Euro
Eine Operation wie die Einführung des Euro-Bargeldes hat Europa in Friedenszeiten noch nicht erlebt. Der Verteilungsprozess begann am 1. September - zunächst hinter den Kulissen.
Den Niederländischen Eisenbahnen (NS) drohte am 1. Januar 2002 Schlimmes: Vor jedem Billettschalter im Amsterdamer Hauptbahnhof würden sich schon gegen 9 Uhr rund 100 Leute stauen, war einer im Auftrag der Bahn erstellten Studie zu entnehmen. Falls keine Vorkehrungen getroffen worden wären, wäre die Zahl der Wartenden von Stunde zu Stunde gestiegen, und bis zum Abend hätten sich Schlangen mit über 1000 Menschen gebildet. Auslöser des Bahnhofkollapses, wenn es denn so weit gekommen wäre, wäre die Einführung der Euro-Banknoten und -Münzen am kommenden Neujahrstag gewesen. Weil die Menschen am sogenannten E-Day erstmals mit dem neuen und unvertrauten Geld umgehen müssten, hätten alle Bartransaktionen viel mehr Zeit in Anspruch genommen, warnte die Studie.
Das Amsterdamer Schreckensszenario
oder gar die Aussicht, dass sich am E-Day in allen zwölf
Euroländern lange Warteschlangen vor den Banken bilden würden
wie bei der deutschen Währungsreform vor über 50 Jahren,
mochte die Europäische Kommission nicht aus der Reserve locken.
Ihr Sprecher für den Bereich Währungsfragen entwarf
vielmehr das Bild eines völlig unspektakulären Jahreswechsels:
Der Grossteil der Menschen würde in den ersten Wochen des
neuen Jahres bei seinen Einkäufen einfach die vorhandenen
D-Mark- und Franc-Scheine ausgeben. Wenn die dann aufgebraucht
wären, gäbe es an den Geldautomaten nur noch Euro-Noten.
Geld verteilen und einsammeln
Wie immer die "Inverkehrgabe" des Euro-Bargeldes - so das korrekte Amtsdeutsch - über die Bühne gehen würde: Für Europa stellte sie die grösste logistische Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg dar. Es galt, ein neues Zahlungsmittel für über 300 Millionen Menschen in Umlauf zu bringen - und das bisherige Geld einzusammeln und zu vernichten. Bis in sechs Monaten mussten die rund 14,25 Milliarden Banknoten gedruckt und die etwa 50 Milliarden Münzen geprägt sein; begonnen wurde damit schon im Juli 1999. Sodann musste die kostbare Fracht - sie verkörperte einen Wert von knapp 660 Milliarden Euro (rund 1000 Milliarden Franken)- von den 15 Druckereien und 15 Prägeanstalten in ganz Europa erst zu den nationalen Notenbanken und ihren regionalen Ablegern und anschliessend zu den Geschäftsbanken befördert werden. Von dort gelangen die druckfrischen und fein polierten Euros zu Hunderten von Einzelhändlern und in Tausende von Geld-, Verpflegungs- und Billettautomaten.
Militär zur Transportsicherung
Die dafür erforderlichen
Anstrengungen - allein die Münzen hatten ein Gewicht von
240 000 Tonnen, genug um 10 000 Schwerlaster zu beladen - schlugen
sich sogar in der wirtschaftlichen Gesamtrechnung nieder. Der
Bankenverband der Europäischen Union hatte vorgerechnet,
dass das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone zwischen dem dritten
Quartal 2001 und dem ersten Quartal 2002 um bis zu 1 Prozentpunkt
zusätzlich angekurbelt würde. Dementsprechend waren
auch die Kosten für die Währungsumstellung anzusetzen.
