Gedichte von Bert Brecht

Zu Potsdam unter den Eichen

Zu Potsdam unter den Eichen
Im hellen Mittag ein Zug
Vorn eine Trommel und hinten eine Fahn
In der Mitte einen Sarg man trug.

Zu Potsdam unter den Eichen
In dem hundertjährigen Staub
Da trugen sechse einen Sarg
Mit Helm und Eichenlaub.

Und auf dem Sarg mit Minnigerot
Stand geschrieben ein Reim 
Die Buchstaben sahen häßlich aus:
"Jedem Krieger sein Heim!"

Das war zum Angedenken
An manchen toten Mann
Geboren in der Heimat
Gestorben am Chemin des Dames.

Gekrochen einst mit Herz und Hand
Dem Vaterland auf den Leim
Belohnt mit dem Sarge vom Vaterland:
Jedem Krieger sein Heim!

So zogen sie durch Potsdam
Für den Mann am Chemin des Dames
Da kam die grüne Polizei
Und haute sie zusamm.



Sonnenburg

1
Es steht zu Sonnenburg
Ein deutsches Lager
Insassen und Posten
Sind beide mager.

2
Die hungrig draußen gehn
Bewachen die drinnen
Daß die nicht aufstehn
Und dem Hunger entrinnen.

3
Sie zeigen auch Waffen her:
Ruten und Pistolen
Damit gehen sie in der Nacht
Hungernde holen.

4
Wenn sie den Führer sehn
Stehn sie wie Wände
Und strecken die Arme hoch
Und zeigen die Hände

5
Daß er sieht, wie sie Tag und Nacht
Hinter ihren Brüdern her sind
Ihre blutigen Hände aber
Immer noch leer sind.

6
Wären sie klüger, dann
Rissen sie aus den Ketten
Schleunigst den magern Mann
Und holten den fetten!

7
Dann hätte in Sonnenburg
Das Lager einen Nutzen
Wenn die Fetten den Magern
Die Stiefel putzen.



Was an Dir Berg war

Was an dir Berg war
Haben sie geschleift
Und dein Tal
Schüttete man zu
Über dich führt
Ein bequemer Weg.



Die Käuferin

Ich bin eine alte Frau.
Als Deutschland erwacht war
Wurden die Unterstützungen gekürzt. Meine Kinder
Gaben mir ab und zu einen Groschen. Ich konnte aber
Fast nichts mehr kaufen. Die erste Zeit
Ging ich also seltener in die Läden, wo ich früher täglich
                      gekauft hatte.
Aber eines Tages dachte ich nach, und dann
Ging ich doch wieder täglich zum Bäcker, zur
                       Grünkramhändlerin
Als alte Käuferin.
Sorgfältig wählte ich unter den Eßwaren
Griff nicht mehr heraus als früher, doch auch nicht
                        weniger
Legte die Brötchen zum Brot und den Lauch zum Kohl
                        und erst
Wenn zusammengerechnet wurde, seufzte ich
Wühlte mit meinen steifen Fingern in meinem 
                        Lederbeutelchen
Und gestand kopfschüttelnd, daß mein Geld nicht
                        ausreiche
Das Wenige zu bezahlen, und ich verließ
Kopfschüttelnd den Laden, von allen Kunden gesehen.
Ich sagte mir:
Wenn wir alle, die nichts haben
Nicht mehr erscheinen, wo das Essen ausliegt
Könnte man meinen, wir brauchten nichts
Aber wenn wir kommen und nichts kaufen können
Weiß man Bescheid.



Kinderhymne

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land. 

Daß die Vöker nicht erbleichen
Wie vor einer Räberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin. 

Und nicht über und nicht unter
Andern Vökern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein. 

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir's
Und das liebste mag's uns scheinen
So wie andern Ländern ihrs.



Lob der Vergeßlichkeit

Gut ist die Vergeßlichkeit! 
Wie sollte sonst 
Der Sohn von der Mutter gehen, die ihn gesäugt hat? 
Die ihm die Kraft seiner Lieder verlieh und 
Die ihn zurückhält, sie zu erproben.

Oder wie sollte der Schüler den Lehrer verlassen 
Der ihm Wissen verlieh? 
Wenn das Wissen verliehen ist 
Muß der Schüler sich auf den Weg machen. 

In das alte Haus 
Ziehen die neuen Bewohner ein. 
Wenn die es gebaut haben noch da wären 
Wäre das Haus zu klein. 

Der Ofen heizt. Den Hafner 
Kennt man nicht mehr. Der Pflüger 
erkennt den Laib Brot nicht. 

