E uropa(beitritt)
Die Schweiz will erneut mit der EU verhandeln: Über kleine Dinge wie Filmförderungsprogramme und grosse Brocken wie Schengen.
Von Markus Somm, Bern
Der Bundesrat hat am Mittwochabend in seiner Klausur drei Stunden über neue bilaterale Verhandlungen mit der EU gesprochen, gestern Donnerstag wurde über die Ergebnisse informiert. Die Regierung kam zum Schluss, dass sich die Schweiz zurzeit nur so der EU annähern kann. Ein Beitritt ist in weite Ferne gerückt. Aus diesem Grund ist der Bundesrat fest entschlossen, bald eine zweite Runde von bilateralen Verhandlungen aufzunehmen - und zwar in zehn Bereichen. Schon im Juni will man die entsprechenden Mandate formell beschliessen. Vorher werden noch die Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments im Detail informiert und konsultiert.
Kein Paket mehr, aber ausgewogen
Diese neuen Verhandlungen, das betonte der Bundesrat schon öfter, sind kein Paket: das heisst, es wird keine juristischen Verknüpfungen zwischen Dossiers geben. Scheitert das Gespräch in einem, sind die andern nicht gefährdet. Ebenso ist es nicht nötig, im gleichen Tempo über alle Dinge zu verhandeln, und die verschiedenen Abkommen müssen nicht alle zum gleichen Zeitpunkt abgeschlossen werden. Trotzdem will die Schweiz eine "gewisse Ausgewogenheit" in den einzelnen Dossiers erreichen, aber auch über alle Dossiers hinweg. Zu Deutsch: Macht die Schweiz Konzessionen, soll auch die EU in einer Frage entgegenkommen. Um diese "Ausgewogenheit" sicherzustellen, will die Schweiz regelmässig "Querschnittskontrollen" vornehmen.
Der Bundesrat will in sieben Dossiers Verhandlungsmandate beschliessen, in zweien sollen es vorerst nur Vorverhandlungsmandate sein (Schengen, Liberalisierung der Dienstleistungen). Und in einem Bereich - der Zinsbesteuerung - handelt es sich nur um ein "Gesprächsmandat". Die meisten dieser Gegenstände sind übrigens so genannte Left-overs, also unerledigte Geschäfte aus den ersten bilateralen Verhandlungen.
Die Dossiers in der Übersicht
* Betrugsbekämpfung. Das ist ein sehr dringendes Anliegen der EU, das massgeblich dazu beigetragen hat, dass es so rasch wieder zu bilateralen Verhandlungen kommt. Die EU wirft der Schweiz vor, den Kampf gegen Abgabenbetrug im Warenverkehr über die Grenzen hinaus zu erschweren. Die EU glaubt, dass ihr Beträge in Milliardenhöhe entgehen - wegen Schmuggels mit Zigaretten, Betrügereien mit Subventionen und so weiter. Die Schweiz bietet der EU nun eine Art erweiterte Amts- und Rechtshilfe an - was etliche Zwangsmassnahmen beinhaltet, wie Beschlagnahmungen oder Hausdurchsuchungen. Bis hin zur Aufhebung des Bankgeheimnisses.
* Verarbeitete Landwirtschaftsprodukte. Bei diesen handelt
es sich zum Beispiel um Suppen, Schokolade, Biskuits oder Teigwaren.
Grob gesagt, sollen Regelungen mit der EU modernisiert werden,
um den Export zu erleichtern.
* Bildung, Berufsbildung, Jugend. Die Schweiz möchte
es ihren Jugendlichen ermöglichen, an bestimmten Bildungs-
und Austauschprogrammen der EU (Leonardo da Vinci, Jugend, Sokrates)
teilzunehmen.
* Medien. Um der Filmkonkurrenz aus Hollywood etwas entgegenzusetzen,
hat die EU etliche Förderprogramme für den europäischen
Film geschaffen (Media Fortbildung, Media Plus). Daran möchte
sich die Schweiz beteiligen.
* Statistik. Das statistische Amt der EU, Eurostat, sammelt
eine Unzahl von Daten über die EU-Mitgliedsländer und
ermöglicht so aufschlussreiche Vergleiche. Die Schweiz kommt
darin nie vor. Nun sollen auch die schweizerischen Daten den europäischen
Massstäben angepasst und mit Eurostat ausgetauscht werden,
um dies zu ermöglichen.
* Umwelt. Die Schweiz strebt einen Beitritt zur Europäischen
Umweltagentur an. Diese berichtet regelmässig über den
Zustand der Umwelt in der EU und erarbeitet Daten, auf welche
die entsprechende Gesetzgebung zurückgreift. Ebenso will
sich die Schweiz am Eco-Label beteiligen; mit diesem werden Produkte
gekennzeichnet, die die Umwelt wenig belasten.
