dem alles Notwendige, wie Kleidung und Wertsachen, griffbereit neben der Tür lag.

Antofagasta, 31.07.1995

Ich hatte einige Mühe, mich am nächsten Tag aus dem Schlaf zu kämpfen, während Micha bereits lange wach war. Während der Nacht war schon wieder etwas Wasser geflossen, man mußte ohne Übertreibung drei Stunden warten, bis der Spülungskasten der Toilette vollgelaufen war, aber immerhin konnte man von Zeit zu Zeit den Dreck wegspülen. Am Vormittag konnte man sogar wieder duschen und während ich unter der Dusche stand, lief Micha ungeduldig in die Stadt und kaufte eine aktuelle Zeitung. Er spannte mich natürlich auf die Folter und ließ mich raten, wie stark das Erdbeben war. Irgendwann gab er mir die Zeitung: Das Hauptbeben hatte eine Stärke von 7,8 gehabt und hatte 120 Sekunden gedauert. Damit war es stärker und länger gewesen als das Beben von Kobe, bei dem es 5000 Tote gegeben hatte. Das Epizentrum lag ungefähr 10 km nördlich von Antofagasta im Meer und die Stadt war wegen verschütteter Straßen von der Außenwelt abgeschnitten. In der Zeitung waren einige Fotos von zerstörten Häusern, zertrümmerten Straßen und einer Marienfigur auf einer Kirchturmspitze, die schräg in einem 45 Grad-Winkel hing und gleich bei uns um die Ecke stand. Wie konnte man soetwas nur übersehen?

Das erste Nachbeben, daß wir auf dem Marktplatz erlebt hatten, hatte eine Stärke von 6, sowie das zweite, als wir bereits in den Betten lagen und voller Panik in den Garten flüchteten. Bis zum Sonntagabend zur Drucklegung der Zeitung hatte es schon über 100 Nachbeben gegeben. Es hatte insgesamt nur 4 Tote gegeben: Ein Mann wurde im Schlaf von einer Mauer erschlagen, aber nur, weil der Nachbar auf der anderen Seite der Mauer Sand und Kies aufgeschüttet hatte. Der zweite Tote bekam einen Herzschlag, seine Frau ist noch am gleichen Tag vor Gram gestorben. Ein viertes Opfer, ein junger Pfadfinder, war eigentlich in völliger Sicherheit draußen in der Wüste, hatte sich dann jedoch den Kopf an einem Stein eingeschlagen, als er in Panik aus seinem Zelt flüchtete und stolperte. Tragisch. Einen Mord gab es auch: Eine Frau hatte soviel gejammert, bis ihr Ehemann ausgerastet war und die arme Frau mit einem Stein erschlug.

Da das Erdbeben so stark gewesen war, konnte man davon ausgehen, daß es nur noch Nachbeben gab und so ging ich beruhigt unter die tröpfelnde Dusche.

Antofagasta, 01.08.1995

Die Küstenstraße nach Norden war immer noch nicht passierbar und so mußten wir noch einige Tage in Antofagasta bleiben. Wir nutzten die Zeit und einiges zu erledigen, z.B. das Zelt reparieren lassen und ein Flugticket nach Caracas kaufen, von wo aus mein Rückflug nach Deutschland startete. Wir entschlossen uns für einen ausgiebigen Spaziergang am Strand entlang, vorbei am Bonzenviertel. Es war sonnig, nicht zu heiß und wir flanierten entlang der schönen Uferpromenade. An einer Stelle hatte man eine Art Pool gebaut, der durch die sich brechenden Wellen des Meeres gespeist wurde. Vor dem Pool gab es Stufen, wie ein Podium, auf die man sich setzen konnte und die Wellen beobachten konnte. Vielleicht ist diese Stelle an heißen Sommertagen begehrt, um sich durch das fein in der Luft verteilte Meerwasser etwas abzukühlen.

Wir gingen weiter und erkundeten eine Art künstlicher Insel, die als Sprungturm und Wellenbrecher dient. Das Wasser in der dahinterliegenden Bucht war ganz ruhig und lud direkt zum Schwimmen ein.

Entlang des Strandes waren keine Erdbebenschäden zu erkennen, abgesehen davon, das eine Abwasserleitung, die direkt ins Meer führte, gebrochen war und den ganzen braunen Dreck in einer unübersehbaren und stinkenden Fontäne ins seichte Wasser und auf den Strand verteilte.

Mit einer großen Eistüte in der Hand schlenderten wir durch eine Palmenallee zurück, die, wie es schien, von mindestens 100 Gärtnern gepflegt wurde. Überall wurde gemäht, gewässert, geschnippelt und gekehrt.

Wir aßen gleich bei zwei verschiedenen Chinesen. Im zweiten Restaurant unterhielt uns eher unfreiwillig ein sehr, sehr alter Kellner, der einen starken Hang zum Perfektionismus hatte und alles, was er tat, sehr sehr langsam tat und sehr sehr bedächtig. Außerdem bekam er beim sprechen die Zähne nicht auseinander und so verschluckte er noch mehr Buchstaben als ein durchschnittlicher Chilene.

Er fragte uns, ob uns das Essen geschmeckt hätte, "gusto". Dieses Wort z.B. verwandelte sich in seinem Mund zu "ghto", und das hat er auch noch genuschelt!

Wir hatten in der Zeitung gelesen, das es bis Sonntag abend schon bis zu 100 Nachbeben gegeben hätte, 6 davon mit einer Stärke zwischen 4 und 6. Außerdem waren über 70 Häuser eingestürzt. Präsident Frei war noch am Sonntag, also am Tag des Erdbebens, nach Antofagasta geeilt und hatte sich den einsturzgefährdeten Hafen angesehen.

Antofagasta, 02.08.1995

Micha ging schon relativ früh am Vormittag in die Stadt, um sein Zelt reparieren zu lassen. Am Vortag hatte er endlich einen Schneider gefunden, der vorgab, neue Reißverschlüsse in ein Zelt einnähen zu können und auch einen Handwerker, der die kaputten Speichen an seinem Fahrrad auswechseln kann. Aber seit dem Versuch, die Speichen in La Serena auswechseln zu lassen, war alles so stramm, das nichts mehr ging.

Ich schrieb noch ein paar Briefe nach Hause und als Micha am Nachmittag zurückkam, fragte er mich, obwohl ich überhaupt schon aufgestanden wäre. Frechheit. Immerhin hatte er auch schon ein Reisebüro gefunden, in dem wir meinen Rückflug von La Paz nach Caracas buchen können. Jedoch kannten sich die beiden, obwohl sehr netten Bolivianerinnen, nicht sehr gut aus, und er hatte bereits zwei Stunden damit zugebracht, sich mit den beiden Damen in Geduld zu üben. Und eine weitere Stunde hatte er gebraucht, um in einer Bank Geld abzuheben.

Wir sind dann noch mal in die Stadt gegangen, um das Zelt zum Schneider zu bringen, der die Reißverschlüsse austauschen wollte. Abends sind wir noch mal zu dem lustigen Chinesen gegangen, dessen Ober den Mund nicht aufbekommt.

Antofagasta, 03.08.1995

Heute löste Michael einige Aufgaben des chilenischen Abiturs, die in der lokalen Tageszeitung veröffentlicht waren. Er hatte mächtig Spaß an den Aufgaben und war fast nicht zu überreden, mit in die Stadt zu gehen. Wir schlenderten zum Reisebüro des Aero lloyd Bolivia und ließen uns von den zwei ulkigen Frauen beraten. Es gab keine Maschine, die direkt von La Paz nach Caracas fliegt und auch mit umsteigen gab es keine, die erträglich Wartezeiten bis zum Anschlußflug hätte. Entweder müßte ich zwei Tage warten oder ich hätte nur 15 Minuten Zeit umzusteigen - in Südamerika nicht zu bewältigen. Die beiden schauten gemeinsam in den Computer, tippten irgendwas ein, zogen dann beide gleichzeitig sehr skeptisch die recht Augenbraue hoch (so wie Spock in Enterprise), schauten dann gleichzeitig auf den Kalender, um wieder mit ihren Augen an dem Bildschirm hängen zu bleiben. Irgendwann, es war schon kurz nach 18.00 Uhr, meinten die beiden, das wir ruhig schon mal Besorgungen machen könnten und gegen 19.00 Uhr wiederkommen sollten.

Wir schafften es endlich, bei der Telefongesellschaft CTC nach Hause anzurufen, um die daheim zu beruhigen, das es uns noch gut geht. Meine Mutter hatte zwar schon von einem Erdbeben gehört, jedoch hatte sie geglaubt, das wir noch nicht in Antofagasta wären. Das Erdbeben wäre nur ganz kurz in den Nachrichten zu sehen gewesen, was eigentlich enttäuschend ist, wenn man bedenkt, das es das stärkste in den letzten 10 Jahren weltweit war. Naja. Sie erzählte mir noch ganz aufgeregt, das Steffi Grafs Vater wegen Steuerhinterziehung auf der Flucht wäre und das die Firma der Familie meines Studienkollegen pleite gegangen wäre. Ich fragte mich, was er jetzt wohl machen würde, der, der eigentlich immer Sohn von Beruf war.

Wir riefen noch bei Jens in Santiago an und frech wie immer, behauptete er, das wir Katastrophen-Touristen wären. Von denen wimmelte es nämlich hier, seit die Straße wieder frei ist. Leute, die auch Nachbeben erleben möchten und zuschauen wollen, wenn Häuser in sich zusammenfallen. Er faxte uns einige Briefe durch, die von Freunden und Verwandten für uns an seine Adresse geschickt wurden; zuvor mußten wir aber die Telefongesellschaft wechseln, weil CTC kein Faxgerät mehr besaß. ENTEL hatte zwar ein Fax, aber es kannte dort niemand die Vorwahl von Antofagasta; typisch chilenisch! Jens wollte sie irgendwie für uns herausbekommen.

Als nach einer Viertelstunde immer noch kein Fax angekommen war, gingen wir zum Zeltflicker. Das Zelt war noch nicht fertig, der Schneider hatte noch einige Schwierigkeiten. Als wir wieder bei der Aero lloyd Bolivia vorbeischauten, kurz vor 19.00 Uhr, hatten die schon geschlossen - es war alles dunkel, abgeschlossen und aufgeräumt und mein wertvolles Rückflugticket von Caracas nach Frankfurt lag bei ihnen irgendwo rum! Frustriert ging ich dann einkaufen, Micha ging noch mal zum Zeltmacher, kam aber gleich wieder empört zurück, weil der Schneider die Reisverschlüsse falsch herum am Zelt angenäht hätte, so das man es nur von außen aufmachen konnte. Jetzt dauerte das ganze noch einen Tag länger.

Im Hotel las ich die Briefe von zu Hause; teilweise waren sie so lustig geschrieben, das ich vor Lachen Bauchschmerzen bekam. Wir waren trotz allem guter Laune und plauschten noch bis um 3.00 Uhr.

Antofagasta, 04.08.1999

Eigentlich wollten wir heute endlich losfahren. Doch als ich aufwachte, war ich mit einer sehr eigenartigen Müdigkeit beschlagen. Micha war besorgt und meinte, ich sollte lieber noch ein wenig liegenbleiben. Als Micha Vorschläge für das Frühstück machte, wurde mir bei "Gurken", "Ketchup" und "Wackelpudding" total schlecht. Ich futterte schließlich ein paar Löffel Wackelpudding. Mir war total schwindlig und es wurde mir richtig übel. Irgend etwas muß ich wohl nicht vertragen haben. Mir wurde ganz heiß und ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und irgendwann rannte ich auf die Toilette... Ich fühlte mich zwar etwas besser, aber diese bleierne Müdigkeit blieb.

Ich dachte, ein Kaffee würde helfen. Der starke Kaffee rann meine Kehle hinab und mein Magen fühlte sich plötzlich ganz wohl an. Kaum nahm ich einen zweiten Schluck Kaffee, hob es mich und ich schaffte es gerade noch so auf die Toilette, schrecklich. Jammernd verdunkelte ich das Zimmer, weil ich ganz lichtempfindlich war und legte mich ins Bett. Micha war schon wieder unterwegs, um nach seinem Zelt zu sehen. Es hatte überhaupt keinen Zweck, das ich mich in dem Zustand auf das Fahrrad zwinge. Ich trank ein wenig Wasser; aber auch das verließ meinen Körper nach ca. 40 Minuten auf dem gleichen Weg wie der Kaffee zuvor und diesmal schaffte ich es nicht mal mehr zur Toilette und es mußte ein Behältnis auf dem Weg herhalten, das ich zufällig zu greifen bekam - der Topf, in dem ich immer meinen Kaffee kochte.

Ich fühlte mich sterbenselend und hatte schon Angst, das ich zu einem Arzt gehen müßte. Micha kam zurück und sah mich Häufchen Elend im Bett liegen. Er kümmerte sich um mich, aber es half nicht viel. Er ging gegen Mittag wieder, um das Flugticket abzuholen; ich fliege jetzt von La Paz nach Santa Cruz/Bolivien und dann weiter nach Caracas, wo ich zwei Tagen Aufenthalt vor dem Weiterflug nach London und Frankfurt habe.

Mein Zustand war unverändert, ich hatte mich schon ein paar mal übergeben müssen, obwohl ich weder etwas gegessen noch getrunken hatte. Er tröstete mich. Er ging in eine Apotheke und holte mir Arznei. Ich bekam kaum die Tablette hinunter, aber die Medizin half. Ich schlief endlich ein paar Stunden und es ging mir dann eigentlich wieder gut. Ich war von den Apotheken in Chile fasziniert. Und dann aß ich schon wieder zwei Pepinos Dulces und Gummibärchen. Dann ein paar Wienerchen mit Brötchen und später gingen wir - wie sollte es auch anders sein, zum Chinesen. Ich war wieder gesund, dank der chilenischen Hämmerarzneien.

Wir packten unsere Sachen zusammen, denn am nächsten Morgen sollte es endlich wieder losgehen!

Küstenstraße bei Antofagasta

05.08.1995 Mejillones

Obwohl ich eigentlich den ganzen Freitag verschlafen hatte, war ich am Morgen noch hundemüde und verlangte noch eine Stunde Schlaf. Wir frühstückten Kaffee und Cornflakes, Micha hatte seinen fast schon obligatorischen Wackelpudding, der von etwas flüssigerer Konsistenz als normale Wackelpuddings sein mußte.

Wir füllten unsere Wasserflaschen und verließen das Hotel und fuhren weiter in Richtung Norden. Die Sonne schien heiß, nur im Schatten war es kühl. Die Landschaft war einfach perfekt, die hohe, majestätische Küstenkordilliere mit ihren Löchern und Furchen, das Meer, das blau und grün strahlte, die perfekten Wellen, die weiße Gischt, alles lud zum Baden ein, wenn nur der Humboldt-Strom nur nicht so schrecklich kalt wäre. Wir kamen an die Abzweigung nach Tocopilla und Mejillones, und schon begann es bergig zu werden. La Portada bei Antofagasta Von weitem sah man schon "La Portada" im Meer, ein riesiges Felsentor, ca. 70 Meter hoch, neben der Steilküste. Es dauerte noch ewig, bis wir dort waren, weil die Straße steil bergauf führte. Dort angekommen, hatte plötzlich ein sehr rauher Wind aufgefrischt und ich fror. Wir betrachteten das Felsentor; der Zugang zum Strand war gesperrt, angeblich, weil das Felsentor aufgrund des Bebens einstürzen sollte. Wir setzten uns in den Sand, aßen zur Stärkung ein paar Pepinos Dulces und Kekse. Ein paar Fotografen von der Zeitung "Mercario" fotografierte mich, als ob ich von einem anderen Stern käme. Die Pressemenschen warteten wohl darauf, das La Portada einstürzte.

Die Rückfahrt zur Ruta 1 gestaltete sich sehr mühsam, nicht nur, weil wir plötzlich heftigen Gegenwind hatten. Noch ein paar Kilometer und wir sollten endlichen die südlichen Wendekreis überqueren. Wir fuhren in eine Militärzone ein und überall waren Schilder aufgestellt, das das fotografieren verboten wäre und zwar für die nächsten 8 Kilometer. Am Wendekreis war ein rostiges Schild zu finden, das das hier der Wendekreis sei, ein kleines Schild stand daneben, das es verboten sei, Fotos zu schießen. Wir machten trotzdem eins. Hinter dem hohen Zaun zu beiden Seiten der Straße befanden sich Wachen, die grimmig dreinschauten und alle hielten Maschinengewehre in der Hand.

