Stewart Home

"Anarchie! Kreative Faulheit! Polymorphe Perversionen!"

Stewart Home (SH) wurde 1962 in London geboren und ist der Autor der beiden Bücher "Purer Wahnsinn" (1994) und "Stellungskrieg" (1995), die beide in Deutschland bei der Edition Nautilus erschienen. Außerdem hat er noch einige andere Bücher wie z.B. "Red London" und "Cunt" verfaßt, die bisher nur in englischer Sprache vorliegen, aber dennoch für einigen Wirbel sorgten. Er lebt in London, England. Er war der Schöpfer des Kunst-Streiks 1990-93. Er verursachte viele Kunst-Streiche während der Achtziger, u.a. teilte er Einladungen zu dem Booker Preis unter Armen aus, stand Streikposten während eines Stockhausen-Konzertes in Brighton. Er ist auch der umstrittene Schriftsteller der Veröffentlichung "Der Angriff auf die Kultur" und wirkt als Chronist der Kunst-Bewegungen im 20. Jahrhundert. Während er in San Francisco war, drohten sogar einige Protestierende ihn zu töten, während er einen Vortrag über seine Kunst-Aktivitäten hielt.

RT: Was für Jobs hast du bisher so gehabt?

SH: Der erste Job, den ich hatte, war es hydraulische Ventile zu montieren. Dann habe ich einer anderen Fabrik gearbeitet und Korkprodukte hergestellt, d.h. das Material, das auf den Gängen von Bussen verlegt wird. Recht schnell bin ich dessen überdrüssig geworden, acht Stunden am Tag so einen beschissenen Job zu machen. So habe ich diese Arbeit hinter mir gelassen und habe mich arbeitslos gemeldet, was so 1979 war. Danach habe ich ungefähr 16 Jahre lang Arbeitslosenunterstützung in Anspruch genommen [Für England ist diese Dauer nicht gerade ungewöhnlich. Viele Skins und Mitglieder englischer Oi! Bands sind auch bereits seit Ende der 70iger oder Anfang der 80iger arbeitslos.]. Ich würde jederzeit kleine Arbeiten verrichten. So habe ich für eine kurze Dauer bei Umzügen geholfen und habe auch kurze Zeit in einem Buchladen und als Drucker gearbeitet. Ich denke, die längste Zeit, in der ich arbeitslos war, war 10 Jahre. Ich habe es niemals richtig geliebt zu arbeiten. In heutigen Tagen kann ich mich von der Schreiberei ernähren, was einem Fabrikjob vorzuziehen ist, weil ich meine Arbeitszeiten eigenständig wählen kann.

RT: In deinen ersten beiden Romanen schreibst du über Skinheads, Sex und Gewalt. Das klingt sehr nach Richard Allen. Ist das so gewollt und ist Richard Allen wieder in England populär?

SH: Ich denke, es ist wichtig daran zu erinnern, daß Richard Allen ein Alkoholiker mittleren Alters mit rechten Ansichten war, der nichts über Jugendkultur wußte. Ich sehe mich als einen Alkoholiker mittleren Alters mit linkskommunistischen Ideen, der das Schreiben über Jugendkultur gestoppt hat, als ich zu alt wurde, um daran interessiert zu sein. "Stellungskrieg" und "Purer Wahnsinn" habe ich vor 10 Jahren geschrieben, meine heutigen Interessen sind davon verschieden. Vielleicht ist der wichtigste Unterschied zwischen Richard Allen und mir, daß er billigen Whiskey getrunken hat, während ich ein Kenner feiner Biere wie Springbank bin. Du kannst nicht von einem rechten Arsch verlangen, daß er einen guten Geschmack hat, was Getränke angeht. Ich sehe Richard Allen als einen der erneut Vergessenen. Er hatte ein kurzes Revival, aber keiner in London ist mehr an ihm interessiert.

RT: Wie waren die Reaktionen auf deine Bücher?

SH: Einige Leute lieben sie, einige Leute hassen sie. Als erstes dachten viele Menschen, daß ich scherzen würde als ich sagte, daß ich die Weltkultur in ihrer Gesamtheit wiedererfinden wollte. Wie auch immer, es fängt an, daß ich ernst genommen werde, weil ich lange Zeit dabei geblieben bin. Ich habe eine Menge Probleme mit meinem letzten Buch namens "Cunt" ["Cunt" ist die derbe, umgangssprachliche englische Beschreibung für das weibliche Geschlechtsorgan.] gehabt. Weil der Titel als anstößig angesehen wird lehnten eine Menge Verleger es ab dieses Buch herauszubringen und als ich einen Verleger gefunden hatte, mußte er 43 Druckereien abklappern, um jemanden zu finden, der es druckte. Es gab einige Versuche öffentliche Auftritte von mir zu verhindern - in London, Hamburg und San Francisco - aber diese haben zu nicht mehr geführt als zu einigen Idioten, die einige schlecht kopierte Flugblätter verteilt haben. Es gibt einige Gruppen wie z.B. "Women against violent language", die Kampagnen gegen mich gemacht haben und zum Boykott meiner Bücher aufrufen. Eine Londoner Radiostation wurde geschlossen, weil ich aus "Stellungskrieg" vorgelesen habe. Ich wette mal, daß ich überall nicht allzu populär bin, aber das wird sich ändern.

