"Also passen Sie auf: In der Welt gibt es die Idioten, die Dämlichen, die Dummen und die Irren."
"Sonst nichts ?"
"Doch, uns zwei zum Beispiel, oder jedenfalls - ohne wen zu beleidigen - mich. Aber letzten Endes, genau besehen, gehört jeder Mensch zu einer von diesen Kategorien. Jeder von uns ist hin und wieder idiotisch, dämlich, dumm oder irre. Sagen wir, normal ist, wer diese Komponenten einigermaßen vernünftig mischt. Es sind Grundtypen."
"Idealtypen, wie die Deutschen sagen." [...]
"Wer ist dann ein Genie, so wie Einstein zum Beispiel ?"
"Genie ist, wer eine Komponente in schwindelerregende Höhen treibt, indem er sie mit den anderen nährt."[...]
"Aber was ist mit den Irren ?"
"Ich hoffe, Sie nehmen meine Theorie nicht für reines Gold. Ich kann nicht die ganze Welt erklären. Ich sage nur, was ein Irrer für einen Verlag ist. Die Theorie ist ad hoc entwickelt, okay ?"
"Also. Der Idiot redet gar nicht, er sabbert bloß, er ist spastisch. Er pflanzt sich den Pudding an die Stirn, weil er seine Bewegungen nicht koordinieren kann. Er geht auf der falschen Seite durch die Drehtür."
"Wie macht er das ?"
"Er schafft das. Drum ist er ja ein Idiot. Er interessiert uns hier nicht, man erkennt ihn sofort, und er kommt auch nicht in den Verlag. Lassen wir ihn, wo er ist."
"Gut, lassen wir ihn."
"Dämlich zu sein ist komplexer. Es ist ein soziales Verhalten. Dämlich ist, wer immer neben dem Glas redet."
"Wie meinen Sie das ?"
"So." Er stieß den gestreckten Zeigefinger neben sein Whiskyglas auf den Tresen. "Er will von dem reden, was im Glas ist, aber war er auch tut, er redet daneben. Wenn Sie so wollen, um's in allgemeinverständlichen Worten zu sagen: Er benimmt sich immer daneben, er ist der Typ, der sich nach dem Befinden der lieben Frau Gemahlin erkundigt, wenn einem die Frau gerade weggelaufen ist. Genügt das zur Veranschaulichung der Idee ?"
"Es genügt, ich kenn den Typ."
"Der Dämliche ist sehr gefragt, besonders bei mondänen Veranstaltungen und auf Parties. Er bringt alle in Verlegenheit, aber dann bietet er Anlässe zu Kommentaren. In seiner positiven Veriante wird er Diplomat. Er redet neben dem Glas, wenn die anderen sich danebenbenommen haben, er bringt die Gespräche auf andere Themen. Aber er interessiert uns hier nicht, er ist nie kreativ, er schafft nichts selber, und daher kommt er auch nicht in die Verlage, um Manuskripte anzubieten. Der Dämliche sagt nicht, daß die Katze bellt, er spricht von Katzen, wenn die anderen von Hunden reden. Er vertut sich mit den Konversationsregeln, er ist eine aussterbende Gattung, ein Träger eminent bürgerlicher Tugenden. Er braucht einen Salon Verdurin, oder geradezu eine Maison Guermantes.[...]"
"Und der Dumme ?"
"Ah. Der Dumme vertut sich nicht im Benehmen. Er vertut sich im Denken. Er ist der Typ, der sagt alle Hunde sind Haustiere, und alle Hunde bellen, aber auch die Katzen sind Haustiere, und folglich bellen sie. Oder: Alle Athener sind sterblich, und alle Einwohner von Piräus sind sterblich, also sind alle Einwohner von Piräus Athener."
"Stimmt ja auch."
"Ja, aber nur aus Zufall. Der Dumme kann auch was Richtiges sagen, aber aus falschen Gründen."
"Man kann auch was Falsches sagen, wenn nur die Gründe richtig sind."
"Bei Gott ! Wozu sonst die ganze Mühe, ein animal rationale zu sein ?"
"Alle großen Menschenaffen stammen von niederen Formen des Lebens ab, die Menschen stammen von niederen Formen des Lebens ab, also sind alle Menschen große Affen."[...]
"Der Dumme ist überaus heimtückisch. Den Dämlichen erkennt man sofort (ganz zu schweigen von den Idioten), aber der Dumme argumentiert fast genau wie man selber, es fehlt nur ein winziges Stückchen. Er ist ein Meister der Paralogismen. Vor ihm kann sich kein Verlagslektor retten, er bräuchte dafür eine Ewigkeit. Bücher von Dummen werden viele veröffentlicht, weil sie uns auf den ersten Blick überzeugen. Der Verlagslektor ist nicht gehalten, Dummheit zu erkennen. Die Akademie der Wissenschaften erkennt ihn nicht, warum sollten es die Verlagsleute tun ?"
