Auschwitz als Alibi
Kritik des bürgerlichen Antifaschismus

**Der Charakter des Faschismus
und die Geschichte aus Sicht der Bürgerlichen**

"Die soziale Frage ist kein Problem der Tarifverträge, sondern ein Problem der Erziehung und Schulung."
Ley, Vorsitzender der DAF

"Niemals hat es in den letzten Jahrzehnten eine günstigere und bessere Gelegenheit zur Entfaltung echten Unternehmertums gegeben."
NS-Wirtschaftsminister Walter Funk im Februar 1938

Der Charakter des Faschismus, welcher gekonnt die kapitalistisch-industrielle Moderne mit dem reaktionären Obskurantismus der "Blut und Boden"-Ideologie verband, wird in bürgerlichen Darstellungen ebenso verkürzt und seines eigentlichen Klassencharakters beraubt wie viele andere Ereignisse. Der faschistische Mythos der geschlossen hinter Hitler stehenden Nation, die nur einige Männer zu bieten hatte, die den "Aufstand des Gewissens" probten, soll - auch mangels scheinbarer Alternativen - gefügig machen für die bürgerliche Politik, die heute selbstbewusster denn je vorgibt Lehren aus der Vergangenheit der Nazi-Diktatur gezogen zu haben. Der Totalitarismus der extremistischen Mitte, der Faschismus und Sozialismus gleichsetzt, soll uns weismachen, dass die "freie Marktwirtschaft" und die "bürgerliche Demokratie" das beste System darstellen, das es gibt, und dass es "uns" noch nie besser ging. Dass auch der demokratische Kapitalismus Ausbeutung, Fremdbestimmung, Kontrolle, Krieg, Repression und Sozialabbau bedeutet, erleben wir dagegen täglich. Doch der demokratische Totalitarismus, der vom "Ende der Geschichte" schwafelt, versucht uns die Alternativlosigkeit zum Kapitalismus vor Augen zu führen und soll uns den demokratischen Kapitalismus nach Art der Logik des kleineren Übels schmackhaft machen.

Deshalb ist es umso wichtiger trotz der bürgerlichen Geschichtslügen den wahren (Klassen-)Charakter des Faschismus herauszustellen. Bürgerliche Historiker und Politiker pflegen uns den Faschismus und seine Verbrechen meist als etwas "Unerklärliches" und "Irrationales", was den Hirnen einiger armer "Irrer" wie Hitler entsprungen sei, darzustellen. Es wird so dargestellt, als wenn Deutschland von einem "wahnsinnigen Führer" missbraucht worden wäre. Anstatt vom deutschen Imperialismus zu reden, redet der bürgerliche Historiker von "Hitler" oder "die Deutschen". Dabei ist Hitler nur ein Vertreter des deutschen Imperialismus, der 2. Weltkrieg und der Antisemitismus sind aber nicht seinem Hirne entsprungen. Ebenso ist oft die Rede von faschistischer Aggression statt von imperialistischer. Nach 1945 war die Politik der Westalliierten dann dadurch bestimmt, dass dem deutschen Volk eine Kollektivschuld am Faschismus angelastet wurde. Es sollte für "seinen" Diktator bestraft werden, nicht aber die deutschen Konzerne, welche die NSDAP massiv gefördert und von ihrer Politik profitiert hatten (darüber täuschen auch die Auflösung der IG Farben und die Anklage einiger Industrieller in den Nürnberger Prozessen nicht hinweg).

Erklärungsmuster wie "Ein Volk, ein Reich, ein Irrer" bringen uns allerdings nicht weiter und erklären nichts. Sie reduzieren alles auf die Person Hitlers und behalten so den Mythos der Nazis vom grossen "Führer" bei. Und was man nicht kennt, kann man nicht erklären und schon gar nicht bekämpfen. Unserer Meinung nach sollte es für uns auch nicht darum gehen Auschwitz zu verstehen, sondern zu verstehen, wie es dazu kommen konnte. Nur dieses Verständnis wird uns helfen ähnliche Verbrechen in der Zukunft zu vermeiden.

