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Letzte Aktualisierung am 14.02.2004
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Rudolf Rocker Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus 1.
ZUR IDEOLOGIE DES ANARCHISMUS
Der
Anarchismus ist eine bestimmte intellektuelle Strömung, deren Anhänger die
Abschaffung der wirtschaftlichen Monopole und aller politischen und sozialen
Zwangsinstitutionen innerhalb der Gesellschaft anstreben. An die Stelle der
kapitalistischen Wirtschaftsordnung wollen die Anarchisten eine freie
Vereinigung aller Produktivkräfte stellen, die auf kooperativer Arbeit beruht,
und die als alleinigen Zweck die Befriedigung der notwendigen Bedürfnisse jedes
Mitglieds der Gesellschaft haben würde. Anstatt der gegenwärtigen
Nationalstaaten mit ihrer leblosen Maschinerie politischer und bürokratischer
Institutionen fordern Anarchisten eine Föderation freier Kommunen, die
untereinander durch ihre alltäglichen Interessen verbunden sind, und ihre
Angelegenheiten durch gegenseitige und freie Verträge regeln.
Jeder,
der die ökonomische und politische Entwicklung des gegenwärtigen Systems
genauer untersucht, wird erkennen, daß diese Ziele nicht den utopischen Ideen
einiger Phantasten entspringen. Sie sind vielmehr das logische Ergebnis einer gründlichen
Überprüfung der heutigen miserablen sozialen Verhältnisse, die sich in jeder
Phase der gegenwärtigen sozialen Bedingungen immer deutlicher und schädlicher
offenbaren. Der moderne Monopolkapitalismus und die totalitären Staaten sind
nichts anderes als die letzten Stufen einer Entwicklung, die nirgendwo anders
enden konnte.
Die
unheilvolle Entwicklung unseres gegenwärtigen wirtschaftlichen Systems, die zu
einer enormen Anhäufung sozialen Reichtums in den Händen privilegierter
Minderheiten und zu einer andauernden Unterdrückung der großen Masse des
Volkes führte, ebnete den Weg für die heutige politische und soziale Reaktion.
Sie erwies sich ihr in jeder Weise als dienlich. Sie opferte die allgemeinen
Interessen der Gesellschaft den Privatinteressen einzelner und unterminierte so
systematisch echte Beziehungen zwischen den Menschen. Die Menschen vergaßen, daß
der Fleiß nicht Selbstzweck ist, sondern lediglich dem Menschen zur Sicherung
seines materiellen Unterhalts dient und ihm die Errungenschaften einer höherstehenden
Kultur zugänglich machen soll. Wo Fleiß alles ist, Arbeit ihren ethischen
Einfluß verliert und der Mensch nichts ist, beginnt der brutale wirtschaftliche
Despotismus. Dessen Auswirkungen sind nicht weniger unheilvoll als die
irgendeines politischen Despotismus.
Unser
modernes soziales System hat im Innern den sozialen Organismus jedes Landes in
zwei feindliche Klassen gespalten. Nach außen hat es den gemeinsamen
kulturellen Kreis der verfeindeten Nationen zerbrochen; beide, Klassen und
Nationen, stehen sich in offener Feindschaft gegenüber. Bedingt durch ihren
unaufhörflichen Kampf unterliegt das soziale Leben fortwährenden Störungen.
Zwei Weltkriege innerhalb eines halben Jahrhunderts mit ihren schrecklichen
Nachwirkungen, und die latente Gefahr neuer Kriege, die zur Zeit alle Völker
beherrscht, sind nur die logischen Konsequenzen dieser unerträglichen
Bedingungen, die nur in weitere weltweite Katastrophen führen können. Die bloße
Tatsache, daß die meisten Staaten heute verpflichtet sind, einen erheblichen
Teil ihres Bruttosozialprodukts für die sog. nationale Verteidigung und für
die Liquidation alter Kriegsschulden auszugeben, ist der Beweis für die
Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Zustands. Es sollte jedem klar sein, daß der
vorgebliche Schutz, den der Staat dem Einzelnen gewährt, zu teuer erkauft wird.
Die
ständig wachsende Macht einer seelenlosen politischen Bürokratie, die das
Leben der Menschen von der Wiege bis zur Bahre überwacht und "schützt",
wird für die Zusammenarbeit der Menschen zu einem immer größeren Hindernis.
Ein System, das mit jeder Handlung das Wohlergehen großer Teile der Menschen,
sogar ganzer Nationen, der egoistischen Sucht nach Macht und den ökonomischen
Interessen von Minoritäten opfert, muß notwendigerweise die sozialen Bindungen
auflösen und zu einem fortwährenden Kampf jeder gegen jeden führen. Dieses
System ist lediglich Schrittmacher für die große geistige und soziale Reaktion
geworden. Diese findet heute ihren Ausdruck im Faschismus und in der Idee des
totalitären Staates, die die Machtbesessenheit der absoluten Monarchie der
vergangenen Jahrhunderte weit übertreffen und versuchen, jeden Bereich der
menschlichen Aktivität unter die Kontrolle des Staates zu bringen. "Alles
im Staate, nichts außerhalb des Staates, nichts gegen den Staat!"
(Mussolini) wurde das Leitmotiv einer neuen politischen Theologie. Heißt es in
den alten Kirchensystemen "Gott ist alles und der Mensch ist nichts",
so ist das moderne Glaubensbekenntnis "Der Staat ist alles und der Bürger
nichts". Und so wie das Wort "Der Wille Gottes" benutzt wurde, um
den Willen der herrschenden Klassen zu rechtfertigen, so verstecken sich heute
hinter dem "Willen der Staaten" nur die egoistischen Interessen derer,
die sich berufen fühlen, diesen Willen in ihrem Sinne zu interpretieren und den
Menschen aufzuzwingen.
Im
modernen Anarchismus treffen zwei große Strömungen zusammen, die vor und nach
der französischen Revolution einen sehr großen Ausdruck im geistigen Leben
Europas gefunden haben: Sozialismus und Liberalismus. Der moderne Sozialismus
entwickelte sich, als immer klarer erkannt wurde, daß politische Einrichtungen
und Regierungswechsel niemals an die Wurzel des großen Problems, die Soziale
Frage, dringen konnten. Seine Anhänger erkannten, daß eine Anpassung der
sozialen und politischen Bedingungen zum Wohl aller trotz der besten
Voraussetzungen unmöglich ist. Sie ist nicht möglich, solange die Menschen auf
der Basis des Besitzes oder Nicht-Besitzes von Eigentum in Klassen geteilt sind
- Klassen, deren bloße Existenz von vorrnhherein jeglichen Gedanken an eine
wirkliche Gemeinschaft ausschließen. Deshalb kam man zu der Überzeugung, daß
nur durch die Beseitigung der wirtschaftlichen Monopole und den
gemeinschaftlichen Besitz an Produktionsmitteln ein Zustand sozialer
Gerechtigkeit hergestellt werden könne. Ein Zustand, in der die Gesellschaft
eine wirkliche Gemeinschaft wird, und die menschliche Arbeit nicht länger die
Ausbeutung zur Folge hat, sondern das Wohlbefinden aller sichert. Aber sobald
der Sozialismus organisiert auftrat und zu einer Bewegung wurde, traten auf
einmal bestimmte Meinungsunterschiede auf, die von dem Einfluß des sozialen
Milieus der verschiedenen Länder herrührten. Es ist eine Tatsache, daß jedes
politische Konzept von der Gottesherrschaft bis zum Cäsarismus und zur Diktatur
sich auf bestimmte Parteien der sozialistischen Bewegung ausgewirkt hat.
Die
zwei großen Strömungen des politischen Denkens nahmen einen entscheidenden
Einfluß auf die Entwicklung sozialistischer Ideen: der Liberalismus, den
fortschrittliche Denker in den angelsächsischen Ländern und teilweise in
Holland und Spanien stimuliert hatten; die Demokratie in dem Sinne, wie sie
Rousseau in seinem "Gesellschaftsvertrag" (1)
dargelegt hatte, und die ihre einflußreichsten Repräsentanten in den Führern
der französischen Jakobiner (2)
fand. Der Liberalismus ging in seinen sozialen Theorien vom Individuum aus. Er
forderte, die Aktivitäten des Staates auf ein Minimum zu beschränken. Demgegenüber
beruhte Demokratie auf einem abstrakten kollektiven Konzept, Rousseaus
"Allgemeinem Willen", das versuchte, diese Vorstellung im
Nationalstaat zu verwirklichen. Liberalismus
und Demokratie waren hervorragende politische Konzepte. Da die meisten Anhänger
von Liberalismus und Demokratie kaum die ökonomischen Bedingungen der
Gesellschaft betrachteten, konnte die weitere Entwicklung dieser Bedingungen
praktisch nicht mit den ursprünglichen Prinzipien der Demokratie versöhnt
werden. Noch weniger jedoch mit denen des Liberalismus. Demokratie mit ihrem
Motto der "Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz", und der
Liberalismus mit seinem "Recht des Menschen auf seine Person"
scheiterten beide an den Realitäten der kapitalistischen Wirtschaft.
Solange
Millionen von Menschen in jedem Land ihre Arbeitskraft einer kleinen Minorität
von Besitzenden verkaufen müssen und in die erbärmlichste ökonomische Lage
geraten, wenn sie keinen Käufer finden, bleibt die sogenannte Gleichheit vor
dem Gesetz eine Farce, seit die Gesetze von denen gemacht werden, die im Besitz
des gesellschaftlichen Reichtums sind. Aber in demselben Zusammenhang kann auch
nicht vom Recht des Menschen auf seine Person gesprochen werden, da dieses Recht
dort endet, wo jemand gezwungen ist, sich dem ökonomischen Diktat eines anderen
zu unterwerfen.
Wie
der Liberalismus vertritt auch der Anarchismus die Idee, daß das Glück und die
Wohlfahrt des Einzelnen der Maßstab in sämtlichen sozialen Angelegenheiten
sein muß. Und wie die bedeutenden Repräsentaten des liberalen Gedankenguts
vertritt auch der Anarchismus die Auffassung, daß die Aufgaben der Regierung
auf ein Minimum beschränkt werden müssen. Seine Anhänger sind diesem Gedanken
bis zur letzten Konsequenz gefolgt und sind bestrebt, jede Institution der
politischen Macht aus dem gesellschaftlichen Leben zu eliminieren. Wenn
Jefferson (3)
das Grundkonzept des Liberalismus in die Worte faßt: "Diejenige Regierung
ist am besten, die am wenigsten regiert", sagen die Anarchisten mit Thoreau:
(4)
"Diejenige Regierung ist am besten, die überhaupt nicht regiert".
Gemeinsam
mit den Vätern des Sozialismus fordern die Anarchisten die Abschaffung des
wirtschaftlichen Monopols in jeder Form und unterstützen den
Gemeinschaftsbesitz an Grund und Boden und den Produktionsmitteln, deren
Gebrauch jedem ohne Unterschied zugänglich sein muß; denn persönliche und
soziale Freiheit ist nur auf der Basis von gleichen ökonomischen Bedingungen für
jedermann denkbar. Innerhalb der sozialistischen Bewegung vertreten die
Anarchisten den Standpunkt, daß der Kampf gegen den Kapitalismus gleichzeitig
ein Kampf gegen die Zwangsinstitutionen der politischen Macht sein muß, da in
der Geschichte die ökonomische Ausbeutung Hand in Hand mit politischer und
sozialer Unterdrückung gegangen ist. Die Ausbeutung des Menschen durch den
Menschen und die Herrschaft des Menschen über den Menschen sind untrennbar und
bedingen einander.
Solange
sich in der Gesellschaft eine besitzende und nichtbesitzende Schicht in
Feindschaft gegenüberstehen, wird der Staat für die besitzende Minderheit
unentbehrlich sein, um ihren Besitz zu schützen. Wenn diese Voraussetzung der
sozialen Ungerechtigkeit verschwindet, um der Ordnung Platz zu machen, die keine
besonderen Rechte anerkennt und als Grundvoraussetzung die Gemeinschaft der
sozialen Interessen haben wird, muß die Regierung über Menschen der Verwaltung
der ökonomischen und sozialen Angelegenheiten das Feld überlassen, oder, um
mit Saint Simon (5)
zu sprechen: "Die Zeit wird kommen, in der die Kunst, Menschen zu regieren,
verschwinden wird. Eine neue Kunst wird diesen Platz einnehmen, die, Dinge zu
verwalten". In dieser Hinsicht muß der Anarchismus als freiwilliger
Sozialismus betrachtet werden. Das
bestimmte auch die von Marx und seinen Änhängern aufgestellte Theorie, daß
der Staat, in der Form der Diktatur des Proletariats, eine notwendige Übergangsstufe
zur klassenlosen Gesellschaft ist, in der der Staat, nach der Eliminierung aller
Klassenkonflikte und schließlich der Klassen selbst, sich auflösen wird und
verschwindet. Dieses Konzept, daß die reale Natur des Staates und die Bedeutung
des Faktors der politischen Macht in der Geschichte völlig verkennt, ist nur
das logische Ergebnis des sogenannten ökonomischen Materialismus. Der sieht in
allen Erscheinungen der Geschichte lediglich die unvermeidlichen Folgen der
Produktionsmethode dieser Zeit. Unter dem Einfluß dieser Theorie betrachteten
die Menschen die verschiedenartigen Formen des Staates und all der anderen
sozialen Institutionen als einen "rechtlichen und politischen Überbau der
ökonomischen Basis". Sie meinten darin den Schlüssel zu jedem
historischen Prozeß gefunden zu haben. In Wirklichkeit liefert uns jeder
historische Abschnitt Tausende von Beispielen, in denen die ökonomische
Entwicklung verschiedener Länder durch den Staat und seine Machtpolitik einen Rückschlag
von Jahrzehnten erlitten hat.
Vor
dem Aufstieg der klerikalen Monarchie war Spanien, industriell gesehen, das am
weitesten entwickelte Land in Europa und hielt den ersten Platz in der
Produktion in fast jedem Bereich. Aber ein Jahrhundert nach dem Triumph der
klerikalen Monarchie waren die meisten Industriebetriebe verschwunden; was von
ihnen übrigblieb, überlebte unter den elendsten Bedingungen. In den meisten
Industriezweigen ging man auf die primitivsten Produktionsmethoden zurück. Die
Landwirtschaft brach zusammen, Wasserstraßen wurden ruiniert und weite Landflächen
in eine Wüste verwandelt. Der fürstliche Absolutismus in Europa, mit seinen törichten
"ökonomischen Verordnungen" und seiner "industriellen
Gesetzgebung", der jedes Abweichen von den vorgeschriebenen
Produktionsmethoden streng bestrafte und keine neuen Erfindungen erlaubte,
blockierte den industriellen Fortschritt in den europäischen Ländern für
Jahrzehnte und verhinderte seine natürliche Entwicklung. Und selbst nach den
schrecklichen Erfahrungen zweier Weltkriege erweist sich die Machtpolitik der
großen Nationalstaaten als das größte Hindernis für die Wiederherstellung
der europäischen Wirtschaft.
In
Rußland jedoch, wo die sog. Diktatur des Proletariats herrscht, hat das
politische Machtstreben einer einzigen Partei jegliche echte Reorganisation des
ökonomischen Lebens verhindert und das Land in die Sklaverei des
Staatskapitalismus gezwungen. Die Diktatur des Proletariats, von der Naive
glauben, daß sie eine notwendige Übergangsstufe zum wirklichen Sozialismus
darstellt, hat sich zu einem schrecklichen Despotismus und zu einem neuen
Imperialismus gewandelt, der in nichts hinter der Tyrannei des Faschismus zurückbleibt.
Die Behauptung, daß der Staat solange bestehen bleiben muß, bis die
Gesellschaft nicht in feindliche Klassen gespalten ist, erscheint, im Lichte
aller historischen Erfahrungen, wie ein schlechter Scherz.
Jeder
Typus politischer Macht setzt eine besondere Form von menschlicher Sklaverei
voraus, für deren Erhaltung die Macht überhaupt ins Leben gerufen worden ist.
