Sünde
„N E I N !“ der Schrei gellte durch die Stille der Nacht. Es klang als hätte kein Mensch diesen Laut hervorgebracht, es musste ein Tier gewesen sein oder etwas anderes.

Über sich selbst erschrocken stand er da, beide Hände über seinen Mund gelegt. Hatte er es wirklich getan? Wieder hallte der markerschütternde Schrei durch die Gassen und wieder presste er beide Hände auf seinen eigenen Mund, wieder und immer wieder schüttelte er dem Kopf. Nein, er konnte es nicht getan haben, dazu war er doch gar nicht fähig! Das war es doch was sie immer sagten. Er war zu schwach, habe keine Kraft mehr, sei allem hilflos ausgeliefert, würde sein Leben beenden wollen, weil es so schrecklich wäre.

Er hatte immer über sie gelacht. Sollten sie doch glauben, was sie wollten! Er wusste, dass er ganz anders war; stark und zuversichtlich, manchmal schlecht drauf, ja, aber das ging doch jedem mal so... oder etwa nicht?

Doch heute hatte er zum ersten Mal den Wunsch sein Leben zu beenden, das zu rächen, was er getan hatte.

Er war aus der Wohnung gekommen, dort hatten sie alle gestanden und, wie jeden anderen Tag auch, gegafft, seinen Namen gerufen, geschrieen, gekreischt. Der Tag war nicht so besonders gut gelaufen und seine Stimmung war am Boden gewesen, er hatte sich mal wieder gefragt, warum er diesen ganzen Shit überhaupt noch mitmachte, war einfach zu Auto gegangen und hatte sie ignoriert.

Als er jedoch einsteigen wollte, hatte eine von ihnen seinen Arm gepackt und sich an ihn gedrängt. Er hatte ihren Körper gespürt, hatte ihr Parfum gerochen... und nicht mehr gewusst was er tat.

Er hatte sie einfach ins Auto gezogen und war losgefahren, weg von den anderen. Obwohl er den Schreck in ihrem Gesicht deutlich sehen konnte, fuhr er nicht langsamer, hielt nicht an. Gelenkt von einer übermenschlichen Macht war er in den Wald gefahren, mit brutaler Geschwindigkeit.

Auf einer Lichtung hatte er den Wagen dann schließlich zum stehen gebracht, hatte sie angesehen. Er hatte die Angst in ihren Augen gut lesen können, hatte er sie doch anfangs ebenso verspürt, als er zum ersten Mal mit Mordstempo über die Straßen gefegt war, um mal alleine zu sein. Jetzt da es nicht mehr er gewesen war, der diese Angst verspürte, hatte er sich mächtig gefühlt.

Noch ehe er diesen Gedanken zu Ende gebracht hatte, war seine Hand schon auf ihrem Oberschenkel gelegen. Sie hatte sich nicht gewehrt, als er sie immer wieder berührte, hatte nicht „Nein“ gesagt, als er sich holte was er wollte, hatte nichts gesagt, keinen Ton von sich gegeben... doch der Schrecken, die Angst und die Verzweiflung in ihren Augen war geblieben.

Nachdem er sie an einer Straßenecke mitten in der Stadt wieder raus gelassen hatte, war er zurück in die Wohnung gefahren, hatte sich eingeredet, dass sie es doch so gewollt hatte, dass sie es war, die schuld daran war... Mit diesem Gedanken war er eingeschlafen.

Mitten in der Nacht war er aufgewacht, wurde sich zu deutlich bewusst, was er getan hatte, lief hinaus auf die Straße und schrie nun seine Verzweiflung einfach in die Nacht. Nie würde er es fertig bringen, sich das zu verzeihen! Wie musste sie ihn hassen?! Er wollte... konnte einfach nicht mehr! Wie konnte dieser eine Tag sein Leben nur so verändern? Er war es selbst gewesen, der es zerstört hatte.

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