Schröder
In Nürnberg tagte ein "Kanzlerwahlverein": Trotz zeitweiligem Bauchgrimmen folgte die SPD vier Tage lang dem Kurs Gerhard Schröders.
Von Werner Bosshardt, Berlin
Die viertägigen Beratungen des SPD-Parteitages in Nürnberg standen unter dem Motto "Erneuerung - Verantwortung - Zusammenhalt". Vor allem die letzten beiden Stichworte griff der Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende in seinem launigen Schlusswort gerne auf: Vor allem der Zusammenhalt in der Partei und die Verantwortung für deren Regierungsfähigkeit seien in Nürnberg deutlich geworden: "Als Avantgarde hat die SPD vorgelebt, was sie in der Gesellschaft erreichen will." In den Medien wird der über weite Strecken sehr harmonische Verlauf der Beratungen freilich völlig anders interpretiert: Von einer "handzahmen" Partei ist etwa die Rede, von der Tagung eines "Kanzlerwahlvereins", von einem "Parteitag der zusammengeschlagenen Hacken".
Parteitagsräson ging vor
So oder so: Gerhard Schröder kann zufrieden sein, mit seinem persönlichen Wahlresultat und mit der "grossen, stolzen Partei, die hinter ihrer eigenen Regierung steht". In allen wesentlichen Punkten setzte er seinen Kurs ohne nennenswerte Abstriche durch. In der Aussen- und Sicherheitspolitik hiessen die Delegierten ausdrücklich den Entscheid des Bundestages zum Antiterroreinsatz der Bundeswehr gut. In der Einwanderungs- und Sicherheitspolitik folgte der Parteitag den Konzepten von Bundesinnenminister Otto Schily und nahm widerspruchslos die Behauptung hin, die SPD sei schon immer eine "Law and order"-Partei gewesen. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik schliesslich stellten sich die Genossen hinter die Konsolidierungspolitik von Sparminister Hans Eichel und lehnten Forderungen nach Konjunkturprogrammen ebenso ab wie klassische Umverteilungsrezepte (Vermögenssteuer, Mehrwertsteuer, Erbschaftssteuer).
Wenn es einmal nötig wurde, sorgte im Übrigen die Parteitagsregie für sachdienliche Entsorgung von Widerborstigkeiten. So wurden etwa jene Anträge, die "Bauchschmerzen" über die Kriegführung in Afghanistan und über den Einsatz der Bundeswehr formulierten, zur "Weiterbearbeitung" an die internationale Kommission der Partei überwiesen. Zudem bot sich den Zweiflern die einzigartige Chance, bei der Wiederwahl von Rudolf Scharping als stellvertretendem Parteivorsitzenden Dampf abzulassen, ohne dem Kanzler allzu nahe zu treten.
Es schien in Nürnberg, als seien manche Delegierte ganz froh, hitzige Auseinandersetzungen mit dem Kanzler den Grünen überlassen zu können. Dieses "Rezept" kann allerdings nur funktionieren, solange Rot-grün an der Macht bleibt. Aber auch bei einem Fortbestand der Koalition dürften die unterschiedlichen Positionen in der SPD nicht für alle Zeiten der Parteiräson untergeordnet werden. Je näher der Wahltermin rückt, desto stärker werden wirtschaftspolitische Themen in der Vordergrund rücken, und desto schmerzlicher dürfte der SPD die grosse Hypothek der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit werden. Was der Parteitag dazu zu sagen hatte, wird aber weder der SPD-Basis noch den Wählern genügen: Ziel der SPD bleibe es - heisst es im entsprechenden Leitantrag lakonisch - "die Arbeitslosigkeit deutlich abzusenken, auch wenn wir mehr Zeit dafür brauchen werden".
Konkrete Vorschläge blieben aus
Zukunftsweisende Lösungen hat der Parteitag von Nürnberg
aber weder für dieses noch für andere Probleme auf den
Weg gebracht. Die Selbstzufriedenheit über die Auflösung
des "Reformstaus" zog sich zwar wie ein roter Faden
durch den Tagungsverlauf. Aber konkrete Vorstellungen zur Bearbeitung
wesentlicher Pendenzen (Gesundheitspolitik, Finanzierung der Kommunen,
Abbau von Regelungsdichte und Bürokratie, Reform des Arbeitsmarktes)
blieben aus. Erst ganz gegen Schluss erhielt ein Redner das Wort,
der eindringlich eine tief greifende Reform öffentlicher
Dienstleistungen forderte, der auf mehr Innovation im Arbeitsmarkt
pochte und auch von Arbeitnehmern mehr Flexibilität verlangte.
Der Redner war kein Deutscher, sondern ein Gast aus dem Ausland:
Ad Melkert, Fraktionschef der Partei der Arbeit (PvdA) im holländischen
Parlament.
Von Werner Bosshardt, Berlin
Auch Ratschläge sind Schläge: Für ihren Parteitag in Rostock hat Bundeskanzler Gerhard Schröder den deutschen Grünen empfohlen, sich auf die Wirklichkeit einzulassen. Mit Nostalgie und Verdrängung könne man Deutschland nicht regieren.
Der Rat mag durchaus seine Berechtigung haben. Fragt sich nur, ob denn der grössere Koalitionspartner in der Wirklichkeit angekommen ist und auf Verdrängung als Regierungsprinzip verzichtet. Nach den viertägigen Schröder-Festspielen der SPD in Nürnberg kann es darauf nur eine Antwort geben: nein.
Zur Wirklichkeit gehört, dass Deutschland am Rande einer Rezession steht, beim Wachstum als EU-Schlusslicht "glänzt" und neue Spitzen der Massenarbeitslosigkeit befürchten muss. Doch die grosse Volkspartei SPD bringt noch längst nicht die Kraft auf, mit alten Besitzständen, Gepflogenheiten und Tabus zu brechen, sich für Reformen des überregulierten Arbeitsmarktes zu öffnen.
Auch in anderen wichtigen Bereichen hat die Reformbereitschaft der SPD - sofern überhaupt vorhanden - längst einen taktischen Marschhalt eingelegt: Der beruhigende Slogan "Sicherheit im Wandel" verspricht einen behutsamen Umgang mit den Empfindlichkeiten der Wählerinnen und Wähler - in der Zwischenzeit werden die Probleme verdrängt.
In Erwartung eines neuen Grundsatzprogramms, das in etwa zwei Jahren vorliegen dürfte, macht sich auf manchen Feldern sozialdemokratischer Politik programmatische Leere breit. Es fehlt in zentralen Bereichen an brillanten Köpfen, die Diskussionen anstossen und Positionen besetzen könnten. Zudem ist in Nürnberg - auch dies gehört zur Wirklichkeit, der sich die SPD stellen müsste - das Problem der Verjüngung der Parteispitze einmal mehr verschoben worden.
Zurzeit scheint der Bundeskanzler schlicht das einzige Erfolgsrezept zu sein, das die SPD anzubieten hat: Gerhard Schröder mit seinem Machtinstinkt und seinem Führungswillen, mit seinen Stärken und Schwächen. Diese Einsicht gebot es, dem grossen Vorsitzenden in Nürnberg das Leben nicht allzu schwer zu machen.