Gustav Hanns Strümpel

Biographische Skizze
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- am 20. März (1. April) 1855 wird Gustav Hanns Strümpel in Tomilino bei Moskau geboren.

Der Vater Johannes Theodor Strümpel (1815 - 1885) war nach der Revolution von 1848 aus dem Preußischen nach Russland ausgewandert und hatte dort einen Betrieb zur Herstellung von Kleinmetallwaren gegründet, dessen Produkte bald auch an die Armee des Zaren geliefert wurden. Der schnelle soziale Aufstieg begünstigte u. a. auch die eheliche Verbindung mit Tatjana Sergejewna Meyerholt (1820 - 1904), der Tochter eines hohen Beamten des Kriegministeriums.

- 1876  Beginn des Studiums an der Fakultät für Physik und Mechanik der Universität Moskau.

Daneben lebhaftes Interesse am musikalischen Leben der Stadt und gelegentliche Reisen zu musikalischen Ereignissen in St. Petersburg. Private musikalische Studien. Strümpel befreundet sich mit Pjotr Adamowitsch Schostakowskij (1853 - 1917), der von seinen Klavierstudien in Deutschland (bei Dreyschock, Kullak und Liszt) nach Moskau zurückkommt. Erste Kompositionsversuche.

- 1880  Erste Reise nach Deutschland

Strümpel kommt für die Dauer dieses Aufenthalts bei Verwandten des Vaters in Sachsen unter. Die Reise dient u. a. der Erweiterung seiner Kenntnisse des Ingenieurwesens, zeitigt aber auch mancherlei Erfahrungen im musikalischen Bereich. In Dresden macht er die nähere Bekanntschaft des fast gleichaltrigen Jean Louis Nicodé (1853 - 1919), der am dortigen Konservatorium als Professor für Klavier lehrt. Skizzen zu einigen Klavierwerken. Er lernt außerdem bei einer privaten Aufführung die Liebesliederwalzer, Op. 52, von Brahms kennen und fertigt in der Folgezeit eine Auswahl daraus in einer Transkription für Klavier zu zwei Händen an, der er einen eigenen "Ausklang" anfügt.

- 1881  Bekanntschaft mit dem norwwegischen Pianisten Edmund Neupert.

Edmund Neupert  (1842 - 1888) lehrt von 1881 bis 1883 am Moskauer Konservatorium. Neupert, Widmungsträger und Solist der Uraufführung des Klavierkonzerts a-moll seines Landsmannes Edvard Grieg (1843 - 1907), macht Strümpel mit einigen Klavierwerken des norwegischen Komponisten bekannt. Strümpel beginnt mit Skizzen zu einer Klavierfantasie , die er erst Jahre später ausarbeiten und Grieg widmen wird. Als "Nachklang" der Walzertranskriptionen nach Brahms beginnt Strümpel mit der Komposition der ersten seiner drei Walzersammlungen mit dem Titel "Ein Walzerstrauss".

- 1883  Zweite Reise nach Deutschland

Dieser Aufenthalt ist erneut im wesentlichen der Kenntniserweiterung im Bereich des Ingenieurswesens gewidmet. Strümpel wohnt dieses Mal bei Verwandten in der Nähe Berlins. Er besucht ein Eisenwalzwerk und mehrere andere Produktionsstätten, darunter die Eisenbahnfabrik von August Borsig in Berlin.

- 1884  Abschluß des Studiums und Diplom

Strümpel graduiert mit Auszeichnung. Er widmet sich für ca. ein Jahr intensiveren privaten Klavier- und Kompositionsstudien.

- 1885  Tod des Vaters. Übernahme der Fabrikleitung bis 1886

Strümpel übernimmt zeitweise die Leitung der väterlichen Fabrik, kann aber nach einem Jahr diese ungeliebte Aufgabe an einen Vetter mütterlicherseits abtreten. Ende des Jahres Eintritt in den Staatsdienst.