Nach außen, in Beziehung zu anderen Staaten, muß der Staat einige künstliche
Widersprüche schaffen, um seine Existenz zu rechtfertigen. Im Inneren ist die
Spaltung der Gesellschaft in Kasten, Stände und Klassen die notwendige
Bedingung für sein Fortbestehen. Die Entwicklung der bolschewistischen Bürokratie
in Rußland unter der Diktatur des Proletariats - die nichts anderes ist als die
Diktatur einer kleinen Clique über das Proletariat und über das ganze
russische Volk - ist lediglich ein neues Beispiel einer alten historischen
Erfahrung, die sich unzählige Male wiederholt hat. Diese neue herrschende
Klasse, die sich heute in eine neue Aristokratie wandelt, hat sich von den großen
Massen der russischen Bauern und Arbeiter abgesetzt, genau wie die
privilegierten Kasten und Klassen in anderen Ländern von der Masse der Bevölkerung.
Und diese Situation wird immer unerträglicher, wenn ein despotischer Staat den
niederen Klassen das Recht verweigert, sich gegen die bestehenden Verhältnisse
zu wenden, so daß jeder Protest die Gefährdung des Lebens zur Folge hat.
Aber
auch ein höherer Grad von ökonomischer Gleichheit als der in Rußland würde
noch keine Garantie gegen politische und soziale Unterdrückung bedeuten. Ökonomische
Gleichheit allein bedeutet keine soziale Befreiung. Es ist genau dies, was die
Schulen des autoritären Sozialismus niemals verstanden haben. Im Gefängnis, im
Kloster oder in der Kaserne findet man einen ziemlich hohen Grad von ökonomischer
Gleichheit, da alle Insassen mit derselben Unterkunft, derselben Verpflegung,
derselben Uniform und denselben Aufgaben versehen sind. Der alte Inka-Staat in
Peru und der Jesuitenstaat in Paraguay hatten die gleiche ökonomische
Versorgung für alle Einwohner geschaffen. Aber trotzdem herrschte dort der
schlimmste Despotismus, und der Mensch war lediglich der Automat eines höheren
Willens, auf dessen Entscheidungen er nicht den geringsten Einfluß hatte. Es
ist nicht von der Hand zu weisen, daß Proudhon (6)
in einem "Sozialismus" ohne Freiheit die schlimmste Form der Sklaverei
sah. Der Drang nach sozialer Gerechtigkeit kann sich nur entwickeln und nur
effektiv sein, wenn er vom Sinn für Freiheit und Verantwortlichkeit ausgeht und
darauf basiert. Mit anderen Worten, der Sozialismus wird frei, oder er wird
nicht sein. Im Erkennen dieser Tatsache liegt die wahre und tiefe Rechtfertigung
des Anarchismus. Institutionen
dienen im Leben der Gesellschaft demselben Zweck wie die physischen Organe im
Leben der Pflanzen und der Tiere: sie sind die Organe des sozialen Körpers.
Organe entwickeln sich nicht willkürlich, sondern verdanken ihren Ursprung
bestimmten Notwendigkeiten der physischen und sozialen Umgebung. Veränderte
Lebensbedingungen schaffen veränderte Organe. Und ein Organ verschwindet allmählich
oder verkümmert, sobald seine Funktion für den Organismus nicht mehr notwendig
ist. Dasselbe
gilt für soziale Institutionen. Sie entstehen ebenfalls nicht willkürlich,
sondern werden durch besondere soziale Notwendigkeiten bedingt ins Leben
gerufen, um einen bestimmten Zweck zu verfolgen. Auf diese Weise entwickelte
sich der moderne Staat, nachdem Ökonomische Privilegien und damit verbundene
Klassenspaltungen im Rahmen der alten sozialen Ordnung immer sichtbarer wurden.
Die neu entstandenen besitzenden Klassen benötigten ein politisches
Machtinstrument, um ihre ökonomischen und sozialen Privilegien gegenüber den
Massen des Volkes zu behaupten.
So
entstanden die entsprechenden sozialen Bedingungen für die Entwicklung des
modernen Staates als politisches Machtinstrument für die Unterdrückung der
nicht-besitzenden Klassen. Diese Aufgabe ist der wichtigste Grund für seine
Existenz. Seine äußerlichen Formen haben sich im Laufe der historischen
Entwiklung geändert, aber seine Aufgaben sind immer die gleichen geblieben. Sie
haben sich sogar konstant in dem Maße ausgebreitet, wie es seinen Anhängern
gelang, sich weitere Felder sozialer Aktivitäten dienstbar zu machen. Und so
wie man die Funktionen eines physischen Organs nicht willkürlich ändern kann,
so kann man auch nicht nach Belieben ein Organ der sozialen Unterdrückung in
ein Instrument für die Befreiung der Unterdrückten umwandeln.
Der
Anarchismus ist keine Patentlösung für alle menschlichen Probleme, keine
Utopie einer perfekten Gesellschaftsordnung (wie er so oft bezeichnet wurde),
weil er grundsätzlich alle absoluten Schemata und Konzepte verwirft. Er glaubt
nicht an eine absolute Wahrheit oder an bestimmte Endziele der menschlichen
Entwicklung. Vielmehr an eine unbegrenzte Vervollkommnungsfähigkeit von
sozialen Modellen und menschlichen Lebensbedingungen, die sich ständig um höhere
Ausdrucksformen bemühen, und denen man, aus diesem Grund, keinen bestimmten
Endpunkt und kein festes Ziel zuweisen kann.
Das
größte Übel jeder Form von Macht ist, daß sie ständig versucht, die große
Mannigfaltigkeit des sozialen Lebens in bestimmte Formen zu pressen und sie
einzelnen Normen anzupassen. Je stärker sich seine Anhänger fühlen, desto
umfassender werden sie versuchen, sich jeden Bereich des sozialen Lebens
dienstbar zu machen. Ergebnis ist ihr lähmender Einfluß auf die Tätigkeit
alle kreativen Kräfte. Hier zeigt sich mit erschreckender Klarheit, zu welcher
Ungeheuerlichkeit Hobbes "Leviathan" (7)
entwickelt werden kann. Es ist der totale Triumph der politischen Maschine über
Geist und Körper, die Rationalisierung des menschlichen Denkens, Fühlens und
Verhaltens entsprechend den festgesetzten Regeln der Bürokratie und, in letzter
Konsequenz, das Ende aller echten intellektuellen Kultur.
Anarchismus
anerkennt lediglich die relative Bedeutung von Ideen, Institutionen und sozialen
Bedingungen. Er ist deshalb nicht ein bestimmtes, geschlossenes soziales System,
sondern eher eine bestimmte Richtung in der historischen Entwicklung der
Menschheit. Im Gegensatz zu der intellektuellen Vormundschaft aller klerikalen
und Regierungsinstitutionen strebt er nach der freien ungehinderten Entfaltung
aller individuellen und sozialen Kräfte im Leben. Auch Freiheit ist nur ein
relatives, kein absolutes Ziel, da sie dauernd dazu neigt, ihren Bereich zu
erweitern und auf weite Kreise in mannigfaltiger Weise einzuwirken. Für den
Anarchisten ist Freiheit nicht ein abstraktes philosophisches Ziel. Vielmehr ist
sie die lebenswichtige konkrete Möglichkeit für jedes menschliche Wesen, alle
Fähigkeiten und Talente zur vollen Entfaltung zu bringen und sie in einen
sozialen Rahmen zu stellen. Je weniger diese natürliche Entwicklung des
Menschen durch klerikale und politische Bevormundung gestört wird, desto
leistungsfähiger und harmonischer werden die Menschen sein, desto mehr werden
sie das Maß der intellektuellen Kultur der Gesellschaft sein, in die sie
hineingewachsen sind. Das ist der Grund, warum alle großen kulturellen Perioden
in der Geschichte Perioden der politischen Schwäche waren. Denn politische
Systeme waren immer auf die mechanische und nicht auf die organische Entwicklung
der sozialen Kräfte versessen.
Staat
und Kultur sind unversöhnliche Gegensätze. Nietzsche, der kein Anarchist war,
erkannte dies sehr deutlich, als er schrieb: "Niemand kann schließlich
mehr ausgeben, als er besitzt. Das gilt für Einzelpersonen; das gilt für das
Volk. Wenn einer sich in der Hohen Politik, in der Landwirtschaft, im Handel,
Parlamentarismus, in militärischen Interessen erschöpft - wenn einer diese
Summe von Vernunft, Eifer, Willen und Gewalt über sich selber weggibt, die sein
eigenes Ich ausmacht, wird er es nicht für andere Sachen haben. Kultur und der
Staat - darüber sollte sich niemand täuschen - sind Gegner: der Kulturstaat
ist lediglich eine moderne Idee. Das Eine lebt gegen das Andere, das Eine
entwickelt sich auf Kosten des Anderen. Alle großen Kulturepochen sind Perioden
des politischen Niedergangs. Was im kulturellen Sinn bedeutend ist, ist
unpolitisch, ist sogar antipolitisch."
Wo
der Einfluß der politischen Macht auf die kreativen Kräfte in der Gesellschaft
auf ein Minimum reduziert ist, gedeiht die Kultur am besten, da politische
Herrschaft ständig nach Uniformität strebt und den Hang hat, jeden Aspekt des
sozialen Lebens seiner Vormundschaft unterzuordnen. Die politische Herrschaft
findet sich in einem unentrinnbaren Widerspruch zu den kreativen Bestrebungen
kultureller Entwicklung, die immer auf der Suche ist nach neuen Formen und
Feldern der sozialen Aktivität. Für sie sind die Freiheit der Meinungsäußerung,
die Vielfältigkeit und der unaufhörliche Wechsel von Dingen genauso
lebensnotwendig wie rigide Formen, tote Vorschriften und die gewaltsame Unterdrückung
für die Erhaltung der politischen Macht. Jedes erfolgreiche Stück Arbeit verstärkt
den Wunsch nach größerer Perfektion und tieferer Inspiration; jede neue Form
wird der Vorbote für neue Entwicklungsmöglichkeiten. Aber die Macht versucht
die Dinge zu bewahren, verankert in Stereotypen. Das war der Grund für alle
Revolutionen in der Geschichte. Macht wirkt nur destruktiv, ist ständig darauf
bedacht, jede Manifestation des sozialen Lebens in die Zwangsjacke seiner
Vorschriften zu zwingen. Ihre intellektuelle Sprache ist ein totes Dogma, ihre
physische Form rohe Gewalt. Und diese Ausdrucksformen drücken auch ihren Repräsentanten
ihren Stempel auf und machen sie oft einfältig und brutal.
Das
ist der Grund für die Entstehung des modernen Anarchismus. Daraus schöpft er
seine moralische Kraft. Nur Freiheit kann die Menschheit zu großen Dingen
inspirieren und intellektuelle und soziale Veränderungen herbeiführen. Die
Kunst, Menschen zu regieren war nie die Kunst, sie zu einer neuen Lebensform zu
erziehen und zu begeistern. Lebloser Drill ist der Ausdruck von Zwang, der
jegliche vitale Initiative von Anfang an erstickt und nur Untertanen
hervorbringt, aber keinen freien Menschen. Freiheit ist das höchste Gut im
Leben, die treibende Kraft in jeder intellektuellen und sozialen Entwicklung,
die Schöpferin jeder neuen Zielsetzung für die Zukunft der Menschheit. Die
Befreiung des Menschen von der ökonomischen Ausbeutung und von der
intellektuellen, sozialen und politischen Unterdrückung, die ihren höchsten
Ausdruck in der Philosophie des Anarchismus findet, ist die erste Voraussetzung
für die Entwicklung einer höheren sozialen Kultur und einer neuen Humanität.
2.
GESCHICHTE DER ANARCHISTISCHEN PHILOSOPHIE VON LAO-TSE BIS KROPOTKIN
Anarchistische
Ideen sind in fast jeder Periode der bekannten Geschichte anzutreffen. Wir
begegnen ihnen in dem chinesischen Weisen Lao-tse, in den griechischen
Philosophen, den Hedonisten und Zynikern und anderen Verfechtern des sogenannten
Naturrechts, in Zeno, dem Gründer der Stoiker-Schule und Opponenten Platons.
Sie fanden Ausdruck in den Lehren der gnostischen Carpokraten in Alexandria.
Ferner besaßen sie einen unverkennbaren Einfluß auf bestimmte christliche
Sekten im Mittelalter in Frankreich, Deutschland, Italien, Holland und England.
Die meisten von ihnen wurden Opfer grausamster Verfolgungen. In der Geschichte
der böhmischen Revolution fanden sie einen machtvollen Verteidiger in Peter
Chelcicky, der in seinem Werk "Das Netz des Glaubens" dieselben
Urteile über die Kirche und den Staat fällte, wie es Tolstoi Jahrhunderte später
tat. Unter den großen Humanisten war es Rabelais, der in seiner Beschreibung
der glücklichen Abtei von Theleme (8)
ein Bild des von allen autoritären Zwängen befreiten Lebens zeichnete. Von den
anderen Pionieren des libertären Denkens sollen hier nur La Boetie, Sylvain
Marechal, und vor allem Diderot erwähnt werden, in dessen umfangreichen
Schriften man immer wieder die Äußerungen eines wirklich großen Geistes
findet, der sich von jedem autoritären Vorurteil freigemacht hat.
Mittlerweile
ist es der neueren Geschichte vorbehalten, der anarchistischen Lebenskonzeption
eine deutliche Form zu geben und sie mit dem unmittelbaren Prozeß der sozialen
Evolution zu verbinden. Das wurde zum erstenmal von William Godwin (1756-1836)
in seinem Werk "Eine Untersuchung über das Wesen der politischen
Gerechtigkeit und ihr Einfluß auf allgemeine Tugend und Glück" (London
1793) vollzogen. Godwins Werk war, so kann man sagen, die reife Frucht jener
langen Entwicklung des politischen und sozialen Radikalismus in England,
ausgehend von George Buchanan über Richard Hooker, Gerard Winstently, Alge Enon
Sydney, John Locke, Robert Wallace und John Bellers zu Jeremy Bentham, Joseph
Priestley, Richard Price und Thomas Price. Godwin erkannte sehr deutlich, daß
der Grund für das soziale Elend nicht in der Form des Staates, sondern in
seiner bloßen Existenz zu suchen ist. Aber er erkannte auch, daß die Menschen
nur frei und natürlich miteinander leben können, wenn die geeigneten ökonomischen
Bedingungen dafür gegeben sind, und das Individuum nicht länger das Opfer von
Ausbeutung durch andere ist. Das war eine Überlegung, die die meisten Repräsentanten
des reinen politischen Radikalismus zumeist gänzlich übersehen haben. Daher
waren sie später gezwungen, dem Staat ständig größere Zugeständnisse zu
machen, die sie eigentlich auf ein Minimum beschränken wollten. Godwins Idee
einer staatenlosen Gesellschaft setzte die Sozialisierung des Grund und Bodens
und der Produktionsmittel sowie die Fortführung des wirtschaftlichen Lebens in
Form von freien Kooperativen der Produzenten voraus. Sein Werk hatte starken
Einfluß auf die fortschrittlichen Kreise der englischen Arbeitschaft und auf
die aufgeklärtesten Teile der liberalen Intelligenz. Was jedoch am
allerwichtigsten war: er trug zur jungen sozialistischen Bewegung in England,
die ihre reifsten Vertreter in Robert Owen (9),
John Gray und William Thompson fand, den unverkennbaren libertären Charakter
bei, den sie sehr lange besaß. In Deutschland und vielen anderen Ländern
konnte man das dagegen nicht voraussetzen.
Auch
der französische Sozialist Charles Fourier (1722-1832) mit seiner Theorie von
der attraktiven Arbeit muß hier als einer der Pioniere der libertären Ideen
erwähnt werden.
Aber
einen weit größeren Einfluß auf die Entwicklung der anarchistischen Theorie
besaß Pierre Joseph Proudhon (1809-1865), einer der talentiertesten und
vielseitigsten Schriftsteller des modernen Sozialismus. Proudhon war im
geistigen und sozialen Leben seiner Zeit vollständig verwurzelt, und dies
beeinflußte seine Haltung zu jeder Frage, mit der er sich beschäftigte.
Deshalb kann man ihn nicht nach den speziellen praktischen Vorschlägen
beurteilen, die den Notwendigkeiten der Zeit entsprachen, wie es viele Kritiker
taten. Unter den zahllosen sozialistischen Denkern war er derjenige, der die
Ursachen der miserablen sozialen Lage am gründlichsten verstand, und der überdies
visionäre Fähigkeiten besaß. Er war der freimütige Gegner aller künstlichen
sozialen Systeme und sah in der sozialen Entwicklung den immerwährenden Drang
nach neueren und höheren Formen des geistigen und sozialen Lebens. Er war davon
überzeugt, daß diese Entwicklung nicht an irgendwelche bestimmte abstrakte
Formeln gebunden werden könnte.
