Geht hervor, daß wir nicht schliefen Eh das Morgenrot verblich. Frühe auf den braunen Ästen Hockten grinsend in durchnäßten Hosen Heigei, Cass und ich. Orge im Zitronengrase Rümpfte seine bleiche Nase Als ein schwarzer Katholik. Hoffart kommt zu schlimmem Ende Sprach die Lippe, aber Bände Sprach der tiefbewegte Blick. Braunen Sherry in den Bäuchen Und im Arme noch das Säuchen Das uns nachts die Eier schliff. Zwischen Weiden tat ein jeder In den morgenroten Äther Einen ungeheuren Schiff. Ach, das ist zur gleichen Stunde Wo ihr alle roh und hunde- häutern den Kaffee ausschlürft Daß der Wind mit kühlem Wehen Ein paar weingefüllte Krähen In die kalten Häuser wirft.
Jetzt liege ich auf der Lauer nach dem Sommer, Jungens. Wir haben Rum eingekauft und auf die Gitarre neue Därme aufgezogen. Weiße Hemden müssen noch verdient werden. Unsere Glieder wachsen wie das Gras im Juni und Mitte August verschwinden die Jungfrauen. Die Wonne nimmt um diese Zeit überhand. Der Himmel füllt sich Tag für Tag mit sanftem Glanz und seine Nächte rauben einem den Schlaf.
Des Morgens nüchterner Abschied, eine Frau Kühl zwischen Tür und Angel, kühl besehn Da sah ich: eine Strähn in ihrem Haar war grau Ich konnt mich nicht entschließen mehr zu gehn Stumm nahm ich ihre Brust, und als sie fragte Warum ich, Nachtgast, nach Verlauf der Nacht Nicht gehen wolle, denn so war's gedacht Sah ich sie unumwunden an und sagte Ist's nur noch eine Nacht, will ich noch bleiben Doch nütze deine Zeit, das ist das Schlimme Daß du so zwischen Tür und Angel stehst Und laß uns die Gespräche rascher treiben Denn wir vergaßen ganz, daß du vergehst Und es verschlug Begierde mir die Stimme
Ich gestehe es: ich Habe keine Hoffnung. Die Blinden reden von einem Ausweg. Ich Sehe. Wenn die Irrtümer verbraucht sind Sitzt als letzter Gesellschafter Uns das Nichts gegenüber.
So wandelte sich alles Da wir aber endlich sind Bleibt vieles beim alten.
Oftmals wurde geehrt und ausgiebig Der Genosse Lenin. Büsten gibt es und Standbilder. Städte werden nach ihm benannt und Kinder. Reden werden gehalten in vielerlei Sprachen Versammlungen gibt es und Demonstrationen Von Shanghai bis Chicago, Lenin zu Ehren. So aber ehrten ihn die Teppichweber von Kujan-Bulak Kleiner Ort im südlichen Turkestan: Zwanzig Teppichweber stehn dort abends Fiebergeschüttelt auf von dem ärmlichen Webstuhl. Fieber geht um: die Bahnstation Ist erfüllt von dem Summen der Stechmücken dicker Wolke Die sich erhebt aus dem Sumpf hinter dem alten Kamelfriedhof. Aber die Eisenbahn, die Alle zwei Wochen Wasser und Rauch bringt, bringt Eines Tages die Nachricht auch Daß der Tag der Ehrung des Genossen Lenin bevorsteht, Und es beschließen die Leute von Kujan-Bulak Arme Leute, Teppichweber Daß dem Genossen Lenin auch in ihrer Ortschaft Aufgestellt werde die gipserne Büste. Als nun aber das Geld gesammelt wird für die Büste Stehen sie alle geschüttelt vom Fieber und zahlen Ihre mühsam erworbenen Kopeken mit fliegenden Händen. Und der Rotarmist Stepa Gamalew, der Sorgsam Zählende und genau Schauende Sieht die Bereitschaft, Lenin zu ehren, und freut sich Aber er sieht auch die unsicheren Hände. Und er macht plötzlich den Vorschlag Mit dem Geld für die Büste Petroleum zu kaufen und Es auf den Sumpf zu gießen hinter dem alten Kamelfriedhof Von dem her die Stechmücken kommen, welche Das Fieber erzeugen. So also das Fieber zu bekämpfen in Kujan-Bulak, und zwar Zu Ehren des gestorbenen, aber Nicht zu vergessenden Genossen Lenin. Sie beschlossen es. An dem Tage der Ehrung trugen sie Ihre zerbeulten Eimer, gefüllt mit dem schwarzen Petroleum Einer hinter dem anderen hinaus Und begossen den Sumpf damit. So nützten sie sich, indem sie Lenin ehrten und Ehrten ihn, indem sie sich nützten, und hatten ihn Also verstanden. Wir haben gehört, wie die Leute von Kujan-Bulak Lenin ehrten. Als nun am Abend Das Petroleum gekauft und ausgegossen über dem Sumpf war Stand ein Mann auf in der Versammlung, und der verlangte Daß eine Tafel angebracht würde an der Bahnstation Mit dem Bericht dieses Vorgangs, enthaltend Auch genau den geänderten Plan und den Eintausch der Leninbüste gegen die fiebervernichtende Tonne Petroleum. Und dies alles zu Ehren Lenins. Und sie machten auch das noch Und setzten die Tafel.
