Asylbewerber

 

Ganz draussen bleiben

Die Hardliner setzen sich durch: Mit einem Schnellverfahren will der Bund schon an der Grenze über Asylgesuche entscheiden.

Von Martin Stoll

Pro Arbeitstag ein Entscheid: Seit zehn Jahren prüft Marlen Sutter, 35, Angestellte im Bundesamt für Flüchtlinge (BFF), in ihrem Büro am Berner Quellenweg Asylgesuche. 200-mal im Jahr: bleiben oder wegweisen. «Papierentscheide» seien es in der Regel, sagt sie. Nur in Ausnahmefällen, ein- bis zweimal pro Woche, bekommt die Asylentscheiderin in der Berner BFF-Zentrale Betroffene zu Gesicht.

Das wird sich schon bald ändern. BFF-Direktor Jean-Daniel Gerber bestätigt, dass zwecks Verfahrensbeschleunigung ab Mitte nächsten Jahres zusätzliche BFF-Beamte an die Grenze geschickt werden. In den Empfangsstellen des Bundes wird hier ein Teil der Asylbewerber zu Fluchtgründen befragt. Innerhalb von zwanzig Tagen soll künftig vor Ort über das Gesuch entschieden werden.

Das ist ein Novum im Schweizer Asylwesen: Denn bis anhin haben die Asylbewerber in den Kantonen monate-, manchmal jahrelang auf den Entscheid des Bundes gewartet. In dieser Zeit konnten die Asylbewerber ihre Kinder zur Schule schicken oder arbeiten.

Amtsintern heisst das Projekt für das Turboverfahren «Probe». «Probe» steht zwar für Probieren. Doch «Probe» ist beschlossene Sache. «Die Entscheide werden Auswirkungen auf die Arbeit von vielen unter Ihnen haben», schrieb BFF-Direktor Gerber unlängst der Belegschaft. Konkret wird das BFF-Personal in den Empfangsstellen in Basel, Kreuzlingen, Chiasso und Vallorbe bis in einem Jahr knapp verdoppelt. Rund 30 so genannte Asylentscheider müssen ihre Arbeitsplätze von Bern an die Schweizer Grenze verlegen.

Mit der Reorganisation, so BFF-Direktor Gerber, könne das Asylverfahren noch einmal merklich beschleunigt und «im Extremfall zusätzlich eine bessere Krisenfestigkeit» erreicht werden. Im Schnellverfahren abgewickelt werden sollen «eindeutige Fälle, bei denen weiter gehende Abklärungen nicht mehr nötig sind». Nach Schätzung von BFF-Vizedirektor Urs Betschart trifft das auf 15 bis 30 Prozent aller Gesuche zu. Bei den gegenwärtig niedrigen Asylzahlen würde so pro Monat 200- bis 500-mal an der Grenze entschieden. In Spitzenzeiten, wie während der Kosovo-Krise, stiege die Zahl der VorOrt-Entscheide leicht über 1000.

Mit der Einführung des beschleunigten Asylverfahrens erfüllt das BFF eine alte politische Forderung von bürgerlichen und rechtsbürgerlichen Kreisen. Zuletzt hatte vor einem Jahr der Appenzeller FDP-Ständerat Hans-Rudolf Merz per Motion eine «Straffung des Asylverfahrens» und die Befragung von Asylbewerbern in den Empfangsstellen verlangt.

Vom Schnellverfahren erfasst werden vor allem Personen, die aus sicheren, so genannten Safe Countries anreisen. Dazu gehören laut Bundesratsliste Albanien, Bulgarien, Gambia, Senegal, Ghana, Indien, Rumänien, Litauen und die Mongolei. Und damit das angestrebte Schnellverfahren auf Touren kommt, leistet die Berner Zentrale bei der Ausschaffung Unterstützung: «Probe» sieht auch eine speditivere Beschaffung von Herkunftsinformation und Ausweispapieren im Ausland vor.

Die Dachorganisation der Schweizer Flüchtlingsorganisationen, die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), wurde letzte Woche in den Grundzügen über das BFF-Vorhaben informiert. Dort ist man skeptisch. «Die Asylbewerber müssen in den Empfangsstellen ungehinderten Zugang zu einem Rechtsberater haben», fordert SFH-Sprecher Jürg Schertenleib. Darauf pochen die Hilfswerke, weil Entscheide in den Empfangsstellen nicht übersetzt werden. Mittellose Flüchtlinge haben nur 24 Stunden Zeit, um sich per Rekurs in einer Schweizer Landessprache zu wehren.