Kurz nach dem Militärgelände stieg die Straße unglaublich stark an, sie führte fast senkrecht nach oben; man hätte ja einfach eine Kurve bauen können, aber nein, die Straße führte mitten über den Berg. Oben ging es relativ eben weiter und mit dem starken Rückenwind sauste ich fast ohne was zu tun mit 30 km/h dahin, was mir selbstverständlich sehr viel Spaß machte. Der starke Wind wurde jedoch zum Problem, als wir versuchten, einen Platz zum Zelten zu finden. Windschutz Es gab hier nichts, weder Strauch, noch Baum oder Erdhügel oder irgendeine Art von Leben. Der Wind war so heftig, das man das Zelt kaum aufstellen konnte; es knickte regelrecht in sich zusammen und lag flach auf dem Boden. Micha meinte, wir müßten warten, bis der Wind abgeflaut wäre oder ohne Zelt schlafen. Das mochte ich mir aber keinesfalls vorstellen und Micha reagierte etwas gereizt. Micha baute trotzdem das Zelt auf und weil ich jämmerlich fror, krabbelte ich gleich hinein; ich konnte mich ein wenig aufwärmen. Er bauten noch einen Windschutz mit den beiden Fahrrädern und der großen Plastikplane, als "Anker" für den Windschutz dienten ein paar große Steine. Zum Abendbrot gab es Wiener mit Brötchen und Kartoffelbrei. Wir hatten noch Maracuyas und Micha fielen dann vor lauter Müdigkeit die Augen zu. Der Wind war durch die geniale Windschutz-Konstruktion kaum noch zu spüren.

06.08.1995 Hornitos

Ich hatte die ganze Nacht nicht einschlafen können und als es schon zu dämmern anfing, fiel ich endlich in einen leichten, oberflächlichen Zeltplatz am Horizont Schlaf und um viertel nach neun wachte ich völlig gerädert auf. Die Sonne wollte gerade aus den Wolken hervorbrechen und im Zelt war es schon schrecklich heiß. Wir packten das Zelt ein und schoben die Fahrräder zurück auf die Straße.

Der Wind hatte gedreht und was mir gestern als Rückenwind so gut gefallen hat, kam mir heute als Gegenwind entgegen und wurde von mir verflucht. Michael gab das Tempo vor, weil er an einer Posada essen wollte, die es laut "Turistel" geben sollte. Wir passierten einige makabre Gräber am Wegesrand, eines hatte Toyota-Flägchen um das Grabhäuschen als Dekoration; außerdem waren die Autoreifen aufgestellt. Wir fuhren und fuhren und sammelten nebenbei Mineralien und Erze ein, die einfach so am Straßenrand lagen. Ich fand einen sehr schönen Schwefelstein, um den mich Micha beneidet. Außerdem fanden wir viele Steine mit Kupfer.

Die Ortschaft Charaya stellte sich als unbewohnte Feriensiedlung heraus, die auch noch ca. eineinhalb Kilometer von der Straße entfernt lag. Hornitos, wo wir ein Restaurant vermuteten, gab sich schließlich doch als verwaistes Touristennest und war ca. 5 Kilometer von der Straße entfernt. Eigentlich hatten wir ja genug Wasser, aber ein schönes Mittagessen wäre schon etwas feines gewesen. In einem ehemaligen Flußbett muffelten wir dann ein paar Kekse, fuhren dann noch einen Berg hoch und zelteten umgeben von überwältigender Natur. Die Sanddüne mußte natürlich von Micha erklommen werden, der sich barfuß auf den Weg machte und nach ca. 1 Stunde laut polternd wieder zurückkam. Zum Abendbrot gab es Nudeln mit Tomaten-Knoblauchsoße und ich schlief nach dem Essen gleich ein.

07.08.1995 Michilla

In der Nacht schlief ich wie eine Tote. Es war herrlich ruhig, obwohl wir unweit der Straße zelteten, die jedoch kaum befahren war. Die Geschichte mit der Sonne: um ca. 9.00 Uhr wurde es im Zelt brütendheiß, obwohl sie noch gar nicht durch die Wolken und dem Nebel gebrochen war. Ich konnte nicht schnell genug meine Sachen zusammenpacken, ich kam vor Hitze fast um. Bevor wir jedoch losfuhren, machten wir noch eine kleine Dünenwanderung, natürlich barfuß. Dort, wo die Sonne fast senkrecht auf den Strand schien, verbrannte man sich fast die Sohlen.

Dünenwanderung Im Sand konnte man die typischen Wellen sehen, die der Wind im Sand formt. Ich kam mir vor wie in dem Werbespot für "R'aktiv", in dem sich eine Verdurstender durch die Wüste schleppt und plötzlich ein Kühlschrank auftaucht. Micha hat sich sehr intensiv der Kunst des "Dünenhüpfens" hingegeben. Diese Sportart verursachte bei mir allein durch das Beobachten heftige Schmerzen im Knie. Ich bin dann als erste losgefahren und hatte ca. 11 Kilometer Vorsprung. Es wurde mir langsam sehr mulmig, weil Micha immer noch nicht aufgetaucht war und ich setzte mich an den Straßenrand und warte. Nach einiger Zeit kam er endlich angeradelt.

Einige Kilometer weiter kam eine Mine und eine "Minenstadt", bestehend aus ziemlich heruntergekommenen Blechhütten, mitten im Staub, sehr häßlich, sah aus wie ein Schrotthaufen. Dennoch empfand ich Michilla wie eine Oase in der Wüste, weil es hier eine Posada gab, in der wir Mittagessen konnten und Wasser bekamen. Das Restaurant war das einzig schöne Gebäude im ganzen Ort, es war sogar mit grünen Pflanzen dekoriert. Wir fragten, ob es etwas zu essen gibt. Natürlich, und zwar "Almuerzo de la casa" und das war "Teja". Wir fragten, was das sei und es war: Linsensuppe!! Ohne Scherz, wir hatten uns schon so lange auf eine richtig gute Linsensuppe gefreut und jetzt, mitten im Nichts, wurde sie uns aufgetischt. Ich war so satt vom ersten Gang, das ich den zweiten Gang, bestehend aus Fisch mit Salat, kaum schaffte. Also wir nach Wasser fragten und unsere vier zwei-Liter-Flaschen präsentierten, sagte die Dame des Hauses zunächst, das sie kein Wasser hätte. Als Micha noch mal nachfragte, erklärte sie uns, das es nur für ein paar Stunden am Tag Wasser gäbe. Wir kauften also drei Liter Mineralwasser. Die Mine hatte soviel Wasser, das es einfach über die Straße lief. Und dem Dorf wurde das Wasser rationiert. Unglaublich. Click to enlarge Naja, wir fuhren dann weiter, es kamen einige gemeine Steigungen, dann tat sich eine Art Hochebene auf, man konnte weit von einem Ende zum anderen sehen. Ich hatte das Gefühl, als ob wir schon in Bolivien wären. Dann wurde die Küstenlandschaft immer rauher, es gab wunderschöne Felsformationen und irgendwann hielten wir an, weil es ständig nur bergauf ging und schlug unser Zelt auf. Wir fanden einen sehr romantischen Platz, der geschützt war durch Felsen und wenn man aus dem Zelt blickte, entfaltete sich eine sagenhafte Mondlandschaft vor uns. Micha schaufelte kräftig Sand, damit der Platz eben genug war, um das Zelt aufzustellen. Während der Nacht schien der Mond so hell, das man fast keine Taschenlampe braucht, um etwas zu lesen.

08.08.1995 Tocopilla

Click to enlarge Nach einer gut durchschlafenen Nacht wachte ich frisch und munter auf. Wir frühstückten und "wohnten" noch ein wenig in der Mondlandschaft, wo wir auch eine "Dusche" hatten (ein flacher, großer Stein, auf dem man sich stellen konnte und sich mit Wasser bespritzten konnte) und ein Badezimmer (ein Sitzplatz mit Ablage für das Zahnputz-Wasser, die Creme und die Zahnbürste) und fuhren dann los.

Nach einigen Kilometern erreichten wir eine Geisterstadt, bestehend aus einem unbewohnten und ziemlich nobel wirkenden Herrenhaus und vielen Fundamenten, verrosteten Wasserbehältern und einer Blechhütte, aus dem Rauch aufstieg und frisch gewaschene Wäsche in der Luft flatterte. Anfangs wollten wir eigentlich das Herrenhaus besichtigen, jedoch fanden wir ein Schild, das dies hier alles Privatbesitz sei und das Betreten des Grundstücks strengstens verboten wäre. Als auch noch dieser "Geist" mit seinen "Geisterhunden" aus der Blechhütte auftauchte, blieben wir auf unseren Rädern sitzen und fuhren lieber weiter.

Click to enlarge Nach einigen weiteren Kilometern erreichten wir einen sehr alten Friedhof, auf dem die letzten Toten 1926 verscharrt worden sind. Es war ein sehr gruseliges Erlebnis, lauter windschiefe, zerfallene Holzkreuze, bei denen sich irgendwer die Arbeit gemacht hatte, an jedem dieser Kreuze eine kleine, künstliche Drahtblume zu befestigen. Einige Gräber waren schon fast völlig zerfallen, man erkannt nur noch an dem Erdhügelchen, das hier jemand liegt und ich hatte Angst, aus versehen auf irgendeinem Grab herumzulaufen und unbeabsichtigt auch noch ein paar Knochen aus dem lockeren Boden herauszukicken. Die Särge einiger Neugeborenen und Kleinkinder waren noch nicht mal unter die Erde gebracht worden, sondern lagen oben auf dem Grab; eines der kleinen Särge war kaputt und man konnte sogar kleine Knochen darin erkennen.

In einer Gruft sah man einen Sargdeckel, der hochkant stand; vom restlichen Sarg war keine Spur. Außerdem hatte irgend jemand zwei Gräber ausgeschaufelt... wie gesagt, es war schon sehr gruselig, vor allem, weil die Menschen hier schon so lange tot waren und die, die um sie getrauert haben, wohl auch schon längst verstorben sind.

Es gab sogar Gräber, auf denen noch die Überreste von Kränzen zu sehen waren, die wohl schon 80 oder mehr Jahre alt sein mußten. Es gibt wahrscheinlich keinen verlasseneren und einsameren Ort als einen verfallenen Friedhof einer Geisterstadt.

Mittlerweile waren Wolken aufgezogen und es wurde windig und kalt. Nebel zog auf und umgab die Landschaft mit einer traurigen Atmosphäre. Jetzt war es langsam Zeit, nach Tocopilla zu kommen, denn das eigenartig schwüle Wetter machte mir richtig zu schaffen. Wir kamen an einer ganz gemeinen Steigung vorbei, die von steilen Bergen umgeben waren, die abbröckelten (! Vorsicht Steinschlag! war da zu lesen) und man könnte natürlich nicht schnell durch die Schlucht fahren, weil es so heftig bergauf ging. Mitten in der Einsamkeit stand ein Haufen Bauarbeiter an der Straße und gaffte, als wir vorbeifuhren. Dann fuhr ein Reisebus extra langsam, der Fahrer öffnete die Tür und feuerte uns an. So etwas mag ich überhaupt nicht und ich war sehr genervt. Click to enlarge Bald sah man schon die Silhouette der Stadt, die durch ein sehr häßliches Kohlekraftwerk beherrscht war. Der Vorort war jämmerlich: neben einer Müllhalde stand ein Touristenkomplex (ungelogen!) und dann weiter vorne das häßliche Kohlekraftwerk, das den Norden Chiles und die Kupfermine in Calama mit Strom versorgt. Die Häßlichkeit wurde noch durch eine kleine, verstaubte Kupferkonzentrationsanlage verdoppelt, die sozusagen den Eingang der Stadt bildete; dann kam Holzhütten. Gleich darauf fuhr man fast durch das Kraftwerk und man konnte es nicht verhindern, das man den Gestank, das dieses Monstrum verströmte, einatmen mußte. Dann bog eine Straße nach und rechts und gleich wieder nach links, und man war endlich in der Stadtmitte, die einigermaßen ansehnlich war und sehr belebt.

Wir bekamen ein Zimmer im Hotel Bolivar, ich mußte eine halbe Stunde vor dem Hotel auf die Fahrräder aufpassen, weil Micha irgend etwas wegen der Einlagerung der Räder verhandelte. Denn von hier aus wollten wir für ein paar Tage mit dem Bus hoch nach San Pedro de Atacama fahren. Jedenfalls bekamen wir auf der anderen Straßenseite das Nebengebäude des Hotels für uns alleine, weil dort in der Nebensaison normalerweise keine Zimmer vermietet werden. Hier konnten wir unsere Fahrräder während der Tour nach San Pedro de Atacama einlagern.

Ich war glücklich über die heiße Dusche, endlich konnte man sich den Staub vom Körper und aus den Haaren waschen. Wir gingen, wie sollte es auch anders sein, zum Chinesen. Der Kellner war überraschend flink und freundlich und auch ganz adrett gekleidet mit Anzug und Krawatte.

Am Abend hatte ich eine eigenartige "Erdbebenkrankheit", ich hatte das Gefühl, das die Erde unter meinen Füßen wackelte und wenn ich auf den Stuhl saß, bildete ich mir ein, das er auch wackelte. Es machte mich fast verrückt. Wahrscheinlich hatte ich ein "Nachbeben-Syndrom".

Als wir zurück ins Hotel kamen, stand dort ein "Abenteuerjeep", mit Gepäck bis oben hin vollgepackt und natürlich dürfte der "Indianer-Jones-Hut" hinten auf der Ablage nicht fehlen.

In der Nacht wurde wir tatsächlich von einem heftigen Nachbeben aufgeweckt, der ziemlich lang war. Ich war kurz vorher aufgewacht und auf dem Weg zum Bad und saß im Bett, als es losging. Wir fragten uns, ob wir rausrennen sollten, weil es doch so heftig wackelte, aber wir blieben doch im Zimmer. Danach konnte ich nicht mehr richtig einschlafen.

09.08.1995 Calama

Wir stiegen um ca. 10.00 Uhr aus den Federn, frühstückten, packten und schlossen die Fahrräder sorgfältig ab, ließen sie im Zimmer stehen und verließen gegen 12.00 Uhr das Hotel. Micha wollte noch ein Päckchen bei der Post aufgeben und zwar auf den Schiffsweg, jedoch erklärte der Beamte am Schalter, das Tocopilla über keinen Seeservice verfügte und man das Päckchen per Luftpost schicken sollte; das war aber teuer. Also ließen wir es sein.

Wir gingen dorthin, von wo aus die Busse und Collectivos in Richtung Calama fuhren, stellten uns mit dem Gepäck an ein Schild und warteten. Da ein Kiosk direkt neben dem Schild stand, fragten wir, ob hier die Collectivos nach Calama abfahren würden. Die Frau im Kiosk bejahte dies. Also warteten wir weiter. Nach einigen weiteren Minuten hielt es die Frau endlich für nötig uns darauf hinzuweisen, das die Collectivos erst wieder am Abend nach Calama fahren würden. Wir mußten also bis 16.00 Uhr auf den Bus warten, ganze fünf Stunden. Wir versuchten die Zeit totzuschlagen, indem wir an den Strand gingen, nachdem wir unser Gepäck bei der Busgesellschaft eingestellt hatten.

Der Strand war schwarz und schmutzig, es gab verfallene Fabriken und viel Müll. Hier begannen auch die Elendsviertel der Stadt bestehend aus windschiefen armseligen Holzverschlägen. Es stank fürchterlich und am Ende der Stadt stand eine weitere häßliche Fabrik, die diesen Gestank verströmte.

Wir aßen etwas zu Mittag, ein Almuerzo, bestehend aus Hühnchen-Paté mit Kartoffeln zur Vorspeise, einer Leberknödelsuppe und als Hauptgang Fisch mit Salat und als Nachspeise Birnenkompott. Satt setzten wir uns in den Park, und warteten, bis der Bus Richtung Calama endlich abfuhr.

