TUNNELEFFEKT
GEDICHTE
Mit einem Essay "Fragmente zu einer posthumen Poetik"
Die Wand der Augen
(toskanisch)
TIEFEN. HARMLOS
1
Im Gehör großes Labyrinth
da Zirpen Zikaden
Vögel dazwischen
und Überbringer der Zeit
fern am Horizont übt die Marine
ihren selbstgemachten Donner
Bewußtsein wie es so spielt
dissonant
ins Auge ins Ohr hinein
und verwirrt
Das Trommelfell trommelt
auf die Vögel ein
sie fliegen
durch den Kopf
wie ein Gedanke
aus Tiefen harmlos
wie ein Herzschlag
Was aber
wenn es ausbleibt
dies himmlische Gift
unser Tag?
2
Blitz der Gedanken, haarige Mitte,
vom Himmel gefahren die Freude
endet in uns als Krieg
Du bist in Hirngewittern
harmlos da. Der Alltag
zwischen Inseln heute
gefährliche Märchen
hab ich im Auge
Kriegsschiffe Schnellboote
Ankommt die Welle
der Epochen geschlagen
sollen wir werden
vom eignen innern Hirngewitter
Gedichte auf ein Reißbrett
geworfen
geträumte Welt
schieß zu.
La Spezia Palmen fächeln schmerzhaft
weißes Licht in mein Auge
kein Übergang/ Schlag
in jeder Sekunde
Nah ist der Donner.
DACHDECKEN
Ich steig mir aufs Dach
ein Dach über dem Kopf will ich bauen
der Sattel des Berges über mir
Darüber ein Vogel
er hat voll Vertrauen
sich unter den Himmel gelegt
Über dem Meer blinkt laut
und rot ein kleiner Helikopter
Ein offener drohender Kinderhimmel
grau wegen kommender Gewitter
gibt mir den Blick frei
zum physischen Auge der Sonne
Ihr Haus
ist unsichtbar und unterteilt
ganz ohne Dach und mit feurigen Strahlen
Wir fühlen sie
wie müde Schlangen
in unserem Rücken
und heiß wenn wir aus dieser Sicht
langsam herabsteigen.
Im Schlaf der Schrei
die Toten haben dich erreicht
du zitterst laut
lösch aus lösch aus
die sogenannte Welt
die dir den Strahl verstellt.
Der Augenblick bricht auf
Hinweg hinweg stehn
still Gedanken
sie sieben diese Welt.
Und bin in dir und werde jetzt
im Vers so hell
steh still und atme noch
Ein Augen Blick war ganz bei ihnen
kehrt jetzt zurück ich staune wieder
daß ich noch bin.
Und hör die Stimme nur im Wort
die jetzt beginnt: du bist bei uns
komm sei uns näher
als dir bewußt
wir sind in jedem Gras Halm
den du siehst/ er ist nicht mehr
es ist dein Blick der ihn erschafft
im Finger der bewegt
und uns bezeichnet
Wir sind so nah daß du
uns gar nicht sehen kannst
wir sind in dir
und du in uns geborgen.
Daß er sich hinzieht ein Tag in den andern
und daß er täglich zum Fenster wandert
im gleichen Blick
das Blatt
am Baum
Die Zeit aber ein Trost
als käme etwas nach
und es käme an
was uns fehlte
Doch wenn sich einmal das Blatt
wendet und sich vielleicht
unser Blick/ verändert
hat uns die Trösterin Zeit
längst erschlagen
Was immer schon fehlte
hat uns erreicht
Und dann erst beginnt
das Fehlen/ zu zählen
der Umweg den wir gelebt
ist neu
Vorgefahren
hat die Kerne
entdeckt zu seiner Geschichte
die prüft die Sekunden wie Weltgerichte
ob du das weißt?
Die Frage wird wieder zurückgenommen
der Körper - nur noch ein aufgelöstes Kleid
die Vorgabe die wir waren
reißt.
Du staunst wie draußen alle Bäume wachsen
und grün dir in dein Auge winken
das nicht mehr ist/ ein milder Trotz
so geht die Zeit durch dich
das Alter der Zerstörung hielt dich fern von ihm,
dem Sinn - und seinem Gegensatz:
dem festen Schein des Alltags
und dem Werk der Blindheit, seinen Staaten
mit ihren Kriegen Tötungsritualen
und ihrem Innersten der Einen Wirtschaft
die sich mit grausamem Gesetz verteidigt.
Schuldig gesprochen längst von ihnen,
die sich mit jenen Fremden trafen
Botschaften schickten an die Renegaten, an
die Regierenden, die Macht der großen Blindheit
unserer Welt, Atom, Rakete Gott der Erde
da sie es stören - lange schon
das Gleichgewicht der Sphärenräume
im großen Licht des Alls.
WER HAT MICH OBEN AN DEN BRÜCHEN ERKANNT?
Die Zeitlose
droht
Dröhnen von draußen Scheiben klirren
zitternd ein Vogel
am Fenster mit mir
So treten wir an/ ohne Nachricht
taub
Von fern ein Dröhnen
Kräfte Wirbel die schon die Schläge vorbereiten
die Nähe die Sachen fesseln dagegen
körpereng
Die Augenblicke gehn
aus dem ertrunknen Meer das droht
unfrei an Land
MUT allein vom Klang her
großes Gespinst hier
ein Herz meine Freiheit
die aufgeräumte Zeile
Bevor du zum Thema kommst
irrst du ab
und lebst.
SCHRIFT. CYBERLICHT
Mein Freund, was liest du hier noch mein Gedichtich schreibe jedes Wort mit einer Wunder Lampe Aladins
der Bildschirm strahlt mir jeden Reim schon ins Gesicht
die Augen sehen grob die Worte, doch blind die Zellen.
Gefährlich setzen wir das Leben ein
für unsere Botschaft/ die wir noch nicht wissen können,
denn diese Diktatur
ist Explosion aus einer Tiefe
der Unendlichkeit, sie trifft die Silbe,
die es sagen will,
mit dem Geheimnis, daß wir da sind
schon global und tödlich.
HÄLTST ausschau siehst um dichdie insel der berg da herabim dunst wie von ferne verschwundenmein auge schau gut ich such mir dazuein geheimnis den rand aus
Nehmt ihr mich an wie ich das auge
und wußte nichts von mir
gibts noch ein wort das zu euch will
wie der Christ zu uns kam
wie wir und doch sprache
von wem
Wenn ich schlafe heut nacht
kommst du wieder die qual
aufgelöster gedanke labyrinth wie die wand
die uns trennt und fühlt sich
wie nah diese prüfung und ich weiß nichts
von ihr und vom geheimnisvollen Stoff dabei
Nichts wie mater materia und endet mit A.
Grasgrüne helle flechte wie wörteram fels ausdauernder als ichleckt eine der schönstenan der wand.Aber solange sie hier istwird sie's nicht schaffen.Auch in mir sind sie die wörtermühen von generationen,und immer noch steht sie
die wand.
DIE FREMDEN
Schlaflos wieder eine Nacht
ich wälzte mich im Frühlicht
Spüllicht schiens
Und spürte sie im Raum
Embryonen des Futurs
mit den Hypnose-Augen.
Es scheint aber
(Gesetz des Schmerzes)
wie abgewaschen eine alte Welt
der Vollmond glotzt nicht mehr herein
vibrierte ruhig und war nicht sie
wo die Berührung töten kann
und heilsam ist
So werd´ ich weiter hier in diesem Zoo
belassen und nicht abberufen
und einer sagt
"Wohin ist unklar nur die Angst zeigt uns
daß du dich hier noch nicht bewährst
nur deine dir gewährte Form
die jetzt den Zustand
überschreitet."
Wenn mich die Angst packt
sie im Augenwinkel schräg mich sehen
dann wird mein Schatten konsistent und
aufgerissen eine Naht
die Narbe unverborgen:
Nahtod-Erfahrung
wenn durch einen Riß
so fremdes Licht
in diese Welt stößt
wie ein Akt -
nur ohne mich
Es ist Inkubation
wie eine Krankheit
weil wir es nicht ertragen können
mehr zu sein als dieses uns gegebene Ich
*
Die Sorgen sind ein Tor
in dem die Spannung einfällt
und uns zerstört
Und nachts erst merke ich
daß ich verändert bin:
und durch die Wände sehn
und schreiben kann
Neu wirst du werden
und daran gesunden -
genau an dem
was du dir angetan
Bist du erst hier
an diesem Punkt
dann geht es immer weiter
Als wäre es soDaß wir die Hohlform das Negativ sehn
Und trauern und uns das Glück
So verstellen, er uns nicht zuläßt.
Müßte sie nicht ausgegossen werden -
Die Form vor uns?
Wir treten immer nur an die Rückseite
von ihm an sie heran
Wo die Wand ist: unserer Augen
An die Wand gestellt als sollten wir
Augenblick für Augenblick erschossen werden
Wir bedenken es nicht: daß uns am Ende
die Freiheit erwartet
Verdeckt durch sie
Treten wir immer von hinten an sie heran
Als wären wir Blinde
Weil wir hinters Licht geführt
Nie zum Stehen kommen
Er selbst sich uns
verstellt
Durch ihn getrennt von ihm der uns zur Strafe
Die Wand so zuwirft mit dem Auge.
DIE UNFERTIGE WELT – UNSERE HOFFNUNG
Nichts ist entschieden, erst aus dem Fehlenden käme
der Blick, der dich sieht...
Zu Annette Rowdons "SURVIVAL"
Als trüg´ er oben nicht den Kopf,
die selbstgemachte Unschärfe
und den Gedanken, wie der brennt, Unruhe
der Uhr, das Ende. Als trüge er
den Lehm, die Elemente, das Mineral,
aus dem er kam, wie einen Schutz, die
Decke; er wächst daraus der Erde zu,
auf der er steht. Das Oben drückt
hinab. Er aber reckt sich hoch
im kleinen Flug: sein unsichtbares Glück,
der Unerschaffne steckt mit Ihm,
so möglicher denn je,
noch unter einer Decke.
Es ist die Glockeund das Flugzeug
es ist die Predigt die sich anmaßt Gott zu sein ein Wort/ nicht mehr zu langsam schon für Mond
und Sonne
welch kleines Licht
Hirnschimmern
unsre Häuser ganz aus Stein
anstatt aus den Gedanken die das Weltall
baun und innen sind im Überlicht bewegt.
Und Gäste hier auf Terra/ in all den kurzen Jahren
daß die von uns gegangenen
und ihre Geister: Engel unsre Helfer sind
Von ihrer Seite
kommt Bescheid
Nicht einmal nur
schon immer wars
ein heimlich Leben
das einmal kommen wird
denn Nichts vergeht
II
EXILE
Franz Kafka
auf welchem Stern hier
und am Ende steht der Anfang muster gültig
So wie die Meise
klopft der Kopf
Nein wie die Eule Nie
auf Äste kommt
Nach ihrem Flug
wie Wissen
auf keinen Grünen Zweig
gekommen.
Doch weiß ich schon, daß dieses gilt
nur innerhalb der uns bekannten Welt,
und seh wie diese Zeile an ihr sägt
von Tag zu Tag an Folgen reicher,
Zeit, ihr eigener Ast, auf dem dies steht.
Zurück also wie nie gewesen,
und bist, wo sie einst starben,
wie unser Riß im Ersten Krieg begann.
Vorher war alles genau und bunt
auch blau der Himmel, seelenangepasst,
sogar die Stadt schlief selbst in
aller Armut fest. Und eine Blume
am Morgen aufsah zu dir wie erkannt.
Das Leichte wie ein Vogel durch dich flog,
und fühlbar war nicht nur das Gras, du,
barfüßig begegnete ihm auch das Herz,
liebte im Wald am Boden liegend,
wie es höher schlug, raschelnd
trockne Blätter, kleine Wickel
wie ein Hauch von
flüsternden Elfen wog es aus
dein Leben.
Hier in diesem Haus
rein historisch gesehen
nur solchen Dingen nah
die unwirklich sind:
Weingärten im Juni
und wahrscheinlich viel zu grün
für mein Auge
Kastanienwälder an den Hängen des Apennin
die ebenso rauschend Ruhe
spielend bewältigen
wie in den Zeiten meiner transsylvanischen Kindheit
Hier in diesem Haus
- nach Aussagen alter Bewohner
meist um die achtzig -
sind viele Menschen zur Welt gekommen
und keiner gestorben
ich bin das einzige Phantom
WEISSBLAUE ZIMMER
und dünne Milch der Kindheit
vorgefunden in meiner unverrückbaren Phantasie
sind nun herbstlich braun und gelb
doch anders als sich selbst
die Geister hier in meinen vier Wänden
sind älter geworden
blauweiße milde Gestalten
und die Puppen im Jugendstil
verschwinden
nachts kommen Falter in mein Arbeitszimmer
und allerlei Getier das die Dunkelheit liebt:
und alle scheinen mit Zeichen beladen
Die Menschen um mich
sind alle verletzlich
und jeder liebt sein Unglück wie ich selbst
die unbekannte Realität aber wird
täglich abgelegt mit dem Morgenkaffee
und mit diesem Satz wahrgesagt
Weißblaue Zimmer
und dünne Milch der Kindheit
vorgefunden in meiner unverrückbaren Phantasie
sind nun herbstlich gelb und braun.
*
Jemand aber spielt brutal auf meinem Rücken
die erste Geige
entzieht mir den Boden unter den Füßen
ein Schatten fällt mir
über den Weg - es ist nicht der eigene
den ich zu Hause liegen ließ
Ein bißchen Haus hier
hilft mir nicht weiter
und ich stehe wie immer schon
draußen
vor der Tür.
Die Väter wurden alt
Und ihre Söhne tragen
Die Last nicht mehr
Sie schlagen sich über all die Zeiten hinweg
Der Platz aber -
Ist leer.
Auf diesen Plätzen steht das Jahr
Und weiß nicht aus noch ein
Die Söhne vergessen die Qual
Und werden langsam zu Stein.
Säuglinge junge Welpen Kinder sind Geister
Hierher herabgekommen inkarniert
Auf angeblich festem Boden
Ich weiß es zieht mich nur zu ihnen
Und kaum ins Leben zu den verwachsenen
Leuten die tief in den Schlaf
Gefallen/ tief im Vergessen
nur manchmal
Träumt der Tote in ihnen und gibt ihnen Angst ein
Ich möchte zu euch
Gemeinschaft der Geister die alle
schon in uns wachsen und leben
Schmerzend verpackt im Fleisch.
KINDER LOSE
Wann kommt denn mit ihnenEtwas Neues, mein Kind, mein Sohn
Lebst du lang genug
ES zu wissen eingeschrieben in dieses
Einsilbige Tor?
Enkel zum Aufhalten der Zeit kaum
Lächelt der Clown der weiß:
Schreib Milliarden Bücher
Für den Rest: fünf Milliarden Erdenjahre noch
Oder mime den Hiero-Gamos mit heiligem Sperma
Das eine Buch
Zu widerlegen/ das Eine.
SO WERD ICH STEHLEN wie ich denke,
ein Kuß dem Berg der Wange dieser Welt.
Kein Schlag. Der Vers sieht
alle Sterne, und weißt du noch,
wo diese Sterne sind?
Ein weißer Punkt am Himmels Zelt.
Der Menschenhof/ und du am Fenster
Zählst alle noch: das KinderABC
Und scheinbar läuft Erinnerung ab
mit Katzen durch den Schnee.
Herr Bählamm vor dem offnen Fenster,
in einer Fibel Laut Gelesener,
Perlmutt Gesangbuch feste Burg.
Der Winter, der den Kuckuck zählt,
Sonst Nichts, die vielen Jahre.
Was aus den Märchen kommt im Alter wieder
rätst du mit ihm und machst es fest im Tag der sinkt
hast ausgesucht was nicht mehr kam und starb
Erfahrung sammelt
den Kern: knackende Äste hölzerner Finger
knackten die härtesten Nüsse im Laub
als du noch drüben warst mit allen Sinnen
und als es wehtat so/ als wärst du ohne Haut
GESPRÄCHE MIT TOTEN KOLLEGEN
Du hast recht.
Zuhause kann ich sein im Flattern
des Tagpfauenauges (was liegt da
unter dem vergrabenen Namen -
wohl ein Erfinder?)
Zuhause auch zwischen Tannenzapfenschuppen,
die abblättern (ich höre es
klingen, so
als sei eben ein Blauer Karpfen
zum Geist in die Flasche geschwommen!)
Nichts, außer daß sich etwas rührt,
mitten unter den Dingen!
Zuhause bin ich auf alten Schulhöfen. Gestern
habe ich geträumt: ich wickelte ihn,
den angebissenen Apfel
ein - in eine schwarze Turnhose.
Verstohlen lernte ich mit ihm in der Pause.
Blätterte in Heften und fraß mich vor Sorgen auf.
Endlich habe ich ausgelernt.
Und träume nicht mehr von den Prüfungen, die
ich unvorbereitet bald - zu bestehen habe:
im Juni. Und jetzt ist es Mai.
Jetzt blättere ich in alten Schmetterlingssammlungen,
das Tagpfauenauge ist zart aufgespießt
sehe mir die Herbarien an, die Aquarien und Kataloge, sogar
ein schönes Hochglanzfoto von meinem Vaterhaus
liegt platt in meinen schwarzen Alben.
Zünftig, zünftig, sagt der Geist aus der Flasche.
VOM WEITERMACHEN IM SITZEN
Wenn ich diese violetten Blumen vor meinem Fenster sehe
mich abmühe sie wirklich zu sehen - die verkrüppelte Pergola
mit dem Wein mich fragen muß ob ich später wohl weiß
was ich meine - es bleiben ja nur die Wörter stehen
die nicht mehr weitermachen wenn ich sie weglege
halte ich auf gut Glück einen Augenblick fest mehr
gelingt nicht als die Erinnerung an andere violette Blumen
und die Pergola von früher die in mir weitermacht.
Und ich kann sie nicht genau beschreiben sie kommt
aus der Wiese da vor mir die ich nicht mehr sehe
wenn ich meinen Blick wegwende dieser weißen Fläche zu.
*
Und das Wandern der Herde -
im Bildschirm verschluckt sie das Glas
Keine Röte mehr auf unserem Gesicht
trotz Sonnenuntergang
denn die Scham liegt tiefer
Das einst bis zur Erschöpfung
zitierte Herz
begreift nichts mehr.
HIMMEL ODER ERDE
(Blandianas Engel)
1
Der Himmel wäre der Himmel herabgestiegen
wäre er stofflich verdichtet
Als habe er uns versucht
als habe er vor
der Erde zu gleichen sie schwerelos zu heben
Bin ich bin ich vor ihm da
gewesen erst wenn er kommt
mich mitnimmt Himmel
in den ich bohrte dachte/ nach oben
er ist
2
Überall ist Himmel sagt die Blume
Päonie wie ein weißer
zurückgelassener Kopf
Fand ich ja fand ich tief in der Erde:
Was war was du warst was immer war
hier zurückgelassen zeitgelagert
Schichten Schichten
Skelette Haare Gold und Bernstein
Schrift und Sarg
Nein
Auf den Friedhöfen Nein auf den Friedhöfen
ist Niemand begraben ist niemand
3
Trauernde geistern wie Phantome
über den Kies und knirschen
mit den Schuhen über die Erde faul
ist das Blumenwasser alt uralt
Der Himmel aber ist jetzt ist jung und da
und lebt und webt ein Vogel
singt
vergeblich kein lebendiger Vogel kein Vogel
außer im Kopf
da ich das Leben einatme
ausatme den Himmel.
ZU ANNETTE ROWDONS "RESURRECTION"II
So geht er um, am Tag noch ungesehen,
und vorgestellt, Figur, die Geister hier,
und alles, was nie sein kann, ist
jetzt weich geschehn.
Im Blick verwandelt sich ein Grab, bewegt,
und füllt, als wärs die Liebe, die nie ruht,
die alles, auch das Kommende in uns regt
den Knochenkörper schon mit Fleisch -
in uns die große Umkehr:
so
als wäre alles wieder gut.
NOOTEBOOM
ich bin der weg
ein jesushaiku
oder geöffnet nach osten
mit laotse jetzt
halt die zeit
verkehrsregeln wieder
der chaussee
klein geschrieben
im fluß tod
hol die bilder aus dem auge,
nicht aus dem blatt
ein kopf los elend
der gedanke schießt wie der weg
in die ferne
aber in der ferne
bin ich weg
ein röntgenbild korrigiert
den schein/ ich erkenne
die höhle
mein auge
der Kopf,
als er im Durchbruch endlich wieder
den Himmel sah,
da zählte er die Sterne seiner neuen Blitze. Und
als alles darin verbrannte, erkannte er,
wie er durchsichtig wurde und sich durchschaute.
