DIE SCHÖPFUNG

Franz Josef Haydn
Baron Gottfried van Swieten


ERSTER TEIL

1.) Einleitung
Die Vorstellung des Chaos (Orchester)

2.) Rezitativ: Raphael (Bass)
Im Anfange Gott schuf Himmel und Erde, und die Erde war ohne Form und leer, und Finsternis war auf der Fläche der Tiefe.

Chor:
Und der Geist Gottes schwebte auf der Flache der Wasser; und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.

Rezitativ: Uriel (Tenor)
Und Gott sah das Licht, daß es gut war, und Gott schied das Licht von der Finsternis.

3.) Arie: Uriel
Nun schwanden vor dem heiligen Strahle des schwarzen Dunkels greuliche Schatten; der erste Tag entstand. Verwirrung weicht, und Ordnung keimt empor. Erstarrt entflieht der Höllengeister Schaar in des Abgrunds Tiefen hinab zur ewigen Nacht.

Chor:
Verzweiflung, Wut, und Schrecken begleiten ihren Sturz. Und eine neue Welt entspringt auf Gottes Wort.

4.) Rezitativ: Raphael
Und Gott machte das Firmament, und theilte die Wasser die unter dem Firmament waren von dem Gewässern die ober dem Firmament waren. Und es ward so.

Da tobten brausend heftige Stürme; wie Spreü vor dem Winde, so flogen die Wolken. Die Luft durchschnitten feurige Blitze, und schrecklich rollten die Donner umher. Der Flut entstieg auf sein Geheiss der allerquickende Regen, der allverheerende Shauer, der leichte flockige Schnee.

5.) Solo und Chor:
Gabriel (Soprano)
Mit Staunen sieht das Wunderwerk der Himmelsbürger frohe Shaar, und laut ertönt aus ihren Kehlen des Schöpfers Lob, das Lob des zweiten Tags.

Chor
Und laut ertönt aus ihren Kehlen des Schöpfers Lob, das Lob des zweiten Tags.

6.) Rezitativ: Raphael
Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel zusammen an einem Platz, und es erscheine des trockne Land. Und es ward so. Und Gott nannte das trockne Land Erde und die Sammlung der Wasser nannte er Meer; und Gott sah daß es gut war.

7.) Arie: Raphael
Rollend in shäumenden Wellen bewegt sich ungestüm das Meer. Hügen und Felsen erscheinen; der Berge Gipfel steigt empor. Die Fläche, weit gedehnt, durchläuft der breite Strohm in mancher Krümme. Leise rauschend gleitet fort im stillen Thal der hellen Bach.

8.) Rezitativ: Gabriel
Und Gott sprach: Es bringe die Erde Gras hervor, Kräuter, die Samen geben, und Obstbäume, die Früchte bringen ihren Art gemäss, die ihre Samen in sich selbst haben auf der Erde. Und es ward so.

9.) Arie: Gabriel
Nun beut die Flur das frische Grün dem Auge zur Ergötzung dar; den anmuthsvollen Blick erhöht der Blumen sanfter Schmuck. Hier düften Kräuter Balsam aus; hier sprösst den Wunden Heil. Die Zweige krümmt der goldnen Früchte Last; hier wölbt der Hain zum külhen Schirme sich; den stellen Berg bekrönt ein dichter Wald.

10.) Rezitativ: Uriel
Und die himmlischen Heerschaaren verkündigten den dritten Tag, Gott preisend und sprechend:

11.) Chor:
Stimmt an die Saiten, ergreift die Leyer! Lasst euer Lobgesang erschallen. Frohlocket dem Herrn, dem mächtingen Gott! Denn er hat Himmel und Erde bekleidet in herrlicher Pracht.

12.) Rezitativ: Uriel
Und Gott sprach: Es sein Lichter an der Feste des Himmels um den Tag von der Nacht zu scheiden, und das Licht auf der Erde zu geben: und es sein diesen für Zeichen und für Zeiten und für Tage und für Jahre. Er machte die Sterne gleichfalls.

13.) Rezitativ: Uriel
In vollem Glanze steiget jetzt die Sonne strahlend auf; ein wonnevoller Bräutigam, ein Riese stolz und froh, zu rennen seine Bahn. Mit leisen Gang und sanften Schimmer schleicht der Mond die stille Nacht hindurch. Den augedehnten Himmelsraum ziert ohne Zahl der hellen Sterne gold, und die Söhne Gottes verkündigten den vierten Tag mit himmlischen Gesang, seine Macht ausrufend also:

14.) Chor und Trio:
Chor
Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und seiner Hände Werk zeigt an das Firmament.

Gabriel, Uriel, Raphael
Dem kommenden Tage sagt es der Tag; die Nacht, die verschwand, der folgenden Nacht.

Chor
Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und seiner Hände Werk zeigt an das Firmament.

Gabriel, Uriel, Raphael
In alle Welt ergeht das Wort, jedem Ohre klingend, keiner Zunge fremd.

Chor
Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und seiner Hände Werk zeigt an das Firmament.


