Text der Revolutionären Kommunisten Deutschlands (RKD): Drei Thesen - ein Verrat (1946)

J. Ritter, Ein dreifacher Bankerott des Trotzkismus

(...) Es kann deshalb nicht Wunder nehmen, daß Trotzki die Nachkriegsentwicklung des Kapitalismus, an die er als Ex-Marxist herangegangen ist, nicht mehr verstanden hat. Er ist auf den stalinistisch-linksbürgerlichen Massenbetrug hereingefallen und hat im „Faschismus“ den Hauptfeind gesehen. Er hat seinen Gruppen empfohlen, wo nur möglich in die Volksfront“ einzutreten und hat sie gestoßen, im Kriegsfalle „Militärsabotage in faschistischen Ländern“, in „nichtfaschistischen“ Ländern hingegen lediglich „politische Opposition“ zu üben. Dabei dienten die ganzen „antifaschistischen“ Kampagnen der Vorbereitung des zweiten Weltkriegs. Besonders die Stalinisten waren – und sind – groß darin, den „Faschismus“ als Popanz auszunützen, um die Arbeiter vom Kampf gegen den Kapitalismus abzulenken. (...)

(Quelle: RKD-Bulletin, VI. Jahrgang, Nr. 1, Januar-Februar 1946, S. 3)

Drei Thesen – ein Verrat

1. Beteiligung am imperialistischen Kriege und Mordhetze gegen das deutsche Proletariat als Quintessenz der Thesen

Die deutschen Trotzkisten gegen die proletarische Verbrüderung!
Dort also ist diese Gruppe gelandet, die sich einst von den Stalinisten nicht zuletzt aufgrund deren nationalistischen Kurses trennte?

„Vaterlandsverteidigung mit umgekehrten Vorzeichen“ nannte noch 1939 Walter Held (in „Unser Wort“) jenen Teil der linken deutschen Emigration, der, wie die Richtungen der „Internationale Zweieinhalb“ zur Verteidigung der Demokratie und zum Krieg „gegen Hitler“ aufrief. Aber nun ist auch seine Gruppe diesen Weg gegangen, den alle zentralistischen Gruppierungen gehen und bis zu Ende gehen müssen. Die „IKD“ ist auf der anderen Seite der Barrikade gelandet.

Die „Thesen“, die uns erst jetzt bekannt werden, sind bereits im Jahre 1942 geschrieben worden. Sie sind mit dem für diese Gruppe typischen Mangel an Präzision geschrieben. Aber sie drücken ganz klar und eindeutig eins aus: die IKD ruft alle Sozialisten auf, den Kampf für den Sozialismus einzustellen und ihn durch den Kampf für die bürgerliche Demokratie zu ersetzen, und zwar in den Reihen der bürgerlichen „Demokratie“ selbst für diese zu kämpfen. Diese Eindeutigkeit ging den übrigen trotzkistischen Gruppen, selbst der amerikanischen, zu weit, sodaß sie sich gezwungen sahen, gegen diese „Entgleisung“ der IKD Stellung zu nehmen. Alle diese Gruppen ziehen es vor, in der Praxis nationalistische Politik zu treiben (siehe die „Nationaltrotzkisten“ Frankreichs), aber sie scheuen sich noch sich so eindeutig festzulegen, wie es die deutschen Trotzkisten getan haben.

In der ersten These ist die Rede von der Besetzung des europäischen Kontinents durch den deutschen Imperialismus. Genauer gesagt, von der „deutschen Domination“; der Terminus „Imperialismus“ kommt in den Thesen überhaupt nicht vor. Man spricht von den Leiden der Bevölkerung, der Unfreiheit, den Deportationen und schiebt dann den „Deutschen“ in die Schuhe, eine „neue Ausbeutungsform“ und einen „modernen Sklavenstaat“ errichtet zu haben, in ganz unnötiger Weise menschliches Leben und „menschliche Werte“ zu vernichten, kurzum, den „Ruin der Zivilisation“ herbeizuführen. Um welche Zivilisation es sich handelt, präzisieren die Thesen-Autoren nicht. Daß es allgemein „menschliche Werte“ nicht gibt, haben die großen Hegelkenner von der IKD vergessen. Daß ein „moderner Sklavenstaat“ in Rußland schon seit Jahr und Tag existiert, ist ihnen entgangen. Daß Zwangsarbeit keine neue Ausbeutungsform ist, sondern in allen Kolonien seit jeher gehandhabt wird, davon haben die IKD-Leute noch nicht gehört.