Die heute so weitreichende Empirie verbrannte er im Hirn/ wie
in einer Müllverbrennungsanlage.
So rauchte tatsächlich sein Kopf
mit Erfolg. Und da diese Logik sich selbst aufdenkt,
und vergißt und den Kopf zerbricht, kann die Liebe
heraussteigen:
vor allen Dingen.
Im Himmel aber warten sie
voller Spannung schon auf dich...
Poesia erotica
Eine Emphase war das, eine Erwartung, ein Glücksverlangen...
und zugleich eine gegenseitige Überforderung,
die ganz neue Möglichkeiten des Unglücks heraufbeschwor.
H.M. Enzensberger in: Beck, Das ganz normale Chaos
der Liebe
Rotwein und ein Hund bellt/ noch
in milden Räumen
keine Ungeduld und keine Worte mehr
ausgelöscht das vergebliche Warten der Zeitwörter,
neben ihnen verrinnen unaufhaltsam die Sekunden.
Und ich sehe voller Schrecken wie es später wird
auch im Gedicht.
Ich habe erleichtert ab sofort
das Gesicht dieser Welt verloren.
Türme, die Kerzen in alten Gedichten
verlöschen heute nur noch bei Stromausfall.
Aber die Milchstraße
hat wieder Licht. Und federleicht ist alles -
ein Fliegen.
Jeden Morgen um vier erwache ich.
Und denke an dich:
Es zieht eine Ungeduld hinauf zum Himmel
weckt die Angst -
daß jede Liebe vergeht!
Mein Ohr ist wieder im Laut
aufgedreht die Lautlosigkeit der Traumzeit
mit dir! Es schlägt die Uhr es kräht ein Hahn
wie früher bleibt ein Jet zurück
durchbricht die Unsichtbare
die Schall Mauer/ an der ich stehe
und mein Urteil aus jener anderen
der wunden Herzzeit gefährlicher Wunder
erwarte!
Herz und Hirn verfärbend,
Und in mein dumm zerlebtes Leben fuhr
Der Strahl: "Real ist alles,
Nur die Welt ist´s nicht!"
Albert Ehrenstein, Die weiße Zeit
Oder ist sie singender Abruf
als Ruf wo das Herz neu beben kann
abgeworfen weitverzweigte Illusion
wenn noch viel Zeit ist
wie ein berauschender Trunk
Sie sitzen in uns und sie träumen das Leben
schmerzte es in ihnen wie offene Wunden
weil ich im Fleisch lag?
Alles was je sein wird ist immer
schon da.
So geh ich wirklich um mit dem was ich nur dachte hier
an Füßen und an Händen Erde; ich wasche mir die Füße
und die Hände
die Haut die alles was mich lebt die Wand -
macht die Osmose möglich.
Das Wasser fließt die Härchen auf der Wange stehen
jetzt im Licht -
gewesen und sehr weich:
Es steht noch alles aus, und alles ist zu spät.
RETTUNG DURCH EVAS APFEL
Das nicht zu sein,
was hier unmöglich ist im Gedicht,
aufzustehn, durchzustoßen dieses Häutchen, die Mauer,
die ich eben schreibe als Leichter,
und Gedanken verstreut
in die Dinge, erlöst, als wäre es dein Leib,
holen sie auf, was sie in mir versäumten:
das Jetzt, denn das Draußen vergeht,
ich aber habe in deinen Apfel gebissen,
als wärs deine Scham, wo du mich zur Welt bringst;
ich halte ihn in der linken Hand, die Rechte weiß,
was sie tut. Nicht. Sei traurig UND.
Das Kerngehäuse trägt
still wie der schönste Schlaf
Vergessen/ mösenfroh
so hat es vögelnd den Traum
zerstört befreit und dich neu erschaffen.
MEERE. POESIA EROTICA
Meine Lust stöhnt wie eine Marterklage.
Und reißt sich von ihrer Fessel frei.
Else Lasker-Schüler, TRIEB
Wo ist der scharfe Tanz im Geruch des endgültigen Heimwehs wo
die andere bessere Träne (lacrimae Christi) als wär sie mein Fahrzeug?
Über deine haarige Höhle hinaus in den Himmel der schreienden Lust
nicht zu verglühen kalt sein vor koitaler Wiederholung
den Tod vergessen als gäb es ihn nicht mehr in dieser Gestalt
Glanz des Jenseits sagtest Du damals in uns ist der Tote der reist
und aufersteht mit jedem stärkeren Stoß
Und Worte sind Hülsen wie die Haut des Gesichts ohne Küsse
und gelten nicht viel: nur der Blitz unter dem dunkelnden Lid/
müd in der Brust jenes Ziehn! Bin ich im Meer
und liebe nackt diese Schwimmerin/Haut nah Entzücken
herrlich im rauschenden Wasserkleid
mit dir nackt umarmt und in dir bewegt Ewigkeit spüre: komm komm mit mir ins Meer: Jetzt fließt mein Same dir zu: hier auf dem Weißen Papier erigiert der Finger
wie das Glied: sieh, ich legs dir hier drauf und setz daran deine Lippe
leuchtend auf dem Blitz dieses Bild Schirms
so werfe ich durchscheinendes Fleisch aus wie eine Flaschenpost
werf ich ihn dir aus der dich die Niemandin findet
nur das Gewesene mit dir tönt mir zurück ein weißlicher Leib samt
schwellend erregendem Gestirn
mit dem ich bisher nie im Meer nackt umarmt war in zuckender Bewegung
unserer Ewigkeitsorgane unter Wasser bliebst du aus der Zukunft
hier zurück/ der Glanz aus uns aber stieg
hoch in sein stärkeres Aus: wie lang sind wir noch jung,
um stürzende Lust
aneinander zu haben, dann geht es ins Nie der alternden Kälte
Und dein Traum und die Träne - Alles wird jetzt noch eins
Alles jetzt nur ein duftendes Wort: es ließ dich allein
hat Wasser wirklich
großes Erbarmen oder weiß es dich kaum beim Tragen
auf seinen "Armen" in ein Ruhn und Verzeihn? Wie der Ertrunkene
im Lächeln an Kommendes ist er vergeben
fast schon ein Kind im Schrei jetzt des Orgasmus
ich setz meinen Mund dort unten bei dir an/ dein Luststengel winzig
wie eine Droge und beiß da zärtlich ihn an
auf dieser Erde schwer atmender Gewinn: kein Verzicht!
erstickt an der Atemwende wäre zum Altern der letzte Termin: die Droge
es war dir Menschenkind bange in Atemnot vor dem Himmeln
kaum vor der Nacht gar der Schlange/ doch was ist sie,
nichts als dein süßester Spalt,
da stürzen wir hinein mit Haut und Haar und den Lippen
ein Stoß wie das Alpha bei den Hebräern. Und die Sprache
kann´s gar nicht wissen: Aber nun bist du
außer dir und vom Wort/ freier im Licht und Glanz der Nacktheit
einmal zu Haus wie zwei ewig getrennte Hälften die sich
kurz vor dem Ende gefunden.
Und unter dem "Nachtrand hervor" mit dir
mitten im LiebesOrgasmus
tauch auch ich stumm ihnen entgegen
gestimmt die bekannte Harmonie: in mir rauscht´s
weiß wie die Nahtstelle Null
und mein Ohr hört in Blitz und Regen
Es hört die Stimme (nicht meine)
die bleibt zurück, monoton.
Dann ein Ruck in der Wellenbewegung des Alls
doch weder Knochen
noch Steine und schon gar nicht etwa
dem alten Leib entnommene
Schädelbasislektion
sondern eine Geburt aus dir
dem Eingang zur Welt.
Du über uns
und außerhalb der Syntax
bist länger da/ als ich
und länger da als wir
du hast die Straße
schon nach Sesam hier
genommen:
die Öffnung ist ein Spalt
zwischen den Schenkeln der
Silbe und dir -
unausdenkbar alle
Tage
die Springflut
alle zehn Finger gespreizt
die Beine
Deine Scham schattet
schwarz am Fleisch und
denkt über uns nach.
Eingang
Das Ufer/ die Piste
Um ein Haar
Die Grenze des Atems
Wer zuzweit das Meer ist
Lustumschäumt
Ein Abgrund
Eingang jenseits
Des Todes
Aus Gang: Los Sein
Woher wir kamen
Ein Riß
Lippe zu Lippe
Bewegtes Aus und
Ein um ein Haar Glück
Und haarfein weich
Nur das Eine
Augenblick mal
Gelebt!
Wie Laute Silben verbuchen und Worte
angeblich Wahrheit wissen:
so es nur diese Lippe wußte aber schwieg bis zum Ende
ohne zu wissen was geschah/ drehend im Kreissaal
wie die Jungfrau zum Kind kam
Hybride unbewiesen und doch wäre es möglich
und völlig Ja: ungedacht
der Strahl den Maria erreichte
laß die Tassen im Schrank/
alles nur Projektion an die Hirnwand:
sieh wie der Film dir davonläuft bunt
ausführlich verrundet das Auge
das Leben
was tief fällt hält nur die Netzhaut
die nichts anderes weiß als dieses endliche Bild!
MARIA
Die Waisen gratulierten
als sei ein Herz geboren
nichts mehr ist zu verlieren
wer weiß denn ob du da bist
schwarz ein Gespenst,
Dezemberfrau:
die Alte aus der Anstalt
was einmal ausgesprochen ist sie
halluziniert: sie ist.
Auch ich
hungere nach Wahnsinn
ich möchte tot sein und genau.
EIN ERSTER KREIS
Als wären wir nicht gewesen.
Noch unter der Linie dieser Stimmung
beginnt: Untätigkeit,
das Verschwimmen.
Kehr zurück,
Gast mit der schwarzen Blume,
laß die Brüste tanzen.
Die Schwermut austragen
*
Hier, dies bist du.
In der Nacht zu zweit
getrennt, das Bett
steht auf.
Wer bin ich denn hier,
wo der Abgrund den Mund hält
weil wir bei Licht besehn,
vergessen, daß wir nicht da sind?!
Du, meine Hand knüpft
die Tage an eine Spätzeit,
die uns ans Ende band.
Die Luft geht über von Flügen,
ihr Schall tut den Ohren weh
und streckt die Schallmauer vor,
als sei dahinter ein Christus zur Hand.
Es ist ein Wissen
wie in Leben eingegossen
und sagt nicht aus
und ist hier mitgetan
nicht nur im Hirn
beschlossen.
So kommst du
immer nur das Eine
der Spalt als wär´s
ein Kind in
meinem Flüstern
Stimme an der V
ein ungewohntes Wort
und leicht
und läßt mich manchmal leben
hinüber wie in Weiß
erinnert und erweitert
ein Licht das über diese Landschaft fällt.
Es ist das Glück
für einen Blitz aus dieser Zeit
gefallen
das man bestärkt
mit ihm zu sein zu hören und zu sein
um hier zu bleiben:
Wie eine Pflanze auch/ die mit Geduld
noch vor dem Tod schon aus dem Samen
ihre Ruhe weiß
und ausgesprochen nie:
was kommt/ nur dieses ist
was einmal immer ist -
anstatt der Liebe
Tod ist
ganz gewiß.
IV
DER LICHTTUNNEL
Quando mi desterò
Dal barbarglio della promiscuità
Wenn ich erlöst sein werde
Von der Blendung des Tausenderlei
Giuseppe Ungaretti
übersetzt von Ingeborg Bachmann
Diese Angst, im eigenen Körper eingesperrt zu sein, das Exil bist du selbst, es ist innen....
Die Zikaden im Eukalyptusbaum? Oberfläche des Gehörs, Licht, das ich sehe, die Corona; Unsinn als Freiheit ... daß wir im Schrecken des Todes lange gespalten werden, lange bevor er wirklich da ist, der Mann mit der Sense, das Schwert, das scharfe Messer aber ist der Gedanke des unfertigen Endes. Doch der Widerschein, der tröstliche aus jener Welt, die ich in mir vorbereite, ist dieses, was ich täglich und immer verzweifelter und ohne Mut tue, weil alle Fiktionen meiner Tätigkeiten, hier im Satz voraus, elendes Nichts sind und verblassen vor dem Gesang, den ein Vogel auf dem Kirschbaum an den zitternden Hauch der Luft und an den blauen toskanischen Himmel abgibt, oder die gläubigen Stimmen für einen Auferstandenen; da ziehen sie über den Waldweg und sehen grün. Und doch, in diesen Träumen im Satz sind Blitze versteckt, ein Funke, wo Gefühle und Formen zusammentreffen, sich am Rand berühren, als wäre es eine Haut. Ach, und diese Stimmen, jetzt wieder, hör: ... jederzeit kann das Grauen einbrechen bei Euch, jederzeit, solange ihr im Körper lebt, der Schmerz, benützt von Henkern und Folterern.. Hast du deine furchtbarste Erfahrung vergessen, ganz vergessen, täglich, um leben zu können!
Lähmend
das Entsetzen
nicht hinaus zu können Zellen
wachsen um mich zu
Silben aus Fleisch leuchten mir heim
der Blitz darin das Auge
Wenn der Tod mich hinausläßt
beginnt es
lautlos zu schreien
Abdruck des Körpers
entlang des Bewußtseins
wiegt ihn noch auf
dem Gewicht der Erde
Das Auge die blinde Blume
schlag ich hier ein.
Was sagst du da:
kein Schöpfer und kein Zeuge?Du hast doch selbst den Funkender erwachen will/ in direrlöst/ und fragst so gegen dein Gedicht
das dir entsprang/ Natur sie selbst
und aus sich selbst – allein/entstanden?
Wie irre doch die Illusionder Einsamkeit;
schon deine Haut streiftdiese Luft/ der Atem nimmtjetzt Welt auf gibt sich hin!Und Worte in Milliarden Hirnen!
Wir sind ganz einsam in der Welt
solang wir krumm die Bahn
der Stirn nicht in dem Innenraum
der Sterne drehen/ wo ihre Schwere
unser Fühlen, seine Schwerkraft ist
erlöst als ein Gedicht/ Gewicht der Formel,
die das Atom bewegt/ sich in uns selber wissend:
Genau hier ist der Punkt:
im roten Herzen
das der so nichtvorhandene Eine Gott
im großen Zweifel selbst erschlossen hat
Laß mich zurück so wild und roh/ wie ich es längst geworden bin
wenn ich mich unduldsam hier eingeschlossen
an dem mir aufgezwungenen Außen dreh
wie eine Zeitung wird dann flach mein Hirn
und alles klopft verkrampft den einen Text
aus dem sie auch die alten Kriege machten
UNFRIEDE IHRER ASCHE
Gedanken für wen gedacht
Worte für wen geschrieben
Silben für wen gesprochen
der Tag für wen gelebt -
Gedanken denken
sprechen lernen
so einfach, daß es absurd erscheint
denn irgendwo liegt
die Einfachheit begraben
Unfriede ihrer Asche
RUHEPAUSE
Die einen sagen, es sei gut so, wie jene es machen.
Die anderen sagen,
es sei schlecht so, wie jene es machen.
Und sie haben recht, denn immer ist es schon gewesen,
wenn jemand etwas darüber sagt.
Der Viersternegeneral spricht vorher
und schweigt nachher, während die einen und die andern
etwas sagen,
ruht er aus.
Ich hatte Angst, daß es wiederkommt. Und dann kam es im schönsten Sommer wieder, Urlaub, nennt man es: ich sehe es vor mir, als wäre es gestern gewesen: Das alte Seeräubernest mit der steilen engen und vielfarbigen Häuserfront am kleinen Hafen, hier lagen wir nachts mit dem Boot. Und so habe ich es in Erinnerung: Es war alles so friedlich. Schön. Aber die Gegend voller Grauen.
Zuerst fahren wir nach Bardino, wo Reders Deutsche zwanzig Männer
erschossen hatten. Valla, das Dorf war verwüstet worden, an der Mauer
Kinder, erschrockene große Augen, Frauen mit schreienden Säuglingen
im Arm, stehen starr vor Schreck da, einige ringen die Hände, bitten,
flehen, zwei jungen Müttern werden die Köpfe eingeschlagen, daß
sie in ihrem Blut liegen bleiben, die Säuglinge daneben. Und jetzt
stehen sie alle da, stumm, nur der Wind ist zu hören und aus der Ferne
Schafsglocken. Einige Vögel zwitschern in den Bäumen. Dann das
regelmäßige und gnadenlose Knattern, die Wände in Valla
geben es wieder, wenn man die Augen schließt, ich habe es gehört,
auch in Bardino, wo dreiundfünfzig Menschen oben an den Bäumen
hingen, sich langsam mit dem Winde drehten, ich habe es gehört auch
oben am Ende eines engen Tales. ... alles in deutscher Sprache! Alles auf
deutsch, jedes Und, jedes Oder ... Amselfeld? Lili Marleen?
(Für Walter Benjamin
und das Berliner Mahnmahl)
Port Bou: der Erschossene
läuft noch immer, und er
kennt keinen Tod,
ein Nein nur
er lebt
Anderswo ein
unvorgestellter Himmel
anders
als nur ein Mahnmal
mit Geisterhänden nachts,
dieses große
"Zu Spät"
darauf
ist zu malen:
Die Leichen sind abgelegte Kleider
Tarnkappen riesige/ Schleier unserer Augen,
sie sehn nicht, Nein,
sie dämmern,
der Stahlhelm löst sich im Kopf auf, Gifte
der alten Blindheit
zivil, doch wachend
in jedem sind wir
wie immer langher
die Toten
GESICHTER DER GESICHTER
Zoran Musics Selbstporträt
Gesichter der Gesichter
sind ein Fenster aus dem Nichts
die vielen Toten haben sich verwandelt
sie sind hineingehauen hier ins Fleisch
als wär es Christus
der jetzt schwarz
in einem Rahmen steht
Was habt ihr mir gesungen Herz
die Opfer die nicht sterben können
sie haben wieder Mut:
sie stehn hier auf in neuem Grau
die Asche leuchtet rot im Licht
die innere Glut sie
schlägt
Eine Art Dimensionsgrenze sei erreicht, sagen die Stimmen: Daher auch der Übergang und Hinübergang, fließend. Man kann es heute auch im Fernsehen verfolgen, mit den Augen: Jene Krankheit kommt manchmal an die Oberfläche, daran siehst du, welch Gespenster wir sind. Oder der Blick aus dem Helikopter hinab auf die zerschossenen Ortschaften, an den aufgeworfenen Gruben Kniende mit Kindern, nackte Frauen, Stille am Himmel; Schluchzen, die Familien, Schüsse bellen, dein Satz wird durchlöchert, jetzt ab Silbe, Zelle, und dann der zerstörte Reaktor: rotglühend der Kern, Häuser, Mauern zerfetzt, hinweggefegt, Umgebung der Null, und das langsame Bewußtwerden, daß es das Substantiv ist, das vorhin da stand, auch verstrahlt, was einmal ein Wald war, Papier, nun rosagelborange, Schemen transparent um die ehemaligen Baumkronen. Über allen Wipfeln ist Ruh. Ein Röntgenbild noch, Negative der Erde. Aber jene, die es sehen können, sind vielleicht schon lange, seit Jahren tot, die das Leben noch träumen, das längst vergangen ist. Und ein Totenkopf an der Stirn der letzten Sekunde.
Die Wand ist sehr dünn geworden. Und die Trauer bricht durch: Ich stellte mir vor, daß arme Hinterbliebene, Millionen Hinterbliebene, mit den Toten in Träumen und Nächten sprechen, in ihrer wunden Seele alles geschieht, ganz anders als bei diesen nachgemachten Gesprächen in Literaturbüchern, die kaum noch etwas verändern, und keinen Übergang zum Leben haben. Die Grenze ist verschwimmend, aus der Erinnerung kommen Bilder. Und du lebst eine Zeitlang zwischen Pfefferminze und weiblichen Hormonen. Dann erlebst du den Tunneleffekt. Und diese unerhörten Stimmen - es ist ein feines Glasklingen im Ohr, und sie sagen, sie sehen uns. Und was sie sähen, ergäbe ein schreckliches Bild: die Materie, der Körper löse sich langsam auf, als fehle der Kitt. Die Krankheit liege tief, die könnten wir nicht sehen, hören oder fühlen. Eine Art Dimensionsgrenze sei erreicht. Daher auch der Übergang und Hinübergang.
Und kämen die Besucher und käme ein Mensch gar
mit dem Lichtbart und stotterte wie in der Poesie
unpräzise das Schöne
nur auf diesem Blatt mit dieser Schrift an der Grenze
als bekäme sie
neue Synthesis
als Kopf- und Herzoffenbarung:
Wenn etwas stimmt, sag: DAS IST SCHÖN!