Vor allem die verstärkte Nachfrage nach Ressourcen für
Transport, Logistik und Sicherheit, aber auch die Investitionen
in neue Geldautomaten fielen ins Gewicht. Der beispiellose Aufwand
wurde ferner daraus ersichtlich, dass Länder wie Frankreich
und Spanien ihr Militär für Transport- und Überwachungsaufgaben
aufbieten wollten. Deutschland hat davon abgesehen; einzig für
die Zwischenlagerung des neuen Geldes griff man auf die militärische
Infrastruktur, wie Bundeswehr-Kasernen und geheime Bunkeranlagen,
zurück.Dass die Brüsseler Bürokraten ein derart
komplexes und strapaziöses Unterfangen wie die Einführung
des Euro-Geldes auf den 1. Januar gelegt hatten, war für
viele Fachleute unverständlich. Aus ihrer Warte hätte
man kaum einen schlechteren Termin wählen können, wäre
doch der Bedarf der Konsumenten nach Bargeld über die Weihnachts-
und Neujahrstage ohnedies schon am grössten. Am meisten betroffen
- und verärgert waren die spanischen Einzelhändler:
Die Iberer beschenken sich nicht an Weihnachten, sondern am Dreikönigstag.
Man mochte sich gar nicht ausmalen, was in den ersten Januartagen
in spanischen Einkaufszentren abginge, wenn die Menschenmassen
plötzlich neues Geld in ihren Taschen hätten und sie
die in Euro ausgeschilderten Preise mit einem Wechselkurs von
166,386 in ihre vertrauten Peseten "zurückrechnen"
müssten.
Nur zwei Monate Übergangszeit
Ein Teil des immensen logistischen
Aufwandes rührte auch von dem engen zeitlichen Rahmen her.
Die Übergangsfrist, während der parallel mit Euro-Scheinen
und mit nationalem Geld bezahlt werden konnte, dauerte gerade
mal zwei Monate. Spätestens ab 1. März 2002 wäre
nur noch der Euro alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel in den
betreffenden zwölf EU-Staaten. Die Europäische Zentralbank
erwartete, dass Ende der zweiten Januarwoche bereits die Mehrzahl
der Bartransaktionen in Euro abgewickelt wären. Die aus dem
Verkehr gezogenen Banknoten erhielten etwa im Fall der D-Mark
eine Feuerbestattung in Müllverbrennungsanlagen, während
schätzungsweise rund 28 Milliarden D-Mark- und Pfennig-Münzen
mit einem Gesamtgewicht von knapp 100 000 Tonnen eingeschmolzen
wurden. Bis allein das gesamte deutsche Geld entsorgt wäre,
würde es etwa zwei Jahre dauern. Damit die Einführung
des Euro-Geldes mit dem ambitiösen Zeitplan Schritt halten
konnte und nicht im Chaos endete, durften sich die Geschäftsbanken
in der Euro-Zone schon ab dem 1. September dieses Jahres mit den
neuen Scheinen und Münzen eindecken. Gleichzeitig konnten
die Banken ihre interessierten Geschäftskunden, namentlich
den Einzelhandel, die Automatenindustrie und den öffentlichen
Verkehr, mit Euro-Geld vorab ausstatten. Das Publikum musste sich
hingegen bis zwei Wochen vor dem E-Day gedulden, bis es das neue
Geld "zum Anfassen" bekam. Dann standen in den Bankfilialen
der Euroländer so genannte Starter-Kits mit einer Auswahl
von Euro-Münzen bereit - die neuen Noten gelangen erst am
1. Januar in Umlauf. Allein in Deutschland konnten 53,5 Millionen
Kits ab dem 17. Dezember zum Preis von 20 D-Mark bezogen werden;
die Sammlung enthielt 20 Geldstücke von 1 Cent bis 2 Euro
im Wert von 10.23 Euro. Der Kauf lohnte sich also, mussten doch
für diesen Betrag 20,008 D-Mark bezahlt werden.
Schnell wechseln!
