Aufruf an die Überlebenden


Mein letztes Wort,

meine letzten Zeilen

richt ich an die Überlebenden.


Mein Kampf war lang

und sinnlos von Anbeginn.


Gedenket meiner wie Brecht es sagt:

"mit Nachsicht"

und sucht bei Euch keine Schuld.

Es gibt keinen Menschen, der Schuld trägt an mir.


Mein Schicksal,

das ich trotz allem auch jetzt noch liebe,

hat mich Stück um Stück trauriger werden lassen.

Wie eine Krankheit, die einem befällt und dann

im Körper heranwächst wie ein böses Tier.


Immer weniger ward mir Freude

immer mehr ward mir Enttäuschung

und Kampf gegen Windmühlen.

Ich bin Besiegter,

doch tragen die Flügel keine Schuld,

die der Wind immer wieder antreibt

bergan und bergab.

Auch die Vögel tragen keine Schuld;

und schon gar nicht die Würmer,

die nun schon bald meinen wertlosen Körper speisen werden.


Stachel war ich und Flamme wollte ich sein.

Doch verbrannt habe ich mich selbst

und mich mit Benzin übergossen stets

und immer wieder aufs Neue.


Gedenkt meiner mit Nachsicht,

wenn ich nicht Freund sein konnte

und selbst schlecht nur Feind.

Und nennt mich keinen wundervollen Menschen,

denn ich war einfach und gemein.


Sucht nicht nach mir

und solltet ihr mich finden,

so erbarmt Euch meiner und diesem wertlosen Körper,

denn dort wollte ich bleiben,

darum lasst mich...


Der Schrei nach Liebe

erschien mir stets vergeblich;

und ich weiss ja selbst, wieviele Stimmen und Schreie sind

da in dieser Welt -


Habt Nachsicht!


Habt Nachsicht, wenn ich Euch nicht lieben konnte und immer nur auf der Suche war

nach dem Meer

und dem Frieden

und dem ganzen Ozean der Sterne über mir.


Wenn ich mich nun doch erlöst habe,

von all dem bittren Kummer

und all dem Leid,

dann seid fröhlich und trauert nicht um mich:

("je veux qu'on rire, je veux qu'on danse...)

und gedenkt meiner mit Nachsicht:


Die Hoffnung stirbt zuletzt

und selbst diese habe ich noch lange überlebt:


Ich war ein Schaurig-Wandelnder

ohne Heimat und ohne Wurzeln.


Ich war auch Schauender.

Und: ich hatte mehr Anteil noch

an Euch,

als es Euch je gewahr wurde.


Aber ich war kein Mensch,

der Anteil haben durfte.

Zuletzt war ich doch Eingesperrter

und war verfolgt durch mich.


Also gedenkt meiner mit Nachsicht

und betrachtet den Abgrund über mir,

als den Ort,

an dem ich immer getanzt habe:

mal fröhlich wie ein kleines Kind,

und so manchesmal auch tief traurig wie ein Stein im Asphalt.


Ja, ich war ein Trauernder,

ich war ein Suchender -

ohne zu wissen, wonach ich hätte suchen sollen! -

Darum gedenkt meiner mit Nachsicht

und sucht auch Ihr mich nicht mehr...


Ich möchte nicht begraben sein unter all Euren Erden,

sondern frei hängen unter dem weiten Himmel,

der so schön ist.

Und die Wolken, die mich von Zeit zu Zeit

benetzen werden mit ihren Tropfen,

werden mir Sterne sein und Boten des Erinnerns.


Nacht wird sein und Dunkel

und bleiben wird nur ein böses Nichts.

Auch darum gedenkt meiner mit Nachsicht.


Und sprecht nicht über mich,

sondern schweigt mit mir zusammen im Wind.


Ihr alle, die ich gekannt habe,

ihr alle ward gut zu mir

und ich habe euch alle nicht näher kommen lassen.


Denn ich war ein Einzelner.

Mein Kampf war ohne Gefährten,

ohne das schützende Rudel

und ohne ein Morgenrot am Horizont.


So lasst mich hängen und

gedenkt meiner mit Nachsicht

und ohne Scheu,

wenn wir uns eines Tages wieder begegnen.