Es kommt nicht mehr nur
im Herzen/ im Kopf hier an: sondern flugbereit
die Kraft der Stimme
in uns telepathisch verbunden mit den Opfern,
mit "ihnen" -
wie hier im Gedicht schon die
Zukunft: als hätten sie es mir zugeflüstert
nicht aus Marmor oder aus Büchern, sie sind längst
befreit und warten.
Klein bleibt auch Baudelaires Grab in Pariseine Grube wie ein Tor türgroß nur wie einneues Kind und kinderleicht mit dem letzten Atemzug
entkommen/ wer
nur das Loch sieht
von der Seite des Blickes her
Vergißt jeden Ausgang
den die Opfer doch alle genommen
Einer zitierte Charles in der Kammer
wie ein letztes Gebet
auf den Lippen schon Rauch.
Uns aber bleibt nur verspätet zu widerstehen:
Die Armut sie gräbt sich nach innen
Nur sie erreicht noch den Ausgang
Im letzten Verzicht fest zu schließen
Die gierigen Lippen
Erinnert den Sinn Tod von damals
Atmend erstickt im Müll.
"RESURRECTION"?
Zuerst Erschrecken,
von Ferne steht das Kreuz auf,Kirchhöfe, nicht der Mann.
Die langen Geistergliederdehnen den Blick hinüber.
Der Durchsiebte aller Kriege
ist hier nun endlich voll im Bild.
Tastende Geister - ungesehen,
der lange Körper Mensch
streckt sich in den Gedanken,am Rand der Kopf, das Kreuz,
bis daß er aufersteht.
Wer setzt uns aber,
sichtbar noch heute wieder
zusammen?
In Tunneln der U-Bahn
Vorm Fernseher die Toten
Inside out outside in
Begegnen... dem Tag
(Durs Grünbein, Niemands Land Stimmen)
Du weißt es noch nicht?
gestern sind die Toten,
durchgebrochen
Nein im Tod ist zu Ja geworden
und es zeigt sich
ein viel größeres einheitliches Feld
Schock deines Lebens sichtbar über dem Kamm:
Einstein ist auferstanden dort
am Abendhimmel
zwei leuchtende Punkte nahe am Sirius
daß der Wald so weit wie früher
die Sterne vergangen ins Gewesene versinken:
Sie zeigen sich wie ewig schon
Träume/ reale Erscheinung beschreibbar
als schimmernde Scheibe Diskus
über das Firmament geworfen:
Zusammengezogen die
Zeit/ als wäre das Nie
Nichts als Hirnangst
schreiender Mensch
Sie aber im zusammengefalteten Raum
ALIENS Astral Flug
gedankengleich wirklich
Milliarden Lichtjahre in einem einzigen Blitz
Und hier im Körper schonwirst du berührt von ihrem Feuer sogar dein Nameklein geworden / doch wäscht es die Welt dirist ungeheuer und so nah Ein Weinen stört auf es schluchzt
das Himmlische hörbar in der Kreatur
und so zeigt sich was du versäumst
Jeden Augenblick hier wo du warst
daß es ankäme heute noch ja
von der Müdigkeit des Körpers
erlöst.
Durchgebrochen aus der ganzen Klaviatur
kosmischer Musik kurz in die Enge
einiger Töne unserer Sinne gefallen:
Hier!
Verwirrt seh ich zu:
der chaotische Bereich des Todes erscheint
zuerst ohne Licht
und jene Engel
sind "da": vibrierend
mit unserer winzigen Erinnerung
die nicht ausreicht:
Welch häßliche Namen wer sie begreift/ übersetzt:
Photonenstrahlen Laser Geodätik Plasmaenergien
oder gar Gravitonen der Superphysik.
Oder du liegst in dieser metaphysischen Schaukel:
Ein Bett doch daneben steht einer der hat
einen leuchtenden Stab in der Hand er richtet ihn auf dich
deine Stirn
wird die Bahn des Himmels und ES strahlt gleißend
hell im Raum:
Schwinden der Sinne Agenten des Scheins
Dann Nichts mehr/ es fehlen dir mehrere Stunden
bei der Rückkehr
zum Trug hier im ungekrümmten Raum
der angstgeladenen furchtbar sanften
sich selbstvernichtenden Lebens Zeit
Ist es nicht so: Der Ernst gebührt dir nun
du kannst ihn niemals selbst bestimmen
er ist jetzt da du hast ihn nun erreicht
du bist im tiefsten wunden Punkt
der Gegenwart
wo er sich in den Körpern dehnt
zerreißt daß sie verschwinden
Nach René Char
ist Einverständnis mit dem Engel
unsere größte Sorge
täglich
"bin ich ohne sie verloren"
Schweigen und kein gebrochenes Wort, jetzt
wo bist du ohne mich?
verborgen
im Norden des Herzens eine sich neigende Kerze
ein besseres Ich
das mich sinken läßt
NACHTGESPRÄCH EINES NACHGEBORENEN
MIT HERMANN OBERTH
( An seinem hundertsten Geburtstag im Jahre des Herrn 1994 )
Fragmente
I
Ganz einfach wäre ich wie früher in S.
von Herzen gern ein Kind naiv in unserer Stadt,
daß du mich liest und ich dich sprechen kann.
Doch was uns trennt, sitzt wie der erste Schrecken tief.
Nicht einer nur, die vielen Toten trennen.
II
Du führst mich immer noch durch dein Museum in Feucht, erklärst die "Kegeldüse" und erzählst vom orientierungslosen Tauchen: wars ein Traum dies Leben, plötzliches Erwachen, weißt nicht mehr, wo du bist: wie schwerelos, wie aus der Zeit gefallen, am kleinsten Ort so tief zu graben, bis die Natur dich anspricht: das war die "Schwimmschule" in S. Erzähltest dann von jener "Frau im Mond", dem Film. Das Kino annulliert den Tod, die Zeit. Das kleine S. Der Stundturm, das Museum, der Markt mit deinem Namen, bist wie heimgekehrt auch nach dem Ende, als Geist, mit dem du aus zu naher Enge flohst, der Traum ist wirklich, silbrig Anzüge der Astronauten. Und schon ist Zukunft museal.
Im Heu die Burgen, dimpiger Geruch und Samen, liniert im Schreibheft blau, im Notenheft, so fächer auf die Hausaufgaben jetzt. Das Fach es riecht nach Rosenöl. Kommoden voll. Die Oma mit dem Höhrgerät, verrückt das Bild: so ist´s erhöhte Temperatur am Fenster, der Blick fliegt unter die Burg, vereister Fahrweg: und ein brauner Polizist vertreibt die Kinder die dort Schlittenfahren. Die eine Flocke fällt aufs Außenthermometer, ist´s unter Null. Der Kachelofen summt. Nicht weit euer Haus, der Garten, und dein Vater der Chirurg. Die Maiennacht, der Grünfink sinkt ins Ohr zurück, zurück zur Breite.
III
DU schriebst mir einen Brief, du sprachst sogar von drüben meine Sehnsucht an: "Das Palindrom, der Ton tät not Tunneleffekt. Den kennst du doch, denn der besagt, die Seelen seien göttliche Teilchen, und haben jenseits der Barriere, die uns trennt, gewisse Aufenthaltswahrscheinlichkeiten. So gehn wir über vom Gedicht, dem Versfuß, der nun leichter hinkt, zum Flug. Der Mensch ist größer als er denkt. Und in der Allmacht doch geborgen: unbeschränkt/ im Flug."
DU warst dabei. In Peenemünde, und dann im Harz, die beiden Tunnel, doppeltes Integral, seit Leibniz heißt´s SS. V2, der Wunderwaffe Endmontage mit fünfundzwanzigtausend Häftlingen; sie kamen aus dem schönen Buchenwald, von Goethes Ettersberg und seiner Eiche, wo trockne Ästchen wie die Knöchlein knackten; Transport des Todes an der Spitze des Raketen-Kopfes, seither ein Kopf der Welt: das Delta t, die Hölderlinie zwischen Null und Eins, unendlich dichter Punkt, und denke an die Stundturmspitze, an alle Kirchturmspitzen von zu Haus, und an En-sof der Juden, dieser Brennpunkt ihres Gottes in einer viel zu schnellen Ewigkeit, der dort zu ihnen beten mußte, solange jener deutsche Kriegskopf weiter flog; der Flug nach London über den Kanal, du weißt es gut, half doppelt jenes Integral, und auch in S. man hoffte so, als wär´s normal, ganz hin zum Brennschluß, Stillstand Delta t der Zeit, die Herbstzeitlosen auf der Breite Holzfleisch, hoch in der Luft Zeitlosigkeit ganz innerhalb der Zeit, stand still im Augenblick, das Triebwerk starb, und die Rakete fiel auf ihre Stadt, der Kopf, der Schwerpunkt nun, nicht mehr dem Himmel, Nein, nun der armen Erde und den Menschen tödlich zugewandt.
ZWEIFACH die Integration, sie wandelt Zeit in Ewigkeit und Leben um in Tod. Der Massenmittelpunkt, er stand damals auch ganz in uns, und dachten doch, es sei der Herzpunkt, sei das Heiligste, ein Schaudern ganz entzogen jedem Zugriff: ein verborgenes Todeszentrum unbekannter alter Inertien, im Zwielicht Monolithe: als wäre sie in uns, so braun und schwer wie Erde, die uns unter sich begrub. Warum hast du auch später noch, und so als wär es 25 Uhr, für braun optiert, als wären unsere tausendjährigen Eichen nicht auf dem Ettersberg mit dem En-sof verbrannt?
"DEN Harz sah ich von Ferne,
dort sind Relikte, Lauschgeräte,
dort war die Hörkunst hoch entwickelt,
Geheimnis staatserhaltend, rot, die Mikrofon-
Seelen in Ost und West/ sie waren ausgerichtet;
zum Brocken fahr ich nicht mehr gerne."
Als wäre Nichts gewesen, und dieser Abgrund trennt uns von uns selbst und allem, was einmal Siebenbürgen war! Als wären wir Gespenster, schuldig, gequält von Andern, die uns quälten, weil wir es selber taten, ohne es zu wissen: Leid Vergangenheit Nichts gewußt und gewesen? Die neuen selbstgemachten Mauern wachsen um uns zu, die alten aber sind so arg verlassen, wie wir so selber von uns längst verlassen sind, den guten und den bösen Geistern unserer Väter. Und brennend da ein Punkt, kindlich gehütet, doch keiner rührt daran, die Schuld, die Scham, die uns nur andere angetan?
UND warst doch später auch im Land des Marktes und der Mikrophone, und einst der Feind: Huntsville/ die USA mit deinem Schüler, hieß von Braun, noch weiter fern von Transsylvanien mit jenem Kriegskopf und dem Brennschluß stark beschäftigt an jenem Integral mit Delta t, wo letztlich dann das reine Licht der Null uns immer näher rückt? Hat dies die Vorsehung gewollt, daß wir so einmal längst gewesen sind... so sprich´s ruhig aus: daß wir gewesen sein/ werden, ist gewiß, muß deshalb schneller der Planet verschwinden, daß Er erscheinen kann?
IN jenem Fischerdorf auf Usedom, doppelter Tunnel Integration SS im Harz/der Brocken, Spitzen malerisch in Berchtesgaden, die Siebenbürgen-Türme und Raketen: ein Abgrund und ein tiefer Fall gar zwischen dem, was dort erlebbar war, und dem, was er dir sagte und du im großen Himmels-Jetzt gar besser bist? Im Dröhnen der Waggons auf harter Erde damals. Soll das Latenz des Himmels, Grenzflächen zwischen zwei verschiednen Ordnungen des Dinges sein, darüber Gottes alter Regenbogen, und seine Hand aus jener großen Wolke im schwarzen Rauch geformt und schon in jenem bleichen Nu davongeflogen. Als könnten wir noch Holzfleisch essen, und jagen in den Bergen der Beskiden; du warst doch auf der Jagd in S. mit meinem Großvater, du schriebst es mir, gerührt und so vertraut, was du doch liebst?!
UND war es nötig, sag, ich steh zu Hause auf dem Stundenturm und frag: die Welt in einer Null zu waschen, das ich nun sie und auch das einst so schöne S. sehr liebe, doch jetzt in dem Verfall nicht mag? - Entschuldig, daß ich reim, kehr so ein bißchen heim, im Fahr Zeug Nichts als wär es nur ein -Wort. Wer lacht ( im Glied) - ein Mann ein Wort?
IV
Punkt immer noch an äußerster Raketenspitze, und trägt das große Sterben vor, dort, wo der Zünder sitzt, dort sitzt der Blitz Unendlichkeit, der Übergang, ein punktbreit weiter wird an dieser Bahn, der Kurve schon das minus unendlich sein, der dichte Punkt am Stundenturm, die Spitze aller Kirchen, Kreuz und Baum; es sei nicht schlimm, die andere Welt sei weder kongruent, auch nicht identisch, so schriebst du mir: sie sei wie eine andere Seite eines Spiegels, darübergestülpt, im Äußerlichen völlig gleich, doch sei das Jenseits zeitloses Reich des unvermessenen Potentials. Der Tod ein Wort, die letzte Schreckensform: Unwissenheit. Den Tod, den gibt es nicht!
IV
WAS bleibt, das geht hier stiften,
wer will es noch bedichten,
es reimt nur, weil es fällt.
Und was mich hält ist da,
der Tod kommt sicher, reinigt,
Sysiph wird oben gesteinigt,
die Stirn gelähmt, die Sternbahn
Welt, die alte Sprache klimpert,
ihr Kleingeld ist der helle Wahn.
Den Chefarzt, dort, den großen Herrn
besuch ich nicht mehr
gern.
Wieder hör ich den Ruf
(allzu rasch ist dieses Blinken) -
komm, zieh der Welt nun ihr Kleid aus.
Lache.
Und über dich hinweg
bohrt sich der Finger
des Zeugen
durchs Eis.
Laß dich rühren.
Über uns hinweg
auf die Schwingung zu
wie ein Klingen
von früher,
von weit her, von sehr weit
durch das Eis,
eine Lache.
V
LICHT, DIE SCHNELLE GRENZE
Ich bin jener,
der mich begleitet und den ich nicht sehe,
den ich manchmal besuche
und den ich dann wieder vergesse;
der gelassen bleibt und still ist während ich rede,
und der mir sanft vergibt, wenn ich hasse;
der sich aufmacht und wandert, wenn ich innen bleibe;
der, wenn ich sterbe, am Leben bleibt.
Juan Ramon Jimenez
Spätgeräusch, stundenfremd, deinem
Gedanken geschenkt ... Paul Celan
Verwunderte Deutungen. Gedichte heute umgelebt
(Oh, diese Ohnmacht angesichts der Wahrheit:)
1
Das Seil zwischen die Köpfe gespannt,
einer von heute, der andere, jener der ich sein werde
nach tausend Jahren,
hoch oben, wie das orangene Licht
der Alien/ blitzt blau rot weiß hier am Rande der Wörter
auf: Blei im Hirnmatsch der Umgebung -
und nur sie fliegen
längst nicht mehr nach dem "Ewigen Draußen"
(die Grenze wo geschossen wird: NORAD, NSA, CIA
bewachen sie, und das große Mental Health).
Das Seil aber singts nach der Begegnung mit dem eiförmigen Objekt
Keine Kunst, weder Brâncusi noch sonstige Zeugung der Körper
als Welt: das Seil ist mit von der Balance nach dem Blitz
und du gehst hinüber, es singt eine Melodie
die dich erhellt und der Tod, den du fürchtest löscht.
2
Es ist wahr,
schon der neue Kopf: ein head-mounted display
erschafft glaubwürdig unverwechselbar
"ewiges Draußen" wie im Traum verhaftet auch du
und zeigt es dir, sein Ton reißt an den eingebildeten Siegeln
die du würgend erbrichst.
Jetzt erst ist das "Narbenwahre, verhakt" im Äußersten,
Es heißt, die amerikanische Regierung habe zugegegeben,
daß es nicht gelungen sei, das Antriebssystem der UFOs
(mehrere außerirdische Wracks liegen in ihren Hangaren!)
auf unsere Technik zu übertragen; Futur III;
die verhinderte Zukunft sei etwas ganz anderes gewesen, als gedacht!
Nichts geht mehr, die Denkakrobaten an der Kuppel unserer Haft-
Anstalt - ratlos: Enzensberger, Habermas, Sloterdijk, Strauß
diese Vögel und Meisen im Wasserkopf des Okzidents
Sandburgen, die eben zerfallen: Kopf oder Zahl,
der Rubel rollt die Bank hält sicher Nichts als
eingebleut im Kopf millionenfach die große alte Hure
"Frau Welt" im Dienst des Herrn, der jeden Abend abkassiert!
Sie aber spinnen weiter, keiner von ihren toten Freunden
dringt durch, verzweifelt rufen die im Chor: Idiot, so siehst du
nicht, wir leben! Schlag nach bei Kant,
der nicht so dumm war an/ Geister nicht zu glauben:
im Schachspiel mit dem Kopf setzt er auf "Geist"
und nicht auf reine planetare Zukunft!
3
Das Äußerste - jetzt erst bei einigen entwirrt.
Die Toten, von der alten Hure umgebracht, im Akt, sie zeigen
mit mehr Über-Sicht voll Ekel und mit leisen Stimmen nun auf sie
Gib acht, es ist bald Mitternacht, du trägst sie in Gedanken
stets mit dir: Du Hurenbock, groß ist Vergeudung
täglich nur in ihrem Dienst, versautes Herz,
wo ist dein freier Wille denn begraben?
Faß Mut, du armer Irrer: Noch ist der letzte Schautanz
nicht getanzt, er wird nun transparent,
das Unsichtbare zeigt sich längst nicht nur im Traum,
so vögel nicht mehr lang mit ihr herum:
"hier in der Einfahrt,
wo alles noch einmal geschieht,"
wenn dieses Blindekuhspiel aufhört:
"endlich,
heftig,
längst."
13.Juli 97
GEBROCHENES AUGE
Mikroskopisch singt vor dir
ein Lid, das un-
gesehen sieht.
Es starrt die Landschaft
hier gebrochen an und sieht
was Tote leben.
WAS GESCHIEHT an der anderen Grenze lies ab spontanes Sinai
Geist kündigt sich an/ das Andere/ wie üblich in der Poesie daß die Toten Anerkannte sind/ und leiten mit verstärktem Raum
hinüber wo es im brennenden Licht Ursprung der Schrift ist
Diktate aus welchen Höhen wo
das Auge bricht um zu sehen
Wer stand da in der Tür
als ich den Engel rief/ Mantra und Herzensgebet
Er stand da und war doch ich Selbst getrennt
von mir
der Lichtkegel kam Schritt für Schritt
aus dem Bad/ und täglich könnten sie da sein
denn jeder Engel auch wir nach dem Tode
sind schrecklich/ wer weiß wann er da ist/ getrennt
der Tote von uns und wir auch
von ihm die Zeit
kehrt zurück
wir nicht!
Und wenn sie da sind/ sieh sie nicht an mit deinen
gewohnten Augen/ nimm das Bild heraus aus der Iris
stülp die Glaskugel um und reinige den Seh-Nerv
schon Hennoch der Alte wußte es/ entsprach
seinem Engelsalphabet/ einer Reise sagen sie:
Ancient Astronaut Society.
Von einem, der einmal hier
zu Gast gewesen sein wird!
Warum bin ich in diesem Augenblick
am Ende dieser Zeile schon
gewesen
der reine Tisch
das dunkle Bett in dem ich liege
die Zeit die hier nicht mehr vergeht
vier Bretter tief
geneigt
denn was dann nicht mehr ist
und war/ die Erde jede Zelle
Atome dieser Hand sind
ihre Elemente.
Sie drehn sich rasend schnell
und duften weiter.
Wie schön, wie schön darüber
Gras und Bäume
und diese Blume sieh und
glaubst die ungesehene Nachricht liegt darin
aus jenem größten Hirn das weiß das weiß
auch mich: bin sein Gedanke der VERJÜNGUNG
der einmal mit ihm dachte -
und einmal mit dabei
sein
wird
BEIM ERWACHEN
Hörst du sie
rauschen um dich
wenn die Zellwand
der Seele
fällt?
Übergib dich jenen
die die Uhren
schmelzen
zu denkhellem Licht:
wie die Unruhe
die früh
in dich fiel.
Nichts ist verloren was in uns blieb
und all die Jahre stehen still.
Die Zeit dreht sich um und versucht einen Hieb.
Doch der Tod wird ein Kinderspiel.
2
Ging meinem Leben
Ein Vers voraus
Wie mein Vater
Als ich ein Kind war
In der Hauptstraße der Stadt
Am kleinen Park
Rast
Ich weiß, er ist wahrer
Als mein Leben sein kann
Das hinter mir hergeht
Mich hinabzieht wie Blei
Ich weiß, das Urteil ist schon längst
Gesprochen
Und ich warte nun draußen
Auf seine Vollstreckung
Doch immer noch geht
Ein Vers voraus/ ein Blatt
Auf dem stand
Daß ich es sei .. .