Hinter Tocopilla begann zunächst eine nicht enden wollende starke Steigung. Sie schraubte sich bis zu einer Art Hochebene empor, die jedoch auch weiter anstieg. Irgendwie hatte man es trotzdem geschafft, eine Eisenbahnlinie dort oben zu bauen. Wir fuhren weiter in ein verstaubtes, windiges Wüstenkaff mit dem Namen "Maria Elena"; diese Stadt ist dafür bekannt, das sie noch eine der drei noch funktionierenden Salpeterminen besitzt und wohl auch die größte in Chile war. Die wenigen Bäume, die es hier gab, waren dick mit Staub bedeckt. Nach einer ca. zehnminütigen Pause ging die Fahrt weiter. Wir kreuzten die Panamericana, fuhren dann auf die Straße in Richtung Calama, die ziemlich gefährlich zu sein schien, weil man sich vorher an einem Straßenstopp anmelden mußte. Die Straße war teilweise wirklich sehr schlecht, sie war geschottert und man konnte nicht allzuviel erkennen, weil die Sonne schon untergegangen war, jedoch staubte es entsetzlich, wenn ein LKW entgegenkam.

In der Dunkelheit konnte man viele Lichter erkennen, das war die Stadt mit der Kupfermine Chuquicamata. Nach einer Weile kamen wir endlich in Calama an. Wir suchten das Hotel auf, das laut South-American-Handbook sauber und sicher sein sollte, gute Betten haben sollte (stimmte alles) und laut wäre, das stimmte leider auch. Irgendwelche Chilenen, die dort wohnten, unterhielten wohl in ihrem Zimmer eine Art Unternehmen, sie schleppen ständig unter enormer Geräuschentwicklung irgendwelche Dinge die Treppen hinab, warfen es ähnlich geräuschvoll auf den Boden vor unser Zimmer und rannten schließlich wie toll die Treppen wieder hoch. Während sie das taten, mußten sie sich natürlich lautstark unterhalten und sogar singen! Zwischendurch bevölkerten sie den Fernsehraum, wo sie unter lautem Gelächter und v.a. lautem Mitsingen MTV anschauten. Natürlich lief der Fernseher weiter, während sie geräuschvoll irgendwelche Unterlagen zusammentackerten.

In Calama kann man wärmstens die Pizzaria D'Alfredo empfehlen, modern eingerichtet, fröhlich gestrichen, mit sauberen Toiletten (einschließlich Klopapier) und die so nebenbei richtige Pizzas machten, nicht so komische pizzaartige Torten, die man sonst in Chile bekommt.

Während der Nacht wurde ich erneut durch einen heftigen Erdstoß aufgeweckt. Und wie die Nacht zuvor konnte ich nicht wieder einschlafen.

San Pedro de Atacama, 10.08.1995

Wir sind schon um 8.00 Uhr aufgestanden, um diese berühmte Mine Chiquicamata zu besichtigen, die angeblich größte Kupfermine der Welt. Also zogen wir uns an, packten unsere Sachen in den Rucksack und stellten ihn im Hotel unter. Dann gingen wir in die Stadt und hielten ein Collectivo zur Kupfermine an. Es kam mir immer noch recht eigenartig vor, denn eigentlich ist ein Collectivo ein Taxi, doch sitzt man dann mit fremden Leuten zusammen, die in die gleiche Richtung wollen. In Chiquicamata angekommen, stiegen wir aus und gingen zu dem Häuschen, in dem die Touren zur Kupfermine organisiert wurden. Es hatten sich dort schon sehr viele Touristen versammelt und als wir nach Tickets fragten, war schon alles ausgebucht. Als wir eine Reservierung für den nächsten Tag machen wollten, deutete man uns an, das wir einen Augenblick warten sollten. Es kam noch ein Schwung Touris zur Tür herein und dann waren es genug, um gleich zwei Busse voll zu bekommen und wir durften sogar als erste in den Bus einsteigen.

Wir mußten einen Fragebogen ausfüllen und uns dann mit den anderen Touristen in einen Saal setzen, wobei auf jedem der Stühle ein Sicherheitshelm lag, den wir während der Führung aufsetzen mußten. Es wurde dann als Vorabinformation ein Video gezeigt und danach ging es endlich los. Wir wurden durch das "größte von Menschen geschaffene Loch der Welt" geführt, ich weiß nicht mehr, wie breit und lang und tief die Mine war. Bis zum Jahr 2005 soll sie noch Kupfer hergeben, dann ist das Loch einen Kilometer tief. Jedoch wird der Kupergehalt des Gesteins immer niedriger. Jeden Tag um 17.30 Uhr wird eine Sprengung durchgeführt. Es gibt dort riesige Schmelzanlagen und Anlagen, in denen das Gestein mit Schwefelsäure aufgelöst wird und als dunkler, ekeliger Brei vor sich hinblubbert und es gibt eine Galvanisation. Die Anlage ist enorm und beide angrenzenden Städte existieren nur wegen der Mine. Dort gibt es alles: moderne Krankenhäuser, Supermärkte, Kinos fast wie in Santiago.

In der Schmelzabteilung war die Hölle los. In großen Tiegeln kochte flüssiges Kupfer und es spritzte bis weit in die Halle hinein und floß anscheinend unkontrolliert umher. Es war sehr laut und der Boden bebte regelrecht. Die meisten Arbeiter trugen zwar Atemschutzmasken um den Hals, aber kaum einer verwendete sie. Einen Gehörschutz aufgrund des ohrenbetäubenden Lärms trug aber keiner. Das flüssige Kupfer erinnerte an Lava. Ein Kran schlug ein Loch in einen der Tiegel und versuchte es eine geraume Zeit, bevor er erfolgt hatte. Als der Tiegel endlich offen war, schoß die "Lava" in einem Schwall heraus und floß einfach auf den Boden. Von hinten kamen überdimensionale Schwebekräne angesaust, die so gewaltig hin- und herschwangen, das man Angst bekam, von ihnen erschlagen zu werden. Sogar unsere Führerin bat uns nervös beiseite zu treten. Es war sehr gefährlich und für europäische Verhältnisse unverantwortlich. Aber das hier war ja Chile und außerdem hatte jeder Besucher einen Helm auf dem Kopf.

Die Touristen waren ein lustiger, bunter Haufen. Eine Dame trug eine Frisur, als ob sie zu lange unter einer Stomleitung gestanden hätte. Immer, wenn sie in unser Blickfeld lief, mußten wir lachen und ich hatte das Gefühl, das es an meinem ganzen Körper bitzelte. Eine andere Touristin sammelte ausschließlich Steine vom "Abfallhaufen" und hatte zum Schluß die ganzen Taschen damit vollgestopft. Ihr Mann sah aus, als ob ihm etwas übles zugestoßen wäre: wilde, verwehte Haare, lauter Beulen im Gesicht und eine schrecklich rote Nase.

Nachdem wir wieder in Calama zurück waren, kauften wir uns eine Zeitung und gingen noch mal in die Pizzaria D'Alfredo. In der Zeitung stand, das ein solches Erdbeben wie in Antofagasta nicht so ungewöhnlich für den Norden Chiles wäre und das noch ein viel stärkeres Erdbeben in Chile erwartet wird. Dieses Beben könnte eine Stärke von 11 haben und 30.000 Tote fordern. Da bekommt man schon ein wenig Angst; mir schien es aber mehr als Sensationsberichte.

Wir gingen dann in Hotel zurück, holten unsere Sachen und fuhren mit dem Bus nach San Pedro de Atacama. Kurz vor der Stadt wies uns jemand darauf hin, daß wir jetzt in das "Valle de la Luna" hineinfahren. Es entfaltete sich eine wunderschöne, atemberaubende Landschaft. Es wirkte unwirklich.

San Pedro stellte sich als uriges Lehmhüttendorf heraus. Die Sonne ging gerade unter und und malte ein perfektes Hintergrundbild an den Himmel. Wir versuchten ein Zimmer zu bekommen, gingen zum ersten Hotel und sahen, das es schon ausgebucht war. Heute ist das erste Mal auf meiner Tour, das wir in nennenswerte Touristenansammlungen laufen!! Auch das zweite, dritte, vierte waren schon ausgebucht, erst im fünften Hotel, bei dem wir fragten, hatten wir Glück.

Jedoch konnten wir das Zimmer nicht vorher anschauen, weil es noch sauber gemacht werden mußte. Micha überredete mich, nicht zu duschen, sondern mit ihm spazierenzugehen. Um 23.00 Uhr wurden sowohl Strom als auch Wasser abgeschalten.

San Pedro de Atacama, 11.08.1995

Ich konnte nachts nicht einschlafen, weil die ganze Nacht ein großer, schwarzer Hund vor dem Hotel bellte und jaulte. Gegen 4 Uhr war ich so genervt, das ich vor das Hotel rannte, und den Hund umbringen wollte. Und tatsächlich, der Köder saß vor dem Eingang und jaulte den Vollmond an. Eigentlich wollte ich ihn gerade anschreien, als ich merkte, das zwei Touris neben mir standen und mich verwundert anschauten. Also ging ich wieder ins Bett und schrieb ganz einfach bis morgens bei Kerzenlicht in meinem Tagebuch.

Um 9.00 Uhr sind wir dann aufgestanden und als ich schnell eine Dusche nehmen wollte, weil ich mich von der langen Busfahrt am Vortag nicht mehr ganz frisch fühlte. Jedoch funktionierte das Wasser nicht. Ich war sehr genervt und fühlte mich unwohl.

Wir gingen zur Post, wo schon ein Päckchen von daheim mit Medikamenten und frischen Ohropaxen auf mich wartete. Außerdem waren hier auch die Briefe hinterlegt, die meine Mutter an Jens geschickt hatte. Auf dem Weg zur Post frischte bereits ein leichter Wind auf. Wir kauften etwas zum Frühstück, Brötchen und Honig und Kartoffelchips. Der Wind wurde immer stärker, der Staub und der Sand trieb durch die Straßen, man konnte fast nichts mehr sehen und hatte die Augen, die Nase und den Mund voller Staub, so das es zwischen den Zähnen knirschte. Der Wind steigerte sich bis zu einem Sturm und jetzt war er schon so stark, das ich kaum mehr gegen ihn ankämpfen konnte und schaffte es teilweise rückwärts laufend und die Jacke bzw. den Pulli vor dem Gesicht ins Hotel zurück. Mein erster Sandsturm in der Wüste. Mir bleibt in der Wüste auch gar nichts erspart, jetzt müßte eigentlich nur noch einer der Vulkane ausbrechen.

Der Wind pfiff laut unter dem Türspalt hindurch und durch das nicht gut schließende Fenster wieder hinaus. Das Dach flog fast weg und der Baum vor unserem Fenster bog sich fast bis zum Boden. Der Himmel färbte sich dunkel und man konnte nicht mehr weit sehen. Micha wollte bei dem Wetter plötzlich drei Kilometer zu einem natürlichen Schwimmbad laufen, ich lehnte dankend ab und legte mich statt dessen in das Bett, um den Sturm abzuwarten. Wir hatten sowieso noch zwei Stunden Zeit, bevor das "Museo Arqueológico Le Paige" wieder öffnete, es war im Augenblick nämlich Siesta.

Um 14.00 Uhr machten wir uns auf den Weg ins Museum. Als wir dort ankamen, stand niemand an der Kasse. Wir warteten noch einige Augenblicke, als jedoch viele andere Touris an uns vorbei schlenderten, ohne zu bezahlen, verloren wir auch jeglichen Skrupel. Immerhin verlangten sie von Ausländern 1000 Pesos Eintritt und von Chilenen nur 500 Pesos, sowieso eine Frechheit.

Click to enlarge Das Museum ist wirklich sehr interessant. Die Entwicklung dieser Region wurde von Anfang an dargestellt, die Menschen, die Tiere und die Vegetation. Dann wurde nach und nach die Entwicklung des Inka-Stammes erklärt, von den einfachsten Werkzeugen bis hin zur ausgefeiltesten Handwerkskunst. Die Verfeinerung ihrer Töpferkunst über die Jahrhunderte hinweg war genauso ein Thema, wie auch Besteck, die Textilien, die sich von einfachen Fellen, groben Stoffen bis hin zu feinsten Kleidern entwickelten. Schmuck und Abzeichen, die aus kleinen Kristallen hergestellt wurden waren zu sehen. Am verblüffendsten fand die kleinen, viereckigen, reich verzierten Tellerchen aus Holz mit einem ebenso reich verzierten Griff und diese in den erdenklichsten Variationen. Dazu gab es ein Röhrchen und irgendwie hatten wir den Eindruck: Die alten Inkas haben gekokst! Oder andere Drogen damit genommen.

Ein großes Thema war natürlich ihr Totenkult: sie beerdigten ihre Toten in einer Art Hockstellung, teilweise sogar in Vasen, schnürten sie zurecht, damit sie in der Stellung blieben, zogen sie vorher sehr schön an, machten ihr Haar zurecht, schmückten sie und gaben ihnen allerlei Speisen und Getränke mit in ihr Grab (natürlich auch die reichverzierten Kokstellerchen!). Einige Tote steckten in Säcke, andere in Vasen, andere wurden in einfachen Erdlöchern gefunden. Mitten im Museum war ein Fundplatz original nachgestellt, und die Mumie saß mittendrin.

Ein Skelett eines Neugeborenen war mit Gold geschmückt; außerdem trug das Baby Schühchen aus Gold. Die Frauen waren sehr schön gewesen, sogar noch als Mumien hatten sie ihre Anmut nicht verloren. Ihr wundervoll dickes, dunkles Haar, trugen sie entweder offen, wobei die Enden zusammengeknotet waren oder sie trugen Zöpfe.

Dieses Museum zeigte sogar die bolivianischen Einflüsse und ihre Auswirkungen auf andere Inka-Kulturen in Peru. Das Reich der Inkas reichte von Equador bis Chile, und bei allen Inkas stand die Sonne im Mittelpunkt. Wir schossen noch ein paar Fotos und schlichen wieder an der Kassiererin vorbei. Beim Hinausgehen sah ich an der Kasse ein bekanntes Gesicht stehen - grübel, grübel, aber woher...? Ah, Goethe-Institut! Ich stupste Micha an und fragte "Kennst Du die da vorne nicht?" Es war Ilse aus Spanischkurs mit ihrem Freund. Die Überraschung war auf beiden Seiten groß. Wir begrüßten uns und betrieben ein wenig Small-Talk. Auch Ilse beklagte sich, das sie von dem Sandsturm ganz voller Sand und Staub war und sich ihre Haare wie Stroh anfühlten und sie sich in diesem Zustand hassen würde; aber das Wasser in ihrem Hotel würde nicht funktionieren. Wir verabredeten uns um 19.00 Uhr zum Essen in unserem Hotel.

Zurück im Hotel wollten wir endlich duschen. Während des Sturms gab es zwar wieder Wasser, man konnte endlich mal die Toiletten spülen, aber man konnte nicht duschen, weil der Wind ständig die Flamme des Wasserboilers ausblies, der im freien hing. Und jetzt gab es mal wieder kein Wasser mehr. Die Hotelbesitzerin versicherte uns zwar "Un momentito" und wir warteten diesen Moment ab, der von 16.00 bis 19.00 dauerte, ein sehr langer Augenblick. Dann gingen wir ohne geduscht zu haben in den Essensraum und warteten auf unsere Verabredung. Wir bestellten schon mal etwas zu essen und ein Bier, uns just in dem Moment, als das "Barro Luco" serviert wurden, kamen Ilse und ihr Freund herein. Beide waren frisch geduscht und ich fühlte mich wie ein Dreckhaufen. Wir unterhielten uns über unsere zwischenzeitlichen Erlebnisse und der gemeinsamen Zeit im Goethe-Institut.

An diesem Tag wurde der Strom erst nach 24.00 Uhr abgestellt. Wahrscheinlich gab es etwas interessantes im Fernsehen, das der Stromturbinenbetreiber unbedingt noch anschauen wollte...

San Pedro de Atacama, 12.08.1995

Die Nacht konnte ich tief und fest schlafen dank der neuen Ohropaxe. Es war einfach himmlisch. Am nächsten Morgen funktionierte die Dusche natürlich schon wieder nicht, eigentlich wollte ich das Hotel wechseln. Meine Haare waren ein undefinierbarer Klumpen aus Staub und Dreck, meine Poren waren noch vom Staub des Sandsturms verstopft. Wir machten uns zu Fuß auf den Weg zum Schwimmbad außerhalb der Stadt, dessen Wasser durch eine heiße Quelle auf 23 Grad aufgeheizt wurde. Laut Reiseführer gilt es auch als sauberstes öffentliche Schwimmbad in Chile, dann wahrscheinlich das sauberste in ganz Südamerika. Der Weg führte durch die Wüste, es war heiß und die Sonne stach vom Himmel. Auf dem Weg fanden wir einige schöne Schwefelkristalle und unsere Laune erhellte sich zum Ende der Strecke wieder. Von weitem erkannte man das Schwimmbad nur durch die seine großen Bäume, wie eine Oase in der öden Wüste.