Die Verbrechen der Nazis werden wie die Nazis selbst dämonisiert und als Ausgeburten der "menschlichen Bösartigkeit" und nicht konkreter gesellschaftlicher Verhältnisse und Interessen dargestellt (siehe dazu auch den Text Amadeo Bordigas im Anhang). Die bürgerlichen Antifaschisten können den Faschismus nicht verstehen und erklären. Sie können und wollen nicht über seine Ursachen sprechen, d.h. die gesellschaftlichen Bedingungen für autoritäres, faschistisches Denken werden nicht thematisiert. Genau das ist der Grund, warum er für sie "unerklärbar" bleiben wird. Die Frage nach den Ursachen und vor allem ihre Beantwortung würde den Status Quo und somit ihre eigene soziale Lage in Frage stellen. Allerdings wird man nur, wenn man die sozialen Kräfte untersucht, welche den Faschismus aktiv unterstützten und von seiner Politik der Repression und des Krieges profitierten, diese Epoche verstehen können. Ohne das Vertrauen der Industrie wäre die NSDAP nie an die Macht gekommen, ohne die Infrastruktur, welche die Industrie zur Verfügung stellte, und ohne das Interesse der Industrie an gesicherten und steigenden Profiten, hätte die Politik der NSDAP keine Aussicht auf Verwirklichung gehabt (die sadistischen Kriminellen und fanatischen Rassisten waren "nur" die willigen Vollstrecker der Politik derer, die wussten, was sie da planten).

Der Faschismus wird grösstenteils auf seine politischen Erscheinungen und seine aussergewöhnlichen "menschenverachtenden" Verbrechen reduziert. Bei den Verbrechen ist an erster Stelle von dem industriellen Massenmord an den Juden die Rede. Die anderen Millionen Opfer werden meist nur am Rande erwähnt. Ebenso wird der weitaus umfangreicheren Widerstand aus der Arbeiterbewegung (SPD, KPD, Gewerkschaften, anarchistische, (links-)kommunistische und sozialistische Kleinstgruppen) ignoriert. Der 2. Weltkrieg wird als sinnlose Grausamkeit bezeichnet; über die Profiteure des Todes und der Zerstörung wird geschwiegen. Mit der scheinheiligen Legitimation für das imperialistische Gemetzel werden wir uns in dieser Broschüre an anderer Stelle beschäftigen.

Wer Widerstand leistete, wer die Nazis schon frühzeitig unterstützte, dass die "Volksgemeinschaft" nicht so harmonisch war, wie sie oft dargestellt wird (so gab es selbst in Nazi-Deutschland z.B. 1937/38 Streiks), dass es selbst 1938 noch einen gewissen Anteil von Arbeitslosigkeit gab, dass die sozialen Leistungen immer noch auf den Bau von Strassen reduziert werden, dass es Überlegungen der westlichen Alliierten gab zusammen mit der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion zu kämpfen, dass Selbstorganisation (in Form der Antifa- und Betriebs-Komitees) nach 1945 von allen Alliierten zunichte gemacht wurde - das alles sind weisse Flecken in den bürgerlichen Geschichtsbüchern.

