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Kein Leben ohne *heul* und *knuddl*

«nicht kommen muss lernen sorry»

pg, Pech gehabt


Kein Leben ohne *heul* und *knuddl*


Schulalltag, beherrscht von Handys ­ die SMS-Kommunikation ist unter Teenagern obligatorisch. Die Lehrer sind irritiert.

Von Rolf Hürzeler - FACTS 49/2002, 5.12.02

Das Öptüm kommt in der Zehn-Uhr-Pause ­ via SMS aufs Handy. Öptüm ist türkisch und heisst «Küssli». Die 15-jährige Sekundarschülerin Ünzile Karakas hat es von einem Freund aus der Stadt Corum bei Ankara bekommen. Die im sankt-gallischen Fürstenland lebende Ünzile steht mit ihrer Heimat in stetem Kontakt ­ dank Handy und SMS, dem Short Message System.

Kommunikation total in der Schule. Der SMS-Austausch gehört heute zum Schulalltag der Teenager wie das Passé composé und A-Quadrat plus B-Quadrat gleich C-Quadrat. Das Handy dient als Beziehungsinstrument für alles; vom nächsten Date über schwierige Hausaufgaben bis zur Liebeserklärung. Alles wird via SMS geregelt. «Ich kann mir ein Leben ohne Handy nicht mehr vorstellen», sagt der 12-jährige Valentin Koller, der wie Ünzile die Wiler Sekundarschule Sonnenhof besucht. Er hat seit zwei Jahren ein Handy und nutzt es als liebstes Freizeit-Gadget. Steckten sich frühere Schülergenerationen ihre heimlichen Witze auf Papierchen zu, machts Valentin per SMS. Einzig die Kosten halten ihn davon ab, das Handy noch häufiger zu nutzen. Er versuche im Monat nicht mehr als 30 Franken dafür auszugeben, wie er sagt. Darum nutzt Valentin sein Handy fast ausschliesslich fürs «Simsen» und kaum je fürs teurere Telefonieren.

Valentin ist vergleichsweise sparsam. Seine Mitschülerinnen und Mitschüler in einer ersten Sekundarklasse geben bis zu 350 Franken monatlich fürs Handy aus.

Der Einzug des Handys in die Schule beschäftigt gar besorgte Politiker. Die CVP forderte allen Ernstes ein totales Handy-Verbot an den Schweizer Schulen. Sie hätte mit gleichem Aussicht auf Erfolg verlangen können, Kaugummis aus Schulhäusern zu verbannen. Oder das Schwänzen strafrechtlich zu verfolgen.

Die Schweizer Pädagogik hat den Handy-Gebrauch an den Schulen längst mit gewohnter Effizienz geregelt. Auf dem Pausenplatz ist das Mobile toleriert, aus dem Unterricht ist es verbannt. «Während der Stunde sind die Handys abgestellt», sagt Doris Schindelholz vom Basler Kirschgarten-Gymnasium.

Meist sind die Handys allerdings nur auf lautlos eingestellt, damit die SMS-Kommunikation nicht unterbrochen wird. Vergisst ein eifriger «Handy Man» den Lautlos-Button zu drücken, muss er das Ding an den meisten Schulen für den Tag abgeben. Und darf es nach dem Unterricht im Lehrerzimmer abholen ­ um auf die gespeicherten Nachrichten endlich zu reagieren.

Beim Lehrpersonal kommt die Handy-Welle unterschiedlich gut an. Der Wiler Lehrer und Schriftsteller René Oberholzer etwa erachtet die SMS-Kommunikation als «nicht sehr kreativ». Die Reduktion der Sprache auf lediglich wenige Buchstaben stellt für ihn eine «Verarmung» dar. Die Gefühlsebene lasse