Projektbeschreibung zum Dissertationsthema "Scipione Borghese als Kardinalprotektor"

Büste Kardinal Borgheses von Bernini in der Galleria Borghese in Rom

Text vom 23. November 1996, am Beginn der Arbeit

Ausgangspunkt der Arbeit ist ein Dokument, das die Ämter und Protektorate von Scipione Borghese, dem Kardinalnepoten von Papst Paul V., auflistet und in kurzen Artikeln beschreibt. Genannt werden die Protektorate über 2 Orden, 11 sog. Luoghi Pii, d.h. verschiedene Kirchen und mit ihnen verbundene Einrichtungen (darunter die Capella Borghese in S. Maria Maggiore, die Santa Casa in Loreto und ein Heim für arme Weltpriester), 7 Nationen (darunter die deutsche mit ihren Einrichtungen in Rom, also Germanicum, Anima und Campo Santo), 6 Städte, 2 Kollegien, 9 Klöster, 9 Bruderschaften und 4 Handwerkergilden. Untersucht werden soll, wie Borghese sein Protektorenamt jeweils ausgeübt hat und wie sich in diesen Aktivitäten seine Verflochtenheit im System der römischen Kurie spiegelt.

Die Einrichtung des Kardinalprotektorats entwickelte sich im Spätmittelalter und war bis zum Ende des 17. Jahrhunderts juristisch nur ungenau definiert. Infolgedessen gestaltete sich bis dahin die Tätigkeit der Protektoren sehr unterschiedlich, in Abhängigkeit von der kirchenpolitischen Lage, dem Charakter der einzelnen Institutionen und der Persönlichkeit der jeweiligen Beteiligten. Die rechtliche Unbestimmtheit ließ relativ großen Spielraum für die Einwirkung informeller persönlicher Beziehungen. Von Kardinal Borgheses Tätigkeit als Protektor der Dominikaner ist bereits bekannt, daß er ausgesprochen intensiv auf den Orden einwirkte und auch auf dessen innere Angelegenheiten weitgehenden Einfluß nahm.

Da Borghese seine Protektorate über Einrichtungen ganz unterschiedlichen Charakters ausgeübt hat, steht zu erwarten, daß auch seine Aktivitäten jeweils von ganz unterschiedlicher Art und Intensität gewesen sind. Ebenso läßt sich voraussagen, daß auch die Forschungen zu den einzelnen Protektoraten unterschiedlich verlaufen und quantitativ und qualitativ sehr verschiedene Ergebnisse zeitigen werden. Ein Indiz dafür ist schon die Lage in der Sekundärliteratur. Zur Geschichte der Kardinalprotektorate über Orden und Nationen existieren immerhin einige Arbeiten, die sich zumeist mit einzelnen Ländern oder Ordensgemeinschaften befassen, während größere zusammenfassende Werke fehlen. Die Protektorate von Städten, römischen Bruderschaften und Klöstern scheinen bis jetzt dagegen so gut wie gar nicht untersucht worden zu sein, wenn nicht möglicherweise entsprechende Arbeiten im eng begrenzten Bereich lokaler Geschichtsforschung entstanden sind und somit in den in Deutschland zugänglichen Bibliographien kaum genannt werden. Dies könnte nur durch Forschung vor Ort, also vor allem in Rom, ermittelt werden. Ebenso dürfte auch ein beträchtlicher Teil der allgemeineren Sekundärliteratur nur in Italien zugänglich sein.

