Xokonoschtletl kämpft um Montezumas Krone

Würdezeichen der Azteken in Wien -
Indianer wollen ihre Geschichte selbst schreiben

Von Frank Peter Unterreiner

(FAZ 27.10.1994)

Xokonoschtletl hat sein Schicksal mit dem der Federkrone Montezumas verbunden. Im Jahr 1519 besiegte der Spanier Hernán Cortés den Aztekenherrscher und raubte die Krone. Der Aztekenhäuptling Xokonoschtletl hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Symbol seines Volkes für Macht, Weisheit, Wissen und Fruchtbarkeit zurückzubringen.

Seit 1524 wird die auf einen Wert von fünfzig Millionen Dollar geschätzte Federkrone in Wien aufbewahrt. Die Österreicher denken nicht daran, sie den Indianern auszuhändigen. ,,Wenn die Federkrone zurückkehrt, wird es eine Wiedergeburt für unser Volk geben", hofft Xokonoschtletl und will weiterhin für die Rückgabe kämpfen - obwohl er deswegen schon in Wien im Getängnis saß. Vom Ältestenrat seines Volkes wurde der Indianer ausgewählt, das Herrscherzeichen nach Mexiko zurückzuholen. Der heute 42 Jahre alte Mann bereitete sich vierzehn Jahre lang auf diese Aufgabe vor. In Mexiko-Stadt lernte er die deutsche, englische, französische, italienische und portugiesische Sprache, Spanisch beherrschte er schon. Er beschäftigte sich mit den christlichen Religionen, den Rechtsordnungen, der Geschichte und Kultur Europas. Seit acht Jahren verbringt er etwa neun Monate im Jahr in Europa.

Mit Tänzern, Frauen und Kindern zieht Xokonoschtletl durch die Lande. Sie führen auf öffentlichen Plätzen und in Fußgängerzonen ihre Stammestänze im traditionellen Federschmuck auf, diskutieren mit den Passanten, verkaufen selbstgefertigte Lederwaren, von Xokonoschtletl verfaßte Bücher über die Lebensphilosophie der Azteken und werben für ihr Anliegen. Von den Erlösen und Spenden leben sie - oftmals kärglich genug, wie der Azteke versichert.

Im Winterhalbjahr hat Xokonoschtletl etwa fünfzehn Gefolgsleute bei sich. Im Sommer können es bis zu 120 sein. Sie kommen dann in Schulen unter, zelten in Tipis, wohnen in Grüppchen aufgeteilt bei Privatpersonen. Xokonoschtletl ist mit Organisieren beschäftigt. Wo als nächstes auftreten? Wie einen Arzt für ein erkranktes Mitglied seiner Gruppe besorgen? Woher das Geld für die nächste Zugfahrt nehmen? Erst im vergangenen Jahr sind ihnen zwei klapprige Busse kaputtgegangen. In Mexiko, so erzählt der Azteke, habe er bei Banken 80000 Dollar Schulden wegen seiner Mission.

Xokonoschtletl bat unter anderem den Papst um Unterstützung für sein Vorhaben, das britische, niederländische und dänische Königshaus sowie den Kanzler von Liechtenstein. Er sprach vor den Vereinten Nationen in Wien, in der Humboldt-Universität Berlin, in Volkshochschulen, Vereinen, Schulen und vor zahllosen Passanten.

,,Einen Krieg aus Papier" will er führen. Möglichst viele Menschen sollen nach Wien schreiben, die Federkrone für die Azteken zurückfordern. Dazu hat Xokonoschtletl einen Verein namens Yankuikanahuak gegründet, einen Kulturverein für Völkerverständigung. Hier engagieren sich auch Deutsche und Österreicher, wollen die Indianer bei ihrer Aufgabe unterstützen.

Kopilli Quetzalli, zu deutsch: wunderschöne Federkrone, ist der Name der Krone Montezumas. Sie war ursprünglich auf einem massiv goldenen Helm in Form eines Adlerkopfes montiert. Die Krone ist etwa acht Kilogramm schwer, besteht vorwiegend aus Gold und 400 Federn vom für die Azteken heiligen Vogel Quetzalli. Die Federn schimmern dunkelgrün, sie dürfen nur von Häuptlingen und Weisen getragen werden.

