Das Projekt "Galileo" - multimediales Experimentieren

im Physikunterricht 

Rolf Winter / Peter Krahmer

Universität Potsdam / Celtis-Gymnasium Schweinfurt

 

Im Physikunterricht hat die Nutzung des Computers bereits eine langjährige Tradition. Der Einsatz des Computers als Werkzeug zur Meßwerterfassung und -auswertung ist inzwischen weit verbreitet (Interfaces einschließlich Software), und das Angebot an Softwareprodukten zur Simulation von physikalischen Prozessen nimmt ständig zu. Vor allem mit der Nutzung von CD-ROMs ergeben sich dabei viele Möglichkeiten der Darstellung physikalisch bedeutsamer Sachverhalte. Auf der Hardwareseite stehen leistungsstarke Computer mit hoher Rechenleistung und großer Speicherkapazität zur Verfügung, so daß insbesondere die Wiedergabe, Bearbeitung und Auswertung von Videos möglich wird. Für die Herstellung solcher Softwarevideos ist eine Video-Digitalisierungskarte als Hardwareerweiterung des Rechners nötig. Erst damit kann unseres Erachtens von einem multimediafähigen Computer gesprochen werden.

Was kann man nun mit einem Multimedia-Computer im Physikunterricht anfangen, um Physiklernen effektiver, interessanter und lebensnäher anzulegen und Lernschwierigkeiten der Schüler abzubauen? Der Frage wurde in mehreren Richtungen nachgegangen, wobei sich bis jetzt folgende Schwerpunkte abgezeichnet haben (s. Bild 1):

Kernidee der Videoanalyse - von uns als multimediales Experimentieren bezeichnet - ist das Ausmessen von als Videoaufnahmen vorliegenden Bewegungsvorgängen aus der Alltagswelt der Schülerinnen und Schüler mit dem Computer. Die als Ergebnis der Digitalisierung entstandenen Softwarevideos können wie mit einer Fernbedienung gesteuert werden (z.B. Einzelbildfortschaltung). Per Mausklick werden nach Festlegung eines festen oder mitbewegten Koordinatenursprungs und eines Eichmaßstabes in jedem Einzelbild die Koordinaten eines markanten Punktes bestimmt und in eine Tabelle im Hintergrund eingetragen. Diese Daten können dann mit einer Tabellenkalkulation weiter ausgewertet werden. Die Videoanalyse ist gewissermaßen eine moderne Nachfolgerin der stroboskopisch beleuchteten Fotografie von Bewegungsvorgängen. Die Genauigkeit des Verfahrens wird durch zwei Faktoren eingeschränkt:

  1. Durch die Kameraperspektive treten Parallaxeverschiebungen auf, die Längenverzerrungen in den ermittelten Ortskoordinaten bewirken.
  2. Das zeitliche Auflösungsvermögen ist durch das PAL-Verfahren auf 1/25 s eingeschränkt (mit Lichtschranken erreicht man bis zu 1/1000 s).

Aber das erscheint unseres Erachtens auch nicht so wichtig. Multimedia-Physik bedeutet nicht das ganz exakte Erfassen von Bewegungsvorgängen und diversen Konstanten, sondern sie soll helfen, durch die Möglichkeiten zur selbständigen Bearbeitung physikalischer Probleme und durch die Entwicklung von Modellbildern die Schwierigkeiten bei der Behandlung lebensverbundener Themen im Physikunterricht abzubauen.

An die Stelle des Laborexperiments tritt also die Videoaufnahme. Das mag als Verlust an unmittelbarer Erfahrung erscheinen. Doch ist nicht eine Videoszene, in der ein Zug, ein Fahrrad oder ein Motorrad anfährt, viel lebensnäher als ein Fahrbahnexperiment mit Geräten der Lehrmittelindustrie auf dem Experimentiertisch des Physikraumes? Zum anderen stellt das multimediale Experimentieren in vielen Fällen die einzige Möglichkeit dar, Ortskoordinaten zu erheben (z.B. Wurf eines Balles, Sprung eines Pferdes über ein Hindernis), und damit den Schülern einen physikalischen Zugang zu Alltagsphänomen zu ermöglichen.