In den Jahren 1929-32 hat es in Deutschland ständig 4-6 Millionen Arbeitslose gegeben, die mit ihren Familien, das heißt mit ihren Frauen und Kindern buchstäblich dem langsamen Verhungern preisgegeben waren. Zu gleicher Zeit ließ die amerikanische Bourgeoisie die bekannten Eisenbahnzüge voll Weizen verbrennen. In Deutschland verhungerten tatsächlich in jener Zeit zehntausende von Menschen; die nicht ganz verhungerten, wurden in ihrer körperlichen Substanz geschwächt. Man nannte dies den „wirtschaftlichen Krieg“; er war unblutig, aber er hat nicht weniger Opfer gefordert, als ein Dutzend Großbombardements. Damals haben die deutschen Trotzkisten nicht den Ruin „der“ Zivilisation gesehen. Sie feiern heute die Weimarer demokratische Episode als eine Zeit, in der menschliche Werte noch etwas galten. Sie haben nichts begriffen.

Wenn Hitler Paris erobert, geht für sie schon die Zivilisation unter. In Wirklichkeit kommt die bürgerliche Zivilisation seit dem Anfang dieses Jahrhunderts aus Kriegen, Revolutionen und Konterrevolutionen nicht heraus und macht einen Umformungsprozeß durch, bei dem wohl unwiderruflich die liberale Form der bürgerlichen Zivilisation zugrundegeht, nicht aber diese selbst. Unwiderruflich, und wenn die IKD sich bemüht, die Bourgeois-“Demokraten“ gegen die Bourgeois-Faschisten auszuspielen, so ist das verlorene Liebesmüh. Hitler ist nur ein Aspekt dieses Transformationsprozesses. Er hat keineswegs eine „neue Form“ der Ausbeutung erfunden, denn alles was er auf diesem Gebiet getan hat, hat vor ihm existiert. Was er neu getan hat, ist lediglich die Einführung kolonialer Methoden in Europa, und zwar zuerst in Deutschland selbst. Jetzt, nachdem der deutsche Imperialismus geschlagen ist, stellt es sich nun aber heraus, daß die von der IKD so warm verteidigten westlichen „Demokratien“ ebenfalls in Europa Kolonialmethoden anwenden und daß sie das Hitlersystem durch ein „Super-Hitler“-System ersetzt haben. Es ist so gekommen, wie es bei Ausbleiben der proletarischen Revolution kommen mußte und wie es jeder, der wirklich Marxist geblieben ist, vorausgesehen hatte. Es ist anders gekommen, als die IKD angenommen hat, die den Marxismus über Bord geworfen und sich an die „menschlichen Werte“ und Wallstreet geklammert hat.

Die zweite These stellt die Vernichtung der Arbeiterbewegung in dem von Deutschland besetzten Europa fest und die Auflösung der „antifaschistischen Partei“. Es gibt überhaupt keine Arbeiterbewegung mehr, sagen die Thesen, sondern „nur“ illegale Gruppen. Und diese können „in keiner Weise handeln“, meint die IKD, wohl, weil sie selbst nie zu irgendeiner Handlung imstande war. „Ein anderes Mittel“ muß sich finden, um „den Protest gegen die Leiden“ auszudrücken, wobei nicht spezifiziert wird, warum es sich handelt: ob um die „Leiden“ ? von der Konkurrenz etwas beschnitten worden, oder um den Protest des Proletariats, daß unter der Unterdrückung durch die „eigene“ und die „fremde“ Bourgeoisie leidet. Aber es kommt den „Marxisten“ von der IKD gerade darauf an, alles „Leiden“ und jeden „Protest“ in einen „antifaschistischen“ Brei zu vermanschen. Die illegalen Gruppen müssen sich auflösen, die Arbeiterbewegung ist überhaupt ein untaugliches Mittel geworden, „ein anderes Mittel“ muß gefunden werden, und das kann nur ein bürgerliches sein, wenn von der Arbeiterschaft nichts mehr zu erhoffen ist. Wir werden gleich sehen, welches.