Zürich. - Wer zu Hause in
Sparschweinen und Konfigläsern noch Geld aus den letzten
Ferien an der Adria oder in Tirol hortete, sollte dies so schnell
wie möglich loswerden. In Schweizer Banken konnte es nur
bis Ende Februar 2002 umgetauscht werden, im Ausland etwas länger
Am billigsten war der Konsum vor Ort, denn in der Schweiz verrechneten
die Banken die Umtauschkosten doppelt: Da etwa von der Lira zuerst
in Franken und erst dann in Euro umgerechnet wurde, fielen die
Wechselgebühren zweimal an. Münzen wurden zudem gar
nicht zurückgenommen. Davon versuchten nun die Hilfswerke
zu profitieren. Die Rotkreuzgesellschaften lancierten eine europaweite
Kampagne mit dem Namen "Eine Münze für die Menschlichkeit",
damit in allen Ländern diese Münzen nicht in Gläsern
verstaubten, sondern für einen guten Zweck gespendet wurden.
(hst)
Fragen zu den Texten unter "A level sites - Rund um den Euro" auf unserer Webseit
e
1 Warum hätte es am 1.Januar 2002 chaotische Schlangen an
den Bahnhofsschaltern des Eurolands geben können? (1)
2 Wo sonst hätten sich lange Schlangen am E-day bilden können?
(1)
3 Warum, so dem Sprecher der EU Kommission, würde es nicht
so spektakulär sein? (1)
4 Welche logistische Probleme gab es, die alten Zahlungsmittel
einzusammeln und 660 Milliarden Euro zu verteilen? (5)
5 Wie plante man den Transport des Geldes zu sichern? (1)
6 Warum war die Einführung der neuen Währung am 1.Januar
für die Spanier besonders problematisch? (1)
7 Wie lange dauerte die Übergangszeit? (1)
8 Wieviele D-Mark mussten zerstört werden? (1)
9 Wie lange würde das dauern? (1)
10 Ab wann konnte man die sogenannten "Starter-kits"
bekommen und woraus bestanden sie? (1)
11 Wie konnten die alten Münzen dem "Roten Kreuz"
helfen? (1)
12 Wie wurde der Euro von den Bewohnern des Eurolands akzeptiert
und welche Europäer waren am besten informiert? (2)
Der Euro rollt durch Österreich
Wien- Als die Pummerin Schlag Mitternacht das Jahr 2002 einläutete und Bankomaten erstmals Euro-Banknoten ausspuckten, atmeten etliche Logistiker erleichtert auf: Denn dann wurde ein bisher noch nie da gewesenes Projekt geschafft - die Verteilung von 8.000 Tonnen Münzen und Scheinen der neuen Währung. Die Euro, die in Österreich in Umlaufwar, wogen 400 Mal so viel wie die berühmteste Glocke Österreichs.
Die Vorbereitungen hatten bereits 1995 begonnen. Dann, ein halbes Jahr vor der Einführung des Euro als Barzahlungsmittel, waren bereits mehrere tausend Tonnen über Österreichs Straßen gerollt - unter so strengen Sicherheitsvorkehrungen, dass keinem der Verantwortlichen auch nur ein Detail darüber zu entlocken war. "Von den 1,5 Milliarden Münzen, die in Umlauf kamen, waren bereits fast 1,4 Milliarden geprägt. Damit liegen wir genau im Plan", sagte der zuständige Nationalbank-Direktor Wolfgang Duchatczek. Im gesamten Euro-Land wurden 50 Milliarden Münzen in Umlauf gebracht, dazu 14,5 Milliarden Banknoten, 340 Millionen Stück davon in Österreich. Die Organisation oblag der GSA (Geldservice Austria), die als Tochter der Nationalbank das Cash-Handling betreibt und in allen Landeshauptstädten ausgenommen St. Pölten und Eisenstadt Außenstellen besaß. In der - wegen beschränkter Lagerkapazitäten in der Münze am Wiener Heumarkt - längst angelaufenen Verteilungsphase eins wurden die Euros zunächst in die Zweiganstalten der Nationalbank in die Landeshauptstädte transportiert. Zur Bewachung wurde das Gendarmerie-Einsatzkommando heran gezogen. Die Routen waren streng geheim.