Das Projekt Galileo

Ausgehend von diesen Erkenntnissen wurde vom Celtis-Gymnasium in Schweinfurt/Franken (OStR Peter Krahmer) und dem Bereich Didaktik der Physik der Universität Potsdam (Dr. Rolf Winter) ein gemeinsames Projekt in Angriff genommen, dessen Ziel darin bestand, eine Hypermedia-Lernumgebung zu entwickeln, mit der jeder physikalisch interessante Videoclip grafisch ausgewertet werden kann, und die gegenüber den aus den USA bzw. Frankreich kommenden Entwicklungen (CUPLE, Videopoint, 2-D Video QT bzw. IMAWIN) folgende Vorzüge haben sollte:

Außerdem sollte eine Sammlung von didaktisch interessanten und lehrplanrelevanten Videoclips Bestandteil des Projekts sein. Die Ergebnisse werden im folgenden vorgestellt.

 

Die Lernumgebung "Galileo" besteht aus den Modulen Videoauswertung, Modellbildung, Simulation und Tabellenkalkulation, die miteinander vernetzt sind (Bild 2). Für das Arbeiten mit Galileo im Unterricht wird folgende Vorgehen empfohlen:

  1. Lehrer und Schüler suchen gemeinsam ein geeignetes Bewegungsphänomen aus. Gesichtspunkte bei der Auswahl sollten vor allem der physikalische Gehalt und eine taugliche Kameraperspektive sein (wenig perspektivische Verzerrungen).

 

Videoanalyse

 

Modellbildung

 

Tabellenkalkulation

(Ergebnisvergleich)

 

Simulation

 

Laborexperiment

Bild 2 Hypermedia-Lernumgebung Galileo

 

  1. Herstellen eines Videoclips dieses Phänomens. Gut geeignet sind Mitschnitte aus dem Fernsehen (Sportsendungen) und Videoaufnahmen, die die Schüler selbst angefertigt haben (Projektarbeit). Im Programmpaket Galileo werden auch einige von den Autoren hergestellte Clips angeboten.
  2. Umwandlung des analogen Videoclips in ein digitales Softwarevideo im Format Video for Windows (*.AVI - Datei). Technisch wird das mit einer Videokarte und entsprechender Software gelöst (siehe Beitrag "Technische Probleme beim unterrichtspraktischen Einsatz von Multimedia im Physikunterricht"). Diese Aufgabe sollte der Lehrer in der Unterrichtsvorbereitung tätigen.
  3. Im Unterricht wird zuerst die Zeit- und Längeneichung (Kalibrierung) vorgenommen. Das ist nötig, um später quantitative Auswertungen durchführen zu können. Außerdem muß der Koordinatenursprung festgelegt werden.
  4. Mit der Computermaus als Meßinstrument wird dann die Position des bewegten Objekts auf den einzelnen Bildern ausgemessen. In dieser Phase sind die Schüler tätig. Der Lehrer gibt das Abtastsystem (x-y, x-t oder y-t) vor und die Schüler erarbeiten eine Messwerttabelle. Auf die Koordinaten x und y und die Zeit als dritte Koordinate ist im allgemeinen besonders zu achten. Bei Wurfparabeln z.B. ergeben sowohl die x-y-Ortskurve als auch das y-t-Diagramm jeweils eine Parabel.
  5. Die Messwerttabelle wird grafisch dargestellt und mit diversen Modellansätzen verglichen. Die wenigen Modelle, die im Physikunterricht in Form geschlossener Lösungen relevant sind, können im Programm aufgerufen werden. Es sind dies ein x-y-Modell (zeitfreies Modell, z.B. für Wurfparabeln), ein x-t - bzw. y-t-Modell jeweils in quadratischer Abhängigkeit von der Zeit (z.B. für Fall, Beschleunigung, Wurf und viele weitere Themen der Schulphysik) sowie ein x-t - bzw. y-t - Modell in sinusförmiger Abhängigkeit von der Zeit (z.B. für Schwingungen, Drehbewegungen usw.). Die Schüler drehen an den "Parameterschrauben", die im Programm durch Schieberegler realisiert werden, und finden die optimalen Parameter, z.B. den Wert für die Fallbeschleunigung (Fitten).
  6. An einem zweiten Ansatz, nämlich dem Vergleich der Messergebnisse mit einer durch Kraftgesetz und iterativer Simulation generierten grafischen Darstellung, wird zur Zeit gearbeitet. Die endgültige Version von Galileo wird dies beinhalten, um z.B. Reibungsvorgänge im Modellbild beschreiben zu können. Man kann aber auch externe Modellbildungsprogramme (z.B. MODUS, STELLA) einsetzen.
  7. In bestimmten Fällen erweist es sich als günstig, zusätzlich zur Videoanalyse auch noch ein Real-(Labor-)Experiment durchzuführen. Zum Vergleich der Ergebnisse werden die ermittelten Daten in ein Tabellenkalkulationsprogramm exportiert, z.B. EXCEL. Allerdings funktioniert das nur dann, wenn die Schüler gewisse Vorkenntnisse im Umgang mit EXCEL besitzen. Ist das nicht der Fall, kann die Physikstunde auch mal zum Trainingsfeld für die IT-Bildung (informationstechnische Bildung) werden. Dies ist in den Rahmenlehrplänen der meisten Bundesländer ja auch so vorgesehen. Die Erfahrungen lassen sich in einer häufigen Schülerreaktion zusammenfassen: "Warum haben Sie uns den Umgang mit EXCEL nicht schon früher gezeigt, das ist ja toll!"
  8. Hausaufgaben und Tabellenmitschrift ins Heft sind aus methodischer Sicht nach wie vor dringend anzuraten. Die Schüler betrachten sonst Filmvorführungen, Videostunden und so manche Computerstunde sehr analog: "Da läuft etwas, das der Lehrer später nicht abprüft".