Der Einzelne hat zwei Augen Die Partei hat tausend Augen. Die Partei sieht sieben Staaten Der Einzelne sieht eine Stadt. Der Einzelne hat seine Stunde, Aber die Partei hat viele Stunden. Der Einzelne kann vernichtet werden, Aber die Partei kann nicht vernichtet werden. Denn sie ist der Vortrupp der Massen Und führt ihren Kampf Mit den Methoden der Klassiker, welche geschöpft sind Aus der Kenntnis der Wirklichkeit.
1 Es ist möglich, daß in unserem Land nicht alles so geht, wie es gehen sollte. Aber niemand kann bezweifeln, daß die Propaganda gut ist. Selbst Hungernde müssen zugeben Daß der Minister für Ernährung gut redet. 2 Als das Regime an einem einzigen Tage Tausend Menschen erschlagen ließ, ohne Untersuchung noch Gerichtsurteil (1) Pries der Propagandaminister die unendliche Geduld des Führers Der mit der Schlächterei so lange gewartet Und die Schurken mit Gütern und Ehrenstellen überhäuft hatte In einer so meisterlichen Rede, daß An diesem Tage nicht nur die Verwandten der Opfer Sondern auch die Schlächter selber weinten. 3 Und als an einem andern Tage das größte Luftschiff des Reiches In Flammen aufging, weil man es mit entzündbarem Gas gefüllt hatte (2) Um das nicht entzündbare für Kriegszwecke zu sparen Versprach der Luftfahrtminister vor den Särgen der Umgekommenen Daß er sich nicht werde entmutigen lassen, worauf Sich lauter Beifall erhob. Selbst aus den Särgen Soll Händeklatschen gekommen sein. 4 Und wie meisterhaft ist die Propaganda Für den Abfall und für das Buch des Führers! Jedermann wird dazu gebracht, das Buch des Führers aufzulesen Wo immer es herumliegt. Um das Lumpensammeln zu propagieren, hat der gewaltige Göring Sich als den größten Lumpensammler aller Zeiten erklärt und Um die Lumpen unterzubringen, mitten in der Reichshauptstadt Einen Palast gebaut Der selber so groß wie eine Stadt ist (3) 5 Ein guter Propagandist Macht aus einem Misthaufen einen Ausflugsort. Wenn kein Fett da ist, beweist er Daß eine schlanke Taille jeden Mann verschönt. Tausende, die ihn von den Autostraßen reden hören Freuen sich, als ob sie Autos hätten. Auf die Gräber der Verhungerten und Gefallenen Pflanzt er Lorbeerbüsche. Aber lange bevor es soweit war Sprach er vom Frieden, wenn die Kanonen vorbeirollten. 6 Nur durch vortreffliche Propaganda gelang es Millionen davon zu überzeugen Daß der Aufbau der Wehrmacht ein Werk des Friedens bedeutet Jeder neue Tank eine Friedenstaube ist Und jedes neue Regiment ein neuer Beweis Der Friedensliebe. 7 Allerdings: vermögen gute Reden auch viel So vermögen sie doch nicht alles. Manchen Hat man schon sagen hören: schade Daß das Wort Fleisch allein noch nicht sättigt, und schade Daß das Wort Anzug so wenig warm hält. Wenn der Planminister eine Lobrede auf das neue Edelgespinst hält Darf es nicht dabei regnen, sonst Stehen seine Zuhörer im Hemd da. 8 Und noch etwas macht ein wenig bedenklich Über den Zweck der Propaganda: je mehr es in unserem Land Propaganda gibt Desto weniger gibt es sonst. Fußnoten: (1) Am Tag nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933. (2) Das Luftschiff LZ 129 "Hindenburg" verbrannte am 6. Mai 1937 bei Lakehurst / USA. (3) Hermann Göring, ab 1933 Reichsminister der Luftfahrt, ließ das Reichsluftfahrtministerium bauen. Als Beauftragter für den Vierjahresplan (ab 1936) propagierte er die Verwertung von Abfällen, u.a. mit der Aktion "Kampf dem Verderb".