RT: Wie kam es dazu, daß die Edition Nautilus deine Bücher rausgegeben hat?

SH: Sie haben die deutschen Rechte von "Purer Wahnsinn" von Polygon Books, die dieses Buch in England rausgegeben haben. Ich weiß nichts genaues darüber.

RT: Was für Bücher hast du bisher geschrieben? Spielst du noch in einer Band wie damals in King Mob? In was für anderen Projekten bist du z.Zt. engagiert?

SH: Das neueste Buch, das ich geschrieben habe ist "69 Things To Do With A Dead Princess" und ich habe Probleme einen Verleger zu finden, weil allein der Titel als anstößig befunden wird. Eigentlich spielt Prinzessin Diana keine wirklich wichtige Rolle in dem Buch. Ich benutze den Körper dieser toten Prinzessin einfach als Metapher für die Literatur. Das Buch ist erzählt von einer 20jährigen, die eine Studentin der englischen Literatur in Aberdeen ist. Sie verbringt eine Menge Zeit mit Sex mit einem erheblich älteren Mann und seiner Bauchrednerpuppe in Steinkreisen und an anderen neolithischen Orten in Schottland. Im Moment schreibe ich ein Buch, das erzählt wird von einer Prostituierten, die Begegnungen mit Männern mit geistestörten Ansichten von Jack The Ripper. Vor "Cunt" schrieb ich ein Buch namens "Come Before Christ & Murder Love", was über Essen, Ficken und Okkultismus handelt. Die Erzählung dieser Bücher ist nicht wichtig...Ich habe auch einige Sachbücher über Avantgarde Kunst und Punk Rock geschrieben. Im letzten Buch, "Cranked Up Really High: Genre Theory & Punk Rock", habe ich versucht darzulegen, daß die Sex Pistols keine Punkband waren. Dies hat einige Leute sehr geärgert, worüber ich mich sehr gefreut habe. Insgesamt habe ich 17 Bücher in Englisch veröffentlicht. Außerdem habe ich jede Menge Artikel geschrieben.
In den letzten beiden Jahren habe ich auch 4 CD-Alben veröffentlicht, sowohl mit Gedichten und Lesungen als auch Musik. Ich habe eine Menge meiner alten Punk Rock Lieder eingespielt und das kam dann als Album mit dem Titel "Stewart Home comes in your face" raus. Das Album enthält eine Menge der Texte aus "Purer Wahnsinn"...Andererseits mag ich es mit Computern zu arbeiten, um alles von Dance Music bis hin zu Cut Up Radio Plays zu produzieren. Ich bin auch bekannt dafür Arbeiten in Kunstgallerien zu zeigen...Etwas, was ich gemacht habe ist, daß ich vor einem Jahr Körperspende-Karten herausgebracht habe, so daß die Menschen ihre Körper Nekrophilen überlassen können, so daß diese mit ihnen Sex haben können, wenn die Spender gestorben sind. Das hat eine Menge Aufsehen erregt. In der Tat scheint es eine Menge Interesse an meinem Tot zu geben - seit eine Gruppe von Fans eine Fan Web Site im Internet unter www.stewarthomesociety.org betreibt. Sie planen mir einen Begräbnisort zu kaufen, ich aber bevorzuge es verbrannt zu werden...

RT: Warum sind deine Bücher voll von Klischees und Tabubrüchen?

SH: Ich finde Klischees großartig, besonders wenn sie immer und immer wiederholt werden. Es war der französische Philosoph des Vitalismus, Henri Bergson, der sagte, daß die Basis allen Humors die Wiederholung ist und ich würde ihm da zustimmen, wenn auch sonst seinen sonstigen Gedanken nicht unbedingt. Was die Tabubrüche angeht, sehe ich die bürgerliche Moral als repressiv an, so vermeide ich sie zu reproduzieren.

RT: Im Klappentext deiner Bücher (v.a. "Purer Wahnsinn" und Titel von "Red London") sind Bilder von dir mit kurzen Haaren und im Skinhead-Style. Warst du jemals ein Skinhead? Wie beurteilst du die reaktionären und die progressiven Traditionen der Skinheadszene, Kultur und Geschichte?

SH: Ich pflegte mich als einen "Plastic Skinhead" zu sehen. Ich hasse alle Formen von Reden, die in Ideen von Authenzität begründet sind, so daß ich die Vorstellungen verschiedener Skinheads über "das Reale" verwerfe. In London war die Skinheadszene als erstes verbunden mit der Arbeiterklasse und mehr in der letzten Zeit mit dem Schwulsein - beides sehe ich als positive Identitäten, wenn man sie nicht als das Wesentliche ansieht. Die Arbeiterklasse ist die Klasse, die alle Klassen abschaffen muß, sich selbst eingeschlossen - und zugleich die heterosexuelle und patriarchiale Tyrannei beseitigen muß. Was ich hasse sind Skinheads, die vorgeben sich nie zu ändern und stets zu ihren "Wurzeln" zu stehen. Ich finde das ermüdend und langweilig. Nun, wo ich mittleren Alters bin, sehe ich keinen Grund, warum ich mich um Sachen wie Jugendkultur kümmern sollte und ich finde Menschen mittleren Alters, die an Jugendkultur interessiert sind, so was von kläglich.