An Hand des Videoclips "Fall", , der in Form einer AVI-Datei im Programmpaket enthalten ist und den Wurf eines Computers aus dem zweiten Stock eines Hauses darstellt, soll das Vorgehen noch einmal detailliert beschrieben werden:

Die AVI-Datei wird geladen. Es wird der Meßanfang (erstes auszuwertendes Frame des Clips) und das Meßende (letztes Frame) mit Hilfe der Schieberegler festgelegt und diese Auswahl dann fixiert. Es ist günstig, die kleine Sequenz ein paarmal ablaufen zu lassen, damit die Schüler Vertrauen in die Anordnung gewinnen. Der Eichschritt ist ebenso einfach, da die Höhe des Fensters in den Clip eingeblendet ist. Ein Mausklick am Anfang, ein Mausklick am Ende, und das Meßinstrument Maus ist geeicht. Eventuell kann man in der Oberstufe auf einfache lineare Transformation eingehen. Der Schüler tastet nun einfach das Bild ab (ohne eine Maustaste zu drücken) und durcheilt den aus der Realität abgebildeten Bereich. Er lernt dabei oben, unten, links und rechts den x-y - Messwertpaaren zuzuordnen. Je jünger die Schüler sind, um so wichtiger erscheint gerade diese vertrauensbildende Maßnahme. Nun wird die linke untere Ecke des Computers als Hot-Spot ausgewählt, und der Meßwert mit einem Maustastendruck in Grafik und Tabelle übertragen. Automatisch rückt der Zeiger der Tabelle um eine Zeile weiter, der zweite Meßwert folgt. Die 10 bis 20 Meßwerte sind schnell ermittelt. Jetzt wird das quadratische Modell mit x(t) und y(t) ausgesucht, wobei man natürlich im Unterricht die Formeln schon besprochen haben sollte. Als letzter Schritt erfolgt nun der Vergleich von Modellbild aus diesen Formeln und den Meßwerten. Die Schüler legen durch Drehen an den Parameterschrauben (Schiebereglern) Ausgangshöhe, Startgeschwindigkeit und Fallbeschleunigung fest, und bereits während des Drehens ändert sich der Modellgraf im Grafikfenster. Der Schüler erlebt so aktiv die Bedeutung der Parameter in den sonst so trockenen Formeln. Bei optimaler Deckung wird der Wert für die Fallbeschleunigung abgelesen. Die Videoanalyse liefert mit g = (9,8 ± 0,5)m/s2 einen erstaunlich guten Wert. Dies entspricht einem relativen Fehler von 5% und liegt somit trotz der o.a. prinzipiellen Mängel des Verfahrens innerhalb der typischen Genauigkeit in der Schulphysik.

Das Sinus-Modell wird klassisch bei Uhrzeigerbewegungen und Schwingungen in ein oder zwei Dimensionen eingesetzt und liefert sehr gute Werte für Periode und Frequenz.

Aber auch etwas "fremdere" Bewegungsvorgänge können untersucht werden. Quakt ein Frosch nun sinusförmig oder nicht? Nur bei kleinen Amplituden sind fast alle periodischen Bewegungen sinusförmig.

Multimedia im Physikunterricht

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