ZWEITER TEIL

15.) Rezitativ: Gabriel
Und Gott sprach: Es bringe das Wasser in der Fülle hervor webende Geschöpfe, die Leben haben, und Vögel, die über der Erde fliegen mögen in der offnen Firmamente des Himmels.

16.) Arie: Gabriel
Auf starkem Fittige schwinget sich der Adler stolz, und teilet die Luft im schnellsten Fluge zur Sonne hin. Den Morgen grüßt der Lerche frohes Lied, und Liebe girrt das zarte Tauben paar. Aus jedem Busch und Hain erschallt der Nachtingallen süße Kehle. Noch drückte Gram nicht ihre Brust, noch war zure Klage nicht gestimmt ihr reizender Gesang.

17.) Rezitativ: Raphael
Und Gott schuf große Wallfische, und ein jedes lebendes Geschöpf, das sich bewegt. Und Gott segnete sie, sprechend: Seid fruchtbar alles, und mehret euch! Bewohner der Luft, vermehret euch und singt auf jedem Aste! Mehret euch, ihr Flutenbewohner und füllet jede Tiefe! Seid fruchtbar, wachset, und mehret euch! Erfreuet euch in eurem Gott!

18.) Rezitativ: Raphael
Und die Engel rührten ihr'n unsterblichen Harfen, und sangen die Wunder des fünften Tags.

19.) Terzett:
Gabriel
In holder Anmut steh'n, mit jungem Grün geschmückt, die wogichten Hügel da. Aus ihren Adem quillt, in fliessendem Kristall, der kühlende Bach hervor.

Uriel
In frohen Kreisen schwebt, sich wiegend in der Luft, der munteren Vögel Schaar. Den bunten Federglanz erhöh't im Wechselflug das goldene Sonnenlicht.

Raphael
Das hellen Nass durchblitzt der Fisch und windet sich in stetem Gewühl' umher. Vom tiefsten Meeresgrund wältzt sich Leviathan auf schäumender Well' empor.

Gabriel, Uriel, Raphael
Wie viel sind Werk, O Gott! Wer fasset ihre Zahl? Wer, O Gott?

20.) Chor und Terzett:
Der Herr ist groß in seiner Macht, und ewig bleibt sein Ruhm.

21.) Rezitativ: Raphael
Und Gott sprach: Es bringe die Erde hervor lebende Geschöpfe nach ihrer Art; Vieh und kriechendes Gewürm, und Tiere der Erde nach ihren Gattungen.

Gleich öffnet sich der Erde Schoß und sie gebiert auf Gottes Wort Geschöpfe jeder Art, in vollem Wuchs und ohne Zahl. Vor Freude brüllend steht der Löwe da. Hier schießt der gelenkige Tiger empor. Das zackig Haupt erhebt der schnelle Hirsch. Mit fliegender Mähne springt und wieh'rt, voll Mut und Kraft, das edle Ross. Auf grünen Matten weidet schon das Rind, in Heerden abgeteilt. Die Tritten deckt, als wie gesät, das wollenreiche sanfte Schaf. Wie Staub verbreitet sich in Scwarm und Wirbel das Heer der Insekte. In langen Zügen kriecht am Boden das Gewürm.

22.) Arie: Raphael
Nun scheint in vollem Glanze des Himmels, nun prangt in ihrem Schmucke die Erde. Die Luft erfüllt das leichter Gefieder, die Wässer schwellt der Fische Gewimmel, den Boden drückt der Tiere Last. Doch war noch alles nicht vollbracht. Dem Ganzen fehlte das Geschopf, das Gottes Werke dankbar seh'n, des Herren Güte preisen soll.

23.) Rezitativ: Uriel
Und Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde. Nach der Ebenbilde Gottes schuf er ihn; Mann und Weib erschuf er sie. Den Atem des Lebens hauchte er in sein Angesicht, und der Mensch wurde zur lebendigen Seele.

24.) Arie: Uriel
Mit Würd' und Hoheit angetan, mit Schönheit, Stärk' und Mut begabt, gen Himmel aufgerichtet, steht der Mensch, ein Mann und König der Natur. Die breit gewölbt erhab'ne Stirn verkünd't der Weisheit tiefen Sinn; und aus dem hellen Blicke strahlt der Geist, des Schöpfers Hauch und Ebenbild. An seinen Busen schmieget sich, für ihn, aus ihm geformt, die Gattin hold und anmutsvoll. In froher Unschuld lächelt sie, des Frühlings reizend Bild, ihm Liebe, Glück und Wonne zu.

25.) Rezitativ: Raphael
Und Gott sah jades Ding, was er gemacht hatte; und es war sehr gut; und der himmlische Chor feierte das Ende der sechsten Tages mit lautem Gesang.

26.) Chor und Terzett:
Chor
Vollendet ist das große Werk; der Schöpfer sieht's und freuet sich. Auch unsre Freud' erschalle laut; des Herren Lob sei unser Lied.

Gabriel, Uriel
Zu dir, O Herr, blickt alles auf; um Speise fleht dich alles an. Du öffnest dein Hand, gesättigt werden sie.