- 1889  Reise nach Paris zur Weltausstellung

Strümpel hat hier den offiziellen Auftrag, die technischen Errungenschaften zu studieren. Er ist von dem soeben fertiggestellten Eiffelturm und Edison's Vorführung des Phonographen überaus beeindruckt.
Anläßlich eines Maskenballes beim russischen Attaché gewinnt er die Eindrücke zu seinem Walzer
"Au bal masqué". In einem Brief an seine Mutter beschreibt er seine Erlebnisse im Detail.
Nach Russland zurückgekehrt, macht er die Bekanntschaft des von ihm schon lange bewunderten Pjotr Iljitsch Tschaikowsky . Ein lockerer freundschaftlicher Kontakt besteht bis zum plötzlichen Tode des Komponisten im Jahre 1893. (Dieses Ereignis stürzt Strümpel in tiefe Trauer und bewegt ihn zur Komposition seiner "Variationen über ein Thema von Tschaikowsky" , denen das Motto aus der fünften Sinfonie als Grundlage dient.)

- 1891  Wechsel in den kaiserlichen Eisenbahndienst.

Strümpels hervorragende Kenntnisse und seine erfolgreiche Arbeit bringen ihn binnen kurzem in eine leitende Position bei der Transsibirischen Eisenbahn. Im Hochgefühl angesichts der neuen Aufgabe komponiert er die "Marche du Transsibérien" für Blasorchester, ein Gelegenheitsstück, das er wenig später für Klavier transkribiert.
Trotz der anstrengenden Arbeit als Eisenbahningenieur, überdies auch weitab der musikalischen Zentren des Landes, widmet er sich weiterhin ernsthaften Kompositionsversuchen, die Anfang des Jahres 1894 zum Abschluß eines größeren Werks, der Sonate-Fantaisie in es-moll führen. (Diese wird 1895 in Moskau von seinem Freund Pjotr Adamowitsch Schostakowskij urauffgeführt. Das Konzert ist ein Mißerfolg, in einer beißenden Kritik berichtet der unter dem Pseudonym "Unbekannt" schreibende Kritiker der Zeitung "Entr'acte" von diesem Ereignis - siehe Kritik ) Der Tod Anton Rubinsteins am 20. November 1894 in Peterhof veranlasst Strümpel zur Komposition eines Trauermarsches für Klavier. Einige Zeit später entschließt er sich, dieses Werk als dritten Satz einer neuen Klaviersonate zu verwenden, der von 1895 bis Anfang 1897 enstandenen "Sonata eroica" in e-moll op. 7, die er dem Andenken Anton Rubinsteins widmet.

- 1899  Besuch der Konzerte, die Ignaz Jan Paderewski (1860 - 1941) in Moskau gibt.

Strümpel ist von Paderewskis Spiel begeistert, besonders auch vom Vortrag der "Polnischen Fantasie", die der Pianist mit dem Moskauer Orchester unter Wassilij Iljitsch Safonoff (1852 - 1918) gibt. Strümpel fasst den Plan, für Paderewski eine Polonaise für Klavier zu schreiben und diesem zu widmen. Er beendet das Werk, sein Opus 12, innerhalb kurzer Zeit und veranlasst einen Privatdruck. Über eine Reaktion Paderewskis ist nichts bekannt.
Strümpel beginnt ebenfalls mit der Kompostion seiner 24 Préludes in allen Tonarten, einer eher lockeren Folge von kleineren Stücken, die er später bearbeiten und ordnen wird. Zum Jahrtausendwechsel schreibt er das Prélude in B-Dur "Giubiloso, con impeto", das zur Nummer vierzehn der Sammlung wird.

- 1904  Tod der Mutter

Strümpel erhält die Nachricht Ende August im fernen Sibirien und macht sich auf den Weg nach Moskau. Unterwegs macht er die Bekanntschaft eines Anhängers der Menschewiki, dessen Mitteilungen über die Lebensbedingungen des einfachen Volkes auf dem Lande und der Industriearbeiter ihn in seinem Glauben an das gerechte Regiment des Zaren Nikolaus und seines Premierministers Graf Witte wankend machen.
Die Gewährung großzügigen Sonderurlaubs ermöglicht Strümpel für einige Zeit in Moskau zu bleiben, wo er sich der Erledigung diverser Angelegenheiten widmet. Er verkauft u. a. die väterliche Fabrik und das Haus in Tomilino an seinen Cousin. Er selbst behält die Stadtwohnung in Moskau.