Die Fixierung auf den Mord an den Juden (welche mit 6 Millionen nur einen Teil der rund 55 Millionen Opfer des 2. Weltkrieges und des Nazismus darstellen; allein die Anzahl der zivilen Opfer betrug laut Allan Bullocks Buch "Hitler und Stalin" über 20 Millionen) bedeutet, dass allzu oft die anderen nicht-jüdischen Opfer ignoriert oder vergessen werden. Die Juden waren schliesslich nicht die ersten und die einzigen Opfer des Nazismus (eine solche Reduktion beschönigt die kriminelle Dimension des Dritten Reiches). Da die bürgerlichen Historiker und Politiker kein Interesse daran haben, den Klassencharakter des Faschismus aufzuzeigen, beschäftigen sie sich nicht mit dem der sozialen Lebensrealität der Massen und so wird der Mythos der Nazis, dass das deutsche Volk geschlossen hinter Hitler stand, aufrechterhalten (Dabei erhielt die NSDAP in "freien" Wahlen nie über 50 Prozent, bei den Betriebsratswahlen 1934 miserable 3 Prozent.). Ebenso werden die wirtschaftlichen Mythen der Nazis aufrechterhalten, dass Hitler den Aufschwung brachte und die Arbeitslosen von der Strasse geholt hat, etc. (Zur Entkräftung und Widerlegung dieser Mythen, die gerade bei vielen älteren Menschen in diesem Land sehr stark vorhanden sind, sei Claus Radts gutes Buch "Der deutsche Faschismus. Mythos und Wirklichkeit" empfohlen).

Wer sich mit den Lebensverhältnissen der Massen im Faschismus beschäftigt, wird recht schnell eine Kontinuität zwischen Kaiserreich, Weimarer Republik, 3. Reich und der BRD erkennen. Diese Kontinuität besteht allerdings schon allein in der Beibehaltung der Eigentums- und Produktionsverhältnisse. "Auch will das herrschende Denken Demokraten und Nazis strikt trennen, hier nur Brüche wahrnehmen, keine Kontinuitäten und schon gar nicht das gemeinsame Betriebssystem der Verwertung. Dass sowohl der Faschist als auch der Demokrat sich positiv auf Marktwirtschaft und Konkurrenz, auf das Privateigentum an Produktionsmitteln und den Profit beziehen, und negativ auf alles, was Kommunismus gescholten werden kann, sollte zu denken geben. Dass Demokratie und Faschismus sich so nahe sein könnten, wie hier unterstellt wird, ist dem bürgerlichen Denken nicht nachvollziehbar. Da schützt der Hausverstand. Ja, die Demokratie wird überhaupt sakralisiert, darf keiner prinzipiellen Kritik zugeführt werden. Sie wird von allen als Hochamt des Bekenntnisses zelebriert." (Franz Schandl in jW, 23. Oktober 1999)

Der Faschismus hat in Deutschland die Arbeiterklasse atomisiert. Die Nazis erledigten den Rest der Organisationen der Arbeiterbewegung oder zumindest das, was nach der sozialdemokratischen und stalinistischen Reaktion und Repression (Niederschlagung der Novemberrevolution durch SPD und Freikorps, Stalinisierung, Verstaatlichung, (nationalistischer) Opportunismus, etc.) davon noch übrig geblieben war.

Finanziell unterstützt war die NSDAP bereits vor 1933 von verschiedenen Kapitalisten worden (so u.a. von Thyssen und dem Gründer des Kohlesyndikats Kirdorf; es gab mehrere Unterstützerkreise, welche unter Namen wie "Freundeskreis", "Keppler-Kreis" oder "Himmler-Kreis" firmierten.). Der IG Farben-Konzern hatte 1933 mit 400.000 Mark den höchsten Einzelbetrag zum Wahlkampffonds der NSDAP beigesteuert. Der Direktor des grössten deutschen Stahlkonzerns formulierte stellvertretend für viele andere Industrielle an die NSDAP seine Erwartungen. Die NSDAP sei die "deutliche Hoffnung, seinen Konzern durch eine Politik der Lohnherabsetzung, der Forderung nach Rüstungsaufträgen und des Eintretens für eine allgemeine Aufrüstung vor dem Untergang zu retten." (Radt, S. 107) Die Einstellung vieler Kapitalisten zur Demokratie wird in Fritz Thyssens Ausspruch "Demokratie für uns heisst - nichts!" deutlich.