„Der einzig sichtbare und körperliche ? Feind“ ist „der deutsche Eroberer“. Ein wahres Meisterstück, dieser Satz, gegen den sich eine Polemik lohnt. Denn jeder Arbeiter in einem von Deutschland besetzten Land weiß, daß er auch nicht einen Tag lang um den Bissen Brot gegen den Ausbeuter von seiner eigenen Nationalität anhalten konnte und daß die Anwesenheit dieses Feindes und seiner eigenen Schutzarmee, der Polizei, sehr gut sichtbar war. Die deutsche Trotzkisten wissen das nicht. „alle Klassen“, sagen sie, beteiligen sich an der antideutschen Bewegung. Mit welchen Mitteln? Mit den Mitteln der „Sabotage“, Brandstiftungen, Zugentgleisungen, Unfällen, Morden, usw.“ „An der Seite der Werktätigen und der Bauern“ kämpfen „Studenten, Journalisten, Professoren, Offiziere, Priester und Kaufleute.“ Das „andere Mittel“? Mord an deutschen Soldaten unter Führung von Offizieren, das ist das neue Mittel. Diese chauvinistischen Studenten, diese in Pfund Sterling bezahlten Journalisten, diese stockreaktionären Offiziere, Pfaffen, Professoren und Schieber – wir alle, die wir unter der deutschen Besetzung gelebt haben, wir haben diese Leute am Werke gesehen. Sie hatten im Grunde genommen nur ein Ziel: das Zusammenstehen der Arbeiter aller Nationalitäten gegen ihren gemeinsamen Feind um jeden Preis zu verhindern. Darum ihre chauvinistische Propaganda im Wort und in Tat. Um die proletarische Verbrüderung zu verhindern, darum organisierten die Offiziere Mordüberfälle auf deutsche Soldaten. Kann es überhaupt möglich sein, daß dies als „neues Mittel“ von Leuten empfohlen wird, die vorgeben, „Revolutionäre“ zu sein? Kann die IKD wirklich so tief gefallen sein? Die Thesen bestätigen es ausdrücklich: „Alles reduziert sich auf den Wunsch, sich dieses Feindes ('des Deutschen', diese Einfügung und die Unterstreichungen sind von uns) zu entledigen, und, in der Tat, man muß anerkennen, ohnedem kann von einem Wechsel in den ?bedingungen keine Rede sein.“ - Armer Liebknecht!

Armer Liebknecht! Der Hauptfeind steht nicht mehr im eigenen Land und illegale Gruppen in der Art des Spartakusbundes sind „unwirksam“ geworden. Die Arbeiterbewegung existiert „überhaupt nicht mehr“, der „Hauptfeind“ ist jetzt der „deutsche Eroberer“, gegen den „alle Klassen“ geschlossen kämpfen. Und die das verkünden, nennen sich „Internationalisten-Kommunisten“, „in der Tat“, einen schlimmeren Verrat konnte man sich nicht vorstellen!

Die dritte These wiederholt, man weiß nicht warum, daß es keine Arbeiterbewegung mehr gibt. Die IKD ignoriert die großen und zum Teil siegreichen Streiks der Jahre 41 und 42 in Belgien und Nordfrankreich. Die „schwachen Gruppen“ sind „nicht imstande, ihre Aufgaben zu formulieren“. Hier spricht die IKD wieder – nur – aus eigener Erfahrung. „Es gibt keine dringendere Frage in Europa als die nationale Befreiung“, daran muß der „revolutionäre Sozialismus“ „teilnehmen“, dafür muß er „alle seine Kräfte mobilisieren“. Laßt den revolutionären Sozialismus fallen und sterbt für die Bourgeoisie, ruft uns die IKD aus den Kaffeehäusern New Yorks zu, in denen sie ihre „Thesen“ geschmiedet hat. Und sie gibt uns auch die Gründe dafür an. Erstens: Ohne die Verwirklichung der Demokratie keine Sieg des Sozialismus. Und das ist ja heute auch dem Dümmsten klar geworden, daß die „Nationale Befreiung“ überall die Demokratie verwirklicht hat. Zweitens: der Sozialismus muß es sich verdienen, den Nationalen Befreiungskampf anzuführen. Das heißt, er muß chauvinistischer sein und mehr „Deutsche“ töten, als die „Offiziere, Kaufleute usw.“ Drittens: nur der Sozialismus kann der nationalen Befreiungsbewegung einen Sinn geben, diese geht sonst unter, und der Sozialismus mit ihr. Also, der Sozialismus steht und fällt mit de Gaulle.