ABER DU VERS, mein winziger Körper
Zeit die sich sammelt hinaussieht
aus mir und dann als ein Leben wächst.
Hier löscht es meinen Namen aus
liest mich auf wird zu einem
Fall im Nichts- und im Niemandsland
die Wunde
anstatt ein Haus.
Aber diese Feder im Kopf die wehtut und fliegt kratzt
wie bei Swanns Arrangement mit sich selbst
wächst denn schon Mohn aus der Wand?
Am Anfang war´s
zwischen Mutterschenkeln bitterer Geschmack und jetzt:
ist´s ein alter Körper berührt
er löst sich: Vielleicht
endlich du Kranker ein Weg.
Alte Zimmer Summen "bewohnter
im Ton" geht zurück in ein Land
ohne jeden Abgrund und Rand.
Für Paul Celan
Aus ihm lesen Augen
Wimpern im Wasser unter der Haut
die Zeile lang wie das Samentelegramm in
uns und entzogen die Vor-Schrift
gelesen vom Baum der wie ein Schatten entstand.
Wortlos gehaucht
mein Haus.
Baum Olivenbaum
vor meinem Fenster
Doch fern im Blick lief mit
ein Irrtum: das Sehen
Vom Gebirge manchmal ein eisiger Wind
reißt den Blick aus
die Haut ist genauer
Unter die Haut geht das Bild
Wie kein Wort wie kein Blick:
Was wir einmal waren
und nun nicht mehr sind
im Blick der gewohnten Tage
Darüberhinaus, verschwiegen, bin ich hier,
wie der Baum sich wundert, daß er Baum heißt und blüht
unverständlicherweise ganz wortlos, denn das Losungswort,
das er weiß, kennt den andern
Namen, nämlich sein blühendes Programm.
Und wir sind seine Waise.
Es weiß die lebendige Weltganz außer uns nichtsvon sich selbst/der Baum erwundert sich der "Baum" zu heißenIhn gibt es nicht
durch uns hat er Gestalt
im Auge ist´s ein "Baum"
im Wachsein so geträumt
Im innern Aug - verzauberter
der Wald
Spiegel
des Himmels.*
Wenn du es in dir weißt und fühlst
beginnst du deine fremde Hand zu fühlen
den Hauch der Luft den Wind er streicht
dir über seine Wange die du hast
du lebst und dann beginnst du
wirklich hier
in einem fremden Licht
zu sein.
ABER DAS SCHWARZE LOCH ZEIT
in dem wir schon gestern verschwanden
hier meine schachtel der träume
destilliert aus erlösten dingen
angst meine versunkenen blätter
vermodern zu lassen
als käme der winter
relativ ewig ist nur natur
doch geschriebenes schicksal
gehäuft im verfall
ab fünfzig tat montaigne
nichts anderes mehr
in diese schachtel
vermodernder blätter -
sammelte ordnete fotos der gedanken
und band sie
die andere seite -
erwartete ihn
denn was nicht form wurde
wird nicht mehr sein.
DER STEIN
Laß uns hinabgehn, warm unter seine Haut,
sieh, in ihm hat sich Frequenz von Licht
verfestigt und gestaut.
Wer kann ihm auf steinisch nun
Geschichten erzählen, schwer
hebt er sich selbst auf,
niemand kann ihn
mit Handlungen, die in der Zeit sind,
quälen. Er spinnt uns im Stehen ein
und hüllt sich in Schweigen, dem Tod
widersteht er, er kann hier zeigen,
- nicht diaphan, denn der Funke in ihm
ist gefroren -, was Identität ist,
auch wenn er stoisch im kleinen Exil:
sein Licht versteckt -
so unausgegoren.
Also doch: sind auch Steine zum Steine erweichen,
denn auch im Tode können wir ihn nicht
erreichen, nur im Traum, wenn wir tiefer schlafen
als er, öffnet sich hinter den Strahlen,
atomar, ein gemeinsamer Atem.
DU HOFFTEST, daß uns bald ein Gleichgewicht streift.
Wir, auf den Bergen, auf Wind und Gesträuch
uns ausruhen können. Die Farben uns ansehn
zu zweit und im Auto singen.
Weißt du, wie wir in uns
unsichtbar spazieren gehen,
und verletzt uns verfahren,
die Wege verschlungen auf hohen Kämmen,
die grausig zusammenschlagen können,
und hart sich bewegen.
Laß uns doch endlich resignieren
und ruhig sein wie Bäume,
die in sich gehen und niemals versuchen,
in den Himmel zu wachsen.
UNEINLÖSBARKEIT, VERMESSEN
Ich hatte im Buch eines florentinischen Freundes, des Therapeuten F. über die absolute Uneinlösbarkeit gelesen, und dabei äußerst Vermessenes über Celan, Lichtenberg und Aristoteles gedacht. Mehrere Personen, in verschiedenen Zeiten verschieden, lassen sich trotzdem vergleichen, und ergeben ein Drama, das Erkenntnis sammelt.
Celans Selbstmord am 20. April 1970 in der Seine: Ein anderer aber, Lichtenberg, der in Stade 1773 dem Vermessungsauftrag des königlichen Ministeriums aus Hannover nachging, hart am Ufer der Schwinge wohnte, ihren Gezeitenverlauf aus dem Fenster beobachtete, und darüber nachdachte, wie er, der dies beschreibt, sich eben deshalb nicht ersäufe, was aber Aristoteles auf der Flucht vor dem gleichen Gifttod tat, den sich Sokrates in Athen selbst geben mußte, Aristoteles ertränkte sich in der engsten Stelle des Golfes, Euripos, wo er Strudel und Strömung in ihrer komplizierten Periodik (sechzehnmal die Wechselströmung am Tage) beobachtete, aus Verzweiflung tat, sich also in der Nichtlösbarkeit der Aufgabe ertränkte, flüssig wurde, sich auflöste für immer.
Was ein anderer im Feuer des Ätna - viel später auch tat, weil er nicht erkennen konnte, was da und weshalb es so vorging; was Lichtenberg, der Landvermesser und Aufklärer in Stade, aber nicht tat, sich nicht ertränkte. Er hat es in einem Brief an Joel Paul Kaltenhofer am 14. Juni 1773 so begründet: Hätte nämlich der Aristoteles da gewohnt, "wo ich jetzt sitze und schreibe, so hätte er seine Absicht, das Ersäufen meine ich, gerade aus dem Fenster erreichen können".
"Aufklärung": - alles zu einfach, schrecklich gelöst. Und sogar staatlich gesichert, wie Lichtenberg, anders als der Landvermesser K., der im feindseligen Dorf nachts ankommen wollte, doch nie ankam. Und ich gebe zu: daher kann auch ich dies jetzt schreiben, gesammelt, da ich nicht ankommen kann, es aber nicht weiß:
Theophrast, Aristoteles´ Nachfolger, sagte schon Peter Huchel, vermaß sich nicht, war traurig, wie ein Gedicht, und vermaß auch nicht, war einer, der nachts in einem Dorf angekommen, nirgends ankommen konnte, doch nicht so eindeutig wie Aristoteles im Exil, der des Unglaubens angeklagt, tatsächlich im Unglauben gefangen war, an den er nicht glaubte.
Am 20. April 1970 hatte Paul Celan, dessen Mutter in einem KZ ermordet worden war, in der Seine Selbstmord begangen; so war er gelöst, aufgelöst flüssig, von der Zeit nach dem Krieg aus dem Erinnern zerstört. Und Erfahrung an der Grenze unserer Vorstellung scheint genau so zu beweisen, daß Erkennen und Verstummen in eins fallen, und er so mit seinem Erkennen versinkt, die Trennung aufhebt, die ihn umtreibt, sich auflösend mit dem eigenen gequälten Kopf, in dem, was ihm entgegensteht.
Heute aber, ja, heute wäre es ein Strudel außen, ein Sund, der erst heute überbrückt, die angeblich schon aufgehobene Trennung genau so außen und nur außen aufhebt, wie sie außen ist, verbindend, aber mauerlos elastische Konstruktion, Brücke, 35 Meter zum Ufer der Stade, das nicht mehr ist, sondern wie die bisher einsame Insel nun zugehörig, kein Rätsel mehr, Druckausgleich eben in der Komplexion der Gezeiten, berechenbar:
Lichtenberg eben, Hans Blumenberg berichtet, wie der Aufklärer bekannte, daß seinem Fürsten genüge, wenn er bequem vermesse, und die Welträtsel eben klein gemacht werden müßten, um sich dem Ganzen, das nie erkannt werden kann, als solches, zu nähern, es sei denn, man gebe sich selbst auf als riskantes Vielleicht!
Besser eben - dem Fürsten eben ein Ingenieur zu sein, sonst nichts, und so zu wissen, wo man steht und liegt: auf der Karte, und wie spät es ist, gar nicht im Sund oder der Seine - sondern in der Uhr, Rechnung, die aufgeht, regierbar die Welt, und wie vermessen, daß wir es ausbaden wollen.
Das sagen die einen, die "Verständigen"; die andern aber: Schreiben sei ein Versuch durch Kristallisationen daraus ein therapeutisches Spiel zu machen, orientierend eine Katharsis auszulösen, einen Boden der Deutung und der Vernunft im Chaos.
Der Augenschein ist das Gewesene. Bringe, sagtest Du, bringe dir bei: bringt die Illusion der "festen Welt" mit ihrer Sprach-Hilfe zum Verwesen, hebt die Illusion auf.
Möglichen Widerstand leisten, sieh hier unter dir immer noch die mörderische Masse des "Objektiven", die Tyrannei der Objekte. Die Kurzsichtigen dienen ihr lebenslang - und verlieren das Leben! Den Hut ziehen sie alle nur vor dem Tod.
Gott ist der Tod.
AUTORITRATTO, 1970
Weißes Blatt das nicht mehr ist und
diese Welt vergißt: so
springt das Licht heraus so über
allen Rand fließt aus den Dingen
weißes Blut. Lichtsäulen öffnen sich
wie eine Schere Ektoplamsa dieser Welt
ist nur an ihrer Grenze gut
zu sehn. Ein Witz so leuchten
Finger Zigaretten als Kralle von den Lippen
gehn, als Penis und als Wort: dies
ist die Welt: so sprach ers: Werde Licht,
Nichts mehr war da, der Kopf in dieser Nacht,
so malt er ihr und sein Gesicht. Er hat doch
wirklich für sein letztes Blatt, wo
er noch steht - weiß wie ein Herrgottsclown
die Nase und
die Augen
für das Licht gemacht.
Nicht in der Sprache
hockt der Andere
der ich bin
Ich sage dir ich schäle mich
heraus aus eurer Kindersprache
heraus in dich und geh
entlang an Flüsterworten
Hab keine Angst
du bist schon lange ich
und weißt es nicht
der Andere schläft
jahrtausendelang
in dir
der du mit tausend Stimmen
lebst und bist -
wer redet und vergißt?
Sieh aus dem Kinderspiel des einen Ich
verschwinde und versink im Meer
Gedicht.
(Für Ernst Meister)
Vater Abgrund der AbgründeUnd die Mutter Gottes das Wehhier und auch drübenUnd heiß du michschweigen
Aber gerettet sind wir
und durch Nichts
und im Nichts bleiben wir/ dir
erhalten.
Denn wo wir sind ist er nicht
und wo er ist sind wir nicht
Immer im Nie.
Mutterleib als wäreer von der anderen Seite gesehenein Grabund das Grab ein Lochmit zwei Seiten:
der Leib bei Ihmder es leer ließ.
VI
PARALLELE UNIVERSEN
Wann Brodskij
...diktierst du mir einen Vers:
was nicht geschrieben war von dir
kommt langsam bei uns an
Distichon und Palindrom -
ich stell mich auf dich ein
Mein Freund laß mich besinnen
ich schlafe Ja
wenn ich erwache/ ist die Angst vorbei:
Leben wir ewig!?
Du glaubst es nicht?
Ich glaubte nicht
daran?
Grenzen Los. Notturno
(Carlo Mattioli "Autoritratto al chiaro di luna")
Der Übergang als wärs
das von den Engeln immer schon Erlebte, die Form,
dies Aus/ dem Himmel kommt: Notturno jedes Leben.
Der Mond, der Mund Endymions,
zerschweigt die Welt, verzittert
wie unter Wasser
Und alles, was du siehst ist längst verschwunden,
es dunkelt schon
der Übergang in blauer Schattenfarbe.
Hörst du Musik, im Hirn das Delta t,
in dir das Kind, das Weinen,
denn über alle Dächer geht die Mondsucht weiter.
Du wachtest, du schliefst seit vielen Jahren/ dich deinem Ende zu.
Du weißt, bald ruhst du hinter jeder Form,
zerfällst/ sie ist Terralba. OPUS Reife
ist Trancechemie, wo Nichts mehr ist als NULL:
Das unsichtbare Gold im Mond verzittert weiter.
Und jener Mann im Schatten löst uns auf, der Schein
verliert aus sich den Traum, den jedes Ding -
Musik - in sich zerschwingt: und selber ist
gedankenhell sich weiß, berührt in mir
den Innenraum, der fließt: Essenz, der Mondschein
klopft die Scheibe auf, das Draußen hat so
ausgedient im Duft der Transzendenz
EIN SPRECHEN HINÜBER
Im Traum gestern Nacht
kamst du an, eine Versin.
Und sagtest wir werden bald sterben:
ein Nichts sein am Ende der Zeile.
Die Antwort ist: lebenslang.
Werden wir uns erreichen,
oder gibst du ein Zeichen?
Irgendwo im All ist dein Abdruck
Schatten zwischen zwei Worten zwei Zeilen
und will dich erreichen als Silbe hier
Rauschen ein Licht am Zeilenende
die Trennung überwinden im Reim?
Werden wir uns nachher sehn
da du mehr weißt wenn ich komm
wenn ich niemand mehr bin?
Wenn ich es umkehre
doppelt im Schwung und springe
hinüber
das Gesicht hinter mir
im Rückblick
sehe ich dich endlich
verkrümmt im Nein
gekreuzigte Materie
kopfunter
Siehst du doch
den Himmel Schwindel
über dir
und fällst ins Klopfen.ein Tunnel und am EndeLicht/ der Durchbruchist ein Reim
Bei jenem Alten
der dich träumt/erwacht
Und fängst
(weiß ausgelöscht die Tafel
das Hirn)
ganz von vorn wieder an
Mein Körper löst sich
vom Denken, tut nicht mehr weh, ich kann mühelos aufstehen, öffne
die Tür zum Garten, gleite hinaus fliege. Flüssiges Feuer auf
den Stuhl fällt durch den Olivenbaum Licht und Schatten flüssiges
weißes Feuer wie bei Van Gogs "Stuhl" schlagen daraus Flammen und
erstarre alles geschält aus dem Namen durchsichtig schwingt´s,
schwere Augenlider. Bleiern im Mund Geschmack von Kupfer und Dröhnen
Eisenhämmer im Ohr ausgelaufen dieses Silber im Atem Metall der Körper
schwer und entferne mich im Hirn eine Helle taste mit meinen Fingern über
rissig poröse Materie eisigkalt die Stelle wie verhext der Finger
gleitet hinein bricht durch, ach, und aus dem Bild an der Wand tropft es
ein Engel Materie weint das Summen wächst... ein Streifen Licht von
draußen, es fällt ins Auge und schmerzt ich schweige kann nicht
reden oder wenn ich rede hört mich niemand sie sehen mich nicht dort/
oben an den braunen Deckenbalken des Zimmers Schweben leicht wie eine Feder
das blaue Band bis zum Meer flüssiges Licht blendet durchdringt die
Mauern würzige Luft ist eßbar. Die erhöhte Klarsicht bis
hinüber zum Archipel hier in der Bibliothek ist nun aus Kristall wie
von Sinnen die Luft scharf der Himmel Vogelgezwitscher die Linie des Berges
mit dem Messer geschnitten dieses Rosa glüht von innen weich wie Kinderlippen
fliege schwebe über den Wellen über dem Meer Sand Sand und kann
in jedes einzelne Körnchen hineinsehen jedes Teilchen ein vollkommenes
geometrisches Muster strahlt ist Kristall mit scharfen Ecken jedes wirft
einen Lichtstrahl zurück leuchtet ein Regenbogen Strahlen kreuzen
sich bilden schöne Muster dann wieder das Zimmer die Bücherwand
die beiden Fenster der Sessel ein dichtes Muster es ist nicht mein Zimmer
es ist ein Bild von Braque keine Gebrauchsgegenstände mehr sondern
himmlische Objekte frei und schwebend Dröhnen Pochen? Sie aber winkten
mir und ich ging mit dem Buch aus dem Haus, es war windstill, im Nachbarhaus
stand auf dem Schornstein eine senkrechte Rauchfahne, Feder im Tintenfaß
Trauermusik, Salutschüsse auf einem Friedhof, lauter frisch aufgeworfene
Hügel, sonst nur zubetonierte Gräber, wir gingen in eine tranceversunkene
Stadt, manchmal schwankte ein hohes Gebäude vorbei, und Gesichter
hingen müde, wie an eine Fensterscheibe gepresst, vor uns in der Luft
Warte nur Zeit wie eine Nuß
aufgeschlagen: so beim Sterben die Halle
und ohne Himmel farblose Farben hell
von irgendwoher ein Licht verdeckt
und nach dem Tode
das Ich:
Bestürzt im Laufen
ohne Orientierung im Labyrinth verirrt
zwischen teilnahmslosen Frauen und Männern
Sitzen herum wie beim Arzt
Wartehalle denke ich denkst du und sie unendlich
weit und müd entfernt:
Neuangekommene! Schlafen mit offenen Augen.
Im momenthaft gebauten Kehlkopf
steigen sie herab wie früher die Engel
berühren unsere Iris
nicht nur Synapsen, Neuronen
Längst ist der erste Schock vorbei
und wir sind gute Nachbarn der Fernen
Landschaften wie von anderen Sternen
Kopie an uns
Jenseits des Todes
Leben wir auf!
Geist zu sein oder Staub zu sein, es istnicht ganz dasselbe hier
im AllWie konnten sie dir hier aufs Wort
nur glauben?Es sei dennauch der Staub wär Nichts
als Geist.
Und wenn wir uns/ aufgeben
es heißt als Niemand:
mit Genuß -
wieder bei ihm.
Was da auf uns zukommt/ parallele Universen
Flug- Körper plötzlich sichtbar
als könnten unsere sterblichen Augen
in diesem Licht "sehen" und gehörten
anderen Ordnungen an/ treiben
unsere Gewohnheit auf die Spitze
die bricht ab
Daß sie sich trotzdem sehen lassen
kann/ wohin wohin Freund Tod
mit diesem sich zeigenden unsterblichen
Teil der Welt/ gewoben aus dem Stoff
und zwischen den Fixsternen unserer Astral Körper.
DIE BESTEN SIND IN DEN HEILANSTALTEN, sie sahen
was doch verboten ist zu sehen wenn der Vorhang der Schleier der Augen gerissen/
hinabgefallen in ein Gesicht und sei es ein "Deckbild"
heißt es Screen Memory:
Längst wissen einige
Auserwählte von "ihnen"
bekannt daß alles was uns geschieht menschenähnlich ist
Immer
durch all die Jahrtausende nicht nur Christus
nein Götter und Außerirdische von uns geformt
der Schleier der Gestalten: Bedroom Visitors ähnlich Amphytrion
oder auch Zeus/ wie sie die Frauen jagten Incubi Succubi hießen/ im Beischlaf
den Himmel brachten
Heute: Als wäre die Decke dünner und gar gerissen
wir aber jagen immer noch hinter den Beweisen her
jagen realgedachte Phantome
aus dem Längstvonunsüberholten
wie sie hinter den Löchern her sind
Nichts sind als Gier eines Daseins
Nichts als die reine Gaukelei
Gier nach nichtexistierenden Leibern
Nichts Nichts ist vergangen, Nichts
als die Illusion
WANN WIRD ES wieder älter sein,
zurück wie nie gewesen, Bettine,
ich glaube, du lebst noch wie ich.
Eine Frau, kein Tod, nein, das Leben
wie ein kleiner Schwips.
So wie du, auch mein Vater, heute
wenigstens, lieber Herrgott,
heute ist Weihnachten, das wünsche ich mir,
daß doch keiner tot sei, und alles nur
wie geträumt.
*
Entschlafen, entträumt, wie er, wenn
ich ihn lese, meine Augen auf seiner
Augenzeile gehn, vergangen, wir sehn uns
wieder, jetzt, nichts ist getan. Nicht
einmal ein Halm. Denk es und
zur Kugel nimm dich zusammen.