Das Becken war sehr klein und das 23 Grad warme Wasser war nicht sehr erfreulich, weil die Außentemperatur höchsten 19 Grad betrug und es bewölkt und windig war. Wenn man sich jedoch im Wasser ein wenig bewegte, war es wirklich sehr angenehm. Micha, der sich als verfrorene Frostbeule gab, war schon nach einer Viertelstunde wieder aus dem Wasser und fröstelte am Beckenrand vor sich hin. Ich schwamm noch ein wenig und ließ mich von der Sonne bräunen und stieg dann schließlich aus dem Becken. Ich setzte mich auf das Handtuch, weil der schwefelhaltige Boden an meinen Schenkeln brannte. So saßen wir eine Stunde, doch der Hunger trieb uns zurück nach San Pedro de Atacama.

Zu dem Schwimmbad gehörte auch ein Lama, das böse schauend um das Becken stolzierte. Ein kleiner Junge fühlte sich bedroht und wich immer weiter zurück, bis er am Beckenrand stand und vor Panik nach seiner Mutter schrie, die ihn dann aus seiner mißlichen Lage rettete.

Ein paar Franzosen im Pickup erklärten sich bereit, uns mit zurück nach San Pedro zu nehmen. Wir kletterten auf die Ladefläche und wurden fast bis vor unser Hotel gebracht. Nachdem wir ein paar Honigbrötchen gefuttert hatten, wollte Micha zum "Valle de la Luna" wandern; zuvor buchten wir noch die Tour nach "El Tatio" zu den Geysiren. Gerade, als ich ins Reisebüro ging, sah ich zwei "echte" Radfahrer, die vor dem Hotel mit ihren Rädern standen und ein Zimmer buchten.

Steinewerfen im Valle de la Luna Wir wollten vor Sonnenuntergang im Valle de la Luna sein und keine Zeit mehr verlieren. Wir wanderten los, es war immer noch heiß und sonnig, staubig und sehr, sehr sandig. Wir gingen die alte Straße nach Calama entlang, Micha hatte es sich jedoch in den Kopf gesetzt, auf eine riesige Düne hinaufzuklettern. Mein Protest half mir nichts und ich mußte mit nach oben klettern. Die Luft auf 2500 Meter ist schon etwas dünner als auf Meereshöhe und ich merkte jede kleine Steigung. Den Berg aus Sand kam ich nur hyperventilierend hoch, Micha half ein wenig nach. Zur Belohnung hatten wir einen sagenhaften Blick auf San Pedro und die Umgebung. Wir kamen auf die Straße zurück und es ging weiter bergauf, bis wir dorthin kamen, wo eine Busladung Touristen auf einem kleinen Erdhügel standen, um auf den Sonnenuntergang zu warten. Wir gingen noch ein wenig weiter, um ein einsameres Plätzchen zu finden. Wir gingen also weiter, bis wir ganz oben auf dem Berg waren und setzten uns an den Steilhang der Salzkordielliere und warteten auf den Sonnenuntergang. Wir futterten Kekse und Bananen, Micha mußte sich natürlich wieder in Dünenhüpfen üben. Ich fand das alles sehr gefährlich, aber wenn es ihn freute...

Wir beobachten den spektakulären Sonnenuntergang, während die anderen Touris schon wieder verschwanden. Wir wollten das Mondtal im Licht des Vollmonds durchwandern und wir setzten uns an den Straßenrand um auf den Mond zu warten. Man konnte die Sterne, Satelliten, die Milchstraße und die Magellanische Wolke beobachten. Nach Michas Berechnungen müßte der Mond ein oder zwei Stunden nach Sonnenuntergang aufgehen, doch noch war von ihm keine Spur zu sehen. Wir warteten und warteten. Jetzt war es schon vollkommen dunkel. Nach 1,5 Stunden beschlossen wir, doch lieber wieder in Richtung San Pedro zu laufen. Mit der Taschenlampe funzelten wir unseren Weg zurück, wir liefen immer auf dem weißen Seitenstreifen. Es war sehr gruselig, in der Dunkelheit durch die zerklüftete Mondlandschaft zu laufen; es war auch gefährlich, weil ständig Autos an uns vorbeifuhren und wir auf den schmalen Seitenrand ausweichen mußten und manchmal ging es recht tief hinunter.

Endlich ging der Mond auf und wir waren in San Pedro angekommen, suchten unser Hotel, aßen gierig das Menü des Tages. Wir stellten fest, das die Dusche endlich funktionierte und ich duschte eilig. Das Wasser war zwar eisig kalt, aber ich war froh, endlich den Staub und den Schwefel aus den Haaren und von der Haut zu waschen. Um 23.00 Uhr kamen wir endlich ins Bett und standen schon um 3.00 Uhr wieder auf, um mit einem Tourbus zu den Geysiren El Tatio zu fahren.

San Pedro de Atacama, 13.08.1995

Um 3.00 Uhr mußten wir aufstehen, uns schnell fertigmachen und vor das Hotel stellen, um auf den Kleinbus zu warten. Es war noch stockfinster, im Nachbarhaus wurde noch eine Party gefeiert, ansonsten war alles finster. Wir standen eine ganze Zeit in der Kälte und warteten, bis endlich der Bus kam. Er war schon voll besetzt, so daß wir vorne neben den Fahrer einstiegen, eigentlich der beste Platz. Der Fahrer war ein chilenischer Bolivianer und um 3.00 Uhr waren wir das erste Fahrzeug, das unterwegs in Richtung der Geysire war. Wir hatten genug Zeit, so das der Fahrer auf der Strecke vorsichtig und langsam fahren konnte, worüber ich sehr froh war. Es war wirklich sehr dunkel und man sah nicht sehr viel von der "Straße", eigentlich ging es querfeldein durch die Wüste. Am Straßenrand erkannte man kleine Büsche und Gestrüpp, das immer dichter wurde, je höher wir fuhren. Die Fahrt dauerte ungefähr 4 Stunden und die Sonne ging schon auf, als wir bei den Geysirfeldern waren.

Die Hauptattraktion war noch ca. 7 Kilometer entfernt, jedoch zeigte uns der Fahrer ein kochendes Schlammloch, das ekelhaft vor sich hinblubberte und schrecklich stank. Eine Frau mußte sich beim Aussteigen sofort übergeben; sie war der Höhe zum Opfer gefallen und das war nicht ungewöhnlich, wenn man von Meereshöhe auf 4300 Meter fährt. Der Fahrer warnte uns eindringlich davor, plötzliche Bewegungen zu machen, weil wir die Höhe nicht gewöhnt wären und die Luft schon sehr dünn wäre. Außerdem warnte er uns, zu sehr vom Weg abzukommen, weil es schon mal vorgekommen wäre, das zwei Touris in einen Geysir gefallen wären und gekocht wurden. Sie sind zwar noch lebend aus dem Loch herausgefischt worden, starben jedoch auf den Weg nach Calama aufgrund der Verätzungen durch das schwefelhaltige Wasser. Geysir bei San Pedro de Atacama Wir liefen also von Geysir zu Geysir, alle dampfend spektakulär vor sich hin, manche blubberten, manche zischten. Manchmal dampfte es direkt aus dem Boden, wenn man sich daraufstellt, konnte man sich die kalten Füße wärmen, bis sie fast kochten. Einige Geysire spritzten sogar Wasser in Fontänen, manche sogar sehr hoch. Es gab welche mit Kaminen, die farbig waren (rot oder weiß), manche waren auch nur ein Stein, aus dem aus dampfte und zischte. Click to enlarge Die Landschaft war sehr schön, die Geysire lagen alle in einem Tal, von farbigen Hügeln umgeben. Die Berghänge und das Tal waren von lustigen, gelben Grasbüscheln bewachsen, die aussahen wie Besen. Außerdem waren die Grasbüschel in Windrichtung aufgestellt, wie eine Armee, was sehr ulkig wirkte. Es war weit unter Null Grad, das Wasser auf dem Boden war noch gefroren, wenn es nicht von den heißen Thermalquellen aufgewärmt wurde.

Click to enlarge Der größte Geysir spritzte ab und zu seine Fontäne bis zu 3 Meter hoch, hatte richtige Kalkterassen um sich herum aufgebaut, auf dem sich noch gefrorenes Wasser befand. Um 8.00 Uhr mußten wir zurück am Bus sein, wo schon die anderen saßen, als wir dort ankamen. Wir bekamen einen heißen Kaffee und ein Käsebrötchen, auf das wir noch ein wenig Wurst legten. Vier Deutsche hatten den Bus überhaupt nicht verlassen und wollten auch nicht mehr raus. Es war ihnen a.) zu kalt und b.) blieben sie aus Solidarität im Bus, weil ihre Mutter an Höhenkrankheit litt. Sie schauten alle ganz sauer. Wir aßen langsam weiter und ließen uns von den Miesepetern nicht die Laune verderben. Dann ging es wieder los. Wir fuhren weiter durch gefrorene Flüsse und Bäche weiter zu dem Geysir, in dem die zwei Touris gestürzt waren und zu Tote gekommen sind.

Click to enlarge Neben dem Geysir befand sich eine Termalbecken, dessen Wasser in der einen Ecke 35 - 40 Grad, an der anderen Ecke kochend war. Micha und der Vater bzw. Ehemann der vier Höhenkranken zogen sich trotz der Kälte nackig aus, die Sonne war noch nicht hoch genug, um richtig zu wärmen und sprangen in das Becken, wo sie eifrig herumschwammen und kund taten, wie herrlich warm das Wasser wäre. Aber irgendwann mußten sie wieder raus, über den gefrorenen Boden laufen und sich in der Kälte wieder anziehen.

Vulkankette an der Grenze zu Bolivien Wir fuhren wieder in Richtung San Pedro, direkt an der Vulkankette vorbei, die an der Grenze zu Bolivien liegt. Einige Vincuñas und Guanacos zeigten sich. Anfangs gab es noch die lustigen Besenbüsche, später gab es wieder richtige grüne Büsche und Kakteen. Der Blick auf die Vulkankette war überwältigend, wir konnten kaum glauben, das dies die gleiche Strecke war, von der wir im dunkeln gekommen sind. Der Fahrer erzählte, das Zitronen bei Höhenkrankheit helfen würden und die lustige Chilenin hatte auch welche dabei und die vier Höhenkranken schrien: "Gebt mir die kleine grüne Zitrone, ich tu alles dafür!!" . Der Fahrer hielt noch einmal und wir stiegen aus . In einer Schlucht lag eine Oase mit einem heißen Bach, der uns zum Schwimmen einlud. Es hatten sich natürliche Becken gebildet, die von grünem Schilf umgeben waren und in denen es auch kleine Wasserfälle gab. Die Becken waren terrassenförmig angeordnet, so das das Wasser von einem Becken in das nächste floß. Wir stiegen die Schlucht hinab, zogen unsere Badesachen an und hüpften ins Wasser, um uns im ca. 26 Grad warmen Wasser zu aalen. Die Sonne schien auf das Becken und man fühlte sich wie in der Badewanne. Schlimm war es nur, wieder aus dem Wasser zu kommen, denn der Wind war eisig kalt und auf ca. 3500 Metern Höhe ist es sowieso nicht sehr warm. Der Weg nach oben zum Bus war anstrengend und ich war ganz fertig, bevor ich wieder oben war. Jetzt hatte ich auch Kopfschmerzen und als wir endlich wieder im Hotel waren, aß ich alle Orangen auf und legte mich erschöpft ins Bett und schlief drei Stunden, bevor mich Micha aufweckte, weil er sich langweilte.

San Pedro de Atacama, 14.08.1995

Click to enlarge Wir schliefen bis um halb elf. Wir wollten zu den Ruinen laufen, die noch von den Inkas stammten. Es war wieder sehr heiß und die Sonne brannte vom Himmel. Der Weg zu den Ruinen ging entlang des Flusses, den man ständig überqueren mußte. Anfangs war er noch seicht und zahm und leicht zu überschreiten, dann wurde er immer breiter, tiefer und reißender. Nach ca. drei Kilometern stießen wir auf die ersten Ruinen namens "Pukará de Quitor", eine ehemalige Inkafestung, die von Pedro de Valdivia gestürmt worden war. Etwa 1000 Inkas verloren ihr Leben gegen 15 spanische Reiter, die natürlich mit Gewehren ausgerüstet waren.

Wir wanderten weiter, um die Ruinen flußaufwärts zu erreichen. Aus den Ruinen kamen plötzlich drei Radfahrer auf Mountain-Bikes. Es handelt sich um einen Chilenen und ein Touristenpärchen, das sich anscheinend Fahrräder inklusive Reiseführer ausgeliehen hatten. Mühsam schleppten sie ihre Räder über den Fluß und radelten uns voraus. Nach einer kleinen Rast auf zwei großen Steinen überholten wir eine alte Ziegenhirtin und kamen vorbei an einer chilenischen Familie, die neben ihrem Pickup ein Picknick machte. Der Fluß wurde so breit, das ich Schuhe und Socken ausziehen mußte, um mit hochgekrempelten Hosenbeinen hindurchzuwaden.

Inkaruinen Nach einiger Zeit kamen wir endlich an den Ruinen "Catarpe" an. Sie lagen versteckt auf einem Berg, einer Art Hochebene. Es führte ein schmaler, steiler und mit sehr lockerem Kies befestigter Pfad nach oben und ich mußte mir die Zähne zusammenbeißen, denn meine Höhenangst überkam mich schon wieder. Oben angekommen, erwarteten uns Steinfundamente von verschieden geformten Häusern und mit der Salzkordilliere im Hintergrund war es ein wunderschönes Bild. Wir gingen in das größte Haus und stellten uns vor, wie es wohl ausgesehen hat hatte und für was die einzelnen Zimmer gedient haben mögen. Wir suchten uns ein schönes Plätzchen, um die Aussicht zu genießen. Ich glaube, ich habe noch nie etwas schöners gesehen als die engen Schluchten der glitzernden, rosafarbenen Salzkordilliere. Beim Laufen krachte das Salz unter den Füßen. Man konnte ganz genau die verschiedenen Schichten erkennen, die sich im Laufe der Jahrmillionen gebildet hatten. und die durch die Plattendynamik aufgefaltet worden sind. Manchmal war richtiges weißes Salz abgelagert, das wie Eis aussah, und ab und zu fand man einen großen Salzkristall. Der Fluß hatte richtige Höhlen in das Salz gegraben. Das Material war sehr brökelig und instabil. Micha war sehr glücklich, so etwas schönes entdeckt zu haben und kletterte stundenlang darin herum.

Wir machten uns erst sehr spät auf den Rückweg, so das wir uns etwas beeilten, um vor Einbruch der Dunkelheit wieder in San Pedro zu sein. Micha war so nett, mich über den Fluß zu tragen und wir schafften es noch rechtzeitig. Die Duschen funktionierten wieder, das zweite mal in der ganzen Woche, Micha duschte, während ich mich lieber auf die heißen Duschen in Tocopilla freute.

Tocopilla, 15.08.1995

Des nachts schrien die Katzen ganz wild im Garten vor unserem Zimmer, so daß Micha einige Male mit einer Wasserflasche bewaffnet hinausrannte, um sie zu verscheuchen. Wir standen gegen 10.00 Uhr auf. Micha war schon in der Stadt gewesen und hatte erschrocken festgestellt, das irgendein komischer Feiertag sein mußte, da alle Geschäfte geschlossen hatten und auch die Post. Das war natürlich ärgerlich, weil die Post von Jens immer noch nicht in San Pedro angekommen war. Aber wir wollten heute entgültig abfahren.