Um die revolutionäre Partei zu errichten, heißt es weiter, braucht man „ein günstigeres Klima“. Weimarer Klima. Daß man eine revolutionäre Partei auch unter Polizeiverfolgungen errichten kann, können sich diese deutschen Spießer nicht vorstellen.
„Es wäre gefährlich, zu behaupten, daß die nationale Befreiung nicht die sozialistischen Interessen begünstige“. Daß die Nationale Befreiung überall die reaktionären Interessen begünstigt hat, bilden wir uns nur ein. „Der Übergang vom Faschismus zum Sozialismus bleibt eine Utopie ohne ... eine demokratische Revolution“. Dann wird er es wohl ewig bleiben, denn eine demokratische, also bürgerliche, Revolution ist heute nicht mehr möglich. Daß die Arbeiter 1943 im faschistischen Mailand aufstanden und Arbeiterräte bildeten, war nach den IKD-Strategen „utopisch“. Sie hätten nicht für ihre Klasseninteressen kämpfen sollen, sondern für die „Nationale Befreiung“, gegen ihre Klassengenossen in der deutschen Soldatenuniform. Die Arbeiter hätten überhaupt nirgends tun sollen, was ihnen ihr Klasseninstinkt riet, was ihnen Lenin gelehrt, sondern hätten handeln sollen, wie es ihnen Trotzkisten, Reformisten, Stalinisten und Offiziere diktierten.

2. Kritik der trotzkistischen „Kritik“ am trotzkistischen Verrat

Wenn die Bourgeoisie auch in diesem Kriege wieder einen großen Teil der Arbeiterschaft für sich einspannen konnte, so tragen daran die Trotzkisten in demselben Maße Schuld, in dem sie überhaupt Einfluß in der Arbeiterschaft besitzen.

Die Gruppen, die sich heute als „Vierte Internationale“ ausgeben, verdienen diesen Namen in keiner Weise. Als Organisationen verdienen sie die Bezeichnung einer „Internationale“ nicht, weil es sich eben überall nur um einflußlose Gruppen handelt. In Bezug auf ihre politische Linie können sie keinen Anspruch auf die „4“ machen, da sie die Traditionen Marx-Lenins nicht fortsetzen, sondern verraten. Von diesen Gruppen kann man eine ernsthafte Kritik der Thesen ihrer „deutschen Sektion“ nicht erwarten.

Die IKD hat schon vor dem Kriege revisionistische Tendenzen vertreten. Sie ist in den trotzkistischen Reihen immer nur gar keiner oder nur sehr schwächlichen Kritik begegnet. Früher hat es sich um antimarxistische Tendenzen gehandelt. Aber selbst heute, wo es sich um offenen, vollendeten und endgültigen Verrat am Marxismus handelt, bleibt die trotzkistische „Kritik“ an der IKD wohlwollend. Keine Stimme erhebt sich für den Ausschluß. Auf einen Verrat mehr oder weniger kommt es in Trotzkis „Vierter Internationale“ nicht mehr an.

Marc LORRIS, eine der höchsten trotzkistischen „Autoritäten“, der lange Zeit Trotzkis Sekretär war, hat seinen Artikel „Der nationale Kampf in Europa“ betitelt. Seine Grundthese ist: „Die nationale Bewegung in Europa ist nicht nur ein einfaches Produkt einer zufälligen militärischen Episode, sondern ergibt sich aus dem imperialistischen Niedergang.“ LORRIS rechtfertigt damit alle nationalen, also bürgerlichen, „Bewegungen“ unserer und der kommenden Zeit und stellt sich auf ihre Seite.

Es ist unbestreitbar, daß sich der Imperialismus im „Niedergehen“ befindet. Man kann drei Phasen in der Entwicklung des Imperialismus unterscheiden. In der ersten, jugendlichen, Phase des Imperialismus (bis 1914), entstanden die imperialistischen Großmächte, indem sie die Erde unter sich verteilten. Die zweite Phase (bis zum zweiten Weltkriege) stand unter dem Zeichen der Neuverteilung der Erde. Nunmehr beginnt die Greisenperiode des Imperialismus: die Verwendung kolonialer Methoden in besiegten imperialistischen Ländern. Nach der Niederschlagung Japans werden nur noch drei imperialistische Großmächte übrigbleiben: Amerika, England, Rußland. Jede von diesen drei muß notgedrungen den Kampf um die alleinige Vorherrschaft auf der Erde, gegen die beiden andern, führen. Sie werden aus dem ewigen Kriegszustand, der unblutiger „Wirtschaftskrieg“ und Krieg mit den Waffen sein wird, überhaupt nicht mehr herauskommen. Ohne Dazwischentreten der proletarischen Revolution würde der Imperialismus sich selbst aufheben. Aber dieses „Aufheben“ würde dann nicht im dialektischen Sinn geschehen, zugunsten einer höheren Gesellschaftsform, sondern würde die Menschheit um tausend Jahre zurückwerfen.