Streitpunkt zwischen Flüchtlingsorganisationen und Bundesbehörden ist zudem die Finanzierung des Rechtsschutzes. Anlaufstellen mit Juristinnen und Juristen haben die humanitären Organisationen in den letzten Jahren vor allem in den Kantonen aufgebaut. Durch die Verlagerung des Asylverfahrens an die Grenze wären neue Investitionen nötig. «Sie übersteigen unsere Möglichkeiten», sagt SFH-Sprecher Schertenleib.

Seit 1988 sind 309'000 Asylsuchende durch die Empfangsstellen für Asylsuchende geschleust worden. Die Massenunterkünfte, sie bestehen im Wesentlichen aus Schlaf- und Essräumen, sind eigentliche Registrierstellen: Identitätspapiere zu den Akten geben, fotografieren, Fingerabdrücke nehmen. Bei Jugendlichen unter 18 Jahren ohne Ausweise wird zudem - zwecks Eruierung des Alters - der Handwurzelknochen geröntgt.

Jetzt soll nach der erkennungsdienstlichen Behandlung bis zu einem Drittel der Asyl-suchenden zudem intensiv zu den Asylgründen befragt und innerhalb von Tagen mit dem Entscheid bedient werden. Ein Fortschritt auch für die Asylbewerber, meint BFF-Direktor Jean-Daniel Gerber. «Denn lange Wartezeiten vergrössern die Problematik einer Wegweisung markant.»


Flüchtlings-Organisationen

«Meist kurz und bündig abgeschmettert»

Die Asylpraktikerin Ursina Stgier befürchtet, dass das Schnellverfahren Grundrechte einschränkt und Kleinkriminalität fördert. Ursina Stgier koordiniert das Beratungs- und Betreuungsangebot des Ökumenischen Seelsorgedienstes für Asyl-suchende der Region Basel (OeSA) und berät Asyl-suchende der Empfangsstelle Basel in rechtlichen Fragen.

FACTS: Was stört Sie, dass der Bund in Zukunft Asylentscheide speditiv fällen will? Schnell zu arbeiten, heisst noch lange nicht, schlecht zu arbeiten.
Ursina Stgier: Gegen speditiv arbeitende Behörden ist auch im Asylverfahren nichts einzuwenden - solange durch die Schnellverfahren die völkerrechtlich und verfassungsmässig garantierten Rechte nicht beschnitten werden.

FACTS: Verletzt das geplante Schnellverfahren Grundrechte?
Stgier: Im Asylverfahren war bis jetzt ein absolutes Minimum an Rechtsschutz gewährleistet. Aber die Verfahrenspraxis bewegt sich schon länger im restriktiven Bereich. Das Schnellverfahren erschwert es den Asylsuchenden noch zusätzlich, ihre Rechte auch wahrnehmen zu können.

FACTS: Im Schnellverfahren sollen nur eindeutige, klare Asylanträge behandelt werden, etwa solche aus sicheren Ländern. Für komplizierte Sachverhalte will man sich auch weiterhin Zeit lassen.
Stgier: Der Entscheid über einen Asylantrag eines Safe-Country-Bürgers ist nicht per se problemlos. Nach dem Gesetz muss auch in solchen Fällen ein normales Verfahren stattfinden, wenn sich von Anfang an Hinweise auf Verfolgung ergeben. In der Praxis werden diese Anträge aber meist kurz und bündig abgeschmettert.

FACTS: Bei ungerechter Behandlung können Asylbewerber Rekurs einlegen.
Stgier: Theoretisch schon. Im Schnellverfahren liegt das Problem bei den Rekursfristen. Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich in einer chinesischen Provinzhauptstadt innerhalb weniger Stunden gegen eine behördliche Verfügung wehren und hätten keine Ahnung wie. So ist die Situation der meisten Asylsuchenden in den Empfangsstellen. Wer dort mit einem negativen Entscheid konfrontiert ist, hat nur erschwerten Zugang zu einer unabhängigen Rechtsberatungsstelle.

FACTS: Asylanträge werden unter Wahrung des Rechtsschutzes rasch erledigt. Steigert dies nicht die Akzeptanz in der Bevölkerung?
Stgier: Ich bezweifle, dass die rasch gefällten Entscheide auch rasch umgesetzt werden können. Denn beim Vollzug hatten die Behörden bis jetzt massive Probleme. Bis die Wegweisung vollzogen werden kann, bleiben auch Asylsuchende mit rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren in der Schweiz, zum Teil jahrelang. Ihre Aussichten auf Arbeit sind minimal. In dieser Situation können sich psychische Krankheiten entwickeln, einige können in die Kleinkriminalität abrutschen. Die Bilanz geht am Schluss für niemanden mehr auf.


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