Raphael
Du wendest ab dein Angesicht; da bebet alles und erstarrt. Du nimmst dein Odem weg; in Staub zerfallen sie.

Gabriel, Uriel, Raphael
Den Odem hauchst du wieder aus, und neues Leben sproßt hervor. Verjüngt ist die Gestalt der Erd' an Reiz und Kraft.

Chor
Vollendet is das große Werk; des Herren Lob ist unser Lied. Alles lobe seinen Namen, denn er allein ist hoch erhaben. Hallelujah! Hallelujah!


DRITTEN TEIL

27.) Rezitativ: Uriel
Aus Rosenwolken bricht geweckt durch süßen Klang der Morgen jung und schön. Von himmlischen Gewölbe strömt reine Harmonie zur Erde hinab. Seht das glückliche Paar, wie Hand in hand es geht! Aus ihren Blicken strahlt das heißen Danks Gefühl. Bald singt in lautem Ton ihr Mund des Schöpfers Lob. Laßt unsre Stimme dann sich mengen in ihr Lied!

28.) Chor und Duett:
Eva (Sopran), Adam (Bariton)
Von deiner Güt', O Herr und Gott, ist Erd' und Himmel voll. Die Welt, so groß, so wunderbar, ist deiner Hände Werk.

Chor
Gesegnet sei des Herren Macht! Sein Lob erschall' in Ewigkeit!

Adam
Der Sterne hellster, o wie schön verkündest du den Tag! Wie schmückst du ihn, O Sonne, du des Weltalls Seel' und Aug'!

Chor
Macht kund auf eurer weiten Bahn des Herren Macht und seinen Ruhm!

Eva
Und du, die Nächte Zierd' und Trost, und all das strahlend Heer, verbreitet überall sein Lob in eurem Chorgesang!

Adam
Ihr Elementen, deren Kraft stets neue Formen zeigt, ihr Dünst' und Nebel, die der Wind versammelt und vertreibt:

Eva, Adam, Chor
Lobsinget alle Gott dem Herrn! Groß wie sein Nam' ist seine Macht!

Eva
Sanft rauschend lobt, o Quellen, ihn! Den Wipfel neigt, ihr Bäum'! Ihr Pflanzen düftet, Blumen haucht ihm eurem Wohlgeruch!

Adam
Ihr, deren Pfad die Höh'n erklimmt, und ihr, die niedrig kriecht, ihr, deren Flug die Luft durchschneid't, und ihr in tiefen Naß:

Eva, Adam, Chor
Ihr Tiere, preiset alle Gott! Ihn lobe, was nur Odem hat!

Eva, Adam
Ihr dunk'len Hain', ihr Berg' und Tal, ihr Zeugen uns'res Danks; ertönen sollt ihr früh und spät von uns'rem Lobgesang!

Chor
Heil dir, o Gott! O Schöpfer, heil! Aus deinem Wort entstand die Welt; dich beiten Erd' und Himmel an. Wir preisen dich in Ewigkeit!

29.) Rezitativ:
Adam
Nun ist die erste Pflicht erfüllt; dem Schöpfer haben wir gedankt. Nun folge mir, Gefährtin meines Lebens! Ich leite dich und jeder Schritt weckt neue Freud' in unse're Brust, zeight Wunder überall. Erkennen sollst du dann welch unaussprechlich Glück der Herr uns zugedacht, ihn preisen immerdar, ihm weihen Herz und Sinn. Komm, folge mir! Ich leite dich!

Eva
O du für dem ich ward! Mein' Schirm, mein Schield, mein All! Dein Will' ist mir Pflicht. So hat's der Herr bestimmt. Und dir gehorchen bringt mir Freude, Glück und Ruhm!

30.) Duett
Adam
Holde Gattin! Du zur Seite fließen sanft die Stunden hin. Jeder Augenblick is Wonne, keine Sorge trübet sie.

Eva
Theurer Gatte! Du zur Seite schwimmt in Freuden mir das Herz. Dir gewidmet ist mein Leben; deine Liebe sei mein Lohn.

Eva, Adam
Der tauende Morgen, o wie ermuntert er! Die Kühle des Abends, o wie erquicket sie! Wie labend ist der runden Früchte Saft! Wie reizend ist der Blumen süße Duft! Doch ohne dich, was wäre mir der Morgentau, der Abendhauch, der Früchte Saft, der Blumen Duft? Mit dir erhöht sich jede Freude; mit dir geneiß' ich doppelt sie; mit dir ist Seligkeit das Leben; dir sei es ganz geweiht!

31.) Rezitativ: Uriel
O glücklich Paar, und glücklich immerfort, wenn falscher Wahn euch nich verfuhrt noch mehr zu wünschen, als ihr habt, und mehr zu wissen, alst ihr sollt.

32.) Chor mit Solisten:
Singt dem Herren, alle Stimmen! Dankt ihm alle seine Werke! Laßt zu Ehren seines Names, Lob in Wettgesang erschallen! Des Herren Ruhm, er bleibt in Ewigkeit! Amen!