Erinnern wir uns nocheinmal des wirtschaftlichen Krieges der „besitzenden Mächte“ gegen die „Havenots“ in der Zeit vor dem zweiten Weltkriege. Die Abschnürung von den Rohstoffen schwächte die keine oder nicht genügend Kolonien besitzenden imperialistischen Mächte ökonomisch, die Hungerblockade schwächte ihre „Wehrkraft“. Die „Zukurzgekommenen“ Imperialisten zogen den bewaffneten Kampf der langsamen Erdrosselung durch ihre Gegner vor. Für das Proletariat dieser Länder hatte die Arbeitslosigkeits- und Hungerperiode katastrophale Folgen. Deutschland war damals zwar nicht von amerikanischen Armeen, aber vom „Dollar“ besetzt. Wenn man sich auf den Boden von LORRIS' Auffassungen stellt, wenn die trotzkistische Argumentation richtig ist, dann hätte ein deutscher Trotzkist auch damals schon für die „nationale Befreiung“ sein müssen. Dann hätte er damals schon mit den Nazis und Stalinisten „gegen Versailles“ kämpfen müssen, so wie er heute mit Gaullisten und Stalinisten „gegen Hitler“ kämpft.

Nach trotzkistischer Auffassung müßten nunmehr, nach der Besetzung Deutschlands, die deutschen Proletarier ihren Kampf für den Sozialismus und die Bestrebungen zur Verbrüderung mit ihren anderssprachigen Klassengenossen aufgeben, sich mit ihrer Bourgeoisie zur „nationalen Befreiung“ vom „fremden Eroberer“ und „einzig sichtbaren Unterdrücker“ verbünden, den deutschen Imperialismus wieder aufrichten helfen, der dann wieder seinerseits über andre Völker herfallen würde, die sich dann wieder ihrerseits „national befreien“ müßten usw. usw. Merci! Aufgrund dieser trotzkistischen Ratschläge würden wir niemals aus dem herauskommen, was die Franzosen den „cercle vicieux“ nennen, den magischen Kreis, in den das Proletariat gebannt ist, wenn es mit Pfaffen und Offizieren geht, anstatt gegen sie. Die Trotzkisten wollen uns weismachen, daß die imperialistische Epoche, die Epoche der Kriege und der nationalen Befreiungskämpfe ist. Lenin hat uns gelehrt, daß die imperialistische Epoche die Epoche der Kriege und der proletarischen Revolutionen ist. Trotz allen Verrats bestätigt sich in diesen Tagen Lenins Auffassung von neuem. Nur die proletarische Revolution, nur die Arbeitermacht, nur die selbständige proletarische Politik, nur die internationale proletarische Verbrüderung können das Proletariat befreien.

„Je tiefer man in die Volksmassen eindringt, umso stärker spürt man“, den Willen zur proletarischen Revolution? Oh nein, „einen wilden Haß gegen den Eindringling“. Diese Zeilen hat das Bürgersöhnchen LORRIS in seiner Villa am Strande des stillen Ozeans geschrieben. Einige Zeilen weiter erklärt er uns, daß „das Nationalgefühl lange Zeit von der herrschenden Klasse monopolisiert“ war und daß sich das jetzt ändere. Das könnte von Marcel Cachin sein. Nur drei verschiedene Haltungen sind nach LORRIS gegenüber den „Widerstandsbewegungen“ für einen sozialistischen Revolutionär möglich. Erstens die, sich mit Hitler gegen diese Bewegungen zu stellen. Es ist bezeichnend für ihn, daß er auch dies erwägt. Zweitens: Indifferenz. Drittens: Teilnahme. Die Möglichkeit einer selbständigen proletarischen Verbrüderungs-Politik ist ihm nicht in den Sinn gekommen. Diese trotzkistische „Autorität“ ist für die Teilnahme an der „volksnationalen Bewegung“.

Einen Strich weiter links steht die „Kritik“ des englischen Trotzkisten Felix MORROW. „Unsere Auffassung ist die der Kameraden von den drei Thesen“, beginnt er seinen Artikel, „eine nationale Unterdrückung existiert wirklich in den besetzten Ländern.“ Damit ist dann die Basis für allen weiteren Opportunismus gegeben.