Denn "der neben mir ringt wie nach
Atem um Sprache, und ich seh" ihn,
"meinen Bruder vom Leben getrennt"
jetzt augennah wieder.
Der Mensch hat seine Lieder
zu singen, und ist auch
"gerüttelt von der Weltstille"
wie er: ganz nah.
Verzweifelt such ich Celan.Und lauter angeblich ToteEr lebt. Das ist sicher. Hörst du mich
Paul mit dem anderen Namen
vorweg gegangen ihr
seid doch so viele!
Ist es die Seine? Oder was ist das Dunkel?
Kaulpaß quer Dunkel kein Licht war am
Grund ekelhaft flüssig
Nichts mehr verpampt und verschwert
Das Hirn geleert haah ungelehrt.
Bring mir die Andern!
Wen willst du
Majakowski den Freund
Jessenin die Russen in Trauer
es blitzt anderswo schöner
Worte sind nur noch fad.
Korrigiere bitte nicht schreib was ich sag
Nichts Weniger Nichts mehr. Du bist
nur ein Jota.
Totengespräch jetzt
Celan?
Glaub´s oder glaub´s nichtIhr seid schon vorweg/ alle:Zielgruppenschwer wie ein EuterSchwarze Milch ha war das Früher
Und heut ist´s aus Licht ein Scheinen halbwegsGestank und ´toll´ sagen die JungenHalbbewußt blind ohne Augen
Tränenmeere längst schon vergossen
Hier oben aber
von Toten getankt.
ABER DA SPRINGT EIN
GEDANKE HERAUS
WIE EIN MENSCH
BEWEGT DIR AUS
ZURÜCKGELEGTEM
DIE ZEILE/ BIEGT SIE
FREI
Umgeschrieben soll es hier stehn:
für einen lebenden jungen Dichter
Preise nicht träge sagen sie: nur zu träumend
Von Skalarwellen, Frequenzen bei uns beäugt:
wir, merke: sind die Herren der Opiate
die des Hirns
wie du doch irrst:
nie selbst erzeugt.
FÜR CARLOS MUTTER, DAS MEDIUM
Unsichtbar der Gott
der aber schwingt in uns, hier
längst vergessen im Tag der Hast:
Du springst weit unter die unterste Grenze
des Herzens/ Mensch: ohne inneres Gesicht
fällst du
ab zum Grund irdischer Höllen.
Wie ein Bogen wirft uns von dort zurück
Umkehr die rettet.
Doch sogar was wir sehen
müssen wir glauben
glaube mir/ sie hat sich wieder
geändert die Grenze/ die Schranke
der Polizist die Pässe sind innen
und warten wieder auf das große
"Passiert"-Sein-Dürfen
endlich zu leben ohne zu sterben
Schlafen ja
um auszuruhn von der Strapaze des Sandes
unendlichen Sandes in die Augen
gestreut ohne mit der Wimper zu zucken
toll wie das Tag für Tag und Stunde
für Stunde und in jeder Sekunde funktioniert und
geglaubt wird.
ONTOLOGISCHE ZENSUR
Was ist dir passiert? frage ich Piero.
Es kam vom Himmel, wie ein elektrischer Schlag,
sagt er: Ich hatte Angst, denn es waren
Leute vom Himmel,
Raumleute von oben.
Es sah aus wie ein Handstand.
Bist du zur Polizei gegangen?
Ja.
Wolltest du die Leute anzeigen?
Nein.
Wolltest du dir helfen lassen?
Nein.
Wolltest du dich selbst anzeigen?
Ja. Und sie haben mich dann ein-geliefert!
Doch die Leute vom Himmel -
waren wirklich, ich habe sie gemalt.
Im Hintergrund stand mein Vater!
Warum hast du dich denn angezeigt?
Weil ich irr bin, Herr Doktor!
Wir sind Geistwesen in einem zehndimensionalen
Wahrnehmungssystem, das als `Simulator` unser
lokales und kosmisches System erschafft und uns,
vergleichbar einem 10-dimensionalen Fernsehgerät,
bestimmte Lebensbedingungen als real vortäuscht.
Der Physiker Ernst Senkowski
über den Physiker William A. Tiller
Sich einschalten können
in einen Kreislauf: Wissen,
daß Schwäche schrecklich ist, da
wir täglich, stündlich leben müssen
in anderen Gefühlen,
an denen wir später
uns nicht mehr
erkennen.
Die Stimmung, die Stimme ist
ungeteilt durch die Luft,
erst wenn sie vergeht,
weißt du, daß sie vergißt,
was mich jetzt noch bewegt.
WIE SICH DIE ZUSTÄNDE
WANDELN im Licht:
oben die singenden Vögel,
unten das Gras an den Sohlen
krümmt sich die Seide
der Schrift zu,
die dir aus der Erde
den Übergang reicht:
Mit Luft und Licht zerreibt
auf deiner Zunge
in diesem Augenblick
Geschmack von überholter Zeit.
Es war schon alles fertig da,
auch wenn die Glocke
Ostern meint, gab es lang
vor dem Enträtseln eine Blume.
Nur die Geschichte streckt
die Periskope aus
(auch hier auf diesem Berg)
als müßte sie
den Feigenbaum befrein, -
das Hegeln nachgetragen
mit einem Lieben Gott.
DIE UNRUHE
zerfetzt dir den Tag,
entsprechend der Zeit,
die du lebst
wie eine Strafe
vor der Augenwand
wie alles was je gewesen war
menschenförmig
als das einzige Erbe
vergeht.
CHAUSSEE NACH ROM
Die Linden blühn die Pinien sind wie Schirme
Die Augen Schatten blenden dich/ es irrt in dir
Bewußtsein/ ein Chausseebaum
An deiner Außenwelt entlang
Der Vorschein ist
Nur eine bunte Wand
Doch unter deinen Rädern
Liegt im Staub die Kaiserstraße
Wenn die Sekunde aufblitzt
Fährt dein Auge weiter
Wie ein Geheimnis steht
In dir doch etwas still
Ein Kern als hättest du ihn
Überfahren
Du bist darin
Ein Unbekannter
Und läßt es weiterrücken
Er steht/ du bist mit ihm
Das Kreuz
So bist du immer schon
Zerstört und doch wenn du
Es fühlen kannst
Mit ihm/ gleich zeitig
schon gerettet.
Das hypnotische System
löst sich langsam auf: was einst Hexe war #
und kleine Alice Drachen und Mütter #
hat schwarze Tränentropfen-Augen #
(Zitate Zitate wie Müll Kapitol und Washington
&&$$$ The show must go on)
*Die Sonne auch wie das kleinste Herz*
das Loch um uns
im Auge läßt die Welt sich sehn
und Punkte blinkt sie uns zu
....
(Unlängst Piazza Navona/ Rom: Und El Greco
Via Condotti mit Goethe eine Tasse im Schrank,
Asphalt: die Schuhe rieben, Blasen an den
alten Füßen dieser Wiedergeburt, Oh Nero.
Hasse deinen Nächsten wie dich selbst!)
Gesetze die sich formen erst
wenn wir da sind/ als
wären sie seit Hiroshima &&§§ verbraucht
(wie der Corpus Juridicum
daraus die Zitate wie Müll
bis zum nächsten Elektrischen Stuhl §)
Und der gebrechliche Papst +
stottert im Fenster +
(und alle zusammen: +Ave Marie
& Büchners gratia plena+
fort setzung folgt&&)
Sekunden Katastrophen +
wo auch die Momente im nächtlichen Fenster ##
sich sträuben im späten Erwachen +
als wär die Folge uns auf gesetzt +
Hähne verstummten längst um vier Uhr früh #
und jede Rückkehr ins Reich des Schleiers ist unmöglich ##
Wenn uns die Worte
so seltsam ansehen *#
ists nur weil sich etwas über uns +##
(als sei es ein Unbekanntes Objekt µ@)
und über uns hinaus erkennt ***#
(radioaktive Schäden der Seele auch:
leichter Schwindel +
Erbrechen Haarausfall bis in die Silben ~)
ein Widerwille der das Anderswo enthält ###
und Zeichen geben kann +@
weil wir es merken wie sehr
uns der Leib nur geliehen/ Leben im
Schein baren ist
#
ODER DER VIELSPRACHIGE Wilcock in Rom
verloren und wiedergefunden hat er sich selbst
in vier Sprachen/ sang sich aus wie einen
unerschöpflichen Trank verlieh seinen Titeln
auch andere Autoren-MPDs/ gespalten in Tausende
Personen: Deutsch/Italienisch Frau Teleprocu
Hitler e Maria Antonietta nell´Inferno
Tras-Tevere trug es hinüber in ein altes Exil
Am Tage aber als sie Moro erschossen
strich durch den Poeten sein Infarkt
schleppte sich ins Bad nahm Pillen las
in einem Buch und verschied ganz allein
mit dem Buch über seinen Tod in der Hand:
Nulla o Niente Vainglory
Stereoscopio dei solitari
wohlwissend der Fan
Che più solo di Dio non c´è nessuno!
Und nur die Einsamkeit läßt uns Tun
gib sie nie auf: der Übergang
den du vor dir hast sieht dich
jetzt an!
„Und für Augenblicke bleibst du
in diesem Exil das dich aufwühlt
ein Dichter der nicht mehr
am Leben ist!" Und was diktiert er mir jetzt:
Wilcock J. Rodolfo:
„Hör Freund, laß es ruhn,
mehre nicht was du schon bist
korrigiere alles. Punkt.
Schlimmer kann es nicht werden. Wilcock
schreib den Namen noch besser auf."
Führ mich ein, bring Pasolini, was sagt er?
„War mein Freund, wir gingen wir
trugen uns zu, lachten, tranken, es war alles
leer."
Bring ihn mir her.
„Er ist weit. Folge. Sprache.
Sein."
Gibt es noch Hölderlinien dort?
„Ja jedoch wortlos. Wirbel. Sog.
Sprechmunde fahrlässig Seinkönnen."
ABER WO DER TRAUM beheimatet ist,
übergeht dich niemand.
Alles was noch möglich wäre/ vor unserem Ende.
Weit schweifst du ab
(wider die Folge: das strenge Kopfweh)
nimmst Niemanden hier aufs
Korn.
ALS DIE WORTE
wie Wächter waren
und klangen,
da schliefen sie gottnah:
Proportion hineingehalten
ins blitzende Licht:
wie es am Anfang noch
war: das WORT.
ABER DIE STÄHLERNEN SÄTZE
tragen den Schuß in sich,
der fällt vom Dunkeln ab
in die große Gewalt,
die uns hält:
Kopfsteht ein irres Geflecht
von Bildern/ das sich selber nicht weiß,
uns von unten
zu leben blind befiehlt,
weil du nicht weißt,
wie du eigentlich heißt!
Häng dich ab
wie ein Schlachttier,
brich die Haken
entzwei, an denen du hängst:
vereist und gläsern.
Du lebst wie ein Tier
von Wortschlamm
besprengt
und von Weihwasserbier
immer am schieren Nichts entlang.
Du kannst nicht schreiben, altes Greuel,
wenn du an deinem Herzen feilst,
du zahlst der Zeit die volle Steuer,
wenn du nicht den Gedanken heilst.
DIE MENSCHEN sind Drogen,
Phantome. Sie häufen sich in dir
wie Seelenmist,
du schaufeltest sie früh hinweg...
sie fielen und du fielst
mit ihnen.
Du gingst schon lang am Blindenstab
der Feder.
Fragmente zu einer posthumen Poetik
Was bisher der Mythus des Christentums war, alles bestimmte, ist überholt, ist am Ende. Doch gibt es eine andere tiefere Realität, die "Gott" als das Unfertige Kommende erkennt.
Lyrik und Poesie in der Kunst allein gehn mit dem Kommenden, dem "Tod" wie mit Ihresgleichen um. Sie bringen die Illusion der "festen Welt" mit Hilfe der Interlinearversion, der Traumdiktate, des geöffneten Gedächtnisses zum Verwesen, sie heben die Illusion der Zeit auf.
Das Subjekt rückt ins Zentrum: denn der dichteste Ort des Alls ist der menschliche Kopf. Kenntnis ist in unsere Sprachformen übersetztes kosmisches Wissen, vor allem in die der Mathematik. Das Subjekt, der Grund dieser Kenntnis selbst aber kann begrifflich niemals erfaßt werden... Dieses Unfaßbare wurde einmal "metonymische Kausalität" (abwesender Grund) genannt; sie ist der klingende Grund von Musik und Poesie.
Von Paul Celan wurde der Gedanke wieder aufgenommen, daß wir erst im Gedicht, ja, schon in jedem Wort, Dinge, Tiere, Pflanzen auferwecken, "erlösen", und Lyrik in solch einem "Probehandeln" eine Aufgabe erfüllt. In seinem "Krokus"-Gedicht heißt es:
KROKUS, vom gastlichen
Tisch aus gesehn:
Zeichenfühliges
kleines Exil
einer gemeinsamen
Wahrheit,
du brauchst
jeden Halm.
Ohne den Menschen wäre alles wieder in die tiefste Nacht des Nichtseins und in ein von niemandem gewußtes Ende hinabgesunken!
Der Einzelne, das Individuum, sein Bewußtsein ist mehr als "die Welt". Lyrik ist also zu einer Haupt-Sache geworden, oder müßte konsequenterweise zu einer Hauptsache werden!
2
Bilder (auch das Christusbild) können alles zuschütten, vermauern, uns "entlasten" von der Verantwortung, jeden Augenblick unserer Existenz als tragische Ausnahme zu sehen.
Das Fehlende allein, die Absenz zielt ins Herz des Wirklichen.
Bei den Juden trug es den Namen des "Nichts", Voraussetzung, um sich jenem "Einen" (dem größten, weil alles-umfassenden, daher undenkbaren) Zusammenhang zu nähern, den wir nicht fassen können: das Eine als treibende Absenz, das in allem enthalten ist, ein sich in Schmerz und Freude verwandelndes Heimweh, Hohlform unverzichtbarer Hoffnung, seiner nirgends und überall erkennbaren Gestalt!
Aber das akzeptierte und bedenkenlos gelebte Alltäglich-Selbstverständliche und "Einfache" verhindert auch das Glück des unmittelbaren Reichtums und die Hintergründe eines großen Zusammenhangs im plötzlichen Aufblitzen von Berührung und Verstehen! Allein die "via negativa" ermöglicht dieses. Und die Chance ist im Gegensatz zu traditionellen Zeiten heute fast jedem gegeben, weil die Zeiten jetzt so sind, sie selbst den Abgrund zeigen!
"Das Staunen darüber, daß die Dinge, die wir erleben, im zwanzigsten Jahrhundert `noch` möglich sind, ist kein philosophisches", heißt es bei Walter Benjamin: "Es steht nicht am Anfang einer Erkenntnis, es sei denn der, daß die Vorstellung von Geschichte, aus der er stammt, nicht zu halten ist."
Absenz ist heute der allgemeine Zustand geworden. Und erst in den Zwischenräumen
des "Realen" kann es Hoffnung geben, sie ist bildlos und hart, es ist eine
Leerstelle im Gewohnten, die Voraussetzungen sind günstig, die Zeit
selbst hat Abschied im Blick, "Gott ist der Tod" (Hegel).
Wer allein ist, liest, liest eher, wenn er einsam ist, ist dann konzentriert. "Lesen, was nie geschrieben wurde": Herausstellen, was durch Geschichtsschreibung und Mündlichkeit verdeckt wurde. Wie Träume, die kurz nach dem Erwachen verschwinden. Wie zwischen Leben und Tod, Heraufkommen von anderen Archetypen und BILDERN von jenseits der Grenze, die die gewohnten löschen. Denn während die Beziehung der Gegenwart des Bewußtseins zur Vergangenheit eine rein zeitliche ist, ist die der bunten Welt unserer Augen, also des Gewesenen, zum bewußten Jetzt nicht zeitlicher, sondern bildlicher Natur.
3
Gewesen- Verwesen, - also den Zerfall in jedem Augenblick vor sich zu sehen, müßte eigentlich abschiedsfähig machen, es hinterläßt aber nur Trauer, weil wir eher unseren Augen als unserer Gewissheit trauen. Und daß wir den Abschied (den Tod vor Augen) sehen können, dies wird mit den ständig ankommenden und verschwindenden Sekunden gleichzeitig und immerzu verdrängt! Als wäre es die reine Unmöglichkeit... Wir erfahren sie täglich.
In der Poesia metafisica wird versucht, jene Scheinhaftigkeit der "wirklichen" Existenz kenntlich zu machen, und zwar durch virtuelles "Verschieben" in die eigene Zukunft, an jenen ORT, wo das Ich schon IST, den Bezugspunkt also zur wirklichen Zeit, die ihre Schatten in jeden Augenblick werfende erfüllte Zukunft (also das, was alle am Ende erwartet!) zu finden.
Der Versuch, im ver-endeten Schein diesseitiger Existenz dahin also zu kommen, wo auch die Illusion Tod aufgehoben werden kann, macht jede Zeile zu einem "geschriebenen Glück". Unsere gemeine (gesicherte und sozialtierische) Alltags-Existenz ist ja eine künstliche (und unwahre) Projektion aus Angst (Freud). Alles wird getan, um das Un-Heimliche, jenen Abgrund des Heimischen (des Gemeinsamen von Lebenden und Toten) zu verdrängen. Daraus ist der Erzähler noch nicht, wohl aber ein bewußtes lyrisches Ich längst erwacht.
Die Lebenden wirken wie Gespenster.
Das lyrische Ich (Spiegel des Selbst, das Du, der alte "Engel" in uns) reagiert mit gutmütigem Spott und Sarkasmus, aber auch freundschaftlich und mitleidend. Überhaupt kann es ja in dieser Wieder-Gabe (Mimesis) irdischer Verhältnisse nur mit leidvollem Wissen um alle Todesarten des Irdischen, wozu nicht nur Krankheit, Krieg, Alltag, sondern auch die Liebe gehörent, zur authentischen Lyrik kommen; und es könnte sein, daß das ganze poetische Unternehmen nur eine Art Jenseits-Therapie ist, die "Tagesreste" jenes Alptraums "Leben" zu tilgen, sich zu reinigen, um sich weiter entwickeln zu können, diese Schwere und Abschiedsunfähigkeit zu beseitigen.
Begriffe sind unfähig, dieses Kommende zu fassen (jene Welt, die eigentlich schon da ist).
4
Der Tod als Tor, das Aufblitzen im Augenblick der Öffnung. Den Tod erlebt zu haben durch einen Unfall, eine Krankheit, den Verlust eines geliebten Menschen, im Krieg... oder auch nur im alltäglichen Bewußtsein, daß wir sterben müssen, ist die Voraussetzung einer Lyrik, die von sich selber weiß und nicht nur mit Worten und Gefühlen spielt: Die Organisation eines Gedichtbandes braucht heute im bequemen historischen Stillstand diesen Schock, einen Standort jenseits der Zeit; das Gedicht muß aus dem Zeitfluß herausgehoben sein, um sich selbst erkennen zu können. Es ist der Ort des Gewesen-Sein-Werdens!
Der Tod droht jedem! Das Nichts ist für jene freilich näher, die den Boden unter den Füßen verloren haben. Und daß dieses jeden Augenblick jedem droht, sehn wir heute leider zu fern! Es erhält einen Körper in der Erfahrung des Landverlustes (Exil), der wahnwitzigen Vertreibungen und Massaker auch heute, im reichen Westeuropa durch den Sinnenverlust im "kleinen Tod" und Sterbegefühl von schmerzlicher Absenz auf Autobahnen, vor Mattscheiben, dies alles in mangelnder Nähe.
Wem hilft es wirklich, doch den Opfern kaum, wenn in „medialen Durchsagen" immer wieder die Versicherung zu hören ist, es gebe uns alle nach dem Tode weiter in einem verwirrenden "chaotischen postmortalen Zustand"? Wird auch dieses durch die Opfer zum Luxus, wäre gar Scham angebracht, wenn wir tröstend hören: Es gebe zwar eine Auflösung, und es gebe dabei eine Art "Zerstreutheit" und sich verlierende, einsame "Bewußtseinsfragmente", doch auch eine zielgerichtete Stimmigkeit des Nachtod-Bewußtseins... das "als Persönlichkeit erscheinen kann?" Sind der Schmerz, die Qual, der Hunger, die Einsamkeit, die Verzweiflung nicht wirklicher und uns näher, als solch eine Nachricht über solch ein Nachher: daß es dann "Knotenpunkte, die sich zum Zwecke einer erkennbaren Persönlichkeitsstruktur vereinigt haben", geben soll? "Kristallisationsformen", die zu jedem Personen-Kern gehören, und - die schon im Leben vorbereitet werden; was einer im Grunde seines Wesens hier auf der Erde war - er wird es auch nach dem Tode sein! Was aber war er hier, ein hingeschlachtetes Kind, eine ermordete Mutter, die ihren Säugling im Arm hielt? Was wird mit ihnen? Dort? Wo?