Eine Touristin, die sich neu im Hotel einquartiert hatte, fragte uns, ob es denn kein warmes Wasser zum Duschen gäbe. Wir erklärten ihr, das es tagsüber sowieso kein fließendes Wasser gäbe und es alle drei bis vier Tage kurz die Möglichkeit gäbe, sich mit kaltem Wasser abzuduschen. Sie setzte sich frustiert auf die kleine Mauer im Innenhof vor unserer Tür und jammerte, daß sie sich doch nur die Zähne putzen wollte. Dann fragte sie, was es in San Pedro so zu tun gäbe, es sähe hier schrecklich langweilig aus. Sie fragte sich, warum sie überhaupt hierher gekommen wäre. Micha schlug ihr vor, ins Mondtal zu laufen."Da bin ich doch schon mit dem Bus durchgefahren". Naja, da gibt es noch ein tolles Museum "Was gibt es denn da zu sehen". Mumien, Vasen usw. "Ach, ich habe doch schon so viele Mumien gesehen". Ja, vielleicht zu den Ruinen rauslaufen "Ach, ich habe schon so viele Ruinen während meiner zweiwöchigen Südamerika-Reise gesehen, das ödet mich schon an". Naja, dann könnte sie viel Geld bezahlen und sich zu den Geysiren "El Tatio" fahren lassen. "Was sind denn Geysire?" Na, da zischt heißes Wasser aus dem Boden. "Hört sich ja nicht so toll an." Oder zu dem Salar de Atacama und den Lagunen "Salzsee, nee, interessiert mich nicht". Dann stellte sie fest, das sie eigentlich wieder gehen möchte, sie wüßte überhaupt nicht, was sie in Chile solle. Nachdem sie schon Peru und Bolivien "gemacht" hatte. "Wie lang seid ihr denn schon in Chile?" Fünf Monate. "Was? Wie kann man es nur so lange hier aushalten". Wir waren froh, als wir das Gespräch aus Zeitgründen endlich abbrechen konnten.

Wenig später haben wir sie auf dem Plaza gesehen, wie sie mit einem Holländer rumknutschte, der seine Shorts auf dem Kopf trug.

Endlich war es Zeit, das der Bus in Richtung Calama losfuhr. Vor dem Bus standen zwei Schweizer, die sich miteinander unterhielten. Plötzlich kam ein Dackel vorbeigelaufen und ich stellte überrascht und laut die Frage "Wo kommst Du denn her?!" Der eine Schweizer bezog die Frage auf sich und antwortete "Aus der Schweiz!" und ich war etwas verwirrt. Peinlich. Endlich ging die Fahrt los, es ging noch mal durch das Mondtal mit den fantastischen Gesteinsformationen, die durch Wind und Regen geschaffen worden waren.

Mitten in der Wüste blieb der Bus plötzlich stehen, Fahrer und Beifahrer rannten nach hinten und es gab laute Diskussionen. Zuerst dachten wir, jemand würden im falschen Bus sitzen. Dann kamen jedoch Fahrer und Beifahrer wieder zurück mit einem Schlafsack und setzten die Fahrt fort. Nach einiger Zeit lief eine heulende Fränzosin durch den Gang nach vorne, gab den beiden Geld und ging heulend mit dem Schlafsack wieder nach hinten. Anscheinend wollte sie schwarz im Bus fahren oder sich durchschnorren, darauf haben die beiden aber rapiad reagiert.

In Calama angekommen, wußten wir nicht, wo wir waren und der Busfahrer schickte uns auch noch in die falsche Richtung, so daß wir schließlich ein Taxi nehmen mußten, das uns zum Terminal de Buses brachte. Wir hatten dann noch eine halbe Stunde Zeit, bevor der Bus nach Tocopilla abfuhr und gönnten uns noch ein Eis.

Im Hotel angekommen, nahm ich erst mal eine ausgiebige Dusche und dann besuchten wir - mal wieder - einen Chinesen. Der Kellner brauchte eine halbe Stunde, bevor er unsere Bestellungen aufnahm, und zu jedem meiner Wünsche meinte er nur: "No hay". Auf die Schnelle fand ich dann nichts anderes und der Kellner stand mit gezückten Bleistift neben uns und dann sind wir aufgestanden und wieder gegangen. Wir gingen dann lieber wieder zum anderen Chinesen, der vor Freundlichkeit und Zuvorkommen fast platzte.

Als ich schon müde im Bett lag, machte Micha sich mal wieder auf die Jagd nach maunzenden Katzen, die er mit Wasser verscheuchen wollte oder er wollte heulende Hunde verjagen.

Punta Urco, 16.08.1995

Click to enlarge Micha weckte mich auf, wir mußten einkaufen und packen, denn um spätestens 12.00 Uhr mußten wir aus dem Zimmer sein. Wir kauften soviel ein, das wir die höchste Rechnung in unserem ganzen Urlaub hatten. Die Lebensmittel mußten für ca. 6 Tage ausreichen und sie bedeckten fast den ganzen Boden unseres Hotelzimmers, als wir sie ausbreiteten. Micha vollbrachte das Wunder, alles in unsere Packtaschen zu verstauen und wurde von mir als einzig wahrer "Verpackungskünstler" gefeiert. Jedenfalls war mein Fahrrad schließlich so schwer, das es eierte und es hinten fast umkippte bzw. sich das Vorderrad hochhob wie bei einem störrischen Pferd. Nach ca. 3 Kilometern hatte ich mich daran gewöhnt. Nicht nur im Süden war Tocopilla häßlich, auch das nördliche Ende der Stadt stank und zwar nach altem Fisch: eine Fischmehlfabrik, die Hühnerfutter herstellte, erwartete uns. Die Straße führte steil nach oben, bis wir oben an den Steilklippen standen und erst mal eine Pause einlegten, um die Pepinos Dulces zu essen; Micha warf Steine ins Meer.

Die Berge, durch die die Straße "geschnitten" war, waren sehr instabil und bröselig, es lagen kleinere und größere Brocken auf dem Weg. Einmal bröckelten laut ein paar Steine herab, aber da ging es schon wieder bergab und man kam schnell voran. Wir passierten einen Wüstengolfplatz: jemand hatte einfach ein Stück staubiger Wüste eingezäunt und ein Schild aufgestellt "Recinto privado" und das das Betreten strengstens verboten wäre. Auf jeden Fall vollkommen lächerlich.

Kurz hinter dem Golfplatz kam ein Tunnel, der mir etwas Angst machte. Es war stockfinster darin. Autos konnten ja ihr Licht anschalten, aber mein Halogenscheinwerfer funktionierte schon lange nicht mehr. Micha kletterte den Tunnel hoch, um zu erforschen, was es mit dem zweiten Loch über dem Tunnel auf sich hätte, da nahm ich meinen Mut zusammen und fuhr auf das dunkle Loch zu. Nur schnell durch, dachte ich mir. Anfangs sah man noch recht gut, aber es wurde immer dunkler, obwohl man, oder gerade weil man das Ende des Tunnels sehen konnte. Man war richtig geblendet. Ich versuchte in der Mitte zu fahren und hoffte, das mir kein Auto entgegenkam.

Auf der anderen Seite erwartete mich schlechtes Wetter und starker Gegenwind. Es war so kalt, das ich mir eine Jacke anziehen mußte. Wir fuhren noch ein wenig weiter, an einigen grün schimmerten Buchten vorbei und zelteten schließlich inmitten einer rot-staubigen Marslandschaft. Zum Abendbrot gab es mal wieder mit "Hot-Dog"-Brötchen, wobei ich das letzte Brötchen den Geiern zum Fraß vorwarf.

Punta Lautaro, 17.08.1995

Geier wartet auf's Mittagessen Am Morgen die gleiche Zeromonie wie immer, aufstehen, kaffeekochen, frühstücken, packen. Zwar waren wir schon ca. 7 Kilometer Schotterpiste gefahren, jedoch war die Strecke noch nicht so schlecht, am Rand konnte man noch ganz gut fahren. Jetzt wurde es aber übel: Schotter, Sand und Bodenwellen, dazu tolle Steigungen, schnurgerade Straßen über die steilsten Hügel. Es wurde hier eine neue Straße gebaut, die Umgehungsstraße war schrecklich, die neue war schon eben, also fuhr ich zunächst dort, obwohl es verboten war. Als ich die Baumaschinen erreichte, blieb ich trotzdem weiter auf der Straße, mit ausdrücklicher Erlaubnis der Bauarbeiter. Micha, der später vom Zeltplatz losfuhr, blieb eisern auf der Schotterstrecke.

Micha holte mich schließlich ein. An einem Strand machten wir eine Pause und entdeckten, das im Sand lauter kleine, tote Krebse herumlagen. Manche waren so winzig, das sie vom Wind weggetragen wurden. Wir setzen unsere Reise auf der staubigen Umgehungsstraße fort: Bodenwellen, knietiefer Schotter, Sand. Viele schwere LKW's donnerten vorbei, um Kies von A nach B zu bringen und durchpflügten dabei die Schotterstraße. Da sie anscheinend Akkord arbeiteten, rasten sie wie die Blöden an uns vorbei und überholten sich gegenseitig, so daß uns die Steine fast auf den Kopf flogen und wir vor Staub fast erstickten.

Wir kamen an einen Hügel aus Schotter, auf dem zwei riesige Baumaschinen den Schotter ständig umwälzten. Eine Frau mit einem Schwenker in der Hand regelte den Baustellenverkehr und den Verkehr, der durch die Baustelle durchfahren wollte. Sie hielt uns ihren "Tennisschläger" vor die Nase und erlaubte uns nicht weiterzufahren. Irgendwann ließ uns die Dame weiterfahren. Die beiden Straßenbaumaschinen hatten schon gedreht, bevor ich die Strecke geschafft hatte und holten mich ein und ich steckte plötzlich mitten im Straßenbau, was überhaupt nicht mehr witzig war.

Wir suchten uns einen schönen Platz für das Zelt und während ich versuchte, Meerwasser für unsere Spaghettis zu besorgen, baute Micha das Zelt auf. Es ist gar nicht so einfach, mit einer Colaflasche bei Wellengang Wasser aus dem Meer zu schöpfen, weil das Meer ständig abhaute. Ich versuchte weiter zum Meer hinunterzuklettern, rutschte jedoch auf den glatten, glitschigen Felsen aus und landete im Wasser mitten in den Seealgen, das eines der chilenischen Lieblingsspeisen war. Jetzt konnte ich endlich genügend Wasser schöpfen. Wir kochten unsere Spaghettis aus der Hälfte Meerwasser, um unser kostbares Trinkwasser zu sparen.

San Marcos, 18.08.1995

Als ich aufwachte, tat mir meine rechte Seite von oben bis unten vollständig weh. In der Nacht hatte ich mal wieder gefroren, es war empfindlich kalt gewesen Jedoch hatte mich der Gedanke doch abgeschreckt, eine Wärmflasche zu machen. Ich bin ja schließlich schon in den Tropen!!

Wir standen auf und frühstückten mit Blick auf den schäumenden Pazifik. Micha versuchte noch, die Löcher in seiner kurzen Jeans zu stopfen, die mittlerweile am Hintern ausfranst, während es im Zelt immer heißer wurde. Unser Zeltplatz war während des Morgens von Bauarbeitern umringt worden, überall standen sie, machten die Straße mehr kaputt als ganz. Nach 8 km auf holpriger Schotterpiste kam endlich mal wieder ein richtiger Fluß, der Rio Loa, der erste richtige Fluß seit Santiago, der lustig vor sich hinplätscherte und gluckste und in dem wir fast geschwommen wären, wenn es nur etwas weniger windig und etwas mehr warm gewesen wäre.

Click to enlarge Gleich neben dem Fluß befand sich die Polizeistation und die Zollstation, mitten im Land. Wir hielten ordnungsgemäß mit unseren Fahrrädern an, weil wir ja auch Fahrzeuge sind und fragten gleich nach Wasser. Wie es sich herausstellte hätten wir gleich das Flußwasser nehmen können, weil auch die Polizeistation kein anderes Wasser verwendet. Zwei Chilenen, die ganz gut englisch sprachen, quasselten auf mich ein und fragten mich über mein Fahrrad aus. Wenn ich es mir so überlege, hätte ich es den Typen gleich verkaufen können, weil wir sowieso bald mit dem Bus unterwegs sein werden. Dumm! Naja. Der Zollbeamte kam und wollte unsere Pässe und unsere Tarjetas sehen. Es gab sogar Holztische, auf denen Autofahrer für gewöhnlich sämtliches Gepäck ausbreiten müssen, das dann genauestens durchsucht wird. Aber mitten im Land? Ist das nicht ein komischer Ort für eine Zollstation inklusive Paßkontrolle?

Zumindest waren wir jetzt in der I. Region und rollten auf geteerter Straße fast wie von selbst in Richtung Norden. Es war angenehm zu fahren und es machte endlich wieder Spaß bei der "Autobahnqualität". Schrecklicher Hunger meldete sich aus der Magengegend und wir machten eine Pause, legten uns in die Wüste, aßen Gurken (Micha mit selbstgesammelten Salzkristallen) und pampigen, aber wohlschmeckenden Babybrei und ließen es uns gut gehen. Alle ein bis zwei Stunden kam ein Auto vorbeigefahren.

Hinter den Bergen der Küstenkordilliere liegt der "Salar grande", die größte Kochsalzmine der Welt. Von dort bezieht ganz Chile sein Salz (LOBOS). Micha wollte die steile Minenstraße unbedingt hochfahren, ich stellte es ihm frei, aber ich wollte nichts damit zu tun haben. Er entschloß sich, doch nicht dort hinauf zu fahren und wir radelten weiter über Berg und Tal, steil und natürlich schnurgerade. Wir kamen an ein Dorf vorbei mit dem Namen "San Marcos", das sogar ein Restaurant mit Pescados und Mariscos und Bebidas heladas hat. Am liebsten hätte ich dort gegessen. Drei Kilometer nach dem Ort suchten wir uns einen Zeltplatz hoch über dem Meer, wo uns keine Flutwelle eines Erdbebens bzw. Seebebens überraschen konnte. Weil das Wasser knapp und kostbar war, kochten wir die Spaghetti mit 1/3 Salzwasser aus dem Pazifik und 2/3 Flußwasser aus dem Rio Loa, aßen Gurkensalat dazu und als Nachspeise Aprikosen-Sprim. Leben muß man halt können!!

Rio Seco, 19.08.1995

Weit sind wir heute nicht gekommen, gerade mal 18 Kilometer. Gleich nach dem losfahren und dem ersten Halten hörte ich komische Schreie vom Meer her. Ich schaute hin und sah ein paar Meter vom Strand entfernt im Wasser einen Felsen voller Seehunde. Überall saßen sie, krabbelten sie den Felsen entlang nach oben, verscheuchten mit ihren Schreien, das sich wie Schafgemecker (mäh mäh) anhörte, die großen Vögel vom Felsen, die dort landen wollten. Ich saß schon eine halbe Stunde so da und beobachtete die Seehunde (oder sie mich?), als endlich Micha kam. Zusammen hockten wir nun auf einem Stein, muffelten Kekse und Toffees und schauten den Seehunden zu. Einer kam ganz nah zu uns herübergeschwommen und schien auch uns ganz neugierig zu beobachten. Sein schwarzes Köpfchen spitzte immer wieder aus dem Wasser heraus, wackelte in den Wellen hin und her und tauchte wieder unter. Es kam noch ein zweiter Seehund angeschwommen. Ich fand es herrlich, diese Tiere in freier Wildbahn zu erleben, dort, wo sie ohne Zwang freiwillig leben und auch überleben. Nachdem wir über eine Stunde dort gesessen hatten, fuhren wir weiter.

Ganz unten in einer Quebrada Wir durchquerten irgendwann ein Dörfchen mit dem Namen "Rio Seco" (Trockener Fluß) mit einer riesigen Quebrada. Micha wollte dann, daß ich anhalte und mir die Steinportada (fast wie in Antofagasta) anschaue, die direkt am Ufer zu finden war. Wir ließen die Fahrräder an der Straße stehen, schlossen sie jedoch vorsichtshalber ab und stiegen zum Strand hinab.Micha kletterte auf die Portada, ich legte mich müde und geschafft in den Sand und döste. Schon vor Rio Seco hatte ich keine Lust mehr, weiterzufahren. Ich war sehr müde, nicht vom fehlenden Schlaf, sondern vom Kreislauf her, der heute nicht so funktionieren wollte wie er sollte. Ich wollte einfach nur noch da liegen und schlafen, in der warmen Sonne am Strand. Micha ging zurück auf die Straße, um auf die Fahrräder aufzupassen in der Meinung, daß es bald weiterging mit der Fahrt. Irgendwann muß ich dann eingeschlafen sein und als ich mich auf den Weg zur Straße machte, war es schon viel zu spät, um über die bereits von weitem drohende Cuesta zu gelangen. Click to enlarge Wir schlugen also das Zelt unten am Meer auf, sonnten uns noch ein wenig und gingen dann ins Dorf zurück, um entweder essen zu gehen oder was Gutes zu kaufen. Ich hatte nur vergessen, daß das Dorf 5 Kilometer von unserem jetzigen Standpunkt entfernt war. Wir nahmen vorsorglich die Taschenlampe mit, weil die Sonne schon sehr tief stand und in den Tropen geht sie sehr schnell unter. Und tatsächlich verschwand sie, als wir gerade im Dorf waren, das kein Restaurant hatte, nur ein paar komische Geschäfte. In den einem, mehr ein klappriger Kiosk aus Wellblech, kauften wir bei einer "Hexenfrau" Eier und Cola; sie hatte aber kein Brot (No hay.) Ein kleines Mädchen, das an dem Kiosk stand und Fernsehen schaute, sagte uns, daß es gegenüber Brot gibt. Aber wir suchten an der Hütte lange nach dem Eingang, der Bäcker kam dann irgendwo aus dem Holzverschlag heraus und verkaufte uns 4 Fleischempanadas und 6 Laugenbrötchen; alles zusammen machte er in einem Steinofen heiß und wir mußten eine Ewigkeit darauf warten, so daß es schon stockdunkel war.