Nationale Unterdrückung heißt Unterdrückung der gesamten Nation, mit Einschluß der Bourgeoisie. Ist beispielsweise die französische Bourgeoisie von der deutschen während der Besetzungszeit wirklich unterdrückt worden? Im Gegenteil, in Frankreich selbst hat die französische Bourgeoisie glänzende Geschäfte gemacht und viele französische Kapitalisten haben sich „unter“ den Deutschen bereichert, wie nie zuvor. Profit ist aber das Wesentliche für den Kapitalisten, solange er den machen kann, fühlt er sich nicht unterdrückt. Wenn er nur Profit macht, ist es ihm verhältnismäßig gleichgültig, ob er dabei auch noch eine „Radikalsozialistische Partei“ haben kann oder nicht. In den französischen Kolonien aber, die von den Anglo-Amerikanern mit Beschlag belegt worden sind, dort hat die französische Bourgeoisie empfindliche Profitverluste erlitten. Dort fühlt sie sich mit Recht mehr „unterdrückt“, als sie es in dem vom deutschen Imperialismus besetzten Mutterlande war. Das Proletariat in Frankreich aber hat auch in der deutschen Besatzungszeit französisch sprechen dürfen, es war nicht national, sondern nach wie vor sozial unterdrückt. Jetzt, nach der „Nationalen Befreiung“, hat sich seine wirtschaftliche Lage noch verschlechtert, seine politische Lage nicht gebessert (es hat nur Scheinfreiheiten „gewonnen“, kann aber seinen revolutionären Kampf nicht offen führen); die Zwangsarbeit in Deutschland wird durch die Militärdienstpflicht ersetzt. Mit der „Nationalen Befreiung“ der Nationaltrotzkisten ist der französische Arbeiter mit keinem Schritt seiner Freiheit näher gekommen.

MORROW wirft den Thesen hauptsächlich vor, daß sie nicht gegen die ... Kollaborationisten Stellung nehmen! Er kritisiert sie also überhaupt nicht vom proletarisch-revolutionären Standpunkt, sondern vom bürgerlichen Standpunkt aus. Für den Arbeiter hat es überhaupt keine Bedeutung, ob sein Ausbeuter mit deutschen oder amerikanischen Kapitalisten Geschäfte macht. Und welche Fraktion der imperialistischen Bourgeoisie eines Landes auch immer am Ruder ist, ob beispielsweise eine germanophile oder eine amerikanophile, es ist doch immer die gleiche imperialistische Bourgeoisie. Der ganze „Kampf gegen die Kollaborationisten“ ist doch nie etwas anderes gewesen, als ein Fraktionsstreit innerhalb der Bourgeoisie und vor allem ein Täuschungsmanöver gegenüber der Arbeiterschaft. Anstatt dieses schmutzige Manöver zu entlarven, machen es die Trotzkisten aller Länder mit!

„Die Werktätigen unter dem Nazistiefel wollen die nationale Freiheit. Gut.“ So spricht der „Marxist“ MORROW. Mit Hilfe des „Nazistiefels“ wird der Begriff „Imperialismus“ weggezaubert, damit die „demokratischen Imperialismen“ in umso hellerem Licht erstrahlen. Dies ist eine alte trotzkistische Manier, die von Trotzki selbst herrührt, für den nur „der Faschismus“ den „Imperialismus in chemisch reiner Form“ repräsentiert. Dabei haben die „demokratischen“ Sieger jetzt in verschiedenen Ländern Europas ein Herrschaftssystem errichtet, das die Diktaturmethoden der Nazis weit übertrifft. Und wollten die Arbeiter wirklich die „nationale Freiheit“? Jeder Militant aus einem von Deutschland besetzt gewesenen Land weiß, daß das nicht der Fall war, daß der Trotzkist MORROW hier eine grobe Fälschung begeht. Wie alle Arbeiter, wollten auch die Arbeiter in den besetzten Ländern ihre soziale Befreiung, die proletarische Revolution. Nur das erklärt den Aufschwung, den die Stalinisten genommen haben. Nur weil die Arbeiter - nicht zuletzt aufgrund der Lügenpropaganda Trotzkis – in Rußland einen proletarischen Staat sehen, in dem die proletarische Revolution schon vollzogen ist, haben sie sich von der stalinistischen Propaganda einfangen lassen. Gerade in den Zeiten, in denen die „Thesen“ geschrieben sind, war der stalinistisch-bürgerliche Einfluß noch gering und der Wille zur Verbrüderung bei der Arbeiterschaft der besetzten Länder groß. Anstatt dem Proletariat zu helfen, haben sich die Trotzkisten auf der Seite der „nationalen Befreiung“, des „Krieges gegen den Faschismus“, auf die Seite der Bourgeoisie geschlagen und sind ein Bündnis eingegangen mit Offizieren und andern Arbeitermördern. „Das nationale Gefühl kann jetzt der revolutionären Bewegung helfen“, sagt MORROW. Es hat uns geholfen, wie der Strick dem Gehenkten hilft.