RT: Wie ist die Skinheadszene in England heutzutage? Ist sie sehr patriotisch und ist es nicht schwer als linker Skinhead in England zu leben?

SH: Ich denke, es gibt da nicht mehr allzuviel Skinheadszene in England. In London sind die paar Skinheads schwul, obwohl das Äußere nicht unbedingt sehr populär ist. In der Tat ist Skinhead außer Mode. Es gab da ein paar rechte Idioten in den Vororten, die für sich beanspruchten Skinheads zu sein, obwohl sie so schlecht gekleidet waren, daß man ihre Nähe zur Skinheadszene kaum erkennen konnte. Ich denke, daß die meisten dieser "scruffy" Pseudo-Skinheads sexuell unterdrückt sind und um einiges glücklicher sein würden, "if they' d bad the bottle to come out of the closet".

RT: Was denkst du über Bands wie Close Shave und Condemned 84? Was über Skrewdriver? Was über The Redskins, Angelic Upstarts oder The Oppressed?

SH: Ich denke, daß du masochistisch veranlagt sein mußt, um vorzugeben, daß Close Shave, Condemned 84 und Skrewdriver etwas anderes als pathetisch sind. Ich denke es war großartig als Ian Stuart starb. Es gibt in meinem Buch "Cranked Up Really High", so daß jeder, der interessiert ist wie sehr ich talentlose Schwachsinnige wie Ian Stuart verachte, darin nachlesen kann. Ich bin nicht an den Redskins, Angelic Upstarts oder Oppressed interessiert, obwohl in diesen Tagen höre ich ziemlich selten Punk Rock. Ich liebe ein bißchen Techno, ich höre eine Menge Sixties Soul von Musikern wie Willie Mitchell und ich höre eine ganze Menge klassischer Musik. Teilweise mag ich die Klavierarbeiten von Cornelius Cardew...

RT: Was denkst du über das Netzwerk "Red & Anarchist SkinHeads" (RASH) als Versuch linke Skins zu vereinigen?

SH: Ich kenne RASH nicht, so daß ich zu RASH kein Kommentar abgeben kann. Wie auch immer, ich beobachte mit Vorsicht Individuen, die sich Anarchisten nennen seitdem dieser Begriff eine Menge Einstellungen und Positionen umfaßt, von links bis extrem rechts. Eine Menge Anarchisten, die ich getroffen habe, behandeln Abschaum wie Pierre-Joseph Proudhon wie einen Helden. Proudhon war tatsächlich ein boshafter Antisemit und in seinen Tagebüchern schlägt er vor, daß Juden umgebracht werden sollten. Deshalb bin ich sehr mißtrauisch gegenüber Anarchisten, die Proudhons Ideen folgen. Ich habe auch eine Menge Probleme mit Bakunin, der antisemitisch war und dessen Ideen von Organisation ein Vorläufer des Bolschewismus waren und auf diese Weise bahnte er den Weg für die Russische Revolution, die dann durch die Herolde des Staatskapitalismus entgleiste. Sicherlich, einige Menschen, die sich Anarchisten nennen, wollen die Lohnarbeit, die Warenökonomie und das Geld abschaffen und wenn sie gegen Avantgardedenken sind, könnte ihr Denken besser als Kommunismus beschrieben werden. In diesem Fall auf eine Praxis der Aufhebung der Entfremdung hinzuarbeiten - eine politisches Engagement im Klassenkampf mit dem endgültigen Ziel, das Geld, die Klasse und Politik abzuschaffen - dann führt die Bezeichnung "Anarchist" zu Mißverständnissen und wenn ein Individuum mit diesen Ideen sich dieses Label ausgesucht hat, würde ich ihm raten den Namen fallen zu lassen, seitdem der Begriff des Anarchismus ein Hindernis für den Prozeß der politischen Klärung ist.

RT: Woran glaubst du?

SH: Ich glaube nicht an Glauben. Glauben behindert die kommunale Transformation der Welt.

RT: Was sind deine Pläne für die Zukunft?

SH: Ich würde gerne Sex im Weltraum haben. Ich denke, daß Sex ohne Schwerkraft mich in Staunen versetzen würde.

RT: Hast du noch irgendwas zu sagen?

SH: Alle eure Leser sollten wirklich ein Faß von Springbank. Ihr werdet kein besseres finden und Schreibt an Frank McHardy, General Manager, J & A Mitchell, Springbank Distillery, Campbeltown, Scotland PA26 6ET wegen weiterer Informationen. Wie der hoch respektierte Second-Auto-Verkäufer und die literarische Figur Iain Sinclair einmal zu mir während einer Trinktour im Pub "Jack Ripper" gesagt hat: "Bist du besoffen?"

(aus Revolution Times # 11)

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