"Auch die Philosophie erkennt ihn nicht. Der Gottesbeweis des Anselm von Canterbury ist dumm: Gott muß existieren, weil ich ihn als ein Wesen denken kann, das alle Vollkommenheit besitzt, einschließlich der Existenz. Anselm verwechselt die Existenz im Denken mit der Existenz in der Realität."
"Ja, aber dumm ist auch die Widerlegung von Gaunilo: Ich kann an eine Insel im Meer denken, auch wenn es diese Insel nicht gibt. Er verwechselt das Denken des Zufälligen mit dem Denken des Notwendigen."
"Ein Kampf zwischen Dummen."
"Sicher, und Gott amüsiert sich dabei närrisch. Er wollte bloß undenkbar sein, um zu demonstrieren, daß Anselm und Gaunilo dumm waren. Welch ein erhabenes Ziel für die Schöpfung, was sage ich, für den Willensakt, kraft dessen Gott sein wollte. Alles finalisiert auf die Anprangerung der kosmischen Dummheit."
"Wir sind von Dummen umzingelt."
"Man entgeht ihnen nicht. Alle sind dumm, außer Ihnen und mir. Oder sogar, ohne wen beleidigen zu wollen, außer Ihnen."
"Mir scheint, hier kommt Gödels Beweis ins Spiel."
"Keine Ahnung, ich bin ein Idiot. Pilade !"
"Der Kreter Epimenides sagt, alle Kreter sind Lügner. Wenn er das sagt, er, der ein Kreter ist und die Kreter kennt, muß es wahr sein."
"Das ist dumm."
"Das ist Paulus. Brief an Titus. Jetzt diesen: Alle, die denken, daß Epimenides ein Lügner ist, können sich nur auf die Kreter verlassen, aber die Kreter verlassen sich nicht auf die Kreter, weshalb kein Kreter denkt, daß Epimenides ein Lügner ist."
"Das ist dumm, oder ?"
"Urteilen Sie selbst. Ich hab's Ihnen ja gesagt, es ist schwierig, den Dummen zu erkennen. Ein Dummer kann auch den Nobelpreis kriegen."
"Lassen Sie mich mal nachdenken.... Einige von denen, die nicht glauben, daß Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat, sind keine Fundamentalisten, aber einige Fundamentalisten glauben, daß Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat - also ist keiner, der nicht glaubt, daß Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat, ein Fundamentalist. Ist das jetzt dumm oder nicht ?"
"Mein Gott, schwer zu sagen... Ich weiß nicht. Was meinen Sie ?"
"Es ist in jedem Fall dumm, auch wenn es wahr wäre. Es verletzt die Regel des Syllogismus: Man kann keine allgemeinen Schlüsse aus zwei besonderen Fällen ableiten."
"Und wenn Sie nun der Dumme wären ?"
"Dann wäre ich in guter und säkularer Gesellschaft."
"Da haben Sie recht, die Dummheit umgiebt uns. Und vielleicht ist unsere Dummheit in einer anderen Logik als er unseren ihre Weisheit. Die ganze Geschichte der Logik besteht in der Definition eines akzeptablen Begriffs der Dummheit. Nichts zu machen, sie ist zu immens. Jeder große Denker ist eines anderen Dummer."
"Das Denken als die kohärente Form der Dummheit."
"Nein, die Dummheit eines Denkens ist die Inkohärenz eines anderen Denkens."
"Tiefer Gedanke. Schon zwei, gleich macht Pilade zu, und wir sind noch nicht bei den Irren."
"Bin schon da. Den Irren erkennt man sofort. Er ist ein Dummer, der sich nicht verstellen kann. Der Dumme versucht seine These zu beweisen, er hat eine schräge Logik, aber er hat eine. Der Irre dagegen kümmert sich nicht um Logik, er operiert mit Kurzschlüssen. Alles beweist für ihn alles. Der Irre hat eine fixe Idee und sieht sie durch alles, was er findet, bestätigt. Den Irren erkennt man an der Freiheit, die er sich gegenüber der Beweispflicht nimmt, an der Bereitschaft, über all Erleuchtungen zu finden. Und es mag Ihnen komisch vorkommen, aber der Irre zieht früher oder später immer die Templer aus dem Hut."
"Immer ?"
"Es gibt auch Irre ohne Templer, aber die mit Templern sind die gefährlichsten. Man erkennt sie nicht gleich, es scheint erst, als redeten sie ganz normal, dann aber, plötzlich..."[...]
"für den ersten Abend, seit ich nicht mehr trinke, fühl ich mich ganz schön bedudelt. Müssen die Entzugserscheinungen sein. Alles was ich Ihnen gesagt habe, bis zu diesem Moment inklusive, ist falsch. Gute Nacht, Casaubon."