Die dritte zu den Drei Thesen erschienene Kritik, der Artikel „Die nationale Frage“, ist nicht von einem trotzkistischen Bürokraten verfaßt worden., sondern von einer Gruppe nach England geflüchteter europäischer Genossen“. Obwohl auch dieser Artikel den Trotzkisten die Konzession der „nationalen Unterdrückung in Europa“ macht, unterscheidet es sich doch wesentlich von den eben besprochenen. Diese Genossen machen den ernsthaften Versuch sich gegen den trotzkistischen Verrat am Marxismus zur Wehr zu setzen, ohne allerdings diesen Verrat in seiner ganzen Schwere zu erfassen. Sie basieren sich auf den Gegensatz „Imperialismus-Sozialismus“, sie sind die einzigen, die von der Verbrüderung sprechen und sie urteilen über die trotzkistischen Verräter folgendermaßen: „In dem Artikel der revisionistischen Fraktion, insbesondere über die nationale Frage, zeigt sich in keiner Weise, daß sie an der bolschewistischen Tradition festhält.“ Diese Genossen sind auch die einzigen, die eine Perspektive aufstellen, die sich bewahrheitet hat: in dem hochindustrialisierten Frankreich ist eine wirkliche nationale Insurrektion unmöglich. Diese Genossen täuschen sich, wenn sie meinen, daß es sich bei den Verrätern nur um eine „Fraktion“ handelt, doch zeigt der ganze Ton ihrer Arbeit, daß sie im Begriff sind, sich vom Trotzkismus überhaupt loszusagen. Zumindest bestehen dazu bei ihnen alle Voraussetzungen.

3.Der Weg der IKD. Über das Bündnis mit den Pfaffen zu dem Bündnis mit den Offizieren.

Die IKD ist eine kleine Gruppe trotzkistischer deutscher Emigranten, die sich jetzt in Amerika und England aufhalten. Diese Gruppe war früher zahlenmäßig stärker, alle proletarischen und linken Elemente wurden aber schon vor dem Kriege aus ihr eliminiert. Übrig blieb ein Häuflein Intellektueller. Die letzten noch auf dem europäischen Kontinent anwesenden IKD-Genossen versammelten sich im Sommer 1942 in Lyon zu einer Konferenz, auf der sie nur einmütig feststellen konnten, daß ihre Organisation in Europa nicht mehr existiert, sondern organisatorisch, politisch und moralisch Bankrott gemacht habe. (+ Die bei dieser Angelegenheit angenommene Resolution wurde im RK-Bulletin No. 1 (5. Jahrgang) Juni 1945 neu veröffentlicht)

Die um JOHRE und die Zeitschrift UNSER WORT gruppierte IKD hat schon lange vor dem Kriege Anschluß an die liberale Bourgeoisie gesucht. Einige ihrer Stellungnahmen sind denn auch von Trotzkisten anderer Nationalität kritisiert worden, aber stets in lendenlahmer zentristischer Weise. JOHRE und seine Freunde haben sich als die intellektuelle Elite der Vierten Internationale betrachtet und über alle Kritiker nur herablassend gelächelt. Sie haben immer ins Feld geführt, daß sie nicht verstanden würden, daß ihre Kritiker den „tiefen Sinn“ ihrer Ausführungen nicht erfaßt hätten. Daran ist insofern etwas Wahres, als die zentristischen Kritiker der IKD immer nur mit politischen Kriterien antworten konnten. Der Revisionismus der IKD hat sich aber zuerst in Artikeln gezeigt, die nicht politischer, sondern philosophischer, oder genauer gesagt, pseudo-philosophischer Natur waren. Johre und seine engeren Freunde haben im Grunde genommen die marxistische Tradition gar nicht verraten, da sie sie niemals wirklich besessen haben. Johre hat seine „tiefsinnigen“ mit Hegelzitaten durchsetzten Phrasen in jenem Deutsch schlechter bürgerlicher Literaten geschrieben, das die immerhin an eine klarere Sprache gewöhnten nichtdeutschen Trotzkisten nicht verdauen konnten. Johre seinerseits war ehrlich erstaunt, wenn man ihm Revisionismus vorwarf, er war sich der politischen Tragweite seiner dunkeln „kulturphilosophischen“ Tüfteleien überhaupt nicht bewußt.