Proudhon
bekämpfte den Einfluß der jakobinischen Tradition, die das Denken der französischen
Demokraten und der meisten Sozialisten jener Zeit dominierte, mit der gleichen
Entschlossenheit wie den Eingriff des Zentralstaates und des ökonomischen
Monopols in den natürlichen sozialen Prozeß. Für ihn war es die große
Aufgabe der Revolution des 19. Jahrhunderts, die Gesellschaft von diesen
krebsartigen Gewächsen zu befreien. Proudhon war kein Kommunist. Er verurteilte
Eigentum als bloßes Privileg der Ausbeutung. Er anerkannte aber den Besitz an
Produktionsmitteln für alle, benutzt von industriellen Gruppen, die durch freie
Vereinbarung verbunden sein sollten. Aber nur solange, wie dieses Recht nicht
dazu mißbraucht würde, andere auszubeuten, und solange gesichert ist, daß das
gesamte Produkt der individuellen Arbeit jedem Mitglied der Gesellschaft zugute
kommt. Diese Verbindung, die auf Gegenseitigkeit beruht, garantiert den Genuß
gleicher Rechte durch alle im Austausch für soziale Dienste. Die
durchschnittliche Arbeitszeit, die die Fertigstellung irgendeines Produktes
fordert, wird das Maß ihres Wertes. Auf diese Weise wird das Kapital - seiner
akkumulierenden Macht beraubt - an die Verrichtung der Arbeit gebunden. Wenn es
jedem nützt, hört es auf, ein Instrument der Ausbeutung zu sein. Solch eine
Wirtschaftsform macht jeden politischen Zwangsapparat überflüssig. Die
Gesellschaft wird ein Bund freier Gemeinwesen, die ihre Angelegenheiten
entsprechend dem Bedürfnis verrichten, allein oder in Verbindung mit anderen.
In dieser Gesellschaft ist die persönliche Freiheit die Freiheit des anderen
und nicht deren Begrenzung, sondern deren Sicherheit und Bestätigung. "Je
freier, unabhängiger und unternehmungslustiger das Individuum ist, desto besser
ist es für die Gesellschaft." (Proudhon)
Die
Organisation des Föderalismus, in der Proudhon die unmittelbare Zukunft der
Menschheit sah, erlegt den zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten keinerlei
Beschränkungen auf und bietet jeder individuellen und gesellschaftlichen
Aktivität den größtmöglichen Spielraum. Vom Standpunkt des Föderalismus
ausgehend, bekämpfte Proudhon gleichfalls die Bestrebungen des in dieser Zeit
erwachenden Nationalismus nach politischer und nationaler Einheit, der seine
energischsten Vertreter in Mazzini, Garibaldi, Lelewel und anderen fand. In
dieser Hinsicht erkannte er die reale Natur des Nationalismus viel klarer als
die meisten seiner Zeitgenossen. Proudhon übte starken Einfluß auf den
Sozialismus aus, der besonders in romanischen Ländern zu spüren ist.
Ideen,
ähnlich den ökonomischen und politischen Konzeptionen Proudhons, wurden von
den Anhängern des sogenannten Individualistischen Anarchismus in Amerika
propagiert. Seine fähigsten Vertreter waren Männer wie Josiah Warren, Stephen
Perl Andrews, William B. Greene, Lysander Spooner, Benjamin R. Tucker, Ezra
Heywood, Francis D. Tandy und viele andere. Aber keiner von ihnen konnte
Proudhons Weitblick erreichen. Charakteristisch für diese Schule des libertären
Denkens ist die Tatsache, daß die meisten ihrer Repräsentanten ihre
politischen Vorstellungen nicht von Proudhon übernahmen, sondern von den
Traditionen des amerikanischen Liberalismus, so daß Tucker behaupten konnte, daß
"Anarchisten durchweg Jeffersonsche Demokraten seien".
Eine
einzigartige Darstellung libertärer Ideen findet man in Max Stirners (Johann
Kaspar Schmidt, 1806-1856) Buch "Der Einzige und sein Eigentum", das
schnell in Vergessenheit geraten ist und keinen Einfluß auf die Entwicklung der
anarchistischen Bewegung nahm. Stirners Buch ist vorwiegend ein philosophisches
Werk, das die menschliche Abhängigkeit von sogenannten höheren Mächten auf
all ihren abgelegenen Wegen verfolgt, und sich nicht scheut, Folgerungen aus
diesem Wissen zu ziehen. Es ist das Buch eines bewußten und vorsätzlichen Aufrührers,
das keine Verehrung für eine Autorität offenbart, wenn sie auch noch so
erhaben ist, und deshalb eindrucksvoll an unabhängiges Denken appelliert.
Der
Anarchismus fand einen revolutionären Kämpfer in Michael Bakunin (1814-1876).
Dieser baute seine Vorstellungen auf den Lehren Proudhons auf. Er dehnte sie
aber auf den ökonomischen Sektor aus, als er mit dem föderalistischen Flügel
der 1. Internationale den Kollektivbesitz von Grund und Boden und allen
Produktionsmitteln forderte, und das Recht auf Privatbesitz lediglich auf die
Produkte der individuellen Arbeit eingeschränkt sehen wollte. Bakunin war auch
ein Gegner des Kommunismus, der zu seiner Zeit einen vollkommen autoritären
Charakter besaß, wie er auch heute Ausdruck des Bolschewismus ist. Bakunin:
"Ich verabscheue den Kommunismus, weil er die Negation der Freiheit ist und
weil ich mir nichts Menschliches ohne Freiheit vorstellen kann. Ich bin kein
Kommunist, weil der Kommunismus alle Kräfte der Gesellschaft auf den Staat
lenkt und in diesem absorbiert; weil er notwendig zur Zentralisierung des
Eigentums in den Händen des Staates führt, während ich die Abschaffung des
Staates will - die radikale Auslöschung des Prinzips der Autorität und
Vormundschaft des Staates, das die Menschen unter dem Vorwand, sie moralischer
und zivilisierter zu machen, ausgebeutet und verdorben hat."
Bakunin
war ein Revolutionär, der nicht an einen partnerschaftlichen Ausgleich der
existierenden Konflikte in der Gesellschaft glaubte. Er erkannte, daß die
herrschenden Klassen blind und halsstarrig alle Moglichkeiten für größere
soziale Reformen bekämpfen. Dementsprechend sah er die einzige Rettung in einer
internationalen sozialen Revolution, die alle Institutionen der politischen
Macht und ökonomischen Ausbeutung abschaffen und an ihre Stelle eine freie Föderation
von Produzenten und Konsumenten setzen würde, um die täglichen Bedürfnisse zu
befriedigen. Seit er, wie so viele seiner Zeitgenossen, an die unmittelbar
bevorstehende Revolution glaubte, setzte er seine gesamte Energie daran, alle
aufrichtigen revolutionären und libertären Elemente innerhalb und außerhalb
der Internationale zu vereinigen, um diese Revolution gegen jede Diktatur oder
jeden Rückschritt zu sichern. So wurde er in einem bestimmten Sinne der Schöpfer
der modernen anarchistischen Bewegung.
Der
Anarchismus fand einen weiteren bedeutenden Vertreter in Peter Kropotkin
(1842-1921). Dieser stellte sich die Aufgabe, die Leistungen der modernen
Naturwissenschaft für die Entwicklung des soziologischen Konzeptes des
Anarchismus nutzbar zu machen. In seinem Buch "Gegenseitige Hilfe in der
Tier- und Menschenwelt" tritt er gegen den sogenannten
"Sozialdarwinismus" auf. Dessen Exponenten versuchten, die
Unvermeidlichkeit der herrschenden sozialen Bedingungen von der darwinistischen
Theorie des "Kampfes ums Überleben" her zu beweisen, indem sie dem
Kampf der Starken gegen die Schwachen den Status eines ehernen Naturgesetzes
verliehen, dem auch der Mensch Untertan sei. In Wirklichkeit war diese
Konzeption stark beeinflußt von der Malthus'schen Doktrin, nach der der
"Tisch des Lebens" nicht für alle gedeckt ist, und daß die
"Nichtsnutze" sich mit dieser Tatsache anfreunden müssen. Kropotkin
zeigt, daß diese Konzeption, die Natur als Feld der uneingeschränkten Kriegsführung
zu sehen, nur eine Karikatur des wirklichen Lebens darstellt. Neben dem brutalen
Existenzkampf existiere in der Natur auch eine andere Tendenz, die sich ausdrückt
in der sozialen Verbindung der schwächeren Arten und der Rassenerhaltung durch
die Entwicklung des sozialen Instinkts und der gegenseitigen Hilfe. In diesem
Sinne ist der Mensch nicht der Schöpfer der Gesellschaft, sondern die
Gesellschaft der Schöpfer des Menschen, da er von den Arten, die ihm
vorausgingen, den sozialen Instinkt erbte. Dieser allein befähigte ihn, sich in
seiner Umgebung gegen die physische Überlegenheit anderer Arten zu behaupten,
und sich einer ungeahnten Entwicklung zu vergewissern.
Nach
Kropotkin bleibt die Tatsache, daß die meisten persönlichen Verbindungen auch
unter schrecklichstem Despotismus durch soziale Gewohnheiten, freie und
gegenseitige Vereinbarungen arrangiert werden, ohne die kein soziales Leben möglich
wäre. Falls dies nicht der Fall wäre, würde selbst die brutalste
Zwangsmaschinerie des Staates nicht in der Lage sein, die soziale Ordnung für
eine gewisse Zeit aufrecht zu erhalten. Selbstverständlich sind diese natürlichen
Verhaltensweisen, die der tiefsten menschlichen Natur entspringen, heute ständig
gestört und gelähmt durch die Auswirkungen der ökonomischen Ausbeutung und
der staatlichen Bevormundung. Diese sind die schlimmsten Formen des
Existenzkampfes in der menschlichen Gesellschaft, die durch die Form der
gegenseitigen Hilfe und der freien Kooperation überwunden werden müssen. Das
Bewußtsein von persönlicher Verantwortung und die Fähigheit zur gegenseitigen
Zuneigung, die die gesamte Moral und alle Ideen von sozialer Gerechtigkeit
ausmachen, entwickeln sich am besten in Freiheit.
Wie
Bakunin war auch Kropotkin ein Revolutionär. Aber er sah wie Elisee Reclus (10)
und andere, in der Revolution nur eine spezielle Phase des evolutionären
Prozesses. Sie ergibt sich wenn neue soziale Hoffnungen in ihrer natürlichen
Entwicklung dermaßen eingeschränkt werden, daß sie mit Gewalt die alte Schale
zerstören müssen, bevor sie als neue Faktoren im menschlichen Leben in
Funktion treten können. Im
Gegensatz zu Proudhons Mutualismus und Bakunins Kollektivismus, befürwortete
Kropotkin nicht nur das Gemeineigentum an Produktionsmitteln, sondern auch der
Erzeugnisse: Seiner Meinung nach ist bei dem damaligen Stand der Technologie ein
exaktes Maß für den Wert individueller Arbeit nicht möglich. Auf der anderen
Seite sei es aber möglich, jedem Menschen bei rationaler Lenkung der modernen
Arbeitsmethoden einen relativen Wohlstand zu sichern. Der kommunistische
Anarchismus, der vor Kropotkin schon von Joseph Dejacque, Elisee Reclus, Carlos
Cafiero (11)
und anderen gefordert worden war, und der heute von der großen Mehrzahl der
Anarchisten anerkannt wird, fand in ihm seinen hervorragenden Vertreter.
Hier
muß auch Leo Tolstoi (1828-1910) erwähnt werden, der, ausgehend vom
Ur-Christentum und von der Basis der ethischen Prinzipien, die in der
christlichen Lehre niedergelegt sind, zu der Vorstellung von einer Gesellschaft
ohne Herrschaft gelangte.
Alle
Anarchisten haben den Willen, die Gesellschaft von allen politischen und
sozialen Zwangsinstitutionen zu befreien, die der Entwicklung einer freien
Menschheit im Wege stehen. In diesem Sinn sind Mutualismus, Kollektivismus und
Kommunismus nicht als geschlossene ökonomische Systeme anzusehen, die keine
weitere Entwicklung erlauben, sondern als ökonomische Voraussetzungen, um eine
freie Gemeinschaft zu sichern. Vermutlich werden sogar in jeder Form einer zukünftigen
freien Gesellschaft verschiedene Formen ökonomischer Kooperation nebeneinander
existieren. Denn jeder soziale Fortschritt muß mit freien Experimenten und
praktischen Tests neuer Methoden verbunden sein, für die in einer freien
Gesellschaft von freien Gemeinschaften jede Möglichkeit bestehen wird.
Dasselbe
gilt für die verschiedenen Methoden des Anarchismus. Das Werk seiner Anhänger
ist vorrangig ein Erziehungswerk, um die Menschen intellektuell und psychisch
auf die Aufgaben ihrer sozialen Befreiung vorzubereiten. Jeder Versuch, den
Einfluß des ökonomischen Monopols und die Macht des Staates einzuschränken,
ist ein Schritt weiter in Richtung der Verwirklichung dieses Ziels. Jede
Entwicklung der freiwilligen Organisation in den verschiedenen sozialen
Bereichen in Richtung persönlicher Freiheit und sozialer Gerechtigkeit vertieft
das Bewußtsein der Menschen und stärkt ihre soziale Verantwortung, ohne die
kein Wechsel im sozialen Leben erreicht werden kann. Die meisten Anarchisten
unserer Zeit sind überzeugt, daß eine solche Gesellschaftsumwandlung Jahre
konstruktiver Arbeit und Erziehung benötigt, und nicht zustande gebracht werden
kann ohne revolutionäre Erschütterungen, die bis heute jeden Fortschritt im
sozialen Leben erreicht haben. Der Charakter dieser Erschütterungen hängt natürlich
von der Stärke des Widerstandes ab, den die herrschende Klasse gegen die
Verwirklichung der neuen Idee zu mobilisieren in der Lage ist. Je größer die
Kreise sind, die von der Idee der Reorganisation der Gesellschaft im Geist der
Freiheit und des Sozialismus beseelt sind, desto leichter werden die
Geburtswehen neuer sozialer Änderungen in der Zukunft sein. Sogar Revolutionäre
können nur Ideen entwickeln und zur Reife gelangen lassen, die existieren und
schon in das Bewußtsein der Menschen eingedrungen sind. Sie können aber keine
neuen Ideen oder neue Welten aus dem Nichts entwickeln.
Vor
dem Aufkommen der totalitären Staaten in Rußland, Italien, Deutschland und später
in Spanien und Portugal und dem Ausbruch des 2. Weltkrieges, gab es
anarchistische Organisationen und Bewegungen in fast jedem Land. Aber wie alle
anderen sozialistischen Bewegungen in dieser Zeit wurden sie Opfer der
faschistischen Tyrannei und konnten nur im Untergrund existieren.
II
1.
DIE URSPRÜNGE DES ANARCHO-SYNDIKALISMUS
Viele
Anarchisten widmeten den größten Teil ihrer Aktivitäten der Arbeiterbewegung,
vor allem in den lateinischen Ländern, wo die Bewegung des
Anarcho-Syndikalismus ihren Ausgang nahm. Seine Theorien basieren auf den Lehren
des libertären und anarchistischen Sozialismus, seine Organisationsform auf der
Bewegung des revolutionären Syndikalismus, der in den Jahren von 1895 bis 1910
einen merklichen Aufschwung erfuhr, vor allem in Frankreich, Italien und
Spanien. Aber seine Ideen und Methoden waren nicht neu. Sie hatten bereits in
den Reihen der 1. Internationale große Resonanz gefunden, als diese den Höhepunkt
ihrer theoretischen Entwicklung erreicht hatte. Das zeigte sich deutlich in den
Debatten auf ihrem 4. Kongreß 1869 in Basel, der sich mit der Bedeutung der
wirtschaftlichen Organisationen der Arbeiter beschäftigte. In dem Referat über
diese Frage, das Eugene Eins dem Kongreß im Namen der belgischen Föderation
vorlegte, wurde zum erstenmal ein völlig neuer Gesichtspunkt angeschnitten, der
eine unverkennbare Ähnlichkeit mit bestimmten Ideen von Robert Owen und der
englischen Arbeiterbewegung der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts aufwies.