Auf dem Rückweg mußte das Licht der kleinen Taschenlampe uns den Weg leuchten; wir liefen auf dem Mittelstreifen und hüpften immer zur Seite, wenn ein Auto kam. Wir hatten keine Ahnung, wo unser Zelt genau stand und funzelten mit der Taschenlampe den sandigen Seitenstreifen ab, um unsere Fahrrad- und Fußspuren zu finden. Endlich fanden wir einen Anhaltspunkt, jetzt mußten wir nur noch unseren Zeltplatz unten am Strand finden, was gar nicht so einfach war, weil wir uns gut versteckt hatten. Wir versuchten, den Fußspuren im Sand zu folgen und waren dann irgendwann endlich am Zelt. Wir kochten dann die Eier und belegten damit die "Stein-Laugenbrötchen" und kauten lange und ausgiebig darauf herum. Micha legte sich in seinen Schlafsack und schlief sofort ein. Ich mußte mein Nachtlager noch zurecht machen, während Micha genervt grummelte. Dann konnte ich nicht einschlafen.

Aeropuerto Iquique, 20.08.1995

Click to enlarge Morgens wurden wir durch ein tiefes Brummen geweckt. Es stammte von einem roten Auto, Jaguarverschnitt a la "Die Zwei" (Model 1960). Dieses Auto karrte zwei Taucher an unseren Strand, die dann unter der Aufsicht des Fahrers nach Seeigeln und Muscheln (und Algen... brh..) tauchen mußten. Sie trugen schwarze Taucheranzüge, Schnorchel und Schwimmflossen. Um halb zehn, als wir frühstückten, waren sie fertig, knackten die Seeigel, legten den Seetang zum trocknen aus und fuhren weiter, uns total ignorierend. Wir frühstückten fertig, obwohl der Taucher einen lebenden Seeigel verschlungen hatte und mir bei dem Anblick mächtig schlecht geworden war. Wir kamen dank der morgendlichen Störung recht frühzeitig los und ich erklomm schon mal alleine 2,5 km der 5 km langen steilen und langen Cuesta. Micha holte mich ein, er fuhr barfuß und zog mich dann den restlichen Berg mit einem Abschleppseil hoch. Auf der anderen Seite ging es natürlich steil wieder hinunter. Jedoch stellte sich ein schöner, starker "Rückensturm" ein, der mich vorantrieb, so daß wir in einer sagenhaften Zeit das Restaurant in Chanavalita erreichten.

Click to enlarge Ein paar Kilometer vorher traf die Straße von LOBOS (Kochsalzmine) auf die Küstenstraße. Am Strand waren riesige Salzberge aufgetürmt, die anscheinend verschifft werden und am Straßenrand lagen auch große Salzbrocken, so groß wie der Kopf einer Kuh. Diese waren anscheinend von den Lkws gefallen und mir wurde Angst und Bange bei der Vorstellung, daß mir so ein Brocken auf den Kopf fallen könnte. Das Restaurant, das einige 100 Meter von der Straße entfernt lag, hatte einen sehr netten Besitzer. Er servierte gigantische Portionen mit viel frischen Salat, bat um ein deutsches Geldstück für seine Sammlung (er bekam ein gut poliertes Markstück). Dafür schenkte er uns zwei große, glasklare Salzkristalle aus der Salzmine LOBOS. Sie sahen fast aus wie Bergkristalle.

Wir fuhren dann vollgefressen mit Rückenwind weiter. Irgendwann begann ein tolles Militärgebiet, durch das die Straße führte und das man gefälligst mit 80 km/h Mindestgeschwindigkeit durchqueren sollte und wehe, wenn man stehenbleibt! Dabei war gar nichts zu sehen außer ein paar windigen Schießständen. Und die Mindestgeschwindigkeit war mit den Fahrrädern natürlich nicht einzuhalten. Mit Rückenwind und bergab schaffte ich aber ca. 30 km/h.

Gleich nach dem Militärgebiet gesellten sich die Werbetafeln an den Straßenrand. Wir fuhren noch ein Stück und beschlossen, ein großes Stück hinter einer Ray-Ban-Werbetafel in der staubigen Wüste unser Zelt aufzuschlagen. Es gab so reinen und feinen Sand wie in einem Sandkasten; ansonsten gab es absolut nichts, totale Einöde, nicht einmal Steine oder Steinchen, aber es war trotzdem wunderschön.

Weil wir schon vom reichlichen Mittagsmahl gesättigt waren, kochten wir uns nur noch ein Linsensüppchen, das ich dann aber allein essen mußte, weil es Micha nicht schmeckte (Nachgeschmack von vermoosten Holz). Wir schliefen beim Tagebuchschreiben ein und Micha blies später unter lautem Fluchen und Meckern meine Luftmatratze auf und weckte mich noch dreimal in der Nacht, weil ich "brummte". Als ich nach dem drittenmal wütend wurde, konnte er die ganze Nacht nicht schlafen. Armer.

Iquique, 21.08.1995

Click to enlarge Es begann mein vorläufig letzter Fahrradtag. Micha war traurig, ich war traurig, obwohl ich mich freute, endlich Ruhe zu haben und mich entspannen zu können. Jedoch hatte mir das Zelten in der letzten Zeit verdammt viel Spaß gemacht. Es war nicht mehr ganz so kalt in der Nacht gewesen, es war schön trocken und in der Wüste gab es kein Ungeziefer. Wir saßen noch sehr lange in "unserer" Wüste vor der Stadt, die nur noch 30 Kilometer entfernt lag. Wir buddelten uns gegenseitig im Sand ein, bewarfen uns damit, waren sehr kindisch, unterhielten uns und ich mußte sogar heulen. Heute ging also meine Fahrradtour zuende und es ist immer traurig, wenn etwas vorbei ist. Mir wurde bewußt, daß ich nicht mehr lange mit Micha zusammen sein werde. Ich fliege in einem Monat nach Hause und er bleibt hier, um seine Reise durch Bolivien, Brasilien und Venezuela fortzusetzen. In diesem Jahr werde ich ihn dann wohl nicht mehr sehen.

Es war so schön, zusammen im Sand zu sitzen, der angenehm warm und weich war. Wir sind erst um ca. zwei Uhr Nachmittags in Richtung Iquique aufgebrochen. Eigentlich hätte ich gern noch mal am gleichen Ort gezeltet, beinahe hätte ich gesagt, daß ich weiter fahrradfahren. Aber nur beinahe. Die Vorstellung, über 5000 m hohe Pässe, bei schneidender Kälte und dünner Luft über die Anden nach Bolivien zu radeln, erstickte jeden Wunsch nach Fortsetzung der Tour in mir. 25 Grad unter Null, wenn ich schon hier an der Küste des nachts fröstle, nein, so hart bin ich nicht und beweisen muß ich mir gar nichts. Ich weiß, wo meine Grenzen sind.

Wir radelten also los, es war sehr kühl und windig. Am Abend vorher hatte es dermaßen gestürmt, daß wir uns mit den Fahrrädern einen Windschutz basteln mußten. Kaum hatten wir den Windschutz aufgestellt, hatte sich der Wind gedreht und drückte das Zelt fast flach auf den Boden, so daß wir mitten in der Nacht den Windschutz umstellen mußten. Heute gab es im Gegensatz zum Vortag keinen Rückenwind, nur hinderlichen Seitenwind und die Küste wurde auffallend bergig (O-Ton Micha: hügelig). Aber ich wußte ja, daß es nur noch ca. 25 Kilometer bis zur Stadt sind. Ich bekam aber schon wieder Hunger, weil es schon so spät am Tag war und wir schon vor Stunden gefrühstückt hatten, so daß ich nach knapp 7 Kilometern eine Pause machen mußte und Kekse muffelte. Micha weigert sich, mich ins Schlepptau zu nehmen, weil wir dann viel zu schnell vorankamen und uns die Chance genommen wird, noch ein letztes Mal zu zelten.

Um einer Kurve standen viele parkende Autos auf beiden Seiten. Wir wußten nicht, was los war und fuhren vorsichtig und langsam vorbei. Man sah das Blinken eines Blaulichts im Straßengraben, eine Ambulanz und ein auf dem Dach liegendes Fahrzeug. Es hatte sich so oft überschlagen, daß es jetzt entgegen seiner ursprünglichen Fahrtrichtung auf der anderen Straßenseite im Straßengraben lag. Da die Ambulanz mit Blaulicht davonbrauste, konnten wir davon ausgehen, daß der Fahrer am Leben war. Es freute uns, daß es endlich mal einen dieser idiotischen chilenischen Selbstmordfahrer getroffen hatte, die stets mit 200 km/h ohne Sicherheitsabstand an uns vorbeirasen, so daß man sie am liebsten aus dem Auto zerren will, um ihnen in den Hintern zu treten. Sie sich jedoch heute durch Zeitungsberichte herausstellte, handelt es sich bei dem Unfallopfer bedauerlicherweise um einen französischen Sportler, der mit einem Mietwagen unterwegs war, so daß es eigentlich den Falschen getroffen hatte. Naja, Franzose. Da drängt sich schon wieder das Unangenehme Gefühl auf, daß uns die Franzosen hier in Chile mit ihren Atombombentests den Pazifik verseuchen wollen. Wenn die Tests wirklich so ungefährlich sind, wie sie immer sagen, dann können sie die Bomben ja auch in Paris unter dem Eiffelturm zünden. Der französische Botschafter ist schon des Landes verwiesen worden.

Wir radelten an einer überdimensionalen Coladose vorbei und hier sollte lt. Reiseführer die Stadt anfangen. Außer Elendsviertel und Lagerplätzen von Schiffscontainern war jedoch nichts zu sehen. In der Ferne erkannte man aus dem Küstennebel heraus die ersten Hochhäuser von Iquique spitzen und es ging kurz vor Ende meiner Fahrradtour mal wieder kräftig bergauf. Dann aber rollte ich in eine Stadt, wie ich sie noch nicht in ganz Chile gesehen habe: wie in Miami entfaltete sich Reichtum, Palmenalleen, Apartments, bombastische Garagenauffahrten, Privatstrände, Prachtstraßen und anscheinend abertausend Gärtner, die die akkurat gekürzten Grünflächen bepflanzten und wässerten. Und sie wässerten mit soviel Wasser, daß man überhaupt nicht glauben konnte, mit in der trockensten Wüste der Welt zu sein. Typische (nord-,süd-,mittel-) amerikanische Überheblichkeit. Also fuhren wir ein Stück USA, um urplötzlich wieder im gewöhnlichen Chile mit bereits bolivianischen Einfluß zu landen. Im Zentrum fingen wir an, eine Unterkunft zu suchen; hier fingen schon wieder die elenden, verfallenen Holzbuden an, die Gegend stank nach Urin und war dreckig. Dubiose Gestalten lungerten in den Straßen. Die Hotels, die wir abklapperten, waren entweder teuer (20.- Mark war zu teuer) oder hatten viel zu kleine Zimmer oder waren viel zu dreckig, obwohl sie im South-American Handbook empfohlen waren. Wir liefen von einem Hotel zum nächsten und als wir vor der Tür unseres jetzigen Hotels standen, machte uns keiner auf unser Klingeln hin auf. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite winkte ein kleiner Chilene ganz hektisch, wir sollen doch bei ihm ein Zimmer nehmen. Entsprechend dreckig, dunkel und verrottet war auch die Bude, nur mit Sperrholz zusammengenagelt. Geschafft!! Wir klingelten also wieder am diesem Hotel, jemand ließ uns endlich hinein und wir bekamen ein relativ sauberes und sehr preisgünstiges Zimmer mit einer heißen, sehr sauberen Dusche. Bevor wir jedoch duschen konnten, mußten wir noch Shampoo und Seife kaufen. Es tat gut, den Wüstenstaub, den Schweiß und den Dreck mal wieder vom Körper zu bekommen. Hernach gingen wir zum "D´Alfredo" essen, der Italiener am Ort. Die Ober sahen aus, als ob sie von einer Model-Agentur engagiert wurde und waren für südamerikanische Verhältnisse erstaunlich flink, freundlich und zuvorkommend. Einer brachte sogar eine Kakerlake um, die an der Wand hinter mir krabbelte.

Eine Horde häßlicher Französinnen setzte sich an den Nebentisch und fragte uns irgendetwas auf französisch. Natürlich gehen Franzosen immer davon aus, daß man ihre wunderbare Sprache beherrscht und lassen sich niemals dazu herab, englisch, deutsch oder gar die Sprache ihres Urlaubslandes zu benutzen. Wir nahmen jedoch an, daß sie fragten, ob sie einen Stuhl haben könnten. Sie gackerten unerträglich und führten sich schrecklich auf. Keine Ahnung warum, aber in dieser Stadt wimmelt es nur so von Franzosen. Und ständig wird man für einen von ihnen gehalten, was in Anbetracht der geplanten Atomtests "hier" im Südpazifik wenig erfreulich ist. Wir aßen schnell zuende und gingen ins Hotel zurück. Das Zimmer über uns war belegt und entsprechend laut war der Krach, der durch die dünne Holzdecke drang. Stundenlang gingen die beiden Personen hin und her und es hörte sich an, als ob sie Betten, Tische, Stühle, Nachttische und Koffer gleichzeitig verschoben. Wir versuchten trotzdem zu schlafen.

Iquique, 22.08.1995

Im Laufe der Nacht gesellten sich noch anderer Lärm zu den unruhigen Leuten über uns. Ein tauber Chilene mußte natürlich Fernsehen schauen, der sich im Innenhof vor unserem Zimmer befand, natürlich bis mitten in die Nacht, danach unterhielt er sich lautstark mit anderen Bewohnern des Hotels. Im Nebenhaus meißelte der Sohn des Hotelbesitzers herum, so daß man sich vorkam wie bei den Panzerknackern. Natürlich kläffte der Nachbarshund, wie soll es anders sein. Gegen Morgen gesellte sich in die Geräuschkulisse ein aufdringlich schreiender Hahn, der wohl Bestandteil des Hotels ist, jedoch besser Bestandteil einer Hühnerbrühe wäre.