Es lohnt sich wirklich nicht, die ganze Entwicklung der IKD-Trotzkisten zu verfolgen, zumal diese ja nun selbst ihren Kritikern von links, denen sie niemals antworten konnten, und die ihnen voraussagten, daß sie im Lager der Bourgeoisie landen würden, mit den Drei Thesen Recht gegeben haben. Wir wollen nur auf ein in der linken deutschen Emigration bekannteres Diskussionsthema zurückkommen, der Frage des „Kirchenkampfes“. Johre hat in der Zeit vor dem Kriege den illegale Gruppen in Deutschland geraten, nicht für proletarische Ziele zu kämpfen, sondern sich an der Seite der Kirchenbürokratie an deren „Kampf“ gegen die nationalsozialistische Staatsbürokratie zu beteiligen. Was es mit diesem „Kampf“ auf sich hatte, hat sich ja nun zur Genüge herausgestellt: die Kirchen in Deutschland haben wohl hin und wieder zahme Opposition gemacht, haben aber im Großen und Ganzen das Hitlerregime und den Krieg unterstützt. Diese Kirchen hat Johre in UNSER WORT als den „letzten Schutzwall menschlicher Freiheit“ gepriesen. Solche Formulierungen zeigen schon, was JOHRE mit proletarischer Politik zu tun hat. Diesem seinem Revisionismus lag folgendes Raisonnement zugrunde: Das bürgerliche Denken degeneriert. In Deutschland gibt es jetzt „Neuheiden“, die weder Atheisten noch Christen sind. Diese „Neuheiden“ stiften geistige Verwirrung. Sie brechen mit dem traditionellen bürgerlichen Denken. Sie unterbrechen die Entwicklung, die über die idealistische Philosophie zum Marxismus ging. Es ist leichter, einen Christen zum Marxismus zu bekehren als einen „Neuheiden“. Das Alles wurde in schlecht imitierter „Weltbühnen“-Sprache vorgetragen.

Träumereien eines deutschen Emigranten an französischen Kaminen. Der „tiefere Sinn“ des Ganzen ist, daß JOHRE in der bürgerlichen Vorstellungswelt lebt und nicht in der proletarischen. Der Arbeiter ist weder Hegelianer noch Neuheide. Es gibt nur ein Mittel, die Degeneration der Bourgeoisie zu unterbinden: ihren Sturz durch das Proletariat. Die Bourgeoisie zu gesunden und zu ihren großen liberalen Ideen zurückzuführen ist für uns weder notwendig noch möglich.

Die Entwicklung der Bourgeoisie in der jetzigen Periode weist vor allem folgende Merkmale auf: auf ökonomischem Gebiet Entwicklung zum Staatskapitalismus, politisch: Errichtung „totalitärer“ Herrschaftssysteme, in Bezug auf den ideologischen Unterbau herrscht eine geistige Verlumpung ohnegleichen. Faschismus, Nationalsozialismus, Stalinismus fallen unter diese Entwicklung. Wie der gesamte Trotzkismus, hat auch die IKD das Problem des Faschismus nicht verstanden. Aber die IKD hatte ihre eigene Nuance. Die Trotzkisten haben im allgemeinen den Faschismus für eine Reaktion gehalten, die sich von früheren Reaktionen nur durch größere Brutalität unterscheidet. Die IKD hat nie eine präzise Definition gegeben, aber alle ihre Äußerungen beweisen, daß sie von dem Phänomen des Faschismus zu Tode erschrocken war. Sie sah mit ihm ein neues Zeitalter heraufdämmern, in dem „alles aus“ ist und prophezeite ihm mindestens 50 Jahre Herrschaft über Europa.

In diesen und ähnlichen schreckhaften Phantasien liegt der Grund für den Selbstmord der IKD. Wenn JOHRE und seien Freunde nicht mehr wie in der friedlichen Weimarer Zeit ihre Artikelchen schreiben können, dann meinen sie, daß auch der ganze Klassenkampf keinen Sinn mehr hätte, und es doch besser wäre, sich an die Bourgeoisie anzuhängen. Das haben sie zuerst bei den deutschen Pfaffen versucht, um dann bei de Gaulle, heldenhaft dem Nazistiefel widerstehenden Offizier, zu landen. Der Klassenkampf aber ist inzwischen – ohne die IKD – weitergegangen: Neues Leben regt sich wieder in der europäischen revolutionären Arbeiterbewegung und es ist nicht ausgeschlossen, daß die IKD versuchen wird, sich nunmehr an diese anzubiedern.

(Quelle: RKD-Bulletin, VI. Jahrgang, Nr. 1, Januar-Februar 1946, S. 9-19)


Folgende Broschüre zu den Revolutionären Kommunisten Deutschlands (RKD) ist bereits in der Bibliothek des Widerstandes erschienen: 'Gegen den Strom!' (Band 2)- Dokumente der Revolutionären Kommunisten Deutschlands (RKD). - V.i.S.d.P.: G. Ketter/S. Enkel Januar 2008

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