Bei einem Gespräch zwischen Durs Grünbein, Brigitte Oleschinski und Peter Waterhouse, das Grünbein beherrschte (in „Die Schweizer Korrekur", Hrsg. Urs Engler, 1994), bemerkt Grünbein, daß der Erfinder der Gedächtniskunst ein Dichter, Simonides von Keos, gewesen sei. Als nämlich nach einem Gedichtvortrag beim thessalischen Fürsten Skopas das Dach des Festsaals einstürzte, der Dichter wie durch Zufall im Freien war, und da die Leichen bis zur Unkenntlichkeit entstellt waren, konnte er sie, nur er, der Dichter, wieder identifizieren, durch Namen also zum Leben erwecken. „Als überlebender Zeuge hat er der Trauer der Überlebenden einen Weg gewiesen, als Epigrammatiker und Dichter von Totenklagen den Schlüssel zur Erinnerung ... gefunden." (Grünbein) Exemplarisch hat das in unserem Jahrhundert Paul Celan mit den Opfern des Holocaustes dichterisch getan. Brigitte Oleschinski fällt im Dialog zum Opferproblem ein „nasser Tag über dem leergezeigten Gelände, und Kinderschuhe, Zahnbürsten, Brillen" ein, gegen Grünbeins Versuch, die Grenzen zu überschreiten, setzt sie die Zelebration des Alltags, des Empirischen und Sinnlosen im totalen Bruch: „Und plötzlich war mir, als sei der Regen das einzig Sinnvolle, das sich jemals dazu sagen lassen wird..."
Sicher, Vorsicht ist geboten, auch Skepsis, Sprachlosigkeit und Verstummen. Doch an dessen Rändern - ist da nicht der Widerschein des Ungeheurlichen? Ist nicht eben dieses Ungeheuerliche der Massaker an der Grenze unserer Vorstellung eine Aufforderung, bisherige Grenzen zu überschreiten, genau jene Beschränktheit, die erst dieses Unfaßbare ermöglicht hat?
Das von der Einbildungskraft oder dem reinen Selbstbezug des Ich vorausentworfene "Zugleichsein" aller Ebenen, auch der Zukunft, also unseres Todes und der Toten mit uns, wird metasprachlich als ein Kreisen an den Rändern unseres Bewußtseins noch möglich, doch dazu kommt die Verzweiflung, aus dem Sprachgefängnis nicht ausbrechen und das, was dahinter steht, nicht ausdrücken zu können! Auch den letzten Augenblick, auch das, was jetzt Tausende erleben, nicht!
Erstaunlich bleibt, daß in einem so hoch angesetzten Resumé
über die Gegenwartslyrik im SonderHeft „Lyrik" des MERKUR (März/April
99) von dieser neuen Poesis keine Rede ist, auch in Texten zur Bukowina-Literatur
und zu Celan oder der Shoa nicht (dabei gibt es dazu schon tiefsinnige
Ausführungen von George Steiner und anderen!) Nur in einem Essay (Die
neue Unersetzlichkeit der Lyrik von J. Drews) wird ansatzweise von einer
„neuen Offenheit" geredet, zaghaft und etwas gewunden: „Lyrik ist im Moment
keine mit einem Achselzucken zu quittierende Sache mehr. Deshalb wären
aber etwas intensivere Überlegungen zu der Frage, ob es nicht neue
Kriterien zur Beurteilung der Adäquatheit von lyrischen Sprechweisen
zur zeitgenössischen Wirklichkeit (gibt) ... keineswegs überflüssig."
Wie weit entfernt ist die Kritik doch von der lyrischen Praxis und dem,
was einige wenige Schreibende wissen und in ihren Gedichten und Texten
formulieren!
Ich meine allerdings nicht die eigenwilligsten Epigonen der experimentellen Lyrik (auch der rumäniendeutschen) in ihrer heillosen Sackgasse. Es ist typisch für diese geschichtslose Lyrik, daß sie die fast bewußtlos an einer Privatsprache bastelt und sich alles erlaubt, jenseits von Geschichte, Realität und Lesern!
Dabei wäre sie möglicherweise ein sprachkritisches poetisches Instrument, Grenzen zu überschreiten, aus dem Sprachgefängnis auszubrechen, wenn, ja, Bewußtsein der Form als „Endspiel" zusammenkäme mit einer wirklichen verantwortungsvollen Synthese, jenseits der reinen narzistischen Spielerei!
Die "exzentrische Welt der Toten" (Hölderlin) bleibt so nah, als gäbe es heute einen ungeheuren Sog der Opfer, Millionen, die durch die Vernichtung unserer Welt ums Leben kamen und auch heute immer noch zu Hunderttausenden umkommen!
Euer Bewußtsein ist wie ein Glühwürmchen, aufleuchtend, einen Augenblick bewußt also bei euch (auf der Erde), dann aber wieder bei euch absent und so für einen Augenblick eben hier (bei uns den Toten), ihr sterbt in jeder Sekunde und werdet dann wieder geboren, ohne daß ihr es wirklich merkt. Kurzes Blackout. Nichts, ein schmaler Spalt, ein momentaner "Tod". Und kein Zeitfluß mehr. Du scheinst jenen Blitz und Spalt manchmal zu bemerken, manchmal... konzentriere dich auf jene Rückseite des Bewußtseins, sei ohne Angst abwesend, so kommst du hierher, trainierst den Todesprozeß, der dir dann einmal den Übergang erleichtert -
Ich "stehe" in solchen Augenblicken betroffen an jener Grenze, wo der Zeitfluß aufhört zu fließen, betroffen und mit Angstgefühlen, da Zeit in mir stehengeblieben ist, und ich habe dann große Schwierigkeiten, den äußeren Bildern zu folgen, und wundere mich, daß sie doch noch da sind, diese Bilder; sie kommen wie in Traumfetzen und fiebrigen Intervallen als Augenbild an, und ich bin mir plötzlich erstaunt bewußt, immer noch da zu sein. Das Bild ist fixiert in seiner statischen Vorstellung, doch die "Zeit", der den Schrecken überdeckende Außenfilm, ist ein Stück weitergerückt: Und ich blinzele, strenge mich an, nachzukommen, denke an möglichen Irrsinn, falls das taghelle Bewußtsein zu langsam sein oder vielleicht ganz aussetzten sollte... eine leere Stelle, kein Ich mehr, alles so intim nah, aber ganz fremd und namenlos:
CHAUSSEE NACH ROM/ Die Linden blühn die Pinien sind wie Schirme/ Die Augen Schatten blenden dich/ es irrt in dir/ Bewußtsein/ ein Chausseebaum/ An deiner Außenwelt entlang// Wie ein Geheimnis steht/ In dir doch etwas still/ Ein Kern als hättest du ihn/ Überfahren// Du bist darin/ Ein Unbekannter/ Und läßt es weiterrücken/ Er steht/ du bist mit ihm/ Das Kreuz// So bist du immer schon/ Zerstört und doch wenn du/ Es fühlen kannst/ Mit ihm/ gleich zeitig/ schon gerettet.
Parmenides dachte sich diese Spaltung der Sekunden in ihrem unaufhörlichen Vergehen als Mann und Frau, die hintereinander herlaufen, sich nie finden können, als eine Entzweiung zwischen Tod und Leben. Und die Opfer könnten sagen: die Zukunft sind wir, unsere Welt und Lichtebene. Dauert die Absenz länger, könnt ihr sie nicht mehr als "Zeitfluß" überbrücken, und das ist der Tod, wenn euer Bewußtsein völlig abgekehrt ist von der materiellen Welt und nicht mehr Träger eines Erscheinungsbildes sein kann.
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Können wir nun nach dem Ende einer Epoche auf eine in der Erfahrung noch unentdeckte Paradoxie hoffen, daß es eine Reise aus der Vergangenheit rückwärts in die Gegenwart ist, da die Vergangenheit vor uns liegt und die Zukunft, die in der Gegenwart eingeschlossen war, hinter uns, wie Heiner Müller behauptet?
Daß wir noch nicht wirklich da sind, sondern nur in Zukunft wirklich sein werden? Daß jeder Augenblick nur ein kurzes Aufblitzen davon zeigt, der sofort wieder versinkt, daß er eingeholt wird vom Hasten, dem Unfertigen der Sekunden, ja, daß dieses sowohl in der Theologie, als auch in der Physik heute das eigentlich tiefste Problem der Hoffnung auf Fortleben nach dem Tode sein könnte, weil alles noch im Kommen und unvollendet ist? Hier treffen sich Quantenphysik und Bibel mit Ernst Blochs Ahnungen.
Was auszuführen wäre, das ist/ ein weißer Fleck, und steht/auf einem andern Blatt,// unfertig, wie das Leben ist,/damit es sei (Cappella Sistina. Kopie, in: Landsehn, Galrev 1997)
Das dritte Kapitel im zweiten Buch Mose, Exodus genannt, gibt eine sehr schöne Erklärung dazu: dort fragt Moses, Verfasser und Hauptfigur in einem, Gott nach dem Namen. Die Antwort lautet: "Ich bin, der ich bin." Doch läßt sich dieses "Ehyeh Asher Ehyeh" genauer als reiner Widerspruch erkennen und in eine seltsame Möglichkeits-Form übersetzen: ICH BIN, DER ICH SEIN WERDE, oder: ICH WERDE SEIN, WO ICH SEIN WERDE. Er, der Unfaßbare, Undenkbare, ist also Beherrscher der Zukunft, ein "End- und Omega-Gott", der für uns noch nicht – oder nur im Negativfilm, im Negieren - da ist, weil unser Denken uns von ihm trennt! Und wir uns gegen es wenden müßten, um dem Schmerz des Fehlenden näher zu sein!
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Unser Elend und die beim Formulieren und Denken auftretenden Paradoxien rühren vom Zerschneiden der Erscheinungen, also den "Trennungen" von Dingen und Erscheinungen, die eigentlich zusammengehören, her; so etwa wie Leben und Tod zusammengehören! Wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammengehören, gleichzeitig sind!
Die schlimmsten Verheerungen richten die Trennungen aber in der Geschichte an. Wunderbar hat dieses Alexander Kluge auf den Punkt gebracht: "Wenn das Leben sich nicht für die Wirklichkeit interessiert, ist Wirklichkeitsliebe nur von den Toten zu erwarten" (Neue Geschichten, 1977). Weil die Toten, die Opfer vor allem, diese Trennungen überwunden haben, die Absurdes, Unlösbares, ja, Tod erzeugen. Die Lebenden kommen immer zu spät, weil die notwendigen Verbindungen zum richtigen Zeitpunkt nicht hergestellt werden oder (wegen der falsch gelenkten Abläufe - mit tödlichem Ausgang - ) meist nicht hergestellt werden können: " ... es ist durchaus unpraktisch, wenn die Erschütterung deutscher Familien, die im Jahre 1942 etwas Wichtiges für die Opfer in Auschwitz bedeutet hätte, im Jahre 1979 nachgeholt wird; denn heute ist es eine im wesentlichen unbrauchbare, nämlich zeitlose Form der Erschütterung."
Es gibt keine Wiedergutmachung. Die "Veränderung der Vergangenheit" ist eine komplexe, ja, eine enorme Aufgabe nicht "für" die Zukunft, sondern eine Aufgabe "der" Zukunft - und zwar jetzt, im gegenwärtigen Augenblick - daß ein ganz anderes, höheres Bewußtsein und Können dazu nötig wäre - wir in unserer linearen Zeit daran zerbrechen müßten, leuchtet ein. Nötig wäre praktisch die Aufhebung der Zeit in parallelen Ebenen, womit gegenwärtig im menschlichen Bereich hypothetisch nur die theoretische Physik – die Grenzwissenschaften, die Literatur und das Erinnerungsvermögen umgehn! Die Konsequenz wäre: das schuldhafte, vertane Leben zurückzuholen, indem eine radikale Veränderung der bisherigen Lebensweise, die auf lineare Zeit aufgebaut ist, stattfindet, die jederzeit die gleichen Greuel auf der Körperebene möglich macht, wie sie auch gegenwärtig (1999) vor unseren Augen geschehen!
Doch alles, was diese Körperwelt überschreitet, wird mit einem Tabu belegt; und die Mehrheit sieht nicht nur Lyrik als unsinnig an, sondern alles, was nicht mit den Händen greifbar ist; die Mehrheit geht den Verführern begeistert auf den Leim, die erklären, daß die mentale Persona nicht existiert, und die Bewußtseinsvorgänge nichts als neuronale Stoffwechselvorgänge seien, das Ich und das Selbst aber ihr Nebenprodukt, und also mit dem Tode verschwinden müßten.
So erscheint der Einzelne als sinnloses Tier, und das Endspiel-Todesbewußtsein im Leben, Absence in der eigenen Existenz geht um, das Downerprogramm; so wird in diesen Niederungen jeder manipulierbar, die totale Tristesse macht alle frei verfügbar, man kann einen Pseudosinn anbieten, das Lustprinzip und uniformierte Heere von Konsumenten schaffen. Für wenige bedeutet das unermesslichen Reichtum, für einige Wohlstand, für viele Armut, für alle aber letztlich und auf lange Sicht seelisches und körperliches Siechtum.
Im Begrenzten, Abgetrennten, gar Nur-Sichtbaren gibt es keine Auswege oder Lösungen. Heiner Müller formulierte es in seinem "Glücksgott" so: "Stehende Figuren (Götter, Denkmäler, Typen) sind als Katalysatoren brauchbar, wenn Erfahrung die Geschichte überholt hat ... wenn die Chancen vertan sind, beginnt, was Entwurf neuer Welt war, anders neu: als Dialog mit den Toten".
Im Grunde genommen hieße es, daß wir so nicht weiter leben können, wie wir bisher gelebt haben. Und dies wäre die einzig richtige Antwort!
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Da- und zugleich Nicht-da-Sein in einem merkwürdigen Ungleich und Zugleich. Gegenwart ist also nie. Heimat ein Niemals, und so auch der Zeitfluß Illusion. Glücklich ist, wer daran Abschiedsfähigkeit lernen kann.
Schreiben geschieht an dieser Grenze des Todesbewußtseins in einer merkwürdigen Geborgenheit und Absence, wo etwas Wesentliches, Intimes fest-gehalten werden kann!
Beim Schreiben nämlich geschieht das Zusammensetzen der BILDER in einem umgekehrten Prozeß, und das ist die Möglichkeit einer überrealen Probehandlung vor allem im Gedicht, die das Unzertrennte, Unzerschnittene wiederbringt; nicht der Zeitverlauf, sondern die aufblitzenden Sequenzen sind zuerst da. Und in einem Aufblitzen und Einleuchten ziehen sie sich je nach Verwandtschaft und Sinn-Nähe an; das schafft höhere Lust, ist also ein gefühlter Wahrheitsbeweis. Und schafft einen andern Zeitverlauf, der kein Bruch mehr ist, keine quälende Unvereinbarkeit, sondern fiktiv ist, wie Einfälle und Intuitionen, die aus einem Bereich an der Grenze unserer Vorstellung kommen. Eine Übung, um etwas zu erreichen, was es nicht gegeben hätte, aber sein könnte, eine Menschenmöglichkeit, die verloren gegangen wäre, hätte sich hier nicht der Einfall als Weg in unsere Verständniswelt gebahnt; der Ein-Fall ist also wie ein Fakt, wie eine Stimme aus einer andern Welt, womöglich aus einer zukünftigen, postmortalen Welt, wo es diese Trennungen nicht mehr gibt.
TUNNELEFFEKT. Teilchen in der Realität, wie auch Sprachteilchen im Kopf sind nie genau auszumachen, nie an einem bestimmten Ort, sie sind zeit-verschoben, niemand kann sie festlegen nach vorgefasster Logik, denn sie haben auch "jenseits einer Barriere eine gewisse Aufenthaltswahrscheinlichkeit." Und das schönste daran sind die völlig unlogischen Überraschungseffekte, im Fragment, im Denkbild, im Gedicht - es scheint, als seien sie nun auch mitten in der Realität anzutreffen und in der Geschichte: ein noch unerkanntes Prinzip der Bewegung, wir aber mitten im Tunnel.
Wie aber trägt und erträgt der traditionelle Satz, der an eine traditionelle Logik gebunden ist, diese Erfahrungen? Man muß die Gedichte als annähernde "Übersetzungen" ansehen, wo im Satz Erfahrungen dieser Art widerhallen. Eine neue Lyriksprache müßte geschaffen werden, die experimentelle Lyrik "umkehrt", umstülpt wie einen Handschuh, durch wirkliche Grenz-Erfahrungen ersetzt, die in jener am Formalen hängenden, spielerischen Sprachumgebung meist fehlen.
Meine Ansätze in diesem Band sind eher anekdotisch auflösend und das Unsagbare mit der "normalen Sprache" umkreisend:
Ellipse, Interlinearversion, Metapher, Allegorie und Hinweis. Intuition, Ahnung, "Traumerinnerung" der Angst- und Todeserfahrung, die durchaus die Sprachgrenze überschreitet, wie die Mathematik und die Musik, sind die besten Instrumente dieses Meta-Klanges.
Ein "Ereignis" also wird im lyrischen Geschehen umkreist, denn durch welche Zeit des Verbums läßt sich dieses Bewußtsein ausdrücken? -
Das hypnotische System/ löst sich langsam auf ...// Die Sonne auch wie das kleinste Herz*/ das Loch um uns/ im Auge läßt die Welt sich sehn/ und blinde Punkte blinkt sie uns zu. (Das hypnotische System...)
Vielleicht ist dieser quälende Todes-Zustand der gegenwärtigen Welt sogar ein Augenblick der Wahrheit gegen die Sprache! Es wird als Zwiespalt empfunden, daß alles noch da ist und schon längst vergangen, ein Aufbrechen unserer Logik, von der auch die Sprache bestimmt ist?! Was wir sehen, das äußere Augenbild, macht alles so alt und zwiespältig, denn das Andere, der Tod, steht fest, daß wir hier einmal als Gast gewesen sein werden, er ist schon in uns:
Steh still und atme noch// Ein Augen Blick war ganz bei ihnen/ kehrt jetzt zurück ich staune wieder/ daß ich noch bin. (Der Augenblick bricht auf ).
Die scheinhafte Identität unseres Ichs wird durchbrochen, in parallele Zustände aufgelöst, die nicht im Vorurteilsraster unseres Zeit-Raum-Kausalität-Denkens aufgehen:
"Ich bin nicht ich.
Ich bin jener,
der mich begleitet und den ich nicht sehe,
den ich manchmal besuche ... " ( Juan Ramon Jimenez)
Der Autor, das Ich oder die "Iche" werden in der neuen Lyrik aufgelöst, abgeschafft. Die Subjekte werden Opfer übergreifender Konstellationen neuer Sinneinheiten der Berührung, die die Wort-Höfe und "wirklichen" Augenblicke bieten. Das Opfer erweist sich als Geschenk und als Schlüssel für den Lebensverlust in diesem Gericht.
... du bist bei uns/ komm sei uns näher/ als dir bewußt. (Und hör die Stimme nur im Wort).
Und ich vermute, daß dieser Zustand, wo das wirkliche wie das lyrische Ich nicht weiß, ob es lebt oder tot ist, heute generell als wichtigster ästhetischer Ort angesehen werden muß, als Apriori jedes Gedichtes (Wir sind so nah daß du/ uns gar nicht sehen kannst), Apriori aber auch jedes anderen Textes, der gegenwärtig ernst genommen werden kann! Das "EINE" - auch im Spiegel der Sprache - wird nämlich erst im Gedicht als Spiegel des neuen Wandlers anderer Ebenen von Existenz konkret sichtbar; es wird sinnlich faßbar, was nicht schilderbar war und nur intuitiv wirklich ist (wir sind in jedem Gras Halm/ den du siehst/ es ist dein Blick der ihn erschafft/ im Finger der bewegt/ und uns erschafft), und erhält über dieses Medium des lyrischen Ichs eine faßbare Gestalt.
Eine Übersetzung unserer eigenen Absenz im historisch Späten, das Gefühl, daß wir Abwesende und Posthume sind, ist heute das Grundgefühl nicht nur meines Gedichts. Es ist ein Prozeß, der schon 1950 mit Becketts "Molloy" in der Literatur begann.