Als Schlafräuber präsentierte sich auch das Bett, daß auf dem ersten Blick schön weich aussah und auch nach den ersten Liege- und Sitzproben meinen angepaßten Ansprüchen genügte. Es stellte sich jedoch heraus, daß das Bett lediglich aus einer dicken Schaumstoffmatratze bestand, die über einer selbstgeschusterten Holzauflage beworfen war. Legte man sich ins Bett und wollte schlafen, preßt sich der Schaumstoff zusammen, die Hüfte sinkt tief hinab und man liegt eigentlich mit der Hüfte auf dem blanken Holz, während Kopf und Füße weit oben irgendwo im dicken Schaumstoff schweben, was bei mir ein Gefühl der Beklemmung hervorrief. Ich wälzte mich eine Ewigkeit hin und her, bevor ich endlich eine angenehme Schlafposition gefunden hatte. Zu allem Überfluß war mir Micha auch noch im Weg. Ich hatte Platzangst. Die schlecht durchschlafene Nacht endete bereits um 8 Uhr, als die beiden über uns kräftig zum poltern anfingen, der Hahn schrie sich dazu die Seele aus dem Leib, so daß einem gar nichts anderes übrig blieb, als aufzustehen. Micha war schon längst wach. Der taube Chilene schaute auch schon wieder Fernsehen; eigentlich hatte er sein Soll an Krachmachen schon längst überschritten, hatte er doch in der Nach das gesamte Hotel mit einem unglaublichen Geschnarche belegt, das fast ungehindert durch die dünnen Sperrholzwände drang. Wir frühstückten etwas von unserem Vorrat und entschieden dabei, welche Kleidungsstücke zur Reinigung durften und welche dreckig bleiben mußten und weiter nach Schwefel, Staub, Dreck und Schweiß stanken. Eigentlich hätten ja alle gewaschen werden müssen; aber man kann ja nicht nackt herumlaufen. Den Vormittag über suchten wir nach einer Wäscherei. Dann gingen wir zur Post und gaben das Päckchen mit den Fotos auf, das wir nach Hause schickten. Sicherheitshalber verschickten wir Negative und Fotos getrennt, so daß uns nichts abhanden kam. Am Nachmittag gingen wir dazu über, einen Cargo zu finden, der mein Fahrrad in Richtung Heimat schickt, damit ich es bei unser restlichen Reise nicht ständig mit mir herumschleifen muß. Der erste Cargo meinte, es wäre zu teuer mit seiner Gesellschaft, wir sollen es doch bei UPS oder der Post versuchen. UPS fanden wir auch nach langem Suchen und Fragen nicht und die Post nimmt nur genormte Päckchen bis zu 10 kg. Vom Gewicht her kein Problem, jedoch vom Umfang her unmöglich. Mit 45.- DM nach Europa ist die Post über die Hälfte billiger als das Fahrrad mit dem Flugzeug nach Hause zu nehmen. Die Post schickte uns zum Pullman-Cargo, der angeblich internationale Lieferungen abwickelt, aber nicht nach Deutschland. International bedeutet: Paraquay, Uruguay, Bolivien, Argentinien usw.

Bei der Gelegenheit riefen wir erst mal bei Jens in Santiago an, um zu fragen, ob Post für uns angekommen sei. Natürlich hatte niemand von daheim an uns gedacht. Ist vielleicht auch besser so. Jens war frech wie immer, wir schwatzten ein Weilchen und es tat richtig gut, sich mit ihm zu streiten. Er behauptete, er würde in seiner Wohnung keine Kugellager aus Schweinfurt haben, es würde sich überhaupt kein Kugellager in seiner ganzen Wohnung befinden. Ich versuchte ihm das Gegenteil zu beweisen, z.B. das sich bestimmt ein Kugellager an seinem rollbaren Schreibtischstuhl oder in seinen Skateboards befindet. Er meinte dann aber, daß er nicht mit Skateboards zu fahren pflegt, weil sie immer so in der Mitte durchhängen (aufgrund seines nicht unbeträchtlichen Gewichts). Es stellte sich heraus, daß aber auch Jens nicht wußte , wie wir das Fahrrad nach Deutschland schaffen könnten, meinte aber, wir sollen es bei einer Fluggesellschaft versuchen.

Also gingen wir weiter auf die Suche. Mittlerweile mußte ich ganz dringend aufs Klo. In der üblichen Ermangelung eines öffentlichen Klos mußten wir uns in ein Restaurant begeben, wo wir gleich was zu mittag speisten. Meine Suppe war mit soetwas wie Seeigel angereichert und Micha beabsichtigte gemeinerweise mir den Appetit zu verderben. So schlecht war Seeigel aber dann doch nicht, woraufhin Micha ganz schlecht wurde, als er sah, daß ich es esse. In einem Schreibwarengeschäft brachten wir unsere Tagebücher zum kopieren, liefen zum ZOFRI, der steuerfreien Handelszone von Iquique. Wegen dieser steuerfreien Handelszone kommt ganz Chile kurz vor Weihnachten angereist, um dort billig Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Ob sich das wirklich lohnt, ist fraglich, weil Chilenen nur Waren bis zu 500 Dollar steuerfrei kaufen dürfen. Wegen dieser steuerfreien Handelszone gibt es auch die Zollstation mitten in der Einöde beim Rio Loa, bei der genauestens geprüft wird, das auch nicht zuviel steuerfrei eingekauft wird. Um diese Jahres- und auch Uhrzeit war das ZOFRI tot, die vierspurigen Straßen durch die Zone waren ausgestorben, alle Geschäfte hatten geschlossen, es war Siesta, noch zwei oder drei Stunden lang. Micha brauchte eigentlich nur einen Wasserfilter für Brasilien, damit er die bösen Viren, Amöben und Bakterien aus seinem Trinkwasser bekommt, da die Micropur-Tabletten nur Keime töten, wenn das Wasser klar ist; den Dreck muß man irgendwie anders herausbekommen. Ansonsten muß er halt sein tägliches Trinkwasser abkochen und den Dreck mittrinken. Weil plötzlich die ganze Stadt tot war, gingen wir ins Hotel zurück und nahmen eins der lächerlich billigen Taxis, bei denen man sich immer fragt, warum man überhaupt noch zu Fuß unterwegs ist. Im Hotel machten wir dann auch Siesta und entspannten uns nach dem langen Fußmarsch durch die Stadt. Micha verfaßte über eine Stunde lang ein lustiges Geburtstagsfax für seinen Vater und seine Oma. Dafür zerschnipselte er teilweise mein Spanischbuch vom Goethe-Instiut, um die lustigen Bilder auf sein Fax zu kleben. Micha ging dann alleine los, weil ich keine Lust mehr hatte, erneute in das ZOFRI zu gehen oder einen Cargo zu suchen. Statt dessen schrieb ich in meinem Tagebuch und malte ein paar Chilelandkarten hinein, die unseren Reiseweg durch Chile dokumentieren soll.

Als Micha wieder zurück war, hatte er frische Wäsche in der Hand. Im ZOFRI war er ausgelacht worden, als er nach Wasserfiltern fragte. Kein Wunder, daß in Südamerika ab und zu die Cholera ausbricht. Die Leute gehen viel zu leichtfertig mit dem Wasser und den Nahrungsmitteln um. Micha hatte sich auch bei der Fluggesellschaft LAN CHILE erkundigt, ob man mein Fahrrad nach Deutschland schicken könnte. Es war zwar möglich und kostete ca. 250.- DM, aber plötzlich kam LAN CHILE auf die Idee, den Preis lieber nach dem Volumen zu berechnen und dann hätte das leichte, aber sperrige Fahrrad soviel gekostet wie 100 kg, also ungefähr 700.- DM und somit annähernd soviel wie der Rückflug nach Europa. Micha bedankte sich noch und ging, erschüttert über soviel Unverschämtheit. Auch gab es keine besseren Hotels (in unserer Preisklasse) in Iquique, so daß das meiste, was wir uns für diesen Tag vorgenommen hatten, unerledigt blieb. Zur Aufmunterung verwöhnten wir uns mit einem Essen beim Italiener und neu motiviert schrieb Micha eine Geburtstagskarte für seinen Bruder. Weil wir noch mehr Belohnung brauchten, leisteten wir uns noch einen überdimensionalen Eisbecher mit richtiger Sahne, obwohl in jedem Südamerikareiseführer steht, daß man auf keinen Fall Milchprodukte essen soll. War uns egal. Es schmeckte doch so gut.

Iquique, 23.08.1995

Alle Versuche, mein Fahrrad vorab nach Hause zu schicken, schlugen fehl. Micha legt mein Fahrrad auseinander, in alle Einzelteile. Wir haben eine riesige Reisetasche für 40.- DM gekauft, in dem das Fahrrad locker Platz findet, wenn es erst mal vollständig zerlegt ist. Somit kann sich keine Busgesellschaft mehr quer legen, wenn ich jetzt mit einem Fahrrad ankomme, weil es scheint, ich hätte einfach nur unglaublich viel Gepäck. Und in Südamerika kann man ja grundsätzlich soviel Gepäck transportieren, wie man will. Nur kein Fahrrad.

Aufgrund des Auseinanderbauens herrscht soviel Chaos im Zimmer und Micha war so dermaßen beschäftigt, daß ich eine heiße Dusche nehmen wollte. Natürlich sind die Duschen kalt und der Hotelbesitzer ist nicht da. Wir waren ganz allein. Wir riefen und klingelten, irgendwann tauchte der Besitzer auf und stellte die Dusche an. Danach war einkaufen angesagt: Proviant für Michas Wüstendurchquerung und für meine einsame Zeit hier allein in Iquique. Micha wollte nämlich die 400 bergigen und windigen Kilometer nach Arica allein mit dem Fahrrad zurücklegen, während ich hier ein paar Tag aushalte und dann mit dem Bus nach Arica fahre. Warum bin ich nicht mit dem Fahrrad gefahren? Weil auf 400 km keine Menschenseele wohnt und weil es kein Wasser gibt und man deswegen von einem unglaublichen Zeitdruck gescheucht wird, wobei man vom Gegenwind und den Steigungen gebremst wird. Streß.

Wir gingen zum 3. Mal zum Italiener hier in Iquique, was schon langsam peinlich wurde. Aber das Essen war nunmal so gut, die Kellner waren nett und außerdem wurde gute Musik gespielt. Bestimmt das beste Restaurant (in unserer Preisklasse) in ganz Chile. Danach packte Micha noch stundenlang ein und um, räumte unermüdlich das Chaos auf, das er veranstaltet hatte, es war schon gegen 1 Uhr als wir endlich ins Bett kamen. Eigentlich ist mir schon mulmig bei der Vorstellung, mit dem riesigen Beutel allein durch die Gegend zu laufen. Ich kann die Tasche überhaupt nicht heben, sie hat zwar Rollen, funktioniert aber nicht richtig.

Iquique, 24.08.1995

Ein entsetzlicher Lärm weckte uns. Mittlerweile hasse ich diesen verdammten Hahn so inständig, daß ich ihn mit meinen bloßen Händen erwürgen würde, wenn ich genau wüßte, wo er steckt. Irgendwo hinter dem Innenhof, aber wo? Micha kochte mir ganz fürsorglich einen Kaffee zum Frühstück. Komischerweise war er heute besonders bemüht um mich, so als ob ich wirklich mies behandelt worden wäre.

Micha packte seine Fahrradtaschen zusammen und befestigte sie draußen an seinem Fahrrad, während ich noch im Bett saß und meinen Nescafé schlürfte. Der Hotelbesitzer klopfte und sagte, daß ich später in Zimmer Nr. 15 wechseln müßte, weil ich jetzt allein ein Einzelzimmer beziehen will. Dieses Zimmer lag einen Stockwerk höher und war die Nacht vorher vom alten Flohsack bewohnt worden. Bei der Vorstellung war ich schon etwas angewidert und es juckte mich überall.. Micha schleppte noch die große Tasche mit meinem Fahrrad darin in mein neues Zimmer, während die Putzfrau noch mit einem "Chancho electrico" den Fußboden säuberte. Micha hatte sich während des Morgens gleich dreimal von mir verabschiedet, ich begleitete ihn zur Pforte, er schob sein Fahrrad raus und wir verabschiedeten uns noch mal. Der Hotelbesitzer kam und tauschte mit Micha einen freundschaftlichen Handschlag aus und wünschte ihm eine gute Reise. Micha radelte los und ließ mich allein in dieser komischen Stadt. Ich trug meine Sachen in das neue Zimmer und bemerkte, daß die Wände nur aus etwas stärkerer Pappe bestehen und in einer der Zimmerecke eine ca. 50 cm lange und mindestens 10 cm breite Lücke klaffte, durch die Sonnenstrahlen einfielen und meine Frischluftversorgung gesichert war. Ich war bloß froh, daß es in dieser Gegend niemals regnet und es auch kaum Ungeziefer gibt.

Ich setzte mich auf das Bett und beäugte vorsichtig die Bettdecke und das Kopfkissen. Ob der Flohsack tatsächlich Flöhe hatte? Zumindest sah er so aus und roch auch so, mal abgesehen davon, daß er unheimlich nett war. Ich begann, ein paar Briefe nach Hause zu schreiben, was mich bis zum Nachmittag beschäftigte. Später schlenderte ich dann in der Gegend herum und suchte zunächst ein Büro der Busgesellschaft Turbus, um dort ein Ticket nach Arica zu kaufen. Ich fand jedoch nichts, also wollte ich wenigstens etwas zum essen einkaufen, jedoch war der Supermarkt geschlossen, wegen einer 4stündigen Siesta. Ich spazierte also weiter und stellte fest, das ich mich auf dem Weg zum Busterminal befand, also lief ich gleich mal hin. Ein Busterminal ist aufgebaut wie ein Bahnhof, jede Busgesellschaft hat einen eigenen Schalten, es gibt eine Wartehalle und die abfahrenden Busse werden über die Lautsprecheranlage ausgerufen. Ich schaute mich um und fand zu meinem Entzücken ein Büro der Busgesellschaft Turbus und zu meinem Entsetzen eine richtige Zollstation mit Zöllner, bös dreinblickenden Polizisten, einem hohen Zaun und Tischen, auf denen die Fahrgäste brav den Inhalt ihrer Koffer und Taschen ausbreiten, um ihn nach zollfreien Waren durchsuchen zu lassen. Wenn jemand meine riesige Tasche mit dem Fahrrad durchsuchen will, drehe ich durch. Nie wieder bekomme ich das Ding wieder richtig rein; der Platz ist sowieso schon knapp. Und wie soll ich den Zöllnern und Polizisten auf Spanisch erklären, warum ich ein Fahrrad in meiner Tasche herumzerre? Zu meiner Erleichterung fand ich jedoch eine große Tafel, auf der stand, daß lediglich Reisende in Richtung Süden aus der I. Region heraus ihre Koffer durchsuchen lassen müssen und aus diesem Grund eine Stunde vor der Abfahrt am Busterminal erscheinen müssen. Hoffentlich habe ich alles richtig verstanden. Weil ich meinen Ausweis nicht dabei hatte, den man in Iquique zum Kauf einer Fahrkarte benötigt, ging ich unverrichteter Dinge wieder in Richtung Hotel. Weil der Supermarkt "Rossi" (Ja, Herr Rossi sucht das Glück, nur ein Stück vom Glück...), entschloß ich mich, auf den Plaza Condell auf einer Bank etwas auszuruhen. Nur kurze Zeit später setzte sich ein älterer, dickerer Herr neben mich und laberte mich voll, obwohl ich überhaupt keine Lust hatte, mich zu unterhalten. Er stellte fest, daß ich keine Chilenin bin und hielt mich mit seinem Redeschwall gefangen. Er sei halb Franzose und sein Freund, den er gerade getroffen hatte, wäre fast Deutscher, blah, blah... Der Freund kam tatsächlich vorbei und redete ein paar kurze Sätze deutsch mit mir: "Was machst Du hier?" usw. Er hatte aber leider keine Zeit und mußte weiter. So quatschte diese Nervensäge weiter auf mich ein, wollte wissen, wo ich in Iquique wohne, was ich ihm jedoch auf keinen Fall sagen wollte. Ich rieb ihm auch geflissentlich unter die Nase, daß ich einen Pololo habe, was ihn aber nicht davon abhielt, mir von den wunderschönen Stränden in Iquique vorzuschwärmen, besonders bei Sonnenuntergang und bot mir tatsächlich an, mich mit seinem Auto dorthin zu fahren, was ich natürlich ablehnte und zwar entschieden. Irgendwann gab er es auf, mich irgendwo hin fahren zu wollen und ging ENDLICH seiner Wege, steig in sein Auto und fuhr heftig winkend davon. Nur einige Sekunden nachdem er verschwunden war, setzte sich ein zahnloser, abgerissener Typ so um die 30 mit blutunterlaufenen Augen á la Dracula neben mich auf die Bank und war gerade dabei, mir ein Gespräch aufzuhängen, als ich beschloß, daß ich es jetzt nicht länger ertragen könnte und erkannte, daß man in dieser Stadt einfach nicht allein auf einer Parkbank sitzen kann, stand auf und ging einfach ohne etwas zu sagen. "Ah, eine Gringa allein auf der Bank! Ich bin der Prinz, der sie aus ihrer Einsamkeit errettet und wer weiß, wie sie mir das dankt" "Europäerin = williges Freiwild" So was in der Art muß in den Gehirnkästen der männlichen Chilenen vorgehen, egal wie häßlich oder alt, Nicht-Chilenen müssen einfach wild und willig sein. Während ich im Hotel angekommen war, öffneten natürlich schon wieder die Supermärkte, es war bereits kurz vor 17 Uhr. Also ging ich zurück zum Rossi, kaufte Käse, Brot und Obst, ging nach Hause, kochte mir etwas auf dem Gasbrenner, las das Geisterhaus zuende und legte mich um 1 Uhr schlafen, um um 4 Uhr von dem verdammten Hahn geweckt zu werden, der genau neben der dünnen Pappwand am Kopfende meines Zimmers untergebracht sein mußte. Jedenfalls halfen die Ohropaxe nicht mehr, auch erbostes Rütteln und Schütteln an der unteren Tür half nichts, weil ich nicht genau wußte, wo das Vieh untergebracht war oder ob er sich überhaupt davon einschüchtern ließ, er schrie sich ganz einfach die Seele aus dem Leib. In den kurzen Minuten, in denen ich in einen oberflächlichen Schlaf hineinglitt, hatte ich schreckliche Alpträume.