Um
eine korrekte Bewertung dieses Tatbestandes zu geben, muß man sich daran
erinnern, daß zu jener Zeit die verschiedenen Schulen des Staatssozialismus
keinen, oder im besten Fall einen geringen Einfluß auf die Gewerkschaften besaßen.
Die französischen Blanquisten sahen in diesen Organisationen lediglich eine
Reformbewegung, mit einer sozialistischen Diktatur als unmittelbarem Ziel.
Ferdinand Lassalle und seine Anhänger richteten alle Aktivitäten darauf, die
Arbeiter in einer politischen Partei zusammenzufassen; sie waren ausgesprochene
Gegner aller gewerkschaftlichen Kämpfe, in denen sie lediglich ein Hindernis für
die politische Entwicklung der Arbeiterklasse sahen. Marx und seine Anhänger
erkannten die Notwendigkeit der Gewerkschaften für die Erreichung bestimmter
Verbesserungen innerhalb des kapitalistischen Systems. Sie aber glaubten, daß
die Rolle der Gewerkschaften sich damit erschöpfen würde, und daß sie
zusammen mit dem Kapitalismus verschwänden, da der Übergang zum Sozialismus
nur durch die "Diktatur der Proletariats" erreicht werden könne.
In
Basel wurde dieser Gedanke zum erstenmal einer gründlichen und kritischen Prüfung
unterzogen. Die Ansichten, die in dem Referat von Eins zum Ausdruck kamen, und
die von den Delegierten Spaniens, des Schweizer Juras und dem größten Teil der
französischen Sektionen geteilt wurden, basierten auf der Prämisse, daß die
gegenwärtigen Ökonomischen Organisationen nicht nur eine Notwendigkeit
innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft seien. Darüber hinaus werden sie als
der soziale Kern einer kommenden sozialistischen Wirtschaft angesehen. Aus
diesem Grund sei es die Pflicht der Internationale, die Arbeiter für diese
Aufgabe zu erziehen. In Übereinstimmung damit nahm der Kongreß folgende
Resolution an: "Der Kongreß erklärt, daß alle Arbeiter sich bemühen
sollten, in den verschiedenen Branchen Vereinigungen für den Widerstand
einzurichten. Sobald eine Gewerkschaft aufgebaut ist, müssen die Vereinigungen
derselben Branche informiert werden, so daß der Aufbau der nationalen Allianzen
in der Industrie beginnen kann. Diese Allianzen werden beauftragt, alles
Material ihren Industriezweig betreffend zu sammeln, mit der Beratung über Maßnahmen,
die gemeinsam durchgeführt werden können, und mit deren Überwachung, und der
Ersetzung des gegenwärtigen Lohnsystems durch eine Föderation der freien
Produzenten. Der Kongreß beauftragt den Generalrat, für die Allianz der
Gewerkschaften aller Länder zu sorgen."
In
seiner Argumentation für die vom Komitee eingebrachte Resolution erklärte
Eins: "Bei dieser doppelten Form der Organisation von lokalen
Arbeiter-Assoziationen und allgemeinen Allianzen für jeden Industriezweig auf
der einen und der politischen Administration der Arbeiterräte auf der anderen
Seite, wird für die umfassende Vertretung der Arbeit, regional, national und
international, gesorgt sein. Die Räte der Branchen und industriellen
Organisationen werden den Platz der gegenwärtigen Regierung einnehmen, und die
Vertretung der Arbeit wird ein für allemal die Regierung der Vergangenheit
beseitigen."
Diese
neue Vorstellung entsprang der Erkenntnis, daß jede neue ökonomische
Gesellschaftsform von einer neuen politischen Form des sozialen Organismus
begleitet sein muß und nur in ihr seinen praktischen Ausdruck finden kann.
Ihre
Anhänger sahen im Nationalstaat lediglich den politischen Agenten und
Verteidiger der besitzenden Klassen. Aus diesem Grunde kämpften sie nicht um
die Eroberung der Macht, sondern um die Abschaffung jedes Machtsystems innerhalb
der Gesellschaft, in dem sie die notwendige Bedingung für alle Tyrannei und
Ausbeutung sahen. Sie meinten, daß mit dem Monopol des Eigentums auch das
Machtmonopol verschwinden müsse. Ausgehend von dieser Erkenntnis, daß die Tage
der Herrschaft des Menschen über den Menschen gezählt sind, versuchten sie,
sich mit der Verwaltung von Sachen vertraut zu machen. Oder, wie Bakunin, einer
der großen Vorläufer des Anarcho-Syndikalismus es ausdrückte: "Seit die
Organisation der Internationale nicht mehr die Errichtung neuer Staaten oder die
Einsetzung von Despoten zum Ziel hat, sondern die radikale Beseitigung jeder
selbständigen Gewalt, muß sie einen wesentlich anderen Charakter als die
Staatsorganisation besitzen. In dem Maße, wie letztere autoritär, künstlich
und gewalttätig, fremd und feindlich der natürlichen Entwicklung der
Interessen und Gefühle der Menschen gegenübersteht, muß die Organisation der
Internationale frei, natürlich und in jeder Beziehung in Übereinstimmung mit
jenen Interessen und Gefühlen stehen. Aber welcher Art ist die natürliche
Organisation der Massen? Sie basiert auf der tagtäglichen Beschäftigung,
gewerkschaftliche Organisation. Wenn alle Industriezweige, einschließlich der
verschiedenen Zweige der Landwirtschaft, in der Internationale vertreten sind,
wird die Organisation der arbeitenden Massen abgeschlossen sein."
Oder
bei einer anderen Gelegenheit: "Das praktische und grundlegende Studium der
Gesellschaftswissenschaft durch die Arbeiter selbst in ihren Sektionen und ihren
Arbeiterkammern wird - oder hat schon - in ihnen die einmütige, wohlüberlegte,
theoretisch und praktisch fundierte Überzeugung hervorgerufen, daß die
ernsthafte, vollständige Befreiung der Arbeiter nur unter einer Bedingung möglich
ist: durch die Aneignung von Kapital, d. h. von Rohstoffen und allen Maschinen,
inklusive Land, durch die Gesamtheit der Arbeiter. . . Die Organisation der
einzelnen Sektionen, ihr Zusammenschluß in der Internationale, und ihre
Vertretung durch die Arbeiterkammern schaffen nicht nur eine große Bildungsstätte,
in der die Arbeiter der Internationale, Theorie und Praxis verbindend, die
Wirtschaftswissenschaft studieren müssen; Sie tragen auch die lebenden Keime
der neuen sozialen Ordnung in sich, die die bürgerliche Welt ersetzen wird. Sie
bringen nicht nur die Theorien hervor, sondern auch die zukünfigen
Tatsachen..." Nach dem Niedergang der Internationale und dem Deutsch-Französischen
Krieg (1870/71), durch den sich das Zentrum der sozialistischen Arbeiterbewegung
nach Deutschland verlagerte, dessen Arbeiter weder eine revolutionäre Tradition
noch jene reiche Erfahrung aufzuweisen hatten, die die Sozialisten in den
anderen westlichen Ländern besaßen, wurden diese Ideen allmählich vergessen.
Nach der Niederlage der Pariser Kommune (1871) und der revolutionären
Erhebungen in Spanien und Italien (12)
waren die Sektionen der Internationale dieser Länder gezwungen, für viele
Jahre ihre Existenz im Untergrund fortzuführen. Nur durch das Erwachen des
revolutionären Syndikalismus in Frankreich wurden die Ideen und Theorien der 1.
Internationale vor der Vergessenheit bewahrt und begeisterten noch einmal größere
Sektionen der Arbeiterbewegung.
2.
SOZIALISMUS UND ANARCHO-SYNDIKALISMUS IN FRANKREICH
Der
moderne Anarcho-Syndikalismus ist eine direkte Fortsetzung jener sozialen
Bestrebungen, die in der 1. Internationale Gestalt annahmen und die am besten
durch den libertären Flügel der großen Arbeiterallianz vertreten wurden.
Seine Entwicklung war die direkte Reaktion auf die Konzepte und Vorgehensweisen
des politischen Sozialismus. Eine Reaktion, die sich bereits in dem großen
Aufschwung der syndikalistischen Arbeiterbewegung in Frankreich, Italien und
besonders in Spanien manifestierte, wo die große Mehrheit der organisierten
Arbeiter den Lehren des libertären Flügels der Internationale treu geblieben
war. In
Frankreich fand die Opposition gegen die Theorien und Praktiken der modernen
Arbeiterparteien ihren klaren Ausdruck in den Theorien und im Vorgehen des
revolutionären Syndikalismus. Der unmittelbare Grund für die Entwicklung
dieser neuen Tendenzen in der französischen Arbeiterbegung war die fortwährende
Zersplitterung der sozialistischen Parteien dieses Landes. Alle diese Parteien
sahen in den Gewerkschaften lediglich Rekrutierungsschulen für ihre politischen
Ziele und besaßen keinerlei Verständnis für ihre wirklichen Funktionen. Die
ständigen Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen sozialistischen
Splitterparteien wurden auch in die Gewerkschaften hineingetragen. Es kam häufig
vor, daß, wenn die Gewerkschaften einer Splitterpartei streikten, die
Gewerkschaften der anderen Splitterparteien sich als Streikbrecher betätigten.
Diese unhaltbare Situation öffnete den Arbeitern allmählich die Augen. So
beauftragte der Gewerkschaftskongreß von Nantes (1894) einen Sonderausschuß
mit der Aufgabe, Wege zu finden, um eine Verständigung unter allen
Gewerkschaften zu erreichen. Das Resultat war 1895 die Gründung der CGT (Confederation
Generale du Travail, Allgemeine Vereinigung der Arbeit) auf dem Kongreß in
Limoges, die sich von allen politischen Parteien unabhängig erklärte. Von dem
Zeitpunkt an existierten in Frankreich zwei große Gewerkschaftsgruppen, die CGT
und die "Föderation der Arbeiterbörsen". 1902, auf dem Kongreß in
Montpellier, vereinigte sich letztere mit der CGT.
Man
begegnet häufig der weit verbreiteten Meinung, die besonders von Werner Sombart
(13)
genährt wurde, daß der revolutionäre Syndikalismus in Frankreich seinen
Ursprung Intellektuellen, wie Georges Sorel, (14)
E. Berth und H. Lagardelle verdankt, die in der 1899 gegründeten Zeitschrift
"Die Sozialistische Bewegung" auf ihre Weise die intelektuellen
Ergebnisse der neuen Bewegung herausarbeiteten. Das ist völlig falsch. Keine
dieser Personen gehörte zu dieser Bewegung. Sie hatten auch keinen spürbaren
Einfluß auf die interne Entwicklung. Darüber hinaus war die CGT nicht
ausschließlich aus revolutionären Syndikaten zusammengesetzt. Rund die Hälfte
ihrer Mitglieder tendierte zum Reformismus und hatte sich der CGT nur deshalb
angeschlossen, weil sie erkannten, daß die Abhängigkeit der Gewerkschaften von
den politischen Parteien ein großes Unglück für die Bewegung bedeutete. Aber
der revolutionäre Flügel, der sowohl die tatkräftigsten und aktivsten
Elemente der organisierten Arbeiter als auch die brilliantesten intelektuellen
Kräfte auf seiner Seite gehabt hatte, drückte der CGT seinen
charakteristischen Stempel auf. Es waren diejenigen Kräfte, die die
Ideenentwicklung des revolutionären Syndikalismus bestimmten. Viele kamen aus
den Reihen der Anarchisten, wie Fernand Pelloutier, der hochintelligente Sekretär
der Föderation der Arbeiterbörsen, Emile Pouget, der Herausgeber des
offiziellen Organs der CGT "Die Stimme des Volkes", P. Delesalle, G.
Yvetot und viele andere. Vorwiegend unter dem Einfluß des radikalen Flügels
der CGT entwickelte sich die neue Bewegung und fand ihren Ausdruck in der Charta
von Amiens (1906), in der die Grundsätze und die Taktik der Bewegung
niedergelegt wurden. Diese
neue Bewegung in Frankreich fand ein starkes Echo unter den romanischen
Arbeitern und drang auch in andere Länder vor. Der Einfluß des französischen
Syndikalismus auf größere und kleinere Sektionen der internationalen
Arbeiterbewegung zu jener Zeit wurde in hohem Maß gefördert durch die interne
Krise, die fast alle sozialistischen Arbeiterparteien Europas heimsuchte. Der
Kampf zwischen den sog. Revisionisten und den orthodoxen Marxisten, und
besonders die Tatsache, daß ihre parlamentarischen Aktivitäten die heftigsten
Kritiker der Revisionisten von der Notwendigkeit überzeugte, den Pfad des
Revisionismus zu beschreiten, bewog viele nachdenkliche Kräfte, ihre Lage
ernsthaft zu überdenken. Sie stellten fest, daß die Teilhabe an der Politik
der Nationalstaaten der Arbeiterbewegung kein bißchen näher zum Sozialismus
brachte, sondern in großem Maße geholfen hatte, den Glauben an die
Notwendigkeit von konstruktiven sozialistischen Aktivitäten zu zerstören. Was
aber am allerschlimmsten ist: sie beraubte die Menschen ihrer Initiative, indem
sie ihnen vortäuschte, daß das Heil immer von oben kommt.
Unter
diesen Umständen verlor der Sozialismus mehr und mehr den Charakter eines
kulturellen Ideals, das die Arbeiter auf die Vernichtung des gegenwärtigen
kapitalistischen Systems vorbereiten sollte. Er konnte aus diesem Grund nicht
von den künstlichen Grenzen der Nationalstaaten aufgehalten werden. Im Sinne
der Führer der modernen Arbeiterparteien wurden die vermeintlichen Ziele der
Bewegung mehr und mehr mit den Interessen der Nationalstaaten vermischt, bis sie
zum Schluß unfähig wurden, bestimmte Grenzen wahrzunehmen, die zwischen ihnen
bestehen. Es würde ein Fehler sein, hierin einen beabsichtigten Verrat der Führer
zu sehen, wie es so oft behauptet wird. Die Wahrheit ist, daß wir es hier mit
einer allmählichen Angleichung an die Gedankengänge und die Normen der gegenwärtigen
Gesellschaft zu tun haben, die notwendigerweise die geistige Haltung der Führer
der verschiedenen Arbeiterparteien in jedem Land in Mitleidenschaft ziehen müssen.
Diese Parteien, die sich einst aufgemacht hatten, die politische Macht unter der
Flagge des Sozialismus zu erobern, sahen sich durch die eherne Logik der
Bedingungen gezwungen, ihre sozialistischen Überzeugungen der Politik der
Nationalstaaten zu opfern. Die politische Macht, die sie erobern wollten, hatte
allmählich ihren Sozialismus erobert, bis kaum mehr übrigblieb als der Name.
3.
DIE ROLLE DER GEWERKSCHAFTEN AUS ANARCHO-SYNDIKALISTISCHER SICHT
Dies
waren die Überlegungen, die zur Entwicklung des revolutionären Syndikalismus
oder Anarcho-Syndikalismus, wie er später genannt wurde, in Frankreich und
anderen Ländern führten. Der Begriff Arbeitersyndikat bedeutete zuerst
lediglich eine Organisation der Produzenten für die unmittelbare Verbesserung
ihres ökonomischen und sozialen Status. Aber der Aufstieg des revolutionären
Syndikalismus vermittelte dieser ursprünglichen Bedeutung ein wesentlich größeres
Gewicht. Die Partei ist eine Organisation mit bestimmten politischen Aufgaben
innerhalb der modernen Verfassungsstaaten, die die gegenwärtige
Gesellschaftsordnung in der einen oder anderen Form aufrechtzuerhalten sucht.