- 1905  Aufstand in St. Petersburg

Strümpel, der sich zufällig am geschichtsträchtigen 22. Januar in St. Petersburg aufhält, ist erschrocken über die Brutalität, mit der die Polizei gegen Demonstranten vorgeht, die dem Zaren eine Petition überreichen wollen. Er schließt sich einem Protestschreiben an den Zaren an. Die Folgen dieses Schrittes zeigen sich eine Weile später: der Status des generösen Sonderurlaubs, in welchem er sich noch befindet, wird in eine vorläufige Enthebung von seinem Posten bei der Transsibirisischen Eisenbahn umgewandelt. Er verbringt einige Zeit in Moskau, wo er mit der Arbeit und mit Umarbeitungen an seinen Kompositionsversuchen die Zeit verordneter beruflicher Untätigkeit ausfüllt; neben anderem schließt er die beiden Sammlungen von Mazurken ab. Eines dieser Stücke nutzt das als "Promenade" bezeichnete verbindende Thema aus Mussorgskis Bildern einer Ausstellung in leicht abgewandelter Form.

- 1907  Weitere Reise nach Paris

- 1908  Wiedereinstellung in den Dienst der kaiserlichen Eisenbahnen

Strümpel wird auf den leitenden Posten eines Inspekteurs der Eisenbahnen des Minsker Distrikts berufen. Diese administrative Tätigkeit gibt ihm in höherem Maße Muße zur Revision seiner früheren Kompositionen und zur Ausarbeitung neuer Werke. Er schreibt seine dritte Klaviersonate mit dem Untertitel "Sonata semplice" und eine erste Skizze zu einem Scherzo, der scène fantasque "Les ombres de minuit" und die ersten Stücke seiner zweiten Sammlung von neun Walzern, betitelt "Neuer Walzerstrauss", die er seinem Freunde Hermans Banauskas widmet.

- 1914 - 1918  Der erste Weltkrieg

Die Kriegsjahre bringen mancherlei Schwierigkeiten für Strümpel mit sich. Der Ausbruch des ersten Weltkriegs scheint sich im Prélude in cis-moll (Op. 16 No. 23) widerzuspiegeln, in welchem das mittelalterliche Thema des dies irae in Form eines düsteren Marsches verarbeitet wird.

- 1919  Flucht von Minsk über Polen nach Deutschland. Aufenthalt in Dresden bis 1921

In einem nicht ungefährlichen Unternehmen gelingt Strümpel vom Minsker Bahnhof aus die wohlvorbereitete Flucht aus dem revolutionsgeschüttelten Russland. Nach einigen Tagen erreicht er seinen Zielort Dresden, wo er sich zunächst niederläßt. Letzte Treffen mit dem schwerkranken Jean Louis Nicodé, der am 18. Oktober in Langbrück bei Dresden stirbt. Neuerliche Revisionen seiner Kompositionen und Beginn der Arbeit an der dritten Walzersammlung ("Ein letzter Walzerstrauss"). Die Bemühungen, einige seiner Werke bei deutschen Musikverlegern unterzubringen, führen zu keinem Ergebnis. Der Neffe Strümpels, Dr. Georg Kayser, beginnt mit der Arbeit an der Biographie seines Onkels, kann diese aber nicht fertigstellen, da er im Jahre 1920 freiwillig aus dem Leben scheidet. Die Weiterführung und Fertigstellung übernimmt Isidor Meyer. Das schmale Bändchen wird 1924 in Leipzig als Privatdruck herausgegeben.

- 1922  Übersiedlung nach Paris

Strümpel verlässt Deutschland und verlegt seinen Wohnsitz nach Paris, der Stadt, die er von mehreren Besuchen her kennt und liebt. Er pflegt Umgang mit einigen der zahlreichen dort ebenfalls ansässigen russischen Emigranten, besucht Konzerte und die Oper. Sein nicht unbeträchtliches Vermögen erlaubt ihm ein Leben in gesicherten Umständen. Er widmet sich weiterhin der Revision einiger seiner Kompositionen und schreibt überdies eine ganze Reihe von zum Teil sehr kurzen Sonatinen, in denen sich deutlich ein neoklassizistischer Ansatz bemerkbar macht.

- 1927  Tod in Paris ( 6. November )