* Doppelbesteuerung. Pensionierte EU-Beamten, die in der
Schweiz leben, müssen heute ihre Ruhegehälter doppelt
versteuern: Die EU erhebt darauf eine Quellensteuer, die Schweiz
unterwirft sie der Einkommenssteuer. Die EU möchte diesen
Missstand beheben, die Schweiz schlägt vor, die Besteuerung
aufzuteilen.
* Liberalisierung der Dienstleistungen. Da die Schweiz
in grossem Umfang Dienstleistungen exportiert (Banken, Versicherungen,
Wertschriftenhandel, freie Berufe), hat sie ein Interesse daran,
besseren Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu erhalten.
Zurzeit ist dies nur sehr beschränkt möglich.
* Polizei, Justiz, Asyl, Migration (Schengen/Dublin). Dies
ist mit Abstand das gewichtigste Dossier - da es sich um den Anschluss
an zwei bedeutsame Abkommen der EU handelt (Schengener Abkommen,
Dubliner Konvention über das Erst-Asylland). Lange hatte
die Schweiz bloss einen Teilanschluss angestrebt, die EU wies
diesen Wunsch immer ab. Nun will der Bundesrat voll beitreten,
um damit die Zusammenarbeit mit der EU in Polizei und Justiz zu
verbessern. Besonders das Schengener Informationssystem interessiert
die Schweiz.
* Zinsbesteuerung. Die EU will die Zinsbesteuerung in ihrem
Gebiet harmonisieren. Vor einem Jahr beschlossen die Mitgliedsstaaten,
in sieben Jahren zum Informationsaustausch überzugehen, was
bedeutet, dass dann überall in der EU das Bankgeheimnis gegenüber
den Finanzämtern aufgehoben würde. Dazu kommt es jedoch
nur, wenn es der EU gelingt, mit Drittstaaten, also Ländern
ausserhalb der EU, "gleichwertige" Massnahmen auszuhandeln.
Die Schweiz ist nicht bereit, über das Bankgeheimnis zu verhandeln,
bietet der EU aber die Zahlstellensteuer auf ausländischen
Zinserträgen an. Ob dies als gleichwertig gilt, ist noch
offen. Zudem führt die Schweiz eine solche Massnahme nur
ein, wenn die EU so gut wie alle anderen wichtigen Finanzzentren
der Welt dazu bringt, Ähnliches zu tun. Danach sieht es zurzeit
nicht aus.
Ende Mai findet das erste Koordinationstreffen
mit der EU statt, um sich über Termine und Ablauf der Verhandlungen
zu verständigen.
Wien - "Ein Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union ist Teil der Strategie unserer Regierung." Das sagte der Schweizer Außenminister Joseph Deiss (Christlichdemokratische Volkspartei - CVP) anlässlich seines offiziellen Arbeitsbesuches am Freitag in Wien. In den Gesprächen mit seiner österreichischen Amtskollegin Benita Ferrero-Waldner (V) standen die europäische Integration, die Situation auf dem Balkan sowie die weitere Intensivierung der bilateralen Beziehungen im Mittelpunkt.
Die Schweiz wolle nun verstärkt in eine Phase der Intensivierung
seiner Außenbeziehungen treten. Dazu gehöre, wie der
Schweizer Außenminister betonte, die Pflege bilateraler
Kontakte, "natürlich auch die große Freundschaft
zu Österreich". Auf Europa-Ebene setze Bern "große
Erwartungen" in die Umsetzung der sieben mit der EU geschlossenen
Verträge und habe "große Hoffnung" für
den Beginn weitergehender bilateraler Verhandlungen zu den Themen
Zollbetrug, Zinserträge und Schengen-Abkommen. Ferrero-Waldner
erkläre, dass Wien diese Pläne voll unterstütze
und in Brüssel bei EU-Kommissar Chris Patten darauf drängen
werde, dass die noch sechs ausständigen Staaten die Verträge
ratifizierten. Österreich sei in dieser Reihe der erste EU-Partner
gewesen.
Zur Schweizer außenpolitischen Initiative gehöre auch
eine Vollmitgliedschaft bei den Vereinen Nationen, erkläre
Deiss. Die innenpolitischen Entwicklungen für die Umsetzung
dieses Vorhabens seien in den parlamentarischen Gremien "sehr
verheißungsvoll". Mit einem Volksentscheid (Referendum)
rechnet Deiss im nächsten Frühjahr