Dagegen sind aus syndikalistischer Sicht die Gewerkschaften die vereinigte
Arbeiterorganisation; sie haben die Verteidigung der Produzenten in der
existierenden Gesellschaft und die Vorbereitung sowie die praktische Durchführung
der Rekonstruktion des gesellschaftlichen Lebens in Richtung Sozialismus zum
Ziel. Die Gewerkschaften haben deshalb eine doppelte Aufgabe: Die
Anarcho-Syndikalisten sind der Meinung, daß die politischen Parteien nicht in
der Lage sind, auch nur eine von diesen beiden Aufgaben zu verrichten. Nach
ihren Vorstellungen sollen die Gewerkschaften die Speerspitze der
Arbeiterbewegung sein, durch tägliche Kämpfe erprobt und von sozialistischem
Geist durchdrungen. Denn nur im Ökonomischen Bereich sind die Arbeiter in der
Lage, ihre volle Macht auszuspielen; ihre Produzentenfunktion ist es, die die
gesamte soziale Struktur aufrechterhält und damit die Existenz der Gesellschaft
garantiert. Nur als Produzent und Erzeuger gesellschaftlichen Reichtums kann der
Arbeiter sich seiner Stärke bewußt werden. In solidarischem Zusammenschluß
kann er militante Aktionen, die vom Geist der Freiheit und vom Ideal der
sozialen Gerechtigkeit durchdrungen sind, durchführen. Für die
Anarchosyndikalisten sind die Arbeitersyndikate die fruchtbare Keimzelle der zukünftigen
Gesellschaft, die elementare Schule des Sozialismus allgemein. Jede neue soziale
Struktur schafft für sich Organe im Körper des alten Organismus; ohne diese
Voraussetzung ist jede soziale Evolution undenkbar. Für die
Anarchosyndikalisten bedeutet sozialistische Erziehung nicht Teilnahme an der
politischen Macht des Nationalstaates. Vielmehr ist es die Aufgabe der
Anarchosyndikalisten, den Arbeitern die wesentlichen sozialen Probleme
klarzumachen. Die Arbeiter müssen auf ihre Rolle als Umgestalter des
wirtschaflichen Lebens vorbereitet werden, damit sie diese Aufgabe bewältigen können.
Kein sozialer Körper ist besser für diesen Zweck geeignet als die ökonomische
Kampforganisation der Arbeiter; sie gibt den sozialen Aktivitäten ein
bestimmtes Ziel und stärkt die Widerstandskraft im unmittelbaren Kampf für die
täglichen Bedürfnisse und die Verteidigung der Menschenrechte. Gleichzeitig
entwickelt er moralische Stärke, ohne die jegliche soziale Transformation unmöglich
ist: lebensnotwendige Solidarität der Betroffenen und moralische
Verantwortlichkeit für alle Aktionen.
Gerade
weil die Erziehungsarbeit der Anarchosyndikalisten auf die Entwicklung unabhängigen
Denkens und Handelns gerichtet ist, sind sie ausgesprochene Gegner aller
zentralistischen Tendenzen, die für die meisten der existierenden
Arbeiterparteien charakteristisch sind. Das System des Zentralismus das von oben
nach unten funktioniert, das die Verwaltungsangelegenheiten einer kleinen
Minderheit überträgt, ist immer von unproduktiver bürokratischer Routine
begleitet; sie tötet jegliche individuelle Initiative durch leblose Disziplin
und bürokratische Verknöcherung. Für den Staat ist der Zentralismus die
geeignete Organisationsform, seit er die größtmögliche Uniformität des
sozialen Lebens für die Erhaltung des politischen und sozialen Gleichgewichts
anstrebt. Aber für eine Bewegung, deren gesamte Existenz von der prompten
Reaktion in jedem beliebigen Moment und von den unabhängigen Gedankengängen
seiner Anhänger abhängt, ist der Zentralismus ein Unglück. Er schwächt ihre
Entscheidungskraft und unterdrückt systematisch jede spontane Initiative.
Die
Organisation des Anarcho-Syndikalismus basiert auf den Prinzipien des Föderalismus,
auf der freien Vereinigung von unten. Sie stellt das Recht auf Selbstbestimmung
jeder Gruppe über alles und erkennt nur die Zustimmung aller an der Basis an.
Die Organisation der Anarchosyndikalisten ist dementsprechend auf folgender
Basis organisiert: Die Arbeiter in jedem Ort schließen sich ihren Berufszweigen
an. Die Gewerkschaften einer Stadt oder eines ländlichen Distrikts vereinigen
sich in Arbeiterkammern, die die Zentren für die lokale Propaganda und Schulung
gründen; sie formieren die Arbeiter, um dem Aufkommen eines beschränkten
Parteigeistes vorzubeugen. In Zeiten von lokalen Arbeitskämpfen sorgen sie für
die Zusammenarbeit aller betroffenen Gruppen. Alle Arbeiterkammern sind gemäß
den Distrikten und Regionen gruppiert, um die Nationalföderation der
Arbeiterkammern zu bilden. Diese hält ständige Verbindung zwischen den lokalen
Körpern und arrangiert die freie Vereinbarung der produktiven Arbeit der
Mitglieder der verschiedenen Organisationen nach kooperativen Prinzipien.
Weiterhin sorgt sie für die notwendige Zusammenarbeit in der Schulungsarbeit
und steht den lokalen Gruppen mit Rat und Tat beiseite.
Jede
Gewerkschaft ist darüber hinaus mit allen Organisationen derselben Branche
verbunden. Diese wiederum der Reihe nach mit allen verwandten Branchen, so daß
alle in allgemeinen industriellen und landwirtschaftlichen Verbindungen
vereinigt sind. Es ist ihre Aufgabe, Forderungen des täglichen Kampfes zwischen
Kapital und Arbeit aufzustellen und alle Kräfte für die gemeinsame Aktion zu
vereinheitlichen. So schaffen die Föderationen der Arbeiterkammern und die
industriellen Föderationen die zwei Pole, um die sich das gesamte Leben der
Arbeitersyndikate dreht.
Eine
solche Form der Organisation gibt den Arbeitern nicht nur die Mögllchkeit zur
direkten Aktion im Kampf für die täglichen Bedürfnisse, sondern befähigt sie
auch, die notwendigen Kenntnisse für die Reorganisation der Gesellschaft zu
erwerben, um diese ohne fremde Intervention im Falle einer revolutionären Krise
in Gang zu setzen. Die Anarchosyndikalisten sind der Überzeugung, daß eine
sozialistische Wirtschaftsordnung nicht durch Dekrete und Gesetze irgendeiner
Regierung geschaffen werden kann, sondern nur durch die uneingeschränkte
Zusammenarbeit der Arbeiter, Techniker und Bauern. Nur so kann die Produktion
und die Verteilung durch ihre eigene Verwaltung im Interesse der Allgemeinheit
auf der Basis gegenseitiger Vereinbarungen gewährleistet werden. In einer
solchen Situation würden die Arbeiterkammern die Verwaltung des existierenden
gesellschaftlichen Kapitals übernehmen, die Bedürfnisse der Bewohner ihres
Distrikts festsetzen und den lokalen Konsum organisieren. Die Tätigkeit der Föderation
der Arbeiterkammern würde es ermöglichen, die Gesamtbedürfnisse des ganzen
Landes zu berechnen und demgemäß die Produktion zu regulieren. Auf der anderen
Seite wäre es die Aufgabe der industriellen und landwirtschaftlichen
Vereinigungen, die Produktionsmittel, das Transportwesen etc. zu kontrollieren
und die verschiedenen Produzentengruppen mit dem zu versorgen, was sie benötigen.
Mit einem Wort: Auch
in dieser Hinsicht hat die praktische Erfahrung die besten Lehren erteilt. Sie
hat gezeigt, daß viele Probleme einer sozialistischen Umformung einer
Gesellschaft nicht durch irgendeine Regierung gelöst werden können, auch nicht
durch die Diktatur des Proletariats. In Rußland stand die bolschewistische
Diktatur nahezu zwei Jahre hilflos vor den ökonomischen Problemen: sie
versuchte, ihre Unfähigkeit hinter einer Flut von Dekreten und Verordnungen zu
verbergen, von denen die meisten sofort in der Bürokratie untergingen. Wenn die
Welt durch Dekrete befreit werden könnte, würde es in Rußland schon lange
keine Probleme mehr geben. In seinem fanatischen Machteifer zerstörte der
Bolschewismus die wertvollsten Organe einer sozialistischen Ordnung: er unterdrückte
die kooperativen Gemeinschaften, die Gewerkschaften brachte er unter staatliche
Kontrolle, und die Sowjets (Räte) wurden von Anfang an ihrer Unabhängigkeit
beraubt. So bahnte die "Diktatur des Proletariats" nicht den Weg in
eine sozialistische Gesellschaft, sondern für den primitivsten Typus eines bürokratischen
Staatskapitalismus. Er brachte einen Rückfall in politischen Absolutismus, der
in den meisten Ländern schon durch die bürgerliche Revolution abgeschafft
worden war. In seiner "Botschaft an die Arbeiter der west europäischen Länder"
sagte Kropotkin vollkommen richtig: "An Rußland lernen wir, wie der
Kommunismus nicht eingeführt werden kann, obwohl die Bevölkerung, die das alte
Regime satt hat, dem Experiment der neuen Herrscher nicht aktiven Widerstand
leistet. Die zuerst beim Revolutionsversuch von 1905 konzipierte und in der
Februarrevolution 1917 unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Zarenregimes
verwirklichte Idee der Sowjets, d. h. der das politische und ökonomische Leben
des Landes kontrollierenden Arbeiter- und Bauernräte, ist eine großartige
Idee... Solange ein Land aber durch eine Parteidiktatur beherrscht wird, büßen
die Arbeiter- und Bauernräte offensichtlich ihre Bedeutung ein. Sie spielen
dann bloß noch die passive Rolle der ‚Generalstaaten' und Parlamente
vergangener Zeiten, die der König einberief, damit sie gegen einen allmächtigen
Kronrat opponierten."
4.
DER KAMPF IN DEUTSCHLAND UND SPANIEN
In
Deutschland, wo der gemäßigte Flügel des politischen Sozialismus (15)
die Macht errungen hatte, erstarrte der Sozialismus in den langen Jahren
routinemäßiger parlamentarischer Tätigkeiten. Er war zu keiner schöpferischen
Aktion mehr fähig. Sogar eine bürgerliche Zeitung wie die "Frankfurter
Zeitung" stellte fest, daß die "Geschichte der europäischen Völker
bisher keine Revolution hervorgebracht hat, die so arm an schöpferischen
Vorstellungen war und so wenig revolutionäre Energie besaß". Die bloße
Tatsache, daß eine Partei mit einer größeren Mitgliederzahl als jede andere
Arbeiterpartei der Welt, die viele Jahre lang die stärkste politische Kraft in
Deutschland war, Hitler und seiner Bande das Feld ohne jeglichen Widerstand überlassen
mußte, spricht für sich. Dieses Beispiel der Hilflosigkeit und Schwäche ist
kaum mißzuverstehen. Man
muß nur die deutsche Situation jener Tage (16)
mit der Haltung der anarchosyndikalistischen Arbeitervereinigungen in Spanien
und besonders in Katalonien, wo ihr Einfluß am stärksten war, vergleichen, um
den beträchtlichen Unterschied zwischen den Arbeiterbewegungen dieser beiden Länder
festzustellen. Als die Verschwörung der faschistischen Militärs im Juli 1936
in eine offene Revolte umschlug, war es hauptsächlich der Widerstand der CNT
(Nationale Föderation der Arbeit) und der FAI (Anarchistische Föderation
Spaniens), der den faschistischen Aufstand in Katalonien in ein paar Tagen
niederschlug. Dieser wichtige Teil Spaniens wurde vom Feind befreit und der
ursprüngliche Plan der Verschwörer, Barcelona im Handstreich zu nehmen,
vereitelt. Die Arbeiter wollten nicht auf halbem Wege stehenbleiben; so folgte
die Kollektivierung des Bodens und die Übernahme der Fabriken durch die
Arbeiter- und Bauernsyndikate. Diese Bewegung, die durch die Initiative von CNT/FAI
in Gang gesetzt wurde, dehnte sich auf Aragonien, die Levante und andere Gebiete
des Landes aus. Ein großer Teil der Sozialistischen Partei und der
sozialistischen Gewerkschaft UGT (Allgemeine Union der Arbeit) konnte dieser
revolutionären Bewegung nicht widerstehen.
Dieses
Ereignis offenbarte, daß die anarchosyndikalistischen Arbeiter Spaniens nicht
nur in der Lage waren zu kämpfen, sondern darüber hinaus konstruktive
Vorstellungen besaßen, die in der Zeit einer realen Krise so eminent wichtig
sind. Das ist das große Verdienst des libertären Sozialismus in Spanien, der
die spanischen Arbeiter seit der Zeit der 1. Internationale in jenem Geist
erzog, der Freiheit über alles andere stellt und die geistige Unabhängigkeit
seiner Anhänger als die Basis seiner Existenz betrachtet. Es war die passive
Haltung der organisierten Arbeiter in den anderen Ländern, die sich mit der
Politik der Nicht-Intervention ihrer Regierungen abfanden, die zur Niederlage
der spanischen Arbeiter und Bauern nach einem heroischen Kampf von mehr als
zweieinhalb Jahren führte.
5.
DER POLITISCHE KAMPF AUS ANARCHO-SYNDIKALISTISCHER SICHT
Es
ist dem Anarcho-Syndikalismus oftmals vorgeworfen worden, daß seine Anhänger
kein Interesse an der politischen Struktur der verschiedenen Länder und
konsequenterweise kein Interesse an den tagespolitischen Kämpfen besäßen.
Diese Vorstellung ist gänzlich falsch und entspringt entweder völliger
Ignoranz oder vorsätzlicher Verdrehung der Tatsachen. Es ist nicht der
politische Kampf als solcher, der die Anarchosyndikalisten von den modernen
Arbeiterparteien grundsätzlich und taktisch unterscheidet, sondern die Form des
Kampfes und die Ziele, die er anstrebt. Anarchosyndikalisten verfolgen dieselbe
Taktik in ihrem Kampf gegen politische Unterdrückung wie gegen ökonomische
Ausbeutung. Aber sie sind überzeugt, daß mit dem System der Ausbeutung auch
dessen politische Schutzeinrichtung, der Staat, verschwinden muß, um der
Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten auf der Basis der freien
Vereinbarung Platz zu machen; dabei übersehen sie keinesfalls die Tatsache, daß
die Anstrengungen der organisierten Arbeit innerhalb der existierenden
politischen und sozialen Ordnung ständig gegen jedwede Attacke der Reaktion
gerichtet sein müssen; sie übersehen ferner nicht, daß der Bereich dieser
Rechte ständig erweitert werden muß, wo immer sich dazu die Gelegenheit
bietet. Der Kampf der CNT gegen den Faschismus ist vielleicht der beste Beweis,
daß die vermeintlich unpolitische Haltung des Anarcho-Syndikalismus nichts ist
als leeres Gerede.
Aber
gemäß ihrer Auffassung wird der Zeitpunkt ihres Vorgehens im politischen Kampf
nicht von der Legislative bestimmt, sondern von den Menschen selbst.
Politische
Rechte entstehen nicht in den Parlamenten, sie sind außerhalb entstanden. Und
sogar die Gesetzesfassung war lange Zeit keine Garantie für die Anwendung
dieser Gesetze. Sie existieren nicht schon deshalb, weil sie legal niedergelegt
sind, sondern erst dann, wenn sie zur gewachsenen Gewohnheit der Menschen
geworden sind, und wenn jeder Versuch sie zu beeinträchtigen auf den heftigen
Widerstand der Bevölkerung stoßen wird. Wo das nicht der Fall ist, helfen
keine parlamentarische Opposition oder irgendwelche platonischen Appelle an die
Verfassung. Man erzwingt Respekt vom Anderen, wenn man weiß, wie man seine Würde
als menschliches Wesen verteidigt. Das trifft nicht nur für das Privatleben zu;
es gilt auch im politischen Leben.
Alle
politische Rechte und Freiheiten, die die Menschen heute genießen, verdanken
sie nicht dem guten Willen ihrer Regierungen, sondern ihrer eigenen Stärke.
