Geniale Begabung
Wolfgang Hanke

Entdeckung im Künstlerhaus Schloß Wiepersdorf: Der Komponist Maciej Zoltowski ist auch mit Orgelpfeifen vertraut. Noch kennen den 26jährigen Komponisten Maciej Zoltowski nur ein paar Insider – noch.

Schon die erste Begegnung mit dem jungen polnischen Komponisten ist ein nachhaltiges Erlebnis. Er stellt sich mit einer Neuvertonung der mittelalterlichen Ostersequenz „Victimae paschali laudes” vor, für die ihn die Warschauer Akademie für Katholische Theologie mit einem Preis ausgezeichnet hatte. Ein packendes, eindrucksvolles Werk, das auch bei mehrfachem Hören nichts von seiner Bewegkraft verliert. In den folgenden Wochen höre ich – live und vom Tonband – weitere Kompositionen von Maciej Zoltowski. Sie bestätigen nur die bei der ersten Zusammenkunft gewonnenen Eindrücke, obwohl diese Werke in völlig andere Richtungen weisen. Auch sie bezeugen eine ganz offensichtlich außergewöhnliche Begabung.

Eines dieser Stücke, ein Intermezzo für Klavier, war erst kurz zuvor entstanden, es atmete gleichsam die wohltuende Wirkung des Wiepersdorfer Frühlings. Unter den Händen der jungen polnischen Pianistin Iwona Mironiuk kann es sich problemlos selbst neben Olivier Messiaen und zwei älteren Komponisten seines Heimatlandes behaupten. Zoltowskis weitere, seit 1990 entstandenen Werke fesseln durch ihre philosophisch-ethischen Bezüge, durch die Verarbeitung außereuropäischer Musikkulturen. Ein Quartetto per strumenti da corde (Saiteninstrumente) etwa ist für mongolische Streich- und Zupfinstrumente

 

bestimmt und läßst erkennen, daß sich der Komponist auch mit fernöstlicher Musik intensiv befaßt hat.

Für ein Orgelmusikfestival in Legnica entstand eine Komposition für Schlagwerk, Orgel und das nordindische Bogeninstrument Sarangi. Mit ihrem altgriechischen Titel Anagoge, – „Aufbruch, Weg nach oben” – erinnert sie an einen zentralen Begriff der neuplatonischen Philosophie aus dem dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Noch mehr sagt das Motto, das dem Werk vorangestellt ist: „Finde und entwickle, was göttlich in dir und im Universum ist”, ein Ausspruch Plotins. Ähnlich tiefschürfenden Zusammenhängen ist die EMET betitelte Komposition auf der Spur. Das hebräische Wort bedeutet soviel wie „lebenspendende Materie, Wahrheit”. Die konzertierende Violine wurde von einem Computer begleitet, der durch ein spezielles Programm aktiviert wird. Maciej Zoltowski bewegt sich also auch auf jenen experimentellen Pfaden, die vorangegangene Komponistengenerationen seines Landes angelegt haben und die er mit dem Rüstzeug der Gegenwart weiter vorantreibt. Keines der Werke jedoch, die er in Wiepersdorf vorstellte, klingt – wie neue Musik leider so oft –, als seien sie am Schreibtisch konstruiert worden. Alles ist lebensprall empfunden und erfunden, verrät wachen Klanginstinkt und sicheres Formgefühl. Die erstaunliche Leistung eines Komponisten, der gerade erst seinen 26. Geburtstag feierte.

Trotz seiner jugend hat Maciej Zoltowski schon eine stationreiche Entwicklung durchmessen. Mit sechs Jahren begann er

Blockflöte zu spielen, mit zehn Jahren Violine, mit der er auch im Wiepersdorfer Schloß bei Hausmusiken und einem Benefizkonzert für die Restaurierung der Buchholz-Orgel im Nachbarort Meinsdorf hervortrat. An der Warschauer Chopin-Musikakademie studierte er u. a. bei Marian Borkowski und Ryszard Dudek Komposition und Orchesterleitung. Das Dirigentenexamen legte er ebenso summa cum laude („mit Auszeichnung”) ab wie zuvor die Abschlußprüfung als Komponist. Inzwischen unterrichtet er selbst an seiner bisherigen Ausbildungsstätte – im Fach Aufführungspraxis. Am Dirigentenpult hatte er sich schon lange vor dem Examen erste Sporen erworben als Begründer des Kammerorchesters Con Spirito der Jeunesses Musicales de Pologne. Auch in unserem Land ist er als Gastdirigent mehrerer Konzerte des Deutschen Kammerorchesters kein Namenloser mehr.

Zoltowskis Kompositionen wurden bei zahlreichen Festspielen aufgeführt und trugen ihm Preise und Stipendien ein. Das der Stiftung Kulturfonds für das Künstlerhaus Schloß Wiepersdorf verdankt er nicht zuletzt dem Leipziger Opernchef Udo Zimmermann. Er wurde als einer der Juroren bei der Durchsicht der eingereichten Kompositionen auf Zoltowskis einzigartige Begabung aufmerksam.

 


 

Die Märkische Allgemeine, Ausgabe 31,
2./3. August 1997

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