Wie erhöbe sich ohne das Vergessen der
Spurenverwischenden Nacht der Mensch am Morgen? 
Wie sollte der sechsmal zu Boden geschlagene
Zum siebenten Mal aufstehen
Umzupflügen den steinigen Boden, anzufliegen
Den gefährlichen Himmel? 
Die Schwäche des Gedächtnisses verleiht
Den Menschen Stärke. 



Über das Lehren ohne Schüler

Lehren ohne Schüler 
Schreiben ohne Ruhm 
Ist schwer. 

Es ist schön, am Morgen wegzugehen 
Mit den frisch beschriebenen Blättern 
Zu dem wartenden Drucker, über den summenden Markt 
Wo sie Fleisch verkaufen und Handwerkszeug: 
Du verkaufst Sätze. 

Der Fahrer ist schnell gefahren 
Er hat nicht gefrühstückt 
Jede Kurve war ein Risiko 
Er tritt eilig in die Tür: 
Der den er abholen wollte 
Ist schon aufgebrochen. 

Dort spricht der, dem niemand zuhört: 
Er spricht laut 
Er wiederholt sich 
Er sagt Falsches 
Er wird nicht verbessert. 



Viele sehen es so

Viele sehen es so, als drängten wir uns 
Zu den abgelegensten Verrichtungen 
Bemühten uns um seltene Aufträge 
Unsere Kräfte zu erproben oder unter Beweis 
zu stellen- 
Aber in Wirklichkeit sieht besser,wer 
Uns einfach das Unvermeidliche tun sieht: 
Möglichst gerade zu gehen, die Hindernisse des 
Tages 
Zu überwinden, die Gedanken zu vermeiden, 
die 
Schlimme Folgen gehabt haben, die günstigen 
Ausfindig zu machen, eben: 
Den Weg des Tropfens zu bahnen im Fluß, der 
sich 
Durch das Geröll den Weg bahnt.



Fragen eines lesenden Arbeiters

Wer baute das siebentorige theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen. 
Haben die König die Felsbrocken herbeigeschlappt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon-
Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute? 
Wohin gingen an dem Abend, an dem die chinesische 
Mauer fertig war
Die Maurer? Das große Rom
Ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie? über 
wen
Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene 
Byzanz
Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem 
sagenhaften Atlantis
Brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang
Die ersaufenden nach ihren Sklaven. 

Der junge Alexander eroberte Indien. 
Er allein? 
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er wenigstens einen Koch bein sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte
Untergegangen war. Weinte sonst niemand? 
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. 
Wer
Siegte außer ihm? 

Jede Seite ein Sieg.
Wer kochte den Siegesschmaus?

Alle zehn Jahre ein großer Mann. 
Wer bezahlte die Spesen? 

So viele Berichte. 
So viele Fragen. 



Erinnerung an die Marie A.

1 
An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen golden Traum. 
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr wieß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.

2 
Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei. 
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst Du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du 
meinst. 
Doch ihr Gesicht, das weiss ich wirklich 
nimmer
Ich weiß nur mehr: ich küßte es dereinst.

3 
Und auch der Kuß, ich hätt ihn längst 
vergessen
Wenn nicht die Wolke dagewesen wär
Die weiß ich noch und wird ich immer 
wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her. 
Die Pflaumenbäme blühn vielleicht noch 
immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte 
Kind
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im 
Wind. 



Der Radwechsel

 
Ich sitze am Straßenrand
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
Mit Ungeduld?



O Lust des Beginnens

O Lust des Beginnens! O Früher Morgen!
Erstes Gras, wenn vergessen scheint 
Was grün ist! O erste Seite des Buchs
Des erwarteten, sehr überraschende! Lies

Langsam, allzuschnell
Wird der ungelesene Teil dir dünn! Und der erste Wasserguß
In das verschweißte Gesicht! Das frische
Kühle Hemd! O Beginn der Arbeit! Öl zu füllen

In die kalte Maschine! Ertster Handgriff und erstes Summen
Des anspringenden Motors! Und erster Zug
Rauchs, der die Lunge füllt! Und du 
Neuer Gedanke! 



Vergnügungen

Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen
Das wiedergefundene alte Buch
Begeisterte Gesichter
Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten
Die Zeitung
Der Hund
Die Dialektik
Duschen, Schwimmen
Alte Musik
Bequeme Schule
Begreifen
Neue Musik
Schreiben, pflanzen
reisen, singen
Freundlich sein 



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