Regierungen haben immer versucht, alle ihre Machtmittel einzusetzen, um das
Erreichen dieser Ziele zu verhindern. Große Massenbewegungen und ganze
Revolutionen waren nötig, sie den herrschenden Klassen zu entreißen. Denn
diese hätten sie niemals freiwillig zugestanden. Die gesamte Geschichte der
letzten 300 Jahre ist dafür der Beweis. Wichtig ist nicht, daß Regierungen
sich entschlossen haben, den Menschen gewisse Rechte zuzugestehen, sondern der
Grund warum sie es tun mußten. Wenn man natürlich Lenins zynische Behauptung
akzeptiert und die Freiheit als ein "bürgerliches Vorurteil"
bezeichnet, dann haben politische Rechte sicherlich keinen Wert für die
Arbeiter. Aber dann haben die zahllosen Kämpfe der Vergangenheit, alle Revolten
und Revolutionen, denen wir diese Rechte verdanken, ebenfalls keinen Wert. Um
dieses Stück Weisheit zu verkünden, war es kaum nötig, den Zarismus zu stürzen,
da sogar die Zensur von Nikolaus II. sicherlich keinen Einwand gegen die
Bestimmung von Freiheit als einem "bürgerlichen Vorurteil" gehabt hätte.
Wenn
der Anarcho-Syndikalismus dennoch die Beteiligung an den gegenwärtigen
nationalen Parlamenten ablehnt, begründet er es nicht mit dem Mangel an
Sympathie für den politischen Kampf im allgemeinen. Aber seine Anhänger sind
der Meinung, daß diese Form der Aktivität die schwächste und hilfloseste Form
des politischen Kampfes für die Arbeiter ist. Für die besitzenden Klassen ist
der Parlamentarismus sicherlich ein angemessenes Instrument für die Beilegung
von aufkeimenden Konflikten, weil sie alle daran interessiert sind, die gegenwärtige
ökonomische und soziale Ordnung aufrechtzuerhalten. Wo es gemeinsame Interessen
gibt, ist die gegenseitige Zustimmung für alle Parteien möglich und nützlich,
aber für die Arbeiter ist die Lage ganz anders. Für sie ist die herrschende ökonomische
Ordnung die Ursache ihrer Ausbeutung und ihrer sozialen und politischen Unterdrückung.
Auch die freieste Wahl kann den offenkundigen Unterschied zwischen besitzenden
und nichtbesitzenden Klassen in der Gesellschaft nicht verwischen. Sie kann
lediglich der Unterdrückung der arbeitenden Massen den Stempel der Legalität
aufdrücken.
Immer
wenn sozialistische Parteien entscheidende polilitische Reformen erreichen
wollten, konnten sie es nicht auf parlamentarischem Weg, sondern sie waren
gezwungen, sich ganz auf die ökonomische Kampfkraft der Arbeiter zu verlassen.
Die politischen Generalstreiks in Belgien (Ende des 19. Jahrhunderts) und
Schweden (1902) für die Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts sind ein Beweis
dafür. Und in Rußland war es der große Generalstreik von 1905, der den Zaren
zwang, die neue Verfassung zu unterzeichnen. Diese Erkenntnis veranlaßte die
Anarchosyndikalisten, ihre Aktivitäten auf die sozialistische Erziehung der
Massen zu konzentrieren und sie auf den Gebrauch ihrer ökonomischen und
sozialen Macht vorzubereiten. Ihre Methode ist die Direkte Aktion (17),
die Verbindung von ökonomischem und politischem Kampf. Unter direkter Aktion
wird der unmittelbare Kampf der Arbeiter gegen ökönomische und politische
Unterdrückung verstanden. Unter diesen sind der Streik in allen seinen
Abstufungen, vom einfachen Lohnkampf bis zum Generalstreik, der organisierte
Boykott und all die anderen zahllosen Mittel, die die Arbeiter als Produzenten
in ihren Händen haben, die herausragendsten.
6.
DER GENERALSTREIK
Eine
der effektivsten Formen der direkten Aktion ist der "soziale Streik",
der bisher am meisten in Spanien und teilweise in Frankreich angewendet wurde.
Er hat bemerkenswerte und wachsende Verantwortlichkeit der Arbeiter gegenüber
der Gesellschaft als ganzer gezeigt. Er beschäftigt sich weniger mit den
unmittelbaren Interessen der Produzenten als vielmehr mit dem Schutz der
Allgemeinheit vor den schädlichen Auswüchsen des herrschenden Systems. Der
soziale Streik will den Unternehmern die Übernahme von gewissen
Verantwortlichkeiten gegenüber der Öffentlichkeit aufzwingen. In erster Linie
hat er den Schutz der Konsumenten zum Ziel, von denen die Arbeiter selbst den größten
Teil bilden. Unter den gegenwärtigen Umständen entwürdigen sich die Arbeiter
häufig selbst, indem sie unzählige Dinge tun, die ständig die gesamte
Gemeinschaft um den Vorteil der Unternehmer willen beeinträchtigt. Sie sind
gezwungen, von minderwertigem und oftmals schädlichem Material für die
Herstellung ihrer Produkte Gebrauch machen, schäbige Wohnungen zu bauen,
gesundheitsschädliche Lebensmittel zu konsumieren; unzählige Handlungen zu
vollziehen, die dazu gedacht sind, den Konsumenten zu betrügen. Hier energisch
einzugreifen, ist nach Meinung der Anarchosyndikalisten die große Aufgabe der
Arbeitersyndikate. Ein Fortschritt in dieser Richtung würde zur selben Zeit die
Stellung der Arbeiter in der Gesellschaft stärken, und auf längere Sicht ihre
Position festigen.
Direkte
Aktion durch organisierte Arbeit findet ihren stärksten Ausdruck im
Generalstreik, in der Niederlegung der Arbeit in jedem Produktionszweig in Fällen,
in denen andere Kampfmittel versagen. Er ist die mächtigste Waffe, die die
Arbeiter zur Verfügung haben und vermittelt den umfassenden Ausdruck ihrer Stärke
als sozialer Faktor. Der Generalstreik ist natürlich kein Mittel, das bei jeder
Gelegenheit willkürlich angewandt werden kann. Es sind gewisse soziale
Voraussetzungen nötig, um ihm die angemessene moralische Stärke zu verleihen
und zu einer Willenserklärung der breiten Massen werden zu lassen. Die lächerliche
Forderung, die so oft den Anarchosyndikalisten zugeschrieben wird, daß es nur
der Ausrufung des Generalstreiks bedarf, um innerhalb weniger Tage eine
sozialistische Gesellschaft zu etablieren, ist natürlich eine Erfindung von
unwissenden Gegnern. Der Generalstreik kann verschiedenen Zwecken dienen. Er
kann die letzte Stufe eines Sympathiestreiks sein, wie z. B. 1902 in Barcelona,
oder 1903 in Bilbao, der die Minenarbeiter befähigte, das verhaßte
Naturallohn-System abzuschaffen und die Unternehmer zwang, sanitäre Anlagen in
den Minen einzurichten. Er kann auch ein Mittel sein, um einigen grundlegenden
Forderungen Nachdruck zu verleihen, wie z. B. in dem versuchten Generalstreik in
dem USA im Jahre 1886, als der Achtstundentag für alle Industriezweige
gefordert wurde. Der große Generalstreik der englischen Arbeiter 1926 war die
Antwort auf den Versuch der Unternehmer, den allgemeinen Lebensstandard der
Arbeiter durch Lohnkürzung zu senken.
Aber
der Generalstreik kann auch politische Ziele haben, wie z. B. der Kampf der
spanischen Arbeiter 1904 für die Freilassung politischer Gefangener, oder der
Generalstreik im Juli 1909 in Katalonien, der die Regierung zwingen sollte, den
Krieg in Marokko zu beenden. Auch der Generalstreik der deutschen Arbeiter 1920,
der nach dem sog. Kapp-Putsch durchgeführt wurde und die Regierung stürzte,
die durch einen Militärputsch die Macht errungen hatte, gehört zu dieser
Kategorie. In solch kritischen Situationen nimmt der Generalstreik den Platz
ein, der früher den Barrikaden in den politischen Aufständen zukam. Für die
Arbeiter ist der Generalstreik die logische Folge des modernen industriellen
Systems, dessen Leidtragende sie heute sind; zugleich bietet er ihnen die stärkste
Waffe im Kampf für ihre soziale Befreiung, vorausgesetzt sie erkennen ihre
eigene Stärke und lernen, diese richtig anzuwenden.
7.
DER ANARCHO-SYNDIKALISMUS SEIT DEM 1. WELTKRIEG
Nach
dem 1. Weltkrieg sahen sich die Menschen in Europa vor eine neue politisch und
sozio-ökonomische Situation gestellt. In Mitteleuropa war das alte
monarchistische System zusammengebrochen. Rußland befand sich inmitten einer
sozialen Revolution, deren Ende nicht abzusehen war. Die russische Revolution
hatte die Arbeiter jedes Landes tief beeindruckt. Sie fühlten, daß Europa
mitten in einer Krise steckte, und daß ihre Hoffnungen für viele Jahre
zerschlagen würden, falls aus dieser Krise nicht entscheidende neue Anstöße kämen.
Aus diesem Grund setzten sie die größten Hoffnungen in die russische
Revolution und sahen in ihr den Beginn einer neuen Ära in der europäischen
Geschichte.
1919
sandte die bolschewistische Partei, die die Macht in Rußland errungen hatte,
einen Appell an alle revolutionären Arbeiterorganisationen und lud sie zu einem
Kongreß für das folgende Jahr nach Moskau ein, um eine neue Internationale ins
Leben zu rufen. Kommunistische Parteien existierten zu dieser Zeit nur in
wenigen Ländern; auf der anderen Seite gab es in Spanien, Portugal, Frankreich,
Italien, Holland, Schweden, Deutschland, England und den Ländern von Nord- und
Südamerika syndikalistische Organisationen, von denen einige starken Einfluß
ausübten. Aus diesem Grund war es das Anliegen von Lenin und seinen Anhängern,
diese einzelnen Organisationen für ihre Vorstellungen zu gewinnen. So kam es,
daß auf dem Gründungskongreß der 3. Internationale im Sommer 1920 fast alle
syndikalistischen Organisationen Europas anwesend waren.
Aber
der Eindruck, den die syndikalistischen Delegierten in Rußland gewannen, war
nicht geeignet, ihnen eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten als möglich oder
wünschenswert erscheinen zu lassen. Die Diktatur des Proletariats zeigte sich
schon in ihrem wahren Licht: Die Gefängnisse waren mit Sozialisten der
verschiedenen Richtungen gefüllt, unter ihnen viele Anarchisten und
Syndikalisten. Aber vor allem wurde deutlich, daß die neue herrschende Kaste in
keiner Weise in der Lage war, ein wirklich sozialistisches Leben zu gestalten.
Die Gründung der 3. Internationale mit ihrem autoritären Apparat und dessen
Bemühungen, die gesamte europäische Arbeiterbewegung zu einem Instrument der
Außenpolitik Rußlands zu machen, verdeutlichte den Syndikalisten sehr schnell,
daß es für sie keinen Platz in der 3. Internationale geben konnte. Aus diesem
Grund beschloß der Kongreß in Moskau, neben der 3. Internationale eine eigenständige
revolutionäre Allianz von revolutionären Gewerkschaften aufzubauen, in der die
syndikalistischen Organisationen aller Schattierungen einen Platz finden
sollten. Die syndikalistischen Delegierten stimmten diesem Plan zu. Als aber die
Kommunisten forderten, daß diese neue Organisation der 3. Internationale
unterstellt werden sollte, wurde dieses Verlangen von den Syndikalisten einmütig
zurückgewiesen.
Im
Dezember 1920 wurde eine internationale syndikalistische Konferenz nach Berlin
einberufen, um über ihre Position gegenüber dem kommenden Kongreß der Roten
Gewerkschaftsinternationale, der für 1921 in Moskau vorbereitet wurde, zu
beschließen. Die Konferenz verständigte sich auf sieben Punkte, von deren
Annahme der Eintritt der Syndikalisten in die Gewerkschaftsinternationale abhängig
gemacht wurde. Die Bedeutung dieser sieben Punkte lag in der vollständigen
Unabhängigkeit der Bewegung von allen politischen Parteien, und dem Beharren
auf dem Standpunkt, daß der sozialistische Aufbau der Gesellschaft nur durch
die ökonomischen Organisationen der produzierenden Klassen selbst durchgeführt
werden kann.
Auf
dem Kongreß in Moskau im folgenden Jahr waren die syndikalistischen
Organisationen in der Minderheit. Der Zentralrat der russischen Gewerkschaften
beherrschte die ganze Situation und setzte seine sämtlichen Resolutionen durch.
Daraufhin
wurde im Oktober 1921 in Düsseldorf eine internationale syndikalistische
Konferenz durchgeführt, auf der beschlossen wurde, für das folgende Jahr einen
internationalen Kongreß einzuberufen. Dieser Kongreß fand vom 25. 12. 1922 bis
zum 2. 1. 1923 (in Berlin) statt. Folgende Organisationen waren durch Delegierte
vertreten: Argentinien durch die "Federacion Obrera Regional Argentina"
mit 200000 Mitgliedern; Chile durch die "Industrial Workers of the
World" mit 20000 Mitgliedern; Dänemark durch die "Union for
Syndicalist Propaganda" mit 600 Mitgliedern; Deutschland durch die
"Freie Arbeiter Union" mit 120000 Mitgliedern; Holland durch das
"National Arbeids Sekretariat" mit 22500 Mitgliedern; Mexiko durch die
"Confederacion General des Trabajadores"; Norwegen durch die "Norsk
Syndicalisk Federasjon" mit 20000 Mitgliedern; Portugal durch die "Confederacao
Geral do Trabalho" mit 150000 Mitgliedern; Schweden durch die "Sveriges
Arbetares Centralorganisation" mit 32000 Mitgliedern. Die spanische CNT war
zu dieser Zeit in einen fürchterlichen Kampf gegen die Diktatur Primo de
Riveras verwickelt und hatte keine Delegierten gesandt, aber sie versicherte
ihre Übereinstimmung auf dem illegalen Kongreß in Saragossa im Oktober 1923.
In Frankreich, wo nach dem Krieg eine Spaltung innerhalb der CGT zur Gründung
der CGTU führte, schloß sich letztere Moskau an. Aber es gab eine Minderheit
in der Organisation, die sich zusammenschloß, um das "Revolutionäre
Syndikalistische Verteidigungkomitee" zu gründen, das ungefähr 100000
Arbei ter umfaßte und an den Beratungen des Berliner Kongresses teilnahm. Aus
Paris waren weiterhin die "Föderation der Bauarbeiter" und die
"Föderation der Jugend der Seine" anwesend. Zwei Delegierte repräsentierten
die syndikalistische Minorität der russischen Arbeiter.
Der
Kongreß beschloß einstimmig die Gründung einer internationalen Allianz aller
syndikalistischen Organisationen unter dem Namen Internationale Arbeiter
Assoziation (IAA). Er nahm eine Prinzipienerklärung an, die ein ausgesprochenes
Bekenntnis zum Anarcho-Syndikalismus darstellt. Der zweite Punkt in dieser Erklärung
lautet wie folgt: "Die Syndikalisten, in klarer Erkenntnis der oben
festgestellten Tatsachen, sind prinzipielle Gegner jeder Monopolwirtschaft. Sie
erstreben die Vergesellschaftung des Bodens, der Arbeitsinstrumente, der
Rohstoffe und aller sozialen Reichtümer; die Reorganisation des gesamten
Wirtschaftslebens auf der Basis des freien, d. h. des staatenlosen Kommunismus,
der in der Devise: ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!'
seinen Ausdruck findet.
Ausgehend
von dieser Erkenntnis, daß der Sozialismus letzten Endes eine Kulturfrage ist
und als solche nur von unten nach oben durch die schöpferische Tätigkeit des
Volkes gelöst werden kann, verwerfen die Syndikalisten jedes Mittel einer
sogenannten Verstaatlichung, das nur zur schlimmsten Form der Ausbeutung, zum
Staatskapitalismus, nie aber zum Sozialismus führen kann."
Damit
war der Bruch mit dem Bolschewismus und seinen Anhängern in den verschiedenen Ländern
eindeutig. Die IAA ging von da ab ihren eigenen Weg, hielt ihre eigenen
internationalen Kongresse ab, gab ihre eigenen Bulletins heraus und regulierte
die Beziehungen zwischen den syndikalistischen Organisationen in den
verschiedenen Ländern.
Die
mächtigste und einflußreichste Organisation in der IAA war die spanische CNT,
Initiatorin vieler Arbeitskämpfe in Spanien und später das Rückgrat des
Widerstandes gegen den Faschismus und der Sozialen Revolution. Vor dem Sieg
Francos hatte die CNT ungefähr 2 Millionen Mitglieder, Industriearbeiter,
Bauern und Intellektuelle. Sie besaß 36 Tageszeitungen, darunter die "Solidaridad
Obrera" in Barcelona, die größte Zeitung Spaniens und "Castilla
Libre", die die meistgelesene Zeitung in Madrid war. Die CNT hat Bücher
und Millionen von Broschüren herausgegeben und mehr als jede andere Bewegung in
Spanien zur Erziehung der Volksmassen beigetragen.