Die Kapitalisten waren die einzige Klasse, welche von der Politik der Nazis profitierten: Das Privateigentum an Produktionsmitteln blieb bestehen und die Arbeiterklasse war noch stärker Repressionen ausgesetzt und ihrer Organisationen beraubt, so dass sie unter verschärften Bedingungen (man könnte vom Faschismus als von einem institutionalisierten Bürgerkrieg oder einem Belagerungszustand reden) dazu gezwungen war, dem Kapital ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Die Tarifautonomie wurde aufgehoben, an Stelle der Gewerkschaften trat die Deutsche Arbeitsfront (DAF), welche sich den Arbeitsfrieden in den Betrieben zum Ziel gesetzt hatte. So erklärte der Vorsitzende der DAF, Ley, am 21. November 1933: "Die soziale Frage ist kein Problem der Tarifverträge, sondern ein Problem der Erziehung und Schulung." Die "Herstellung der wahren Volksgemeinschaft" bedeutete die Verschleierung der (Klassen-)Gegensätze (d.h. gemäss faschistischer Ideologie der "natürlichen Unterschiede") und die Unterordnung aller unter die "Nation", d.h. den Staat als Agenten der Kapitalisten.

Die Reallöhne waren von 1929 bis 1939 um 10 Prozent gefallen, die Preise teilweise gestiegen, der Arbeitstag verlängert worden. Einmalige, ideologisch begründete Abgaben waren hinzugekommen. Die Rationalisierung in der Industrie hatte zu einer Steigerung der Arbeitsproduktivität geführt. Das Kapital konzentrierte und zentralisierte sich, die absolute Zahl der Handwerksbetriebe sank und die Aktienkurse sowie die Durchschnittsdividenden stiegen (von der "Brechung der Zinsknechtschaft" oder der Abschaffung des "raffenden Kapitals", wie sie die Nazis verbal angestrebt hatten, kann also keine Rede sein). Im Gegensatz zum ideologischen Firlefanz der Nazis stiegen die öffentlichen Ausgaben für die Rüstung gewaltig und ab 1935 übertrafen die Rüstungsinvestitionen die Summe der gesamten Investitionen in Verkehr, Verwaltung, Versorgungsbetrieben und Wohnungsbau. 1938 machten die Rüstungsausgaben ungefähr 75 Prozent der öffentlichen Investitionen aus. (Radt, S. 164) Dies widerlegt klar, dass Deutschland in den Krieg getrieben worden ist. Im Gegenteil: es plante ihn.

Von den Arisierungen jüdischer Betriebe profitierten nicht nur Deutsche und Dresdner Bank, sondern auch andere Konzerne wie Flick und Mannesmann. "Die Profite sämtlicher Industrie- und Handelsunternehmen stiegen von 6,6 Milliarden Mark im Jahre 1933 auf 15 Milliarden im Jahre 1938; schaffte die AEG z.B. nur eine Zunahme von 55 Prozent, so verdoppelte sich der Umsatz von Siemens, verdreifachte sich der von Krupp und Mannesmann, versechsfachte sich der der Philipp Holzmann AG und verzehnfachte sich der der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken AG." (Radt, S. 151)

Dies sind einige der nackten Fakten, welche den Klassencharakter des Faschismus unterstreichen. Der italienische Faschismus, dessen Geschichte in Deutschland grösstenteils unbekannt ist, hat gerade Anfang der 20er viel deutlicher als der deutsche seinen anti-proletarischen Charakter offenbart, als Faschisten in Arbeiterviertel einfielen und streikende Arbeiter erschossen und terrorisierten. Ein weiteres Indiz für den Klassencharakter ist auch der Umgang der Nazis mit den Kapitalisten in den besetzten Ländern: Die nationalen Bourgeoisien in den von den Nazis besetzten Ländern wurden nicht enteignet und wurden nur insofern unterdrückt, als sie gemeinsame Sache mit dem gegnerischen imperialistischen Block machten. Die Besetzung machte aus den nationalen konterrevolutionären Bourgeoisien keine "revolutionären" oder "liberalen"; sie blieben auch weiterhin der Hauptfeind der Proletarier in den jeweiligen Ländern.

Kontakt: revtimes@gmx.net


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