Die Schöne und das Biest


J
ung untersuchte verschiedene Mythen und Märchen auf ihren Symbolgehalt hin. Eines dieser Märchen ist „die Schöne und das Biest“.

Jung hielt das Auftauchen von Tieren in den Träumen von Frauen für den Ausdruck einer Störung der Einheit von Geist und Natur.

Hier stellt sich natürlich die Frage inwieweit derartige Geschichten Ausdruck einer bestimmten Kultur und somit auch über das Bewußtsein zugänglich sind. Betrachten wir zum Vergleich wieder die Kabbala, finden wir das Tiermotiv in ganz anderer Form vor. Hier wird die niedrigste Energieform dem Körper zugeordnet, der natürlich bei beiden Geschlechtern materiellen Ursprungs ist. Die Verwandtschaft zum Tier im Bereich der körperlichen Existenz, die von Darwin „erkannt“ wurde, wird hier also schon vorweggenommen. Jung kam aber aus einer Gesellschaft, die noch weitgehend christlich dachte und trotz moderner Erkenntnisse ihre Grundeinstellung zum Leben – hier Geist, da tierischer Trieb – nicht verändert hatte.
Diese Einstellung erkennt man auch unschwer an seiner Aussage, der Primitive, bzw. Angehörige von Kulturen, die sich unberührt von außen entwickelt hätten, könnten nicht „denken“ wie die Europäer dies tun, sondern produzierten unbewußt Gedanken, die sie dann betrachten. Er verwechselt da die logische Analyse, die auch mit unbewußt produzierten (=Einfall) Gedanken arbeitet mit dem Gedanken an sich, der auch immer nur „erkannt“ wird. Er meint, die europäische Denkkultur habe sich anders entwickelt, weil man hier einer primitiven Kultur quasi das überlegene Christentum  gewaltsam „aufgepfropft“ habe. Aber Kultur entsteht immer durch Berührung mit anderen Kulturen, also einem Lernprozeß. Die Christentum ist auch keineswegs so weit vom Heidentum der Antike entfernt (das auch keineswegs als primitiv zu bezeichnen ist) wie man gemeinhin gerne annimmt. Es ist diesem in vielen Bereichen sogar weit näher als der jüdischen Religion und nicht wirklich monotheistisch, da sie von der Existenz einer „Dreieinigkeit“ ausgeht. Auch wenn von christlichen Padres hervorgehoben wurde, daß auch die Kabbala diese Dreieinigkeit kennt, kann man dies nicht als typische Grundzug der offiziellen mosaischen Religion betrachten.
Jung schreibt, diese aufgezwungene Kultur habe auf einer Seite das verstandesmäßige Denken übermäßig gefördert, auf der anderen Seite aber das unbewußte Triebverhalten gestärkt und unsere Kultur „zur Hölle hinab geschickt“.

Wenn er nun das Leben der sogenannten „Primitven“ offenbar als paradiesischen Zustand kindlicher Unschuld sieht, verfällt er in einen Irrtum seiner Zeit. Das Leben der Primitiven ist keineswegs paradiesisch-unschuldig. Es unterliegt nur anderen Gesetzen, weil seine Gesellschaftsform andere Normen angelegt hat als unsere christlich dominierte Kultur.

Die Ursache für die Ablehnung der Sexualität durch die Frauen seiner Zeit lag nicht in ihrem ureigenen Wesen, sondern in der Einstellung und im Zwang der Gesellschaft begründet. Sie entstand unter anderem aus der Vorstellung, das Leben sei eine Strafe Gottes für die Sünden die Adam und Eva begangen hatten, wobei hier Eva nicht als „das Leben“, also die materielle Existenz wie ursprünglich gemeint, sondern als „die Frau an sich“ definiert wurde. Diese Vorstellung, die tatsächlich primitiv ist und zeigt, daß die Europäer die alte Kultur absolut  nicht verstanden, kam der männlichen Angst vor der Frau als Verführerin und Hexe sehr entgegen. Die Vorstellung von der Frau als böse Hexe existierte ja schon lange vor dem Mittelalter im alten römischen Reich, ebenso wie  bei den Germanen und Kelten.  Die Angst des Mannes vor der weiblichen Sexualität, die ihn anzieht, aber auch zum Clown machen kann, die ihn die Kontrolle über sich selbst verlieren läßt. Man erkennt diese Angst auch in der Bestrafung des Vergewaltigungsopfers, das „geschändet“ wird, was ja nichts anderes bedeutet, als daß „Schande über sie kommt“, während der Vergewaltiger meint, die „geheimen Wünsche der Frau“ erfüllt zu haben.
Die Ansicht, die Frau würde ihre eigenen sexuellen Wünsche als etwas „unreines“, „tierisch“ erleben, ist wohl teil der Dämonisierung der Frau, aber keineswegs reale Vorstellung. Schließlich ist die Sexualität der Frau nicht weniger „tierisch“ als die des Mannes. Ich würde sagen, bei dieser Geschichte handelt es sich eher um die männliche Vorstellung der eigenen, „tierischen“, weil unkontrollierten Sexualität, die durch die Frau „gezähmt wird“ wird, sprich: der wilde Kerl muß sich dem gesellschaftlichen Leben in der Gruppe unterordnen und darf seine Triebe nicht einfach ausleben.

Abgelehnt wurde ursprünglich das Leben an sich, was sich besonders deutlich im gnostischen Denken widerspiegelt und was das europäische Christentum falsch interpretierte. Die gnostischen Gemeinschaften fanden abartige Sexpraktiken weniger verwerflich als das Erzeugen neuen Lebens. Das Leben wurde abgelehnt und man erwartete sich Erlösung durch Erkenntnis, so wie das in anderer Form auch der Buddhismus kennt. Sobald der Mensch das wirkliche Wesen der Welt und des Lebens erkennt, wird er frei - unabhängig von der Schuld vergangener Taten. Nicht der Sex an sich wurde als verwerflich eingestuft. Die christlichen Mystiker hingegen folgten der frauenfeindlichen Tradition des römischen Heidentums und schufen den Mythos der "bösen Frau", die sich, weil unverbesserlich dem Teufel (hier als Symbol der sexuellen Ausschweifung gesehen) hingibt und nur erlöst werden kann, wenn man sie dem Feuer (=Flamme der Reinigung) übergibt. Der Teufel, der die eigene Seele bedroht, weil er als sexuelle Triebkraft empfunden wird, will die (männliche) Menschheit zerstören indem er über die schwache, leicht beeinflußbare, weil der Sexualität zugeneigte Frau an den Mann herantritt und diesen umgarnt. Auf diese Weise entstand die Vorstellung von der "reinen" Frau (schließlich war auch Maria eine Frau), die sich nur durch Entsagung vor den Nachstellungen des Teufels schützen kann. Das Leben wurde als eine "Welt der Versuchungen" interpretiert und der Himmel mehr, oder weniger als "reine Sinnenfreude" im Gegensatz zu den Höllenqualen sexueller Verirrungen.