In
Portugal war die 1911 gegründete "Confederacao Geral do Trabalho" die
mächtigste Arbeiterorganisation des Landes und basierte auf denselben
Prinzipien wie die CNT in Spanien. Nachdem sich in Portugal die Dikatur Salazars
(1933) durchgesetzt hatte, wurde der CGT jegliches öffentliches Auftreten
untersagt, und sie mußte in den Untergrund gehen.
In
Italien verließ unter dem Einfluß der Ideen des französischen Syndikalismus
der syndikalistische Flügel der "Confederazione deI Lavoro" diese
Organisation wegen deren Abhängigkeit von der Sozialistischen Partei und gründete
die "Unione Sindicale Italiana". Diese Gewerkschaft war der Motor
vieler harter Arbeitskämpfe und spielte eine herausragende Rolle in den
Ereignissen der sog. "Roten Woche" im Juni 1914 und später bei den
Fabrikbesetzungen in Mailand und anderen Städten in Norditalien. (18)
Nach der Machtübernahme durch die Faschisten verschwand die gesamte
italienische Arbeiterbewegung. In
Frankreich verließen die Anarchosyndikalisten die CGTU, nachdem die
Organisation vollständig unter den Einfluß der Bolschewisten geraten war, und
gründeten die "Confederation Generale du Travail Syndicaliste
Revolutionaire", die sich der IAA anschloß.
In
Deutschland existierten schon lange vor dem 1. Weltkrieg die sog.
"Lokalisten", die sich in der 1897 gegründeten "Freien
Vereinigung deutscher Gewerkschaften" organisierten. Diese Organisation war
ursprünglich von sozialdemokratischem Gedankengut beeinflußt, aber sie bekämpfte
die zentralistischen Tendenzen in der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Das
Wiederaufleben des französischen Syndikalismus beeinflußte diese Vereinigung
stark und führte zur Übernahme von rein syndikalistischen Prinzipien. Auf
ihrem Kongreß 1920 in Düsseldorf änderte die Organisation ihren Namen in
"Freie Arbeiter-Union Deutschlands". Diese Organisation leistete einen
großen Dienst durch die unermüdliche Arbeit ihres aktiven Verlagshauses in
Berlin, das eine große Anzahl wertvoller Arbeiten herausgab. Nach Hitlers
Machtergreifung verschwand die "Freie Arbeiter-Union". Ein großer
Teil ihrer Anhänger verschwand in den Konzentrationslagern oder mußte ins Exil
gehen.
In
Schweden existiert noch eine sehr aktive syndikalistische Bewegung, die "Sveriges
Arbetaren Centralorganisation", die einzige syndikalistische Organisation
in Europa, die der Reaktion des Faschismus und der deutschen Invasion während
des Krieges entgangen war. Die schwedischen Syndikalisten nahmen an allen großen
Arbeitskämpfen in ihrem Land teil und setzten das Werk der sozialistischen und
libertären Schulung fort.
In
Holland konzentrierte sich die syndikalistische Bewegung im "Nationale
Arbeids Secretariat", aber als diese Organisation mehr und mehr unter den
Einfluß der Kommunisten geriet, spaltete sich fast die Hälfte ihrer Mitglieder
ab und gründete den "Nederlandisch Syndicalistisch Vakverbond", der
sich der IAA anschloß.
Außer
diesen Organisation gab es noch anarchosyndikalistische Propagandagruppen in
Norwegen, Polen und Bulgarien, die sich der IAA anschlossen. Die japanische
"Jiyu Rengo Dantai Zenkoku Kaigi" schloß sich ebenfalls der IAA an.
In
Argentinien war die 1891 gegründete "Federacion Obrera Regional Argentina"
lange Jahre Organisator der größten Arbeitskämpfe dieses Landes. Ihre
Geschichte ist eines der stürmischsten Kapitel in den Annalen der
Arbeiterbewegung. Die Bewegung gab länger als 25 Jahre die Tageszeitung
"La Protesta" heraus. Ferner eine große Zahl Wochenschriften im
ganzen Land. Nach dem Staatsstreich von General Uriburu wurde die Federacion
unterdrückt, aber sie führte ihre Tätigkeit im Untergrund fort, auch unter
dem Diktator Peron.
Im
Mai 1929 rief die Federacion einen Kongreß aller südamerikanischen Länder
nach Buenos Aires ein. Auf diesem Kongreß waren neben der Veranstalterin noch
Gewerkschaften folgender Länder vertreten: Paraguay durch das "Centro
Obrero deI Paraguay"; Bolivien durch die "Federacion Local de la
Paz", "La Antorcha" und "Luz y Libertad"; Mexiko durch
die "Confederacion de Trabajo"; Guatemala durch das "Comite pro
Accion Sindical"; Uruguay durch die "Federacion Regional Uruguaya".
Brasilien wurde durch die Gewerkschaften der sieben verfassungsgebenden Staaten
vertreten. Costa Rica wurde durch die Organisation "Hacia la Libertad"
repräsentiert. Auf diesem Kongreß wurde die "Kontinentale Amerikanische
Arbeiter-Assoziation" ins Leben gerufen, die die amerikanische Gliederung
der IAA darstellte. Der Sitz dieser Organisation war zuerst in Buenos Aires,
wurde aber später, wegen der Diktatur, nach Uruguay verlegt.
Dies
waren die Kräfte, die der Anarcho-Syndikalismus vor der Herrschaft des
Faschismus und dem Ausbruch des 2. Weltkriegs in den verschiedenen Ländern zur
Verfügung hatte.
III
NACHWORT
1947
Diese
Schrift wurde vor neun Jahren veröffentlicht, als der Spanische Bürgerkrieg
sich seinem Ende näherte. Die Niederlage der spanischen Arbeiter und Bauern
durch den Faschismus nach zweieinhalb Jahren Bürgerkrieg zerstörte die letzte
Hoffnung, sich der Flut der Reaktion in Europa entgegenzustemmen. Spanien wurde
die Nemesis für die europäische Arbeiterbewegung und besonders für den libertären
Sozialismus. Das spanische Volk mußte seinen tapferen Kampf für Freiheit,
menschliche Würde und soziale Gerechtigkeit fast allein führen, während die
ganze Welt dem ungleichen Kampf untätig zusah. Die sog. Westlichen Demokratien
verweigerten den Spaniern das Kriegsmaterial, welches sie so dringend in ihrem
heldenhaften Kampf benötigten. Und die organisierte Arbeiterbewegung in Europa
und Amerika, die demoralisiert und zersplittert war, verharrte gleichgültig
oder hilflos, als in Europa alles auf dem Spiel stand. Sie mußte ihre Passivität
teuer bezahlen, da mit dem franquistischen Spanien der Weg in den 2. Weltkrieg
mit seinen schrecklichen Auswirkungen geebnet wurde. Sogar Sumner Wells, der frühere
Staatssekretär der USA, mußte zugeben, daß die Politik seines Landes gegenüber
Spanien in jenen Jahren der Entscheidung einer der größten Fehler war, die
Amerika je begangen hat.
Für
die Arbeiterbewegung bedeutete Francos Sieg eine der größten Niederlagen, die
die Arbeiter Europas jemals erlitten hatten. Unter dem Schreckensregiment von
Hitlers Armeen zerfiel die gesamte Arbeiterbewegung in Deutschland, Frankreich,
Italien, Polen, der Tschechoslowakei, Holland, Belgien, Norwegen und den südosteuropäischen
Ländern; der gesamte Kontinent wurde eine Ruinenwüste, Hunger und
unaussprechliches Elend herrschten. Noch heute, 1947, gleichen große Teile
Europas einer Wildnis. Das ökonomische Leben ist gelähmt, die natürlichen
Rohstoffquellen sind erschöpft, Industrie und Landwirtschaft total
desorganisiert. Daß eine solche schreckliche Katastrophe an den Völkern nicht
spurlos vorbeigeht, ist selbstverständlich. In vielen Ländern wurden die
Menschen als Folge ihrer schrecklichen Leiden demoralisiert und apathisch,
besonders in Deutschland und Österreich, wo wenig Hoffnung auf einen raschen
Wiederaufbau des ökonomischen und sozialen Lebens war. Trotzdem gibt es fast überall
Zeichen des Erwachens und der Entwicklung neuer Ideen, die sich mit der gegenwärtigen
Situation auseinandersetzen.
Der
einzige Weg aus dem gegenwärtigen Chaos, die einzige Möglichkeit für den
Wiederaufbau der verwüsteten Länder wäre ein föderiertes Europa mit einer
vereinheitlichten Wirtschaft. Europa müßte auf einem neuen Fundament beruhen,
in dem kein Volk durch künstliche Barrieren isoliert wäre und unter keiner
Vormundschaft eines stärkeren Nachbarn stünde. Das würde auch den ersten
Schritt zu einer Weltföderation mit gleichen Rechten für jedes Volk, die sog.
Kolonialvölker eingeschlossen, die bisher Opfer des Imperialismus waren und in
ihrer natürlichen Entwicklung gehemmt wurden, bedeuten. Es ist ebenfalls das
einzige Mittel, um weitere Änderungen und Verbesserungen im allgemeinen
Organismus unseres sozialen Lebens zu erzielen, und um die ökonomische
Ausbeutung und die politische Unterdrückung von Individuen und Völkern zu überwinden.
Nach den schrecklichen Erfahrungen der Vergangenheit gibt es in der Tat keinen
anderen Weg, um neue Beziehungen zwischen den Völkern herzustellen, und um neue
Gesellschaftsformen und eine Wiedergeburt von Menschlichkeit zu erreichen.
In
Europa ist eine solche Veränderung lange überfällig. Ihr größtes Hindernis
ist aber noch immer die Machtpolitik der Großmächte und ihr unaufhörlicher
Kampf um die Hegemonie auf dem Kontinent. Das ist die ständige Ursache von
Kriegen und der wahre Grund, warum bis auf den heutigen Tag eine Generation
immer das wieder aufzubauen hat, was ihre Vorgängerin zerstört hatte.
Was
den Anarchosyndikalismus und die libertäre Bewegung im allgemeinen betrifft,
sind diese gegenwärtig im Stadium des Wiederaufbaus. Mit Ausnahme von Schweden
wurden die libertären Organisationen in nahezu jedem europäischen Land während
der Nazi-Okkupation unbarmherzig unterdrückt; sie funktionierten nur als kleine
Widerstandsgruppen im Untergrund. Schweden war eines der europäischen Länder,
das vom Krieg verschont blieb, und wo sich die libertäre Bewegung behaupten
konnte. Nachdem Hitler in Deutschland die Macht erobert hatte, wurde das Büro
der IAA, nach einem kurzen Zwischenspiel in Holland, nach Stockholm verlegt, und
von der dortigen syndikalistischen Bewegung am Leben erhalten. Aber seine
Aktivität wurde durch die schreckliche Katastrophe auf dem Kontinent gelähmt.
Der einzige Grund für die fortdauernde Existenz des Büros war, sich für die
Nachkriegszeit vorzubereiten, um dann Schritte zu unternehmen, die Bewegung in
den verschiedenen Ländern wieder aufzubauen. Das Büro in Stockholm veröffentlichte
in all den Jahren sein "Bulletin" und versuchte, Verbindungen, soweit
dies möglich war, aufrechtzuerhalten. Mehr konnte man nicht erwarten.
Unter
allen regionalen Sektionen der IAA hatte die CNT am meisten gelitten. Rund eine
Million Menschen starben während des Bürgerkrieges, unter ihnen viele Tausende
Mitglieder der CNT und FAI. Tausende wurden in den Kerkern und
Konzentrationslagern Francos bei lebendigem Leibe begraben, viele kamen unter
unsäglichen Qualen um. Und viele Tausende leben noch im Exil und warten
ungeduldig auf die Stunde ihrer Rückkehr. Eine große Anzahl der früheren
Mitglieder der CNT lebt in Frankreich, Belgien, England, Nordafrika, Mexiko und
den verschiedenen Ländern Südamerikas. In Frankreich haben Tausende dieser Flüchtlinge
aktiv an der Resistance gegen die deutsche Invasion teilgenommen. In all diesen
Ländern haben unsere spanischen Genossen eigene Organisationen geschaffen und
veröffentlichen Zeitungen, Bücher und Broschüren.
In
Spanien selbst wird eine sehr aktive Untergrundbewegung von den Anhängern der
CNT-FAI und der Libertären Jugend gegen die Militärdiktatur Francos fortgeführt.
Sie haben ihre eigenen Zeitungen, die illegal gedruckt werden, und stehen in ständigem
Kontakt mit ihren Genossen im Exil. In einigen Teilen Spaniens geht der
Guerillakrieg noch weiter, besonders in den Bergen von Asturien. Unter den
spanischen Genossen im Exil sind interessante Diskussionen im Gang über die
Reorganisation der Bewegung nach dem Fall des Franco-Regimes. Die Erfahrungen
der spanischen Revolution, der Krieg und seine Nachwirkungen haben etliche
Probleme geschaffen, die nicht übersehen werden können. Ihre wirkliche Lösung
kann aber nur gefunden werden, wenn die gegenwärtige Diktatur gestürzt und die
libertäre Bewegung reorganisiert wird. Zweifellos wird unsere Bewegung, die so
tief im spanischen Volk verwurzelt ist, wieder eine bedeutende Rolle in der
Zukunft dieses Landes spielen. Klar ist aber auch, daß ihr Erfolg weitgehend
von den Entwicklungen in den anderen Ländern Europas mitbestimmt wird.
In
Deutschland, wo jede Sektion der organisierten Arbeiterschaft von den Nazis
vollständig zerstört, und ihr umfangreiches Eigentum an Gebäuden,
Druckereien, Büchereien etc. beschlagnahmt wurde, mußte die
anarchosyndikalistische Bewegung schreckliches über sich ergehen lassen.
Nachdem ihr Büro ("Geschäftskommission") in Berlin von den Nazis
geplündert und zerstört worden war, versuchten die Genossen in Erfurt, eine
Untergrundbewegung zu organisieren. Aber nach kurzer Zeit fielen viele Militante
in die Hände der Nazis und landeten im Gefängnis und Konzentrationslager.
Trotzdem wurden in fast jedem Teil des Landes Untergrundaktivitäten fortgeführt,
aber die Opfer waren fürchterlich. Nach den Berichten, die wir erhalten haben,
seit die Verbindungen mit Deutschland wiederhergestellt sind, wurden rund 1200
Genossen während des Hitlerregimes zu Arbeitslager zwischen fünf und zwanzig
Jahren verurteilt; rund zwanzig wurden hingerichtet oder starben in den
Folterkammern der Gestapo; Dutzende kamen in Konzentrationslagern um. Diese
Liste ist keineswegs komplett, sie betrifft hauptsächlich das Schicksal unserer
Genossen in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands. Exakte Daten für die
SBZ sind im Moment nicht zugänglich.
Ein
Wiederaufbau der Bewegung in Deutschland unter den gegenwärtigen Bedingungen
ist sehr schwierig. (19)
Eines der größten Hindernisse ist die Teilung des Landes in verschiedene
Zonen. Die meisten der deutschen Genossen sind der Meinung, daß ein
Wiederaufbau der Bewegung auf den Grundlagen der alten FAUD unmöglich ist, seit
die alten Vorstellungen unter dem Gesichtspunkt der Verwüstung des Landes und
der Not der Menschen bedeutungslos geworden sind. Sie meinen, daß jede
Anstrengung dem konstruktiven Wiederaufbau des Landes und der Verminderung des
momentanen Elends gelten soll. Viele unserer Genossen arbeiten schon in dieser
Richtung in den neu gegründeten Gewerkschaften, Kooperativen u. a.
Organisationen mit, wo sie die Möglichkeit haben, ihre Ideen zu verbreiten. In
den Westzonen sind schon Vorkehrungen getroffen für den Aufbau einer neuen
libertären Bewegung, für konstruktive Aktivität auf einer breiteren Basis,
den gegenwärtigen Bedingungen weitaus angepaßter als die FAUD, die unter gänzlich
anderen Bedingungen gegründet worden ist.