Die Spanier belagerten die aztekische Hauptstadt Tenochtitlán 93 Tage. Am 14. November 1519 eroberten sie die Stadt und zerstörten sie. Cortés nahm Moctezuma II. Xocoyotzin - besser bekannt als Montezma -, den neunten und letzten Aztekenherrscher, gefangen und raubte die Krone. Der spanische Eroberer verehrte die Beute dem Habsburger Karl V., der auch König von Spanien war. Karl V. ließ sie nach Wien bringen. Dort ist sie heute noch im Museum für Völkerkunde zu besichtigen. Xokonoschtletl hat die Krone dort schon oft gesehen. Mit mehreren österreichischen Kultusministern und Kurt Waldheim habe er schon über deren Rückkehr verhandelt. Bis jetzt mit negativem Bescheid. Die österreichische Regierung, so sagt der Azteke, wolle die Krone gar nicht herausgeben. Die Indianer, so habe ihm ein österreichischer Politiker erklärt, seien Wilde, die mit der Krone nichts anfangen könnten. Als Vorwand verlange die Regierung der Alpenrepublik jedoch, daß die mexikanische Regierung offiziell um die Rückgabe bitte. Doch diese mache dazu keine Anstalten. Die Regierung Mexikos, klagt Xokonoschtletl, denke europäisch, wolle die Kultur der Indianer nicht bewahren. Die Mexikaner müßten in den Schulen die europäische Geschichte lernen. Die Indianer könnten ihre Kinder nicht nach ihren Sitten und Gebräuchen unterrichten. Nur von Mund zu Mund, von Generation zu Generation gäben sie die Geschichte ihres Volkes seit fast fünfhundert Jahren weiter.

Xokonoschtletl und seine Gruppe haben ganz Europa bereist, auch in Rußland waren sie schon. Sie bleiben in einem Land höchstens so lange, wie ihre Aufenthaltsgenehmigung gilt. Dabei, klagt Xokonoschtletl, müßten sie oft vielfältige Schikanen der Behörden auf sich nehmen. ,,Der Indianer", so seine Erfahrung, ,,ist immer der schlechte Mensch." Selbst wenn sie ein Hotelzimmer buchen wollten, werde das oft genug mit dem ausgesprochenen Verdacht verweigert, daß sie ihr Geld wohl doch gestohlen hätten. Die Teilnehmer der Indianergruppe wechseln ständig, bisher war der jüngste zwei Jahre alt, der älteste 94. Nur Xokonoschtletl ist von Anfang an dabei. Seine Leute, klagt der Indianer, hätten große Schwierigkeiten mit der europäischen Kultur, dem Verhalten der Menschen hier. Der Häuptling wirft den Europäern Egoismus, soziale Kälte, mangelndes Gemeinschaftsgefühl und Ausbeutung der Natur vor. Schon mehrfach, erzählt er, habe er Stammesmitglieder vorzeitig heimschicken müssen, weil sie es hier nicht ausgehalten hätten, nahezu verrückt geworden seien. ,,Ich habe sehr viel Heimweh", fügt der Azteke hinzu.

Die Federkrone in seine Heimat zurückzubringen, das ist die Lebensaufgabe Xokonoschtletls. Er sei sicher, sagt er, daß ihm das gelingen werde, die Zeit dafür sei gekommen. Wortwörtlich übersetzt hieße Xokonoschtletl ,,Säuerliche und feurige Kakteenfeige". Philosophisch würde das bedeuten: ,,Der, der sehr tiefe Wurzeln hat und so unter schwierigsten Bedingungen leben kann." Die Rückkehr der Krone Montezumas, so der Azteke, würde die Indianer neugierig auf ihre Geschichte machen, sie vereinen, zu neuem Selbstbewußtsein führen. Viele Mexikaner, bedauert er, schämten sich, Indianer zu sein, wären lieber Europäer. Deswegen brauchten die Indianer ein Symbol, das sie wieder zusammenführt. ,,Wenn die Indianer Kraft haben, werden sie sich nichts mehr gefallen lassen", sagt Xokonoschtletl. Die mexikanische Regierung habe keine Ahnung von der Hoffnung, welche die Indianer auf die Rückkehr der Krone setzten, von der Veränderung, die sie mit ihr vollbringen wollten: ,,Unsere Geschichte muß wieder von uns geschrieben werden." (FAZ 27.10.1994)