Fliege, fliege, kleiner Drache Steig mit Eifer in die Lüfte Schwing dich, kleine blaue Sache Über unsre Häusergrüfte! Wenn wir an der Schnur dich halten Wirst du in den Lüften bleiben Knecht der sieben Windsgewalten zwingst du sie, dich hochzutreiben. Wir selbst liegen dir zu Füßen! Fliege, fliege, kleiner Ahne Unsrer großen Aeroplane Blick dich um, sie zu begrüßen!
Der abgerissene Strick kann wieder geknotet werden Er hält wieder, aber Er ist zerrissen. Vielleicht begegnen wir uns wieder, aber da Wo du mich verlassen hast Triffst du mich nicht wieder.
Der, den ich liebe Hat mir gesagt Daß er mich braucht. Darum Gebe ich auf mich acht Sehe auf meinen Weg und Fürchte von jedem Regentropfen Daß er mich erschlagen könnte.
Nur eines möcht ich nicht: daß du mich fliehst. Ich will dich hören, selbst wenn du nur klagst. Denn wenn du taub wärst, braucht ich, was du sagst Und wenn du stumm wärst, braucht ich, was du siehst Und wenn du blind wärst, möcht ich dich doch sehn. Du bist mir beigesellt als meine Wacht: Der lange Weg ist noch nicht halb verbracht Bedenk das Dunkel, in dem wir noch stehn! So gilt kein "Laß mich, denn ich bin verwundet!" So gilt kein "Irgendwo" und nur ein "Hier" Der Dienst wird nicht gestrichen, nur gestundet. Du weißt es: wer gebraucht wird, ist nicht frei. Ich aber brauche dich, wie's immer sei Ich sage ich und könnt auch sagen wir.
Als er im Traum die Hütte betrat der verbannten Dichter, die neben der Hütte gelegen ist Wo die verbannten Lehrer wohnen (er hörte von dort Streit und Gelächter), kam ihm zum Eingang Ovid entgegen und sagte ihm halblaut: "Besser, du setzt dich noch nicht. Du bist noch nicht gestorben. Wer weiß da Ob du nicht doch zurückkehrst, ohne daß andres sich ändert Als du selber." Doch, Trost in den Augen Näherte Po Chü-yi sich und sagte lächelnd: "Die Strenge Hat sich jeder verdient, der nur einmal das Unrecht benannte." Und sein Freund Tu-fu sagte still: "Du verstehst, die Verbannung Ist nicht der Ort, wo der Hochmut verlernt wird." Aber irdischer Stellte sich der zerlumpte Villon zu ihnen und fragte: "Wie viele Türen hat das Haus, wo du wohnst?" Und es nahm ihn der Dante bei Seite Und ihn am Ärmel fassend, murmelte er: "Deine Verse Wimmeln von Fehlern, Freund bedenk doch Wer alles gegen dich ist!" Und Voltaire rief hinüber: "Gib auf den Sou acht, sie hungern dich aus sonst!" "Und misch Späße hinein!" schrie Heine. "Das hilft nicht" Schimpfte der Shakespeare, "als Jakob kam Durfte ich auch nicht mehr schreiben." - "Wenn's zum Prozeß kommt Nimm einen Schurken zum Anwalt!" riet der Euripides "Denn der kennt die Löcher im Netz des Gesetzes." Das Gelächter Dauerte noch, da, aus der dunkelsten Ecke Kam ein Ruf: "Du, wissen sie auch Deine Verse auswendig? Und die sie wissen Werden sie der Verfolgung entrinnen?" - "Das Sind die Vergessenen", sagte der Dante leise "Ihnen wurden nicht nur die Körper, auch die Werke vernichtet." Das Gelächter brach ab. Keiner wagte hinüberzublicken. Der Ankömmling War erblaßt.
Hier gibts noch weitere Gedichte von
Brecht !!
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