Ähnlich stellt sich die Lage bei den Quellen dar. Bisher stehen hier Zusammenfassungen aller Briefe Kardinal Borgheses an Mitglieder von Ordensgemeinschaften zur Verfügung, darunter der Dominikaner und Olivetaner, über die er das Protektorat innehatte. Diese Briefe stammen aus dem vatikanischen Archiv, und es wäre zuächst zu ermitteln, ob es dort auch Briefe und Dokumente zu seinen übrigen Protektoraten gibt. Danach müßte geprüft werden, ob es in Archiven der jeweiligen Institutionen ebenfalls Dokumente über Borgheses Protektorentätigkeit gibt. Diese Arbeit verspricht sehr aufwendig zu werden, weil sie zum einen äußerst dezentral abgewickelt werden müßte. Denn die "Luoghi Pii", Kollegien, Klöster und die Kirchen der Bruderschaften und Gilden liegen über ganz Rom verstreut, während sich unter Borgheses Protektoraten über Nationen so entlegene Länder wie Abessinien, Persien und Armenien befinden (diese sind allerdings zumeist mit einem Kolleg in Rom vertreten was aber nicht der Fall ist bei den Städten, unter denen als entfernteste Avignon und Ragusa zu nennen sind). Zum anderen müßte erst festgestellt werden, ob sich von diesen Institutionen überhaupt Archive erhalten haben, wo sie zu finden sind, ob sie zugänglich sind und ob vorhandene Dokumente über Borghese rationell zu finden und zu bearbeiten sind. Außerdem hat sich ergeben, daß die (undatierte) Liste der Protektorate aus dem Februar oder März 1625 stammen muß, also erst nach dem Tod von Borgheses päpstlichem Onkel entstanden ist, und daß er offenbar vorher noch weitere Protektorate innehatte. Aus diesen Gründen könnte sich im Lauf der Zeit die Notwendigkeit ergeben, die Liste der in der Arbeit zu behandelnden Protektorate sinnvoll einzugrenzen.

Papst Paul V. (1605-1621) 
mit dem Wappen der Familie Borghese

Aufzuspüren wären ebenfalls Dokumente der päpstlichen Kurie über Borgheses Protektorentätigkeit. Hier dürften vor allem die päpstlichen Ernennungsbreven von Wichtigkeit sein, besonders wenn sie die Kompetenzen eines Protektorats genauer umschreiben. Denn diese waren meistens nicht von vornherein juristisch festgelegt und häufig umstritten. Bekannt ist bereits, daß es zu Beginn des Pontifikats von Paul V. eine Diskussion über den Sinn von Ordensprotektoraten gab, in deren Verlauf sogar erwogen wurde, diese Institution ganz abzuschaffen. Insofern wäre es lohnend, Quellen aus der Zeit vor und nach Paul V. darauf zu untersuchen, ob sich die Tätigkeit und Bedeutung von Kardinalprotektoren während dessen Pontifikat verändert hat. Ansonsten wären auch kuriale Dokumente von Belang, aus denen hervorgeht, wie Borghese sein Vermittlungsamt gegenüber Papst und Kurie wahrgenommen hat, etwa durch die Proposition von Kandidaten für Bischofsstühle in den von ihm protegierten Nationen.

Mit diesem Material könnte dann in der Dissertation z.B. auf folgende Fragen eingegangen werden: Welche Faktoren tragen dazu bei, daß Borghese ein bestimmtes Protektorat bekommt (und ggf. auch wieder verliert)? Liegt hier die Initiative eher bei ihm oder bei den jeweiligen Institutionen? Auf welche Weise tritt er in Kontakt mit den Protegierten? Schriftlich, mündlich, durch Teilnahme an Versammlungen? In eigener Person oder durch Vertreter? Inwieweit handelt er im Interesse der jeweiligen Institutionen, einzelner Gruppen oder Personen aus ihnen, des Papstes und der Kurie, seiner selbst? Betreibt er Patronage von Personen? Mit welchen Einzelfragen befaßt er sich und von welcher Seite werden diese an ihn herangetragen? Mit welchen Personen kommt er in Kontakt und warum? Hat er mit diesen Personen auch anderweitig Kontakt und wie wirkt sich das auf seine Protektorentätigkeit aus? Zieht er aus seinen Protektoraten Vorteile, z.B. materielle, machtpolitische oder vielleicht sogar geistliche? Hat Borghese als Protektor Erfolg, warum oder warum nicht? Wächst sein Einfluß oder sinkt er, besonders nach dem Tod seines päpstlichen Onkels?