Das Ich ist im Zeit-Entzug angekommen. Mit dem Wissen des "zu Gast-Gewesen- Sein-Werdens" (Celan), mit dem wir heute leben, wissend, daß unser Zeitbewußtsein angelernt und Projektion ist, läßt sich die von vielen noch geglaubte "Wirklichkeit", nicht darstellen, nur „aufheben"! Eine Übersetzung aus jener andern "Zeit-Ebene", wo Zeit aufgelöst ist, kann in unserer Sprache nur durch Interlinearversion oder metaphorisch versucht werden. Erzählen ist unmöglich, da weder die Subjekte noch die Sprache Lebens-Erfahrung mit jener anderen Ebene haben können, es ist dies nur möglich mit der Todes-Erfahrung, die noch keiner hier, ohne Rekurs auf das Unterbewußtsein, haben kann, aber täglich im "kleinen Tod", also im Abgrund zwischen den vergehenden Sekunden erlebt. Das hier-gebliebene Bewußtsein der Personen aber erlebt es in seinen Abgründen sublim, intuitiv, als Traum-Ebene - in jenem Grenzraum, der durchgehend Lebende und Tote, die nie getrennt sind oder waren, im "Unbewußten" vereint, so daß auch die Beziehung Personen-Erzähler-Ich und lyrisches Ich - reales Ich überhaupt möglich wird!
Der Herr der Welt bedrängt mich arg,
will aus dem Namen, der den Kopf
mir unentwegt beengt, doch was der Sprache
fehlt, gehört zu ihr, das Fehlen, DU, und
ICH entferne mich aus dem Kontext, dies
mein Gedicht das Fahrzeug JETZT euch
zu erreichen; bin müde, müder dieses
Herren, du bist nur in ihm noch
zu haben, doch hält er mich gefangen:
Druck Seiten schwarze kleine Augen,
nicht du, da liegt der Fehler, nicht des
Fehlens, das antreibt wie das Herz.
So schrei ich nachts den Namen, meinen
deinen an die leere Wand, schief hängt
daran dein Bild und Seines, das Loch
zu dir ein Fehler, und schuld und nichtschuld
an dem Winkel ist
die Müdigkeit der Welt.
(Petrarca in: Landsehn, Galrev 1997)
Es ist in unserer gespaltenen Welt insoweit ein "Regressus", als es dieses Bewußtsein der Einheit tatsächlich einmal gegeben hatte, das heute aber unmöglich scheint, verspottet wird, jedoch im "zeitlosen" Unbewußten bei allen Lebenden auch heute noch vorhanden ist. Daraus entsteht die typische Bewußtseinsspaltung aller, die Freud einmal "Urteilsstreit" genannt hatte!
9
Alltagswissen - dieser flache Umgang mit dem Leben, wird als wichtigste und ernsteste Sache der Welt von allen akzeptiert, das Resultat: daß jeder anstatt Sekunden der wahren Empfindung und der Dichte, des Glücks zu leben, dieses täglich bis zum Tode versäumt. So wird jeder Moment, der uns selbst und jenem Zwischenraum, der schon an jenes Tor der anderen Zone klopft, gehören müßte, versäumt. Und der uns umgebende Reichtum der Welt wird kaum wahrgenommen!
Daß er sich hinzieht ein Tag in den andern .../ Die Zeit aber ein Trost/ als käm etwas nach/ und es käme an/ was uns fehlte// Doch wenn sich einmal das Blatt/ wendet und sich vielleicht/ unser Blick/ verändert/ hat uns die Trösterin Zeit/ längst erschlagen// was immer schon fehlte/ hat uns erreicht. (Daß er sich hinzieht...).
I
ich sehe die Reben hier in meinem Garten, das Meer, und bin erschrocken, als wäre ich ein Phantom, nein, die Landschaft ist es, sie ist "übriggeblieben". Ich aber bin es nicht. Und am alten Turm zeigt die Uhr unaufhörlich zwölf. Unerlaubt scheint das wirkliche Weinlaub. Und dann schreibe ich als Antwort diesen Satz auf, die Finger springen über die Tastatur, unter der Haut schon die späteren Knochenfinger meines Skeletts.
Heute wird in Westeuropa keiner mehr physisch hingerichtet, wie Giordano Bruno. Heute wurden ausnahmslos alle "von Anfang an hingerichtet", das heißt, es wäre kein Leben mehr möglich, sondern nur ein Zwischenreich der Phantome, würden sich nicht diese tieferen Lebenskräfte in Milliarden von Menschen täglich wehren, täglich neu auferstehen, und jenen tödlichen Belag, der auf der Welt liegt, immer wieder weg-leben! Heute ist jeder von Anfang an gescheitert, doch jeder wehrt sich dagegen, daß ihm die Sehnsucht, die Liebe genommen wird, zumindest tut er es klammheimlich! Und geht in seinen Träumen jede Nacht mit dem Erlebnis von Liebe und Tod um, fliegt und erfährt alles wieder an einem Quell, der nicht versiegen kann. Jeder müßte in dieser Umgebungslosigkeit noch drastischer scheitern, ja, dieser Unterwelt erliegen, die erst das ganze Ausmaß der sinnlichen Katastrophe zeigt, gäbe es jene Kräfte in uns, Traum, Sehnsucht, Liebe, Erotik, Phantasie nicht, die uns diese greisenhafte Mattscheibenwelt entziehen will!!
Ausgangspunkt dieser Gedichte ist die hoffnungsvolle Einsicht, daß alles Sichtbare Geist ist, der nicht als Geist erscheint.
Was uns heute schon umgibt, ist eine immaterielle Welt an einer unvorstellbaren Grenze. Unsere Umgebung ist bestimmt von lichtschnellen Geräten und Apparaten; diese beruhen auf Formeln, die einmal "Einfälle", Intuitionen von genialen Menschen waren, es sind ähnliche "Gedankenblitze", Inspirationen und Einfälle wie in der Kunst: Das Nicht-Materielle, das "Geistige" bestimmt heute mehr denn je alles, was geschieht, mentale Prozesse machen mit einer durchschlagenden Evidenz Geschichte, Denken wird "objektiv", lernt sich als mathematische Struktur selbst denken, erfährt sich als Ort, wo Naturgesetze offenbar werden, wird praktisch, beherrscht im Gerät die Natur und die Gesellschaft. Aber die Menschen der Gegenwart bewegen sich und handeln in dieser neuen immateriellen Umgebung weiter so, als wäre es immer noch die alte Körperwelt.
Die neue, eine Art gefährliche ontologische Grenze zu einer schon längst angebrochenen Zukunft, wird noch schärfer bewacht als die frühere politische Grenze mit Fahnen, Wachtürmen und Gewehren. Rufmord und die Seelenpolizei Psychiatrie sind heute ihre Zensoren, Agenten und Bewacher, und die Angst vor Tabuverletzung, die unbewußt jeden einzelnen bestimmt, wie früher die innere politische Zensur in den Diktaturen.
Es ist zweimal radikaler WIDERSTAND, der Hoffnung gibt! Heute ist dieser Widerstand passiv, beginnt damit, jene Traurigkeit aktiv werden zu lassen, von der Benjamin sprach, daß nämlich die Mehrheit mit den Siegern mitheult. In Zeiten, da die Dinge noch klar waren, noch "Wirklichkeit" existierte, endete der Autor eingemauert in einer wirklichen Zelle. Heute aber ist der Widerstand ontologisch, das heißt vor allem poetisch, denn die stärkste Macht jener Mattscheibenwelt und ihres Raubbaus an Natur und Seele ist der menschenvernichtende Irrglaube, daß das Sichtbare "alles", der Tod ein endgültiges "materielles" Aus sei. Und das stärkste Tabu, von der Psychiatrie bewacht, der Einsatz für das neue fällige Paradigma, wo die Grenze zwischen Leben und Tod aufgehoben ist, die raumzeitliche materielle Welt sich als Illusion erweist, wird nur im Traum, in der Imagination, in der Sehnsucht, ja, in der Liebe und auch in der Erotik, in ihren Ekstasen, gebrochen:
Ekstasen in der Liebe – in Diktaten der Kunst und Poesie, in grenzüberschreitenden Praktiken von Medien und Meditierenden. Und in numinosen Zuständen von dazu Begabten, bei allen aber im Traum und in Zuständen der Gefahr zwischen Leben und Tod ist jenes tremendum des Numinosen da.
Am meisten hatte mich bei meinem Weltwechsel von Ost nach West schockiert, daß im Westen alles "so ist, wie es ist", ein Baum, nichts als ein Baum, ein Mensch nichts als ein Passant, ein Funktionsträger, eine Trivialität. Was mich immer stark berührt hat: es heißt, Sylvia Plath habe aus diesem Grund Selbstmord begangen. Die Entfremdung ist total, ist ontologisch geworden, so ist auch die Revolution nur als radikale möglich: als ein surs Durchbrechen durch Zeit und Raum, im Einlösen und Spielen der kommenden Partitur von Überlichtgeschwindigkeiten und mentalen Konzerten.
Das Gedicht verwendet in diesem Spiegel der Revolte die in der Sprache und weniger in den traditionellen Vers- und Gedichtformen gespeicherten Kräfte und apperzeptiven Sonden, um jene Zone schon jetzt probehandelnd zu erreichen.
10
Nahtoderlebnisse (also eine Rückkehr aus einem Koma im klinischen Tod) sind durch die Intensiv-Medizin heute möglich und für die Menschheit wichtig geworden: wie im Tibetanischen, im Ägyptischen Totenbuch, wie im Totenbuch der Mayas, wie bei Dante tritt dabei eine Panoramaschau ein, wo das ganze Leben im Sterbeprozeß noch einmal wie ein Gerichtstag im Bewußtseinsspiegel des Sterbenden vorbeizieht; und das alles in einer zeitlosen Geschwindigkeit.
Für den Schreiber dieser Zeilen wird dieses Gericht (mit Materialien aus dem eignen Erleben und dem von Freunden und Verwandten) als dynamische Handlung wie in einem unbewußten Diktat auch als eigener Text sichtbar und im Zwischenraum der Metaphern erkennbar; möglicherweise wie ein mediales Diktat oder das Auftauchen im Satz eines vergessenen und im Unbewußten gespeicherten Erlebnisses!
Die Poesie hat dazu seltsame simultane Möglichkeiten: Eine höhere Stufe, die die Übersicht möglich macht, - die In-Eins-Bindung und Überschneidung von vielen Lebensperspektiven, bis ins Grenzenlose, besorgt das riesige Gedächtnis der Sprache mit ihren apperzeptiven und apriorischen Formen, um das Eine, den Einen in immer reicheren Spiralen zu umkreisen, es jedoch nie ganz zu erreichen, da „er" (Sinn, Nichts, Tao, Gott – alles ohnmächtige Wort-Annäherungen!) unaussprechbar ist, das Namenlose, das alles erst möglich macht, auch uns und die Namen, nur dann da ist, wenn wir uns und die Namen löschen!
Auch gibt es einen erlaubten Trick, nämlich die Unsterblichkeit der Personalpronomina der Sprache, die das Bewußtsein tragen, sich weiter erinnern zu lassen, als die Grenze einer individuellen Lebenszeit oder die unseres historischen Bewußtseins-Horizontes es eigentlich erlauben. Dieser Horizont ist, wie wir gesehen haben, an seine Grenze gekommen, die übersprungen werden muß, um jene Partitur, die heute schon bruchstückhaft "eingegeben" wird, in reiner ekstatischer Inspiration, richtig zu spielen. So wird die Offenheit der Zukunft in die geschlossene, scheinbar abgeschlossene Vergangenheit, eingeführt, und das bittere Fazit und Urteil ist: daß wir uns selbst dieses Leben geraubt haben, weil wir es uns haben rauben lassen. ("Doch weine nicht, wir kommen alle wieder" - zumindest im Gedicht!)
Bei den gleichaltrigen, älteren oder gar bei den jüngeren
deutschen Kollegen stößt solch eine Poiesis und Poetik auf Unverständnis,
ja Ratlosigkeit, obwohl es zur großen Tradition der Poesie gehört;
nicht etwa nur der deutschen Romantik, Klassik und bis 1968 (bei Paul Celan
besonders ausgeprägt) – sondern es sind weltliterarische Überlebenszeichen
(bis hin zu Dante und Petrarca oder Shakespeare!), die sich in diesen Räumen
bewegen! So kam etwa beim Gespräch zwischen Durs Grünbein, Brigitte
Oleschinski und Peter Waterhouse (in „Die Schweizer Korrekur", Hrsg. Urs
Engler, 1994), zu Grünbeins schön formulierten Gedankengängen,
daß „im Paßgang von Denken und Andenken ... sich das lyrische
Sprechen eine Gegenwart jenseits des Todes und diesseits der historisch
verhafteten Zeit" schaffe, daß darin die „anthropologische Dimension
der Dichtung", zur Zeit liege, „die man vielleicht erst heute erkennt,
im Moment der Synthese verschiedener Denkformen und nach dem Heimgang der
Philosophie;" daß sich erst in der Dichtung „die älteste Empfindung
mit dem jüngsten Einfall ... in einem Akt blitzartiger Imagination"
treffe. Bei Oleschinski dagegen steht außer einem „mhmm..." nur eine
weiße leere Seite, und bei Waterhouse nichts als das Wort „kein Meta-Ort".
Und Grünbeins Bemerkung, daß sich in den „verdichteten Bildern
... die Vorstellung des Einzelnen synchronisiert mit der Weltwahrnehmung
aller – solange es Überlieferung gibt," zur treffenden und tiefen,
einer zum Grunde gehenden Passage Grünbeins, die das Zugrundegehen
unserer Welt mit in sich enthält, ja erklärt, daß nämlich
„jenseits der protokollarischen Einzelheiten eines Menschenlebens und über
alle Stilepochen und Kunstideale hinweg" „das Gedichtwort Verbindung zu
den Gedächtnisgründen, den im Erdreich versunkenen Zivilisationen,
den allgegenwärtigen Toten" halte! Fällt Oleschinski nichts und
Waterhouse nichts als die flache Bemerkung: es sei ja das alles „nur ein
Bestandteil dieses Lebens" ein !(?) Nämlich genau an jener Stelle,
wo Grünbein die entscheidende Frage stellt: „Woher sonst rühren
alle die vielen Déjà-vu-Momente, die endogenen Symbole und
Leitmotive, die so etwas wie eine anthropologische Blickweise überhaupt
erst ermöglichen?"
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Wahr bleiben nur solche Sekundenbilder, mit Sprache zusammengesetzt wie Fotos im Labor, vergrößert, verkleinert, Momentaufnahmen, Ausschnitte, Vorder- und Hintergründe herauspräpariert und vertauscht in Großaufnahmen, wo das ganze Gedicht dann wie eine strukturelle Metapher wirkt! Auch eine Umkehr der Bilder oder Schnitte von innen kann es geben, die zum Sinn führen. Und dann werden sie auch noch mit dem Gefühl und Formgefühl des lyrischen Ich retouchiert, als wären sie nur Schablonen.
Alle diese Momentaufnahmen werden in günstigen Augenblicken zu Gedichten, Gedichtteilen, Versen; bei schwächeren Intensitätsgraden zum Tagebuch, Gedankenbild oder zur Prosa.
Aber: Was sind diese Momentaufnahmen, was ist das JETZT der Augen-Blicke? Darum geht es. Dieses Jetzt der Lebensmomente, nun so, ins Unendliche verlängert, ist unheimlich, aus dem Namen gefallen, aber im unausdrückbaren EINEN, im Informationsnetz der Beziehungen aufgehoben, es blitzt und leuchtet ein, drückt – wenn auch oft ironisch gebrochen - ein Glücksgefühl.
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Ein Vergleich mit bisherigen "traditionellen" Zeiten ergibt aufschlußreiche Ergebnisse. Schon im Stilunterschied zeigt sich der Zeitunterschied; früher gab es noch Realität und Natur, daher konnte auch sinnlich gelebt und geschrieben werden. Im scharfen Kontrast dazu steht die heutige Umgebungslosigkeit, damit Verlust auch des Sinnlichen und Narrativen. Doch noch ist nichts verloren, nur nach innen verlegt und auf die Spitze getrieben, anstrengender geworden: wundgewordenes angeschärftes Bewußtsein tiefster Eigenheit bis zum isolierten Dasein, das an die Grenze des Wahnsinns und des Todes reicht! Wer es aushält und die gebotenen Entlastungen medialer und Konsum-Blödheit des frei Haus gelieferten allgemeinen Scheins als Leben meiden kann, kann zur nackten Wahrheit finden.
Die doppelte Brechung - lyrisches Ich, auf einer Ebene mit einem höheren Komplexitätsgrad (Ein-Fall, Eingebung, Traum, Todesgefühle, Schreckerlebnis, Visionen, also grenzüberschreitende Metaerlebnisse) - und das „Normale" mit seinem empirischen und Alltags- Bewußtsein ist im Gedicht ein unerschöpflicher Inspiratiosquell. Das geht bis zum Risiko des „Spinnens" – sogar vom eigenen Realitätsgefühl her gesehen! Karl Heinz Bohrer hat es das Erlebnis des Schocks und der „Plötzlichkeit" genannt, wie es bei Krankheit, Tod, bei einem Unfall, in Kriegserlebnissen, aber auch im Schrecken der Diktaturen, bei Verfolgung, Verhaftung, Folter erfahren werden kann. Mein stärkstes Erlebnis der „Plötzlichkeit", des aus der „Sukzession" der gewohnten Zeit Herausgerissenwerdens erfuhr ich bei den ersten Verhaftungen und Verhören in der Stalin-Zeit. Erstaunlicherweise ist es nicht in die Lyrik. sondern in meinen Roman „Vaterlandstage" eingegangen: „Und diese Treppe ist eine andere Treppe als sonst Treppen sind, es ist eine elektrische Nerven-Treppe, deine Füße nackt (...) Es ist nichts mehr voraussehbar, es können die schlimmsten Dinge geschehen ... es ist die Unsicherheit, die dir den Boden entzieht, du wirst ein anderer, in diesen Stunden veränderst du dich, es kann nie mehr so sein wie früher. Jede gewohnte Geste ... SIE zerschlagen dir dieses unmittelbare Erleben chiffrierter Abstraktion ... du erhältst einen Schlag: es ist wie bei einer Todesnachricht." „Du wirst hineingestoßen in eine innere Welt, daraus bricht dort jenes scharfe Licht, du weißt, ein Strahl, der dich versehrt bis ins Mark, bricht mit der Angst hervor."
Der Schockbegriff bei Walter Benjamin, bei Scholem, bei Celan zielen alle auf den Schrecken, das Unterbrechen der Gewohnheit, der Sukzession, auf den „innern Ruck" eines „Außer-Sich-Seins", wo der Schleier des Scheins, die Wand vor den Augen fällt!
Der innere Selbstbezug des Ich, der durchbrochen wird in der Äußerlichkeit des täglichen Eigenkinos einer gewohnten Films von Außenwelt, die ja auch die eigne Person sich selbst zur Erscheinung werden läßt, zu nur noch scheinhaften Identitäten, also eigentlich zu "Geistern", zu Phantomen macht, gilt hier nun nicht mehr auch für das "transzendentale Subjekt narrativer Synthesis", also für das Ich, den Abgrund des Einzelnen, wie das im Postmodern-Erhabenen definiert worden ist. Denn jener Einzelne, der das Tor, der in jenem Abgrund Verbindung zu einer Metaebene ist, kann als geistiges Wesen die "Mannigfaltigkeit der sukzessiven Zustände durch Synthese narrativer Apperzeption zu einer Einheit zusammenfassen".
Seltener in der Prosa , meist in der Lyrik - wie in Träumen und der Meditation eben im seelischen Innenraum – ist es möglich, bis zu jenem "Zugleichsein" und "inneren Sinn" vorzudringen! auch wenn ein letztes Ereignis von gewohnter Welt, das Ende eines Lebens oder einer Kultur, noch nicht abgeschlossen sind; denn die wichtigste Perspektive des Gedichtes ist die Zeit aus dem Blickwinkel von Liebe und Tod zu "fühlen", zu sehen, wie ein Widerschein des Überstandenen und Überstehens - wie ein Bote aus einer uns erwartenden Zukunftswelt aufscheint! Lyrik braucht nicht wie der Roman die angebliche "Wirklichkeit", um sich "entwickeln" zu können; und auch Hegels Eule der Minerva gilt für sie nicht. Der Augenschein ist für sie das Gewesene, Vergangene, Unerhebliche; in der Prosa schaffen dieses Bewußtsein nur der phantastische Roman und die Science fiction.