Auch
in Holland, wo viele unserer Genossen an der Untergrundbewegung während der
deutschen Okkupation teilgenommen hatten, kamen die ehemaligen Mitglieder des
NSV zu dem Ergebnis, daß das Wiederaufleben der Bewegung in ihrer alten Form
kaum die Probleme lösen könnte, die der Krieg und die gegenwärtige Situation
in Europa geschaffen haben. Aus diesem Grund gründeten sie eine neue Föderation,
den "Nederlandse Bond va frije Socialisten". Dessen Prinzipien wurden
in dem neuen Organ "Socialisme va onder op" veröffentlicht. Sie ist
eine der interessantesten Zeitschriften der heutigen Bewegung, an der viele,
bekannte Vertreter des libertären Sozialismus in Holland und im Ausland
mitarbeiten. Die neue Bewegung verbreitet ihre Ideen aktiv in den
reformistischen Gewerkschaften und führt auch den Kampf für die Unabhängigkeit
Indonesiens und der anderen holländischen Kolonien. Neben der neuen Föderation,
die in jeder holländischen Provinz ihre Propagandagruppen hat, existiert noch
eine Anzahl weiterer Organisationen libertären Charakters.
In
Frankreich reorganisierten die ehemaligen Mitglieder der CGT/Syndicaliste
Revolutionaire ihre Bewegung schon bald nach Kriegsende. Da sie es unmöglich
fanden, in der CGT zu arbeiten, die heute total von der Kommunistischen Partei
dominiert wird und lediglich ein Instrument der Außenpolitik der russischen
Diktatur darstellten, versuchten sie, ihre alten Anhänger zu sammeln und eine
neue Bewegung ins Leben zu rufen. Das erste Treffen fand im Dezember 1946 in
Paris statt; Delegierte der spanischen CNT und ein Repräsentant der IAA waren
ebenfalls zugegen. Die Organisation wurde in "Confederation National du
Travail" (CNT, Nationale Konföderation der Arbeit) umbenannt, und ihre Tätigkeit
basiert auf derselben Prinzipienerklärung, die von der IAA vor dem Krieg
verabschiedet wurde. Ihr
Organ ist "L'Action Syndicaliste".
Neben
dieser anarchosyndikalistischen Bewegung sind die meisten libertären Gruppen in
Frankreich in der "Federation Anarchiste" mit dem Organ "Le
Libertaire" in Paris organisiert. Seit Kriegsende kann man in Frankreich
allgemein ein Wiederaufleben der alten libertären Bewegung in allen Teilen des
Landes beobachten, die ihren sichtbaren Ausdruck in sieben oder acht Zeitungen
und Zeitschriften findet.
In
Italien, dem ersten Land, das unter dem Joch des Faschismus zu leiden hatte,
lebte die anarchistische Bewegung nach dem Krieg ebenfalls wieder auf. Die
meisten Organisationen schlossen sich in der neuen "Federazione Anarchista
Italiana" zusammen, die ihr Zentrum in Carrara, dem italienischen
Marmorindustriegebiet hat. Die Föderation hat rund fünfzehn Zeitschriften und
führt eine lebhafte Propaganda unter den Arbeitern und Bauern durch. Ihren größten
Einfluß hat sie in Mailand und Genua. Wie in Frankreich bekämpfen unsere
italienischen Genossen nicht nur die Überreste der noch mächtigen
faschistischen und monarchistischen Reaktion, sondern auch den wachsenden Einfluß
der Kommunistischen Partei, die nicht nur die gesamte Gewerkschaftsbewegung
kontrolliert, sondern auch den größten Teil der Sozialistischen Partei. Hier,
wie in den meisten anderen europäischen Ländern, stellt das schreckliche Elend
der Menschen eines der größten Hindernisse für jede fortschrittliche Bewegung
dar und setzt gleichzeitig die europäischen Länder den Gefahren einer neuen
totalitären Reaktion aus.
In
Portugal ist die "Confederacao Geral do Trabalho", die unter der
Diktatur Salazars unterdrückt wird, noch immer in der Illegalität. Trotz der
fortwährenden Verfolgungen schaffte sie es, ihr Organ "A Batalha" u.
a. illegale Veröffentlichungen herauszubringen. Viele Militante der CGT kamen
in den Konzentrationslagern der Kapverdischen Inseln um, die nur mit den
Folterkammern der Gestapo verglichen werden können.
Auch
in England, Belgien, Norwegen, Polen und der Schweiz gibt es libertäre Gruppen,
die Broschüren, Bücher und Zeitschriften veröffentlichen und ihre
Vorstellungen verbreiten. Nur in den sowjetisch beherrschten Ländern Südosteuropas
scheiterte jeder Versuch, eine libertäre Bewegung zu initiieren, an der
Diktatur wie im Fall der bulgarischen Anarchosyndikalisten, von denen viele
Opfer der großen blutigen Säuberungen im Lande wurden.
Im
allgemeinen ist die libertäre Bewegung in den meisten europäischen Ländern im
Stadium der Reorganisation. Viele unserer alten Genossen starben während des
Krieges oder wurden Opfer der schrecklichen Verfolgungen der faschistischen
Reaktion.
In
Lateinamerika ist seit Kriegsende ein großer Aufschwung des libertären
Sozialismus in fast jedem Land festzustellen, besonders in Argentinien. Nach
langer Illegalität führt die "Federacion Obrera Regional Argentina"
eine umfassende Propagandatätigkeit für einen 6-Stunden-Tag. Der neuerliche
Streik der Arbeiter im Hafen von Buenos Aires, der mit großem Erfolg endete,
wurde von der FORA geführt und brachte der Organisation ein großes Maß an
Sympathie unter den Arbeitern und Studenten ein. Die neue Jugendbewegung an den
Universitäten ist in hohem Maße von libertärem Gedankengut beeinflußt.
Neben
der syndikalistischen Tätigkeit der FORA gibt es im ganzen Land noch viele
andere libertäre Gruppen, die eine beträchtliche Anzahl von anarchistischen
Zeitschriften und Broschüren herausgeben und eine lebhafte Propagandatätigkeit
im Erziehungsbereich und in Öffentlichkeitsarbeit entwickeln. Den
Verlagsbuchhandlungen Iman und besonders Americalee in Buenos Aires ist es zu
verdanken, daß in den letzten Jahren die größte Anzahl libertärer Klassiker
und viele andere wichtige Bücher gedruckt wurde. Die Ausgaben sind hervorragend
und finden Verbreitung unter Arbeitern und Intellektuellen.
Eine
rege libertäre Tätigkeit ist auch in den meisten anderen Ländern von Süd-
und Mittelamerika festzustellen. So kommen in Uruguay, Paraguay, Peru, Chile,
Brasilien, Kolumbien, Guatemala, Costa Rica, Mexiko und Kuba Zeitschriften
heraus.
In
den USA werden, mit Ausnahme von zwei kleinen Monatszeitschriften, alle anderen
libertären Veröffentlichungen in spanisch, italienisch, jiddisch und russisch
gedruckt. In diesem Land gibt es keine organisierte Bewegung auf nationaler
Ebene, vergleichbar denen in Europa; es gibt eine ganze Anzahl Vereinigungen
verschiedener Art und für verschiedene Zwecke, in denen libertäres Gedankengut
anzutreffen ist.
In
Asien gibt es moderne libertäre Ideen in China, Japan und in kleineren Zirkeln
indonesischer Studenten, die durch die libertäre Bewegung in Holland beeinflußt
wurden. In Japan wurde die kleine anarchistische Bewegung nach der Hinrichtung
von D. Kotoku und seinen Genossen im Januar 1911 vollständig zerstört. Später
entwickelte sich eine anarchistische Bewegung, die "Jiyu Rengo Dantai
Zenkoku Kaigi", in Tokio, Nagasaki, Hiroshima u. a. japanischen
Industriezentren, die Verbindung mit dem IAA-Büro in Berlin aufnahm. Aber auch
diese Bewegung wurde ein Opfer der unbarmherzigen Verfolgungen durch die
japanische Regierung.
In
China existierten vor dem Krieg in verschiedenen Städten anarchistische
Gruppen, die libertäre Periodika und Flugblätter herausbrachten und in
Verbindung mit ihren Genossen in Amerika und Europa standen. Nach dem Krieg
lebte diese Bewegung Dank der Tätigkeit intellektueller Gruppen in
verschiedenen Landesteilen wieder auf.
Libertäres
Gedankengut ist neuerdings auch bis nach Indien vorgedrungen, wo eine Gruppe
indischer Intellektueller, die Gründer des "Indischen Instituts für
Soziologie" und der Zeitschrift "Indian Sociologist", sehr rege
ist und die neuen Ideen verbreitet, vor allem in Bombay. Sie haben auch ein
Zentrum für libertäre Publikationen geschaffen, das "Libertäre
Buchhaus" in Bombay, das schon eine ganze Reihe von Büchern und
Flugschriften von bekannten europäischen und amerikanischen Libertären veröffentlicht
hat. Die
gegenwärtige Renaissance der libertären Bewegung in der ganzen Welt ist der
beste Beweis, daß die großen Ideen von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit
auch nach den schrecklichen Verwüstungen des Krieges noch weiterleben, daß sie
von vielen als Leitprinzipien bei der Lösung der verschiedenartigen neu
entstandenen Probleme angesehen werden; sie gelten ebenfalls für den Weg in
eine bessere Zukunft und zu einem höheren Maß an Menschlichkeit.
Die
libertäre Bewegung ist die einzige Bewegung, die nicht nur den Kampf gegen die
Übel der gegenwärtigen Gesellschaft führt. Sie versucht auch, vor Gefahren
einer Diktatur jeglicher Art von Staatskapitalismus und politischem
Totalitarismus, die nur in die schlimmste Sklaverei führen können, die die
Menschheit jemals erlebt hat, zu bewahren.
Crompond,
New York Juni 1947
IV
ANMERKUNGEN
(Alle
Anmerkungen sind vom Übersetzer)
1)
Im "Gesellschaftsvertrag" (Contrat Social) entwirft Rousseau ein
demokratisches Idealbild. Danach ruht die Staatsgewalt beim Volk, und die
Regierenden sind seine Funktionäre. Die Gesetze bedürfen der Zustimmung aller,
denn die Volkssouveränität ist absolut und unteilbar und bekundet sich irn
"Allgemeinen Willen der Nation" (Volonté général).
2)
Radikeler Flügel in der Französischen Revolution; benannt nach dem
St.-Jakobs-Kloster. Maßgebliche Führer waren Robespierre, Saint-Just und Marat.
3)
Thomas Jefferson (1743-1826) war der Schöpfer der Unabhängigkeitserklärung
der USA, in derzum ersten Mal die Menschenrechte schriftlich niedergelegt
wurden. Von 1801-1809 war Jefferson Präsident der USA.
4)
Thoreau (1817-1862) war ein verfechter des Gewaltlosen Widerstandes. Nahm aktiv
teil an der Anti-Sklaven-Bewegung in den USA. Seine wichtigsten Werke sind:
"Über die Pflicht zum Ungehorsam gegenüber dem Staat", Zürich 1973
und "Walden oder das Leben in den Wäldern", Zürich 1971.
5)
Saint Simon (1760-1825) war ein Vertreter des sog. "utopischen
Sozialismus".
6)
Proudhon (1809-1865) war Vertreter des sog. "Mutualismus" (Austausch
gleicher Werte durch unabhängige Produzenten und Konsumenten und Regelung aller
menschlichen Verhältnisse durch freiwillige Kontrakte). Geistiger Vater vieler
ihm nachfolgenden Anarchisten. Prägte wesentlich den Föderalismus als neue
verbindende Form des gesellschaftlichen Lebens.
7)
Der Begriff "Leviathan" stammt aus dem Buch Hiob. Er steht dort für
das stärkste aller Tiere, ein Seeungeheuer. In Hobbes Theorie symbolisiert es
die absolute Schreckensgewalt des Staates, des "Souveräns".
8)
Rabelais verstand sich nicht als Revolutionär. Er verzichtete in seinen Utopien
völlig auf den Ökonomischen Aspekt. Seine Bedeutung gewinnt er durch die
detaillierte Schilderung eines von allen zwängen befreiten Lebens.
9)
Entfällt
10)
Robert Owen (1771-1858): Frühsozialist, Förderer von Einrichtungen zu
Selbsthilfe gegen die Konkurrenz der Grobetriebe. In seinem Musterbetrieb führte
er wegweisende Sozialreformen durch (Zehneinhalb-Stunden-Tag, Kranken und
Altersversicherung).
11)
Elisee Reclus (1830-1905), einer der bedeutendsten Geographen des 19.
Jahrhunderts, stand mit seiner Auffassung vom Anarchismus der
anarchistisch-kommunistischen Konzeption Peter Kropotkins nahe.
12)
Cafiero, ital. Anarchist, war ursprünglich wichtiger Vertrauensmann von
Marx/Engels in Italien. Er wandte sich jedoch, aus der Überzeugung, daß
Bakunins Analyse der italienischen Situation richtiger sei, bald dem libertären
Flügel der 1. Internationale zu.
13)
Rocker bezieht sich hier vor allem auf die revoluItionären Unruhen in Italien
und Spanien 1873-1874. In Italien führten die Spannungen, die sich aus dem
Kampf um die nationale Einheit, dem Kampf gegen die österreichischen Besatzer
ergaben, zu erheblichem wirtschaftlichen Elend. Die Hoffnungen, die die Bauern,
landlosen Arbeiter und Handwerker in die neue Regierung gesetzt hatten, konnte
diese nicht erfüllen. Diese Situation führte zu sozialen Unruhen, vor allem
unter Führung der Anarchisten (Malatesta, Costa, Cafiero). Sie brachten jedoch
keine wesentliche Linderung der mißlichen sozialen Lage.In Spanien kam es
1868-1874, bedingt durch die Abdankung der Königin Isabel, zu zahlreichen
sozialen Auseinandersetzungen, an der die Vertreter des libertären Flügels der
1. Internationale großen Anteil hatten. Die 1873 gebildete liberale Spanische
Republik hatte nur eine kurze Lebensdauer Ihre Ende 1874 bedeutete gleichzeitig
die Restauration der Monarchie. Die Anarchisten waren nun zur Illegalität
gezwungen. (Vgl. Brenan, Gerald: Die Geschichte Spaniens, Berlin 1978)
14)
Sombart (1863-1941) war ein bedeutender Wirtschafts- und
Gesellschaftstheoretiker. Verfasser des zweibändigen Standardwerks "Der
moderne Kapitalismus". Zunächst stark vom Marxismus beeinflußt, vollzog
er im Laufe seines politischen Werdegangs eine weitgehende Abkehr von seinen
ursprünglichen Überzeugungen. Wird vielfach als "Kathedersozialist"
bezeichnet.
15)
Sorel (1847-1922): angeblich "Theoretiker des Syndikalismus". Besaß
jedoch keinen Einfluß auf die Arbeitermassen. Beeinflußte in nicht
unerheblichem Maße Mussolini. Starb als Bewunderer Lenins.
16)
Rocker meint hier die sog. "Dezimal-Sozialdemokraten", d. h. den Flügel
des politischen Sozialismus, der über den parlamentarischen Weg die Macht
anstrebte, und jedes Plus hinter dem Komma als einen Sieg der Arbeiterklasse
feierte.
17)
Rocker vergleicht hier die Haltung der deutschen Arbeiterklasse bei der
Machtergreifung Hitlers mit derjenigen der spanischen Arbeiter beim Putsch
Francos am 19. Juli 1936. Während die spanischen Arbeiter vom ersten Tag an
entschlossen Widerstand leisteten, wartete die deutsche Arbeiterklasse auf
Direktiven ihrer Führung und war unfähig, selbständig zu reagieren.
18)
Vgl. Roller, Arnold: "Direkte Aktion", Bremen 1977; vgl. zu einer
neueren Bestimmung des Begriffs "Direkte Aktion": Carter, April:
"Direkte Aktion". Leitfaden für den Gewaltfreien Widerstand",
Berlin 1979.
19)
Vgl. dazu: Rocker, Rudolf: "Die Möglichkeiten einer anarchistischen und
syndikalistischen Bewegung. Eine Einschätzung der Lage in Deutschland",
Frankfurt 1978.
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aus: "Der Syndikalist" Nr.49, 1925 |