Iquique, Freitag den 25.08.1995

Aufgrund der nächtlichen und sehr geräuschvollen Störungen des Hahns schlief ich bis 12 Uhr, erwachte und hörte den obligatorischen Mittagsalarm. Ich hätte tatsächlich noch viel länger schlafen können, hatte aber ein sehr schlechtes Gewissen, den Tag so sinnlos zu vertrödeln und stand auf. Noch im Halbschlaf wechselte ich die Gaspatrone aus, wobei mir fast die Hälfte des Gases verlorenging, ich lauthals fluchte und das Zimmer gar schrecklich nach Gas zu stinken begann. Nachdem ich eine halbe Stunde gelüftet hatte, machte ich mir endlich den Kaffee, den ich vor den Patronenwechsel gebraucht hätte. Ich war aber so müde, daß mich auch der Kaffee nicht aufwecken konnte.

Ich las noch ein wenig, zog mich langsam an, um mich mit ein paar Briefen auf den Weg zur Post zu machen und beim Busterminal ein Ticket nach Arica zu kaufen. Der Hotelbesitzer lauerte mir mit seinem Block regelrecht auf und wollte das Geld für zwei Tage haben, weil er mich am Tag vorher nicht erwischt hat. " Ich habe Sie gestern den ganzen Tag lang nicht gesehen" Eine große Kunst ist das nicht, weil er sich die meiste Zeit nicht in seinem Hotel befindet. Nach dem Überfall ging ich zur Post , die natürlich von 13 - 15 Uhr Siesta hielt. Die ambulanten Postkarten- und Sobresverkäufer hatten natürlich keine Estampillas, so daß ich gleich zum Busterminal weiterging. Als ich bei Turbus ein Ticket nach Arica kaufen wollte, sagte mir die freundliche Dame am Schalter, das sie nicht nach Arica fahren, ich sollte es doch bei einem anderen Schalter versuchen. Dabei steht in riesigen Lettern über den Turbus-Schalter: "Von Arica nach Puerto Montt". Tzja. Also ging ich zum ersten Schalter und kaufte für umgerechnet 8.-DM ein Ticket bei einer Busgesellschaft, deren Namen ich noch nie gehört hatte. Für den Kauf mußte ich den Reisepaß vorzeigen, es wurden die Nationalität, die Paßnummer und der volle Name notiert (ich firmierte wieder einmal als "Marion Deutsch", weil die Chilenen ständig die Nationalität für den Nachnamen halten) und ich mußte mir einen Platz im Bus reservieren lassen. Es gab nur noch zwei freie Plätze. Jetzt fahre ich um 12 Uhr mit viel Glück nach Arica. Nur: diese Tasche mit dem Fahrrad ist so groß und schwer, daß ich sie kaum zur Hoteltür hinausbringe, nicht an die Treppen zu denken, und wie soll ich das Monstrum zum Busterminal schaffen, wenn ich es noch nicht mal auf die Straße bringe. Und dann brauche ich in Arica auch ein Taxi, um Hotel um Hotel abzuklappern, um Michael zu finden. Natürlich haben wir die Reihenfolge der Hotels schon vorher festgelegt. Und das lange Warten, und der schlimme Dialekt, ich verstehe die Leute nicht. Ich mag nicht allein unterwegs sein.

Weil die Post nach meiner Rückkehr immer noch nicht offen hatte, setzte ich mich auf eine Mauer im Hafen, schaute den riesigen Pelikanen beim Schweben und Landen zu, den großen Schiffen beim Wenden und betrachtete erstaunt das rostige Wrack, das im Hafenbecken lag. Natürlich mußte sich nach einer Viertelstunde ein ekeliger, betrunkener Typ mit Schnurrbart neben mich setzen und mich erst so ganz nebenbei nach der Uhrzeit fragen, um einen Vorwand zu haben, weiter auf mich einzureden. Und erneut bemerkte auch er, daß ich keine Chilenin bin, wie lange ich hier in Iquique bin, wo ich hier wohne, ob ich öfters hierherkomme. Ich versuchte mich, so taktvoll wie möglich unter einem Vorwand zurückzuziehen und spazierte weiter.

Wenig später sprach mich eine ältere Frau an, das ich doch bestimmt keine Chilenin sei, ob ich Amerikanerin oder Französin wäre. "No, alemana" sagte ich, dann entgegnete mir die Dame energisch "Und warum sprichst Du dann nicht deutsch mit mir!?" und das in perfektem deutsch.

Ich war verblüfft, aber auch erfreut, das mich jetzt eventuell eine angenehme Unterhaltung auf deutsch erwarte. Es stellte sich aber heraus, das dies der einzige deutsche Satz war, den sie kannte. Da sie, Maria mit Namen, ihre Schulausbildung an englischen Schulen gemacht hatte und schon vorher einen englischen Kindergarten besucht hatte, sprach sie perfekt englisch, obwohl sie das Gegenteil behauptete. Wir unterhielten uns lange und ich erfuhr alles über ihre Familie, ihre beiden Töchter und dem faulen Sohn, das sie ursprünglich aus Barcelona stammen, was sie und ihre Kinder studiert haben usw. Als wir uns verabschiedeten gab sie mir ihre Visitenkarte mit der Bitte, das ich sie und ihre Familie unbedingt besuchen muß.

Ich ging zurück in das Hotel, köchelte mir auf dem Gaskocher etwas zum Abendessen und schmökerte ein wenig im South-American-Handbook, was uns auf unserem weg noch erwarten könnte. Später packte ich meinem Rucksack, räumte ein wenig das Chaos zur Seite und hoffte, das ich am nächsten Tag nicht verschlafen würde.

Wolkenmeer

Arica, Samstag den 26.08.1995

Irgendwann im Laufe des Morgens bin ich aufgewacht und fühlte mich wie erschlagen. Ich konnte nämlich nicht einschlafen und lag bis gegen 4.00 Uhr wach im Bett. Dann bin ich zwar irgendwie weggedöst, aber kurz vor 6.00 Uhr hat dieser bescheuerte Hahn wieder zum krähen angefangen. Müde räumte ich alles zusammen und verließ das Zimmer, Ich suchte nach den Hotelbesitzern, fand schließlich den Sohn und brachte ihn dazu, mir mit dem schweren Koffer zu helfen, in dem das Fahrrad verpackt war. Natürlich riß gleich der Schulterriemen ab und die Öse auch noch. Er versuchte zwar, das ganze wieder mit einer Zange wieder zu reparieren, jedoch vergeblich. Dann riß auch noch ein weiterer Tragegurt ab und ich war noch nicht mal aus dem Hotel raus!

Ich winkte ein Taxi heran, daß mich zum Terminal fuhr. Der Taxifahrer half mir natürlich nicht, das Ding ins Terminal reinzuschleppen. So hing ich verzweifelt an der Tasche, bei der schon der Tragegurt und der Schulterriemen fehlte und ich nicht mehr wußte, wie ich sie greifen sollte, ich zog und zerrte daran, bis sich ein weiterer Taxifahrer erbarmte und mir die Tasche in das Terminal trug. Seine Kollegen jubelten ihn zum, daß er so stark sei wie "ERCULE", also Herkules auf chilenisch, und wollten unbedingt eine Bestätigung von mir.

Ich schob mein Gepäck zu "Puerta 1", wo der Bus nach Arica abfahren sollte und ein alter Mann murmelte etwas unverständliches von "Pesos". Ich schüttelte den Kopf, weil ich Schnorrern grundsätzlich nichts gebe, Der Bus kam auch schon und der freundliche Schaffner lud mein Gepäck ein, als dieser Greis schon wieder neben mir stand, mir ein gelbes Zettelchen vor die Nase hielt und 20 Pesos von mir wollte. Ich dachte, er verkauft Lose und meinte, daß ich nichts davon brauche. Dann versuchte er es ein drittes mal, und der Schaffner meinte plötzlich auch, das ich 20 Pesos bezahlen müßte und zwar dafür, das ich durch die "Puerta 1" gegangen wäre. Ich wollte natürlich wissen, warum ich denn Geld dafür bezahlen muß, um durch eine Tür zu gehen, da sagte der Greis, das es doch so wenig Geld sei, also gab ich ihm die paar Pfennig. Anscheinend war das etwas ähnliches wie eine Flughafensteuer, aber für so eine heruntergekommene Busstation? Manche von den Reisenden lachten den alten Mann nur aus. Hatte man mich reingelegt? Ich las das gelbe Zettelchen, da stand:"No. 696493. Derecho de Andén. $20. Terminal Rodoviario de Iquique." und es erschien mir sehr offiziell.

Ich suchte meinen Platz auf und die Fahrt ging los. Vor mir saß eine dicke, junge Frau mit ihrem kleinen Sohn, der nicht zum Schreien aufhören wollte. Nach ein paar Kilometern, als der Bus die Küstenkordilliere auf einer nicht enden wollenden steilen Straße erklommen hatte, sammelte der Schaffner sämtliche Ausweise ein. Es machte mich etwas nervös, meinen Ausweis aus der Hand geben zu müssen und wartete sehnsüchtig darauf, ihn endlich wieder in meinen Geldgürtel zurückzustecken.

Die Aussicht war beeindruckend, der Blick auf Iquique. Die Küstenkordilliere war hier entsetzlich steil, die Quebradas erscheinen unüberwindlich. Erst ging es an die 1000 Meter runter bis auf Meereshöhe, um dann gleich wieder 1000 Meter steil nach oben zu gehen. Unten in der Quebrada war es richtig grün, Pflanzen wucherten und ein kleines Rinnsal floß in der Mitte.

Nach der Quebrada Camarones bekam ich endlich meinen Ausweis zurück. Vorher hatte der Schaffner versucht herauszubekommen, ob ich alleine reise, aber ich ließ keinen Zweifel daran, das ich nur ausnahmsweise allein unterwegs sei und ich in Arica am Terminal abgeholt würde. Man weiß ja nie. Es wurden die schwarzen Vorhänge an den Fenstern zugezogen und dann flimmerten zwei Horrorfilme auf dem wichtigen bordeigenen Fernseher. Toll. Ich zog meinen Vorhang wieder auf, um hinausschauen zu können. Die Fahrt zog sich in die Länge und Arica kündigte sich durch einen grünen Teppich von Pflanzen und Büschen an und bald schon waren wir da.

Am Busterminal heuerte ich einen Taxifahrer an, der dann auch meine riesige Tasche trug. An einem der Schalter entdeckte ich zwei "Radfahrer" in voller Montur, verstaubt, braungebrannt und ziemlich abgerissen, die anscheinend ein Ticket für die Weiterreise nach Peru lösten. Leider konnte ich sie nicht fragen, denn der Taxifahrer rannte wie von einem Insekt gestochen mit meiner Tasche durch die Menschenmenge auf den Taxistand zu und ich hatte Mühe, ihm zu folgen. Ich ließ mich von ihm zum ersten Hotel auf meiner Liste fahren, stieg dort aus, klingelte. Als mir geöffnet wurde, schlug mir in reinstem Englisch entgegen, daß ich wohl einen Mann mit Fahrrad suche und ich fragte verdutzt "How do you know?". Michael saß lässig auf einer Couch am Empfang und kippte gerade ein Bierchen mit dem Hotelbesitzer. Angeblich wartete er schon stundenlang auf mich. Er holte die Tasche rein und wir bezogen ein nettes Zimmer. Nach einer lauwarmen bis kalten Dusche gingen wir in die Stadt und entdeckten den wohl besten Hamburgerladen in ganz Chile, der mit Weißkraut, Palta, Tomate und einem saftigen Hamburger belegt warn, darüber reichlich Knoblauchsoße. Wir gingen sofort ins Hotel zurück und legten uns schlafen, da wir beide sehr müde waren. Zuvor mußte ich unter Micha's Protest die Betten beziehen, er lag mit seinen Jeans und Pulli schon im Bett schlief angeblich.

Arica, Sonntag den 27.08.1995

Zum Frühstück aßen wir beim Burger Top einen sehr guten Hamburger. Danach liefen wir noch ein wenig durch die Stadt, am Morro Arica vorbei, dem letzten Berg der Küstenkordilliere, die hier im Meer versinkt, nachdem sie mich 5.000 km gequält hat. Heute war wohl ein Umzug in der Stadt gewesen, schon am Morgen war so eine Art Schützenclub-Musik zu hören. Im Park war ein Volksfest zugange, sogar eine kleine Kindereisenbahn war aufgebaut. Wir gingen dann zum Bahnhof, weil wir mit dem Zug (dem Echten, nicht mit der Kinderbahn) nach La Paz fahren wollte. Der Bahnhof hatte natürlich geschlossen.

Wir gingen statt dessen in der Fußgängerzone ein paar Bier trinken. Aus der Zeitung erfuhren wir den Anlaß der Festlichkeiten, es wurde der 80. Geburtstag Pinochets gefeiert. Seitenweise ließ sich die Zeitungen über dessen Verdienste aus, es wurde die Namen aller genannt, die in irgendeiner Form an den Feierlichkeiten beteiligt waren und welche Bücher über die Großmütigkeit und Humanität des großen "Tito" neu erschienen wären.

Als wir so in der Sonne saßen und uns wunderten kam ein Turi vorbeigeschlendert, der uns irgendwie bekannt vorkam. Es handelte sich um einen der beiden Schweizer, die sich in San Pedro angesprochen fühlten, als ich fragte, wo denn der Dackel herkäme ("Aus dr Schwyyz")

Er setzte sich zu uns und erzählte uns von seiner Busfahrt von San Pedro nach Tocopilla, wo sie sich eigentlich ein wenig an den Strand legen wollten. Doch der war zu dreckig, stinkig, häßlich, voller Müll und außerdem hatte man einen entzückenden Blick auf das Kohlekraftwerk. Sie sind dann weiter nach Arica, wo Christian ernste Magenprobleme bekommen hat und sich ins Hospital begeben mußte. Nachdem man ihn einige Tage mit Magentabletten behandelte, stellt sich heraus, daß er sich wohl in Bolivien irgendwelche Viren oder Amöben zugezogen hatte. Jetzt durfte er keinen Alkohol trinken und mußte zuschauen, als wir beim Ober eine weitere Bestellung aufgaben. Da er auch nicht reisetauglich ist, ist sein Kumpel inzwischen weitergefahren und will sich in zwei Wochen wieder irgendwo in Peru mit ihm treffen.

Wir haben uns abends nochmal mit ihm getroffen und er durfte uns erneut beim Biertrinken zuschauen, während er an seinem Mineralwasser schlürfte.

Arica, 27.08.1995

Wir wurden von drei Hähnen geweckt, die um die Wette krähten, einer schiefer als der andere. Wir gingen zum Bahnhof, doch der hatte entgegen den offiziellen Öffnungszeiten schon wieder zu. Wir verbrachten den Tag mit Biertrinken, während Christian, den wir wieder zufällig trafen, Cola schlürfte. Am Nachmittag war der Bahnhof dann endlich geöffnet, doch die Fahrkarten für die nächste Fahrt waren bereits ausverkauft. Angeblich habe aber jemand angekündigt, seine beiden Fahrkarten zurückgeben zu wollen und Micha sorgte dafür, das wir ganz oben auf die Warteliste gesetzt wurden...

Morgen geht es endlich weiter nach Bolivien.

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Vorwort

Puerto Montt, Osorno, Villarica, Temuco (April '95)
Cañete, Concepción, Talca, Valparaiso (Mai '95)
Santiago de Chile, Portillo (Juni '95)
La Serena, Copiapo, Antofagasta (Juli '95)
----- Antofagasta, San Pedro, Iquique, Arica (August '95) -----
La Paz, Coroico, Cuzco (September '95)

Nachwort

Radtourbilder aus Feuerland, Patagonien, Südchile
Radtourbilder aus Bolivien, Brasilien, Venezuela

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