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Inzwischen hat sich sogar die Physik des Themas angenommen, so löst etwa der Amerikaner Frank Tipler in seiner "Physik der Unsterblichkeit" mathematisch ein, was er in der Einleitung behauptet: "Ich werde eine physikalische Begründung der Eschatologie - der Erforschung der letzten Zukunft - vorlegen; dabei gehe ich von der physikalischen Annahme aus, daß das Universum imstande sein muß, Leben unbegrenzt aufrechtzuerhalten ... Ich habe einmal ein Nazi-Konzentrationslager besucht; dieses Erlebnis bestärkte mich in der Überzeugung, daß es nichts Häßlicheres gibt, als Vernichtung." Und er geht auf Heisenberg zurück, der davon ausging, daß die Wahrheit "schön ist, ja, zur letzten Aussage gehört". "Es ist wahrscheinlicher, daß ein schönes Postulat wahr ist, als daß ein häßliches Postulat wahr ist" (Tipler).
Und kämen die Besucher und käme ein Mensch gar
mit dem Lichtbart und stotterte er wie in der Poesie
unpräzise das Schöne
nur auf diesem Blatt oder Schrift an der Grenze
als bekäme sie
neue Synthesis
als Kopf- und Herzoffenbarung:
Wenn etwas stimmt, sag: DAS IST SCHÖN!
Es kommt nicht mehr nur
im Herzen/ im Kopf hier an: sondern flugbereit
als die Kraft der Toten Stimmen ...
Nichts ist getrennt, auch nicht die Physik von der Poetik oder diesem Augenblick, den ich gerade erlebe, von mir oder von Tiplers Denken, gar von einem Regenschirm und meinem Computer, wie schon der Surrealismus wußte; auch heute geht eine notwendige Metapoesie vom Ungeteilten, Einen (dem Universum als Ganzem) aus, aus dem niemand fallen kann. Wie es übrigens noch Ingeborg Bachmann und Paul Celan oder Günter Eich wußten. (Heute geht - auch in der Lyrik, wie ein Gespenst - ein falscher Glaube an die Scheinwelt des Empirischen um!). Meiner Überzeugung nach aber ist es notwendig, daß "HERRN COGITO" „der Kopf raucht" – ja. (Vgl. S. )
Bei Günter Eich finden wir dieses schöne Bekenntnis: "Wir wissen, daß es Farben gibt, die wir nicht sehen, daß es Töne gibt, die wir nicht hören. Unsere Sinne sind fragwürdig: und ich muß annehmen, daß auch das Gehirn fragwürdig ist. Nach meiner Vermutung liegt das Unbehagen an der Wirklichkeit in dem, was man Zeit nennt. Daß der Augenblick, wo ich dies sage, sogleich der Vergangenheit angehört, finde ich absurd. Ich bin nicht fähig, die Wirklichkeit so, wie sie sich uns präsentiert, als Wirklichkeit hinzunehmen."
Jene ältere deutsche Lyrik war näher am harten Kern unseres Wissens, als die diffuse Gegenwartspoesie des Alltags heute, sie ging noch von der Ahnung aus, daß die Zukunft erst wirklich und wahr ist (auch reicher, angereicherter, wissender: ein "Meridian"!); nur der Tod (und die Entropie-Gesetze) scheinen uns einen Strich durch diese Rechnung zu machen, diesem Augenschein der "Wirklichkeit", dem doch auch die Poeten heute so sehr vertrauen!
Doch: "... ich versuche, noch etwas zu schreiben, was anderswo hinzielt. Ich meine das Gedicht." Und: "Wir übersetzen, ohne den Urtext zu haben... In jeder gelungenen Zeile höre ich den Stock des Blinden klopfen, der anzeigt: Ich bin auf festem Boden." (Günter Eich).
Der Augenblick, das ständig Neu-Ankommende ist das Wirkliche, von dem wir aber nichts wissen können, keiner ist je in der nächsten Sekunde gewesen, und man sehe, wie schon die Grammatik den Wahnsinn verrät; sprachlos das Perfekt (in der nächsten Sekunde auch in Zukunft „gewesen"), anstatt des Futurs? Es gibt nichts Konkreteres, Beunruhigenderes, als dieses Realste der Zeit. Und es ist auch die "Bedingung der Möglichkeit" von Erfahrung. Gar nicht selbstverständlich ist es, was uns andauernd geschieht, und es ist nicht von Menschen gemacht.
Alexander Kluge und Peter Weiß gehen als Filmer mit Sequenzen um. Bieten Querschnitte, keine erzählten Längsschnitte. Momente. Oft Schreckmomente, wie Weiß in seiner "Ästhetik des Widerstandes" Géricaults "Fluß der Medusa". Ein Hadesbild der Überlebenden, die wir ja sind, ein Hadesbild, das die Tiefe im Moment des Schreckens spiegelt, ein Schrei des Untergehenden wird im Moment des Untergangs sichtbar, es wird ihm klar, daß alles falsch war, quer zum historischen Prozeß. Es ist der unendliche, andauernde Moment des Entsetzens, der alle diese Momente der bisherigen Geschichte zusammenfaßt, Zeit anhält, wie das Summen in einem Todesmoment.
DIE SEQUENZ, der scharfe Filmschnitt sozusagen ist auch das Prinzip
des Denkbildes und Fragments, und wie im Gedicht die Beweislosigkeit, wie
ein Traum, der keiner weiteren Begründung bedarf. Kurze schnelle Querschnitte,
wo alles Unwichtige fortfällt, und wo die Sequenz wie im Traum, wie
im Film abgesetzt wird, vereinzelt da steht wie eine Pause, wie ein Abgrund
der Sekunden... Auf diese Weise wird der Stillstand, das Anhalten der Zeit
mehrfach geübt, bis Zeit dann auch wirklich stehenbleibt.
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Die Räume der Sinne und der Anschauung, ihr Agent, das Phantom Zeit als quälendes Phänomen, hatten schon für Kant etwas Beunruhigendes, Gespenstisches, da der Königsberger Philosoph und "Vater der Aufklärung", seinen Geist von einem anderen, einem geistigen Reich her, aber hier auf der Erde als Gefangener bestimmt sah. Er sah sich fremd hinter einer Wand der Sinne stehen, und der Art, wie er und alle Menschen gezwungenermaßen sehen müssen, ausgesetzt.
Der Mensch ist nach Kant fremd, weil er eine Art Ebenbild des "höchsten Gutes", des "Einen" ist, zu dem er nur mit dem "inneren Sinn" Zugang hat; dieser "innere Sinn" aber geht über die Alltagswelt der Sinne weit hinaus, die ihn nicht zu sich kommen lassen, da schon wegen des Voranrückens von Zeit in den Außeneindrücken eine Erfahrung überhaupt nur möglich sein kann, wenn "Zusammenhang" oder "Einheit" unseres Bewußtseins als "Gewußte" und zugleich Wissende, also Verstehen da ist.
Es gibt sogar eine Belohnung dafür, das Glücksgefühl beim blitzartigen "Begreifen" und Verstehen durch einen Ein-Fall, und dieses nicht nur beim Literaturschreiben oder beim schöpferischen Denken in der Kunst und Wissenschaft!
Auf die Literatur übertragen, heißt das (zumindest bei mir), ein Arbeiten mit einem Beziehungsnetz von Lebensfragmenten, Erfahrungsfragmenten, Zitaten, ihre Collage ergibt sich aus der besonderen Notwendigkeit der Phantasiearbeit, denn die Einfälle arbeiten sequentiell, in einzelnen kurzen Szenen und Handlungs-Stößen; vielleicht ist das bei Lyrikern so: es ist der erlebte Moment oder die Welt als Einfall, ganz "heiß" dann aufgeschrieben, tagebuchartig in "Zeithäppchen", flashs, und dann erst nachträglich zusammengesetzt zu einem Buch, einem Roman, einer Prosaarbeit, einem Gedichtband. Und zwar immer so, daß auch beim nachträglichen Zusammensetzen alles "heiß" und inspirativ geschehen muß, es darf keine Manipulation oder Bastelarbeit sein.
Dieses ist deshalb so erregend, weil es wie die Simulation eines ebenbildlichen
Prozesses zu sein scheint, wo Sinn sich summiert. Je mehr Einzelszenen
oder Fragmente und einzelne Gedichte in einer Struktur, wie auch in diesem
Band, sich gegenseitig anziehen, dichter werden, ein annäherndes Ganzes
ergeben, um so größer ist die Erregung dieser intuitiven, ganz
persönlichen und doch sich selbst überschreitenden "Sinnarbeit",
die sich eben einem Unerreichbaren, einem verborgenen Ganzen annähert.
Es ist ein erhellendes Verstehen, das immer näher und intensiver wird,
je mehr "Bildpunkte" auf dem Bildschirm des Gedankens und dann des Buches
zusammenkommen.
Ist dieses ein "Gespenstersehen"? Althochdeutsch hieß Gespenst noch "gi-spanst", was eher Verlockung, Verführung, ein Irrlicht bedeutet, daß einen vom gradlinigen Weg abbringt. Ein Gespenst ist auch ein "Gespinst", Stimme aus einer andern Welt, Eingebung, Ein-Fall. Etwas, was im Alltag eigentlich nicht sein dürfte, und doch vorkommt, ortlos. Wie Kunst, wie Literatur auch.
Es ist eine komplizierte, jahrelange und sehr einsame Reise in eine Zone, wo das Unerreichbare, das platonische "Eine", vielleicht "Metapher Gott" warten. Und so wäre diese Sinnarbeit via erlebter Weltfragmente im Laufe der Zeit, diese zerfallenen Stückwerke der Momente und Lebensphasen in ihrem anscheinend sinnlosen, daher schmerzhaften "Unten" ihrer mangelnden Bindung und des fehlenden Zusammenhanges eben das Rohmaterial eines Ganzen, einer stimmigen schwingenden "Sprachheimat". Es ist bisher die einzig mögliche "Sicherheit", einer fast numinosen Geborgenheit im Nirgendwo, die es für mich an der Grenze zwischen sinnlichem und geistigem Bereich noch gibt, mit ihrer Tiefengrammatik des Sprachgedächtnisses ist es das einzige unzerstörbare Haus, das ich noch habe.
Einheit der Apperzeption (oder des Bewußtseins)." "Einheit der Synthesis in der Mannigfaltigkeit" nannte Kant diesen Kernpunkt auch seiner Philosophie. Das Zauberwort dieses Vermögens heißt bei ihm "synthetische Urteile" oder die berühmte "Einheit der Synthesis in der Mannigfaltigkeit".
Es geht eigentlich nur um die erwähnte Teil-Habe des inneren Menschen am "Einen" via Lebenserfahrung, um das Sich-Annähern an das "Gottes-Ebenbildliche" in uns, das jedoch nicht zum Zuge kommen kann, weil wir uns selbst fremd geworden sind, genau wie die Dinge uns fremd bleiben. Nur getrennte (materielle) Körper zu sehen, ist eine Art Sündenfall, weil wir so im Körper und unseren Sinnen - also dem Schein und der Illusion - gefangen bleiben! Ja, einer Kultur des Scheins, nicht des Seins, zu huldigen gezwungen sind!
Und es ist erstaunlich, daß nach den Gedächtnislücken, den Zerstörungen und innern und äußeren Verheerungen, der Hang zum Verstummen in der Lyrik nun von außen, als eine andere künstliche Einheit und Synthese via Computer und Computerisierung droht; und da Lyrik „deutlicher als andere Formen die zerebrale Seite der Kunst" zeigt, und „empfindlicher reagiert auf jede klimatische Veränderung in der von Gedanken zerfurchten Welt... unabsehbar die Choreographie ihrer Redefiguren" (Grünbein) zeigt, ja., lang schon dem Abschied voran, im Virtuellen zuhaus ist, muß sie den Bruch auch heftiger spüren „nur daß aus den Weiten ihrer lexikalischen Räume jede Fischschuppe, jedes Haar, jedes Sandkorn immer aufs neue unversehrt zurückkehren wird" (wirklich?) Wird sie in diesem Sog, fast wie der Körper selbst, nur umfassender, schmerzhaft zusammenzucken und in einem unergründlichen Sog umgedreht und zum Grund gezogen werden in ihrem „Babylonischen Hirn" (Baudelaire)? Und ist daher nicht gerade die Lyrik, die zerbrechlichste und dauerhafteste Brücke in der obsessiven Grenzüberschreitung und im Zukunftsgang beim Ausprobieren dieser neuen Einheit ganz vorne im „Virtuellen"? Und gleichzeitig ein Schock, ein Erwachen aus dem solipstischen Dauerschlaf des täglichen Gebrabbels, das alles zudeckt?! Wobei das neue Gebrabbel des multimedialen Dauergesummes, der Sprüche und der Computerdiktatur und Internetverführung als angeblich wirklichere Wirklichkeit, trotz ihrer Berieselungen Hirnnähe mimt, aber ein Erwachen erstickt, verpappt, erst recht verhindert!
Was zum Ganzen kommen könnte, zum Einen, verhindert diese angebliche Hirnnähe der neuen Künstlichkeit von „Kunst"! Das neue Mögliche der Collage mit Hilfe des Freundes PC, Springen und Montieren am Bildschirm, der Schreibprozeß aufgespalten in kleine und vielfältig verwendbare Einheiten, die auf jede nur vorstellbare Weise zusammengesetzt werden können. Das ewig angestrebte große Eine nun also im PC-Netz auch total erreicht, erreicht aber als sterile Künstlichkeit, als ein geschenkter, fixundfertiger Standard? Wird so die Einheit parodiert, Glück des höchsten Verstehens verhindert?
Was aber war bisher das Ideal dieser letzten Einheit (die uns nun verstellt wird?) Carl Friedrich von Weizsäcker hat den anderen – nun dieser Computereinheit radikal entgegengesetzten - Kernpunkt der Wirklichkeit sehr schön am Beispiel der heutigen Theorie der Physik, der Quantentheorie gedeutet, die von Kants Denken gelernt hat: Die von uns sinnlich wahrgenommene Vielheit der Dinge - so Carl Friedrich von Weizsäcker - sei "letztlich nicht wahr". Isolierte Objekte bedeuten nur "mangelnde Kenntnis der Kohärenz ...der Wirklichkeit. Wenn es überhaupt eine letzte Wirklichkeit gibt, so ist sie Einheit. Vom Standpunkt dieser Einheit aus gesehen ... sind die Objekte nur Objekte für endliche Subjekte (d.h. für Subjekte, denen gewisses mögliches Wissen fehlt)... (d.h. sie sind individuelle Seelen unter den Bedingungen der Körperlichkeit)."
Und Alexander Kluge formulierte es so: "...die Aufhebung der Trennungen gehört ja zum Realistischen. Ein Realist bohrt. Er ist darin unangenehm. Er neigt z.B. dazu, einige Dinge auf Null zu stellen." Denn realistisch ist nur das, was wirklich ist, und wirklich ist niemals nur ein Ausschnitt, sondern immer das (undenkbare) Ganze (das niemals gar denkbar ist mit Hilfe eines „Rechners"!), und ebenfalls gehört zur tieferen Wirklichkeit der Unsicherheitsfaktor Beobachter, das Zentrum unserer Welt: das Subjekt, das am intensivsten in der Liebe, der Musik und in der Lyrik zur Sprache kommt!
*
Die Gedichte dieses Bandes stehen in der Tradition der "Poesia Metafisica" der "Metaphysical Poets" um John Donne - und auch in der Tradition jener "älteren deutschen Lyrik der Nachkriegszeit"; sie sind beeinflußt von den neuesten Tendenzen einer meta-physischen Dichtung vor allem in Ostdeutschland, in Italien und Rumänien, auf dem Hintergrund des Schocks historischer Erfahrung in unserem Jahrhundert. Und: sie gehen davon aus, daß nicht ein ganz neuer Stil im sich öffnenden virtuellen Bereich der Welt und des Posthumen der Literatur eine Überlebenschance sichern kann, sondern nur ein Anknüpfen an eine bestimmte Tradition, die einfach "vergessen" wurde und, wie der Tod, seit einigen "gescheiten Jahren" ausgeklammert wird:
Es geht nicht darum, Neues zu erfinden, sondern im Licht dieser neuen Erfahrung das Beste fortzuschreiben, um den Bestand der Tradition nicht zum Werkzeug dieser Sieger werden zu lassen, die ja die Erben jener sind, die immer schon gesiegt haben; daher ist das Zitat so wichtig, wie der heftige Querschläger und Erkenntnisblitz kurzer Form; als würde er jenen Moment des Aufstandes, wo Millionen den flash als Uhr einer unbekannten Zeit empfanden, auch nach der Niederlage dem Vergessen entreißen.
Schreiben ist nicht nur der Diktatur verwandt, indem es die Welt einzusperren versucht, seit einiger Zeit überschreitet es die Grenze, läßt Welt und Text ineinanderfließen, Schreiben ist zwiespältig, es ist versuchte Todesverdrängung; da aber Tod und Leben zusammenhängen, ist es zugleich Lebensaufschub und Totengespräch.
Auch die deutsche Poesie könnte (wie in all den Jahrtausenden auch)
Grenzereignisse einbeziehen, um der Wissenschaft nicht hinterher zu hinken,
sondern ihr, wie noch im vorigen Jahrhundert, voraus zu sein, indem sie
nicht den Schutt und Wortschutt der Außenwelt ins Gedicht nimmt,
sondern den Abgrund des Rätsels Subjekt, die tiefste Wirklichkeit
unserer menschlichen Welt, die immer schon das Zentrum der Poesie war,
wieder als Brennpunkt zuläßt!
INHALT
I DIE WAND DER AUGEN
(TOKANISCH)
Tiefen. Harmlos
Dachdecken
Der Augenblick
Und hör die Stimme
Daß er sich hinzieht
Du staunst
Wer hat mich oben
Schrift
Hältst Ausschau
Grasgrüne helle flechte
Die Fremden
Als wäre es so
DIE UNFERTIGE WELT
Zu Annette Rowdon
Es ist die Glocke
II EXILE
Weiß ich denn
Zurück also
Hier in diesem Haus
Weißblaue Zimmer
Säuglinge
Kinder Lose
So werd ich stehlen
Die Geburt der Erinnerung
Was aus den Märchen
Gespräche mit toten Kollegen
Vom Weitermachen
Himmel oder Erde
Zu Annette Rowdons Resurrection II
NOOTEBOOM
Ja, Herrn Cogito
III POESIA EROTICA
Nacht Ruhe
Kommt Liebe zu spät
So geh ich wirklich
Rettung durch Evas Apfel
Meere. Poesia erotica
Und unter dem Nachtrand
Ich gespalten
Rondinara
Panerotik
Du über uns
Eingang
Wie Laute Silben
Maria
Ein erster Kreis
Für L.
Es ist ein Wissen
IV LICHT TUNNEL
Diese Angst, im eigenen Körper
Lähmend
Was sagst du da
Laß mich zurück
Unfriede
Ruhepause
Ich hatte Angst
Gesichter der Gesichter
Für Walter Benjamin
Die Fliegen, Menschen Eintagsfliegen
Und kämen die Besucher
Klein bleibt auch Baudelaires Grab
Resurrection
Du weißt es noch nicht?
Und hier im Körper schon
Durchgebrochen aus der ganzen Klaviatur
Oder du liegst in dieser metaphysischen Schaukel
Ist es nicht so
Nach René Char
Nachtgespräch mit Hermann Oberth
Lache
V LICHT, DIE SCHNELLE GRENZE
1
Grenzstationen
Gebrochenes Auge
Was geschieht
Warum bin ich in diesem Augenblick
Beim Erwachen
Nichts ist verloren
2
Ging meinem Leben
Aber du, Vers
Aber diese Feder im Kopf
Für Paul Celan
Baum, Olivenbaum
Darüber
hinaus, verschwiegen
Es weiß die lebendige Welt
Aber das schwarze Loch Zeit
Der Stein
Du hofftest
Uneinlösbarkeit
Autorittrato
Nicht in der Sprache
Für Ernst Meister: Vater Abgrund
Mutterleib
VI PARALLELE UNIVERSEN
Wann Brodskij
Grenzen Los
Ein Sprechen hinüber
Wenn ich es umkehre
Mein Körper löst sich vom Denken
Warte nur Zeit wie eine Nuß
Im momenthaft gebauten Kehlkopf
Geist zu sein
Was da auf uns zukommt
Die besten sind in den Heilanstalten
Heute: Als wäre die Decke dünner
Wann wird es wieder älter sein
Verzweifelt such ich Celan
Aber da springt ein
Umgeschrieben soll es hier stehen
Für Carlos Mutter
Doch sogar was wir sehen
Ontologische Zensur
Sich einschalten können
Wie sich die Zustände wandeln
Es war schon alles fertig da
Die Unruhe
Chaussee nach Rom
Das hypnotische System
Oder der vielsprachige Wilcock in Rom
Aber wo der Traum beheimatet ist
Als die Worte
Aber die stählernen Sätze
Häng dich ab
Du kannst nicht schreiben
Die Menschen sind Drogen
FRAGMENTE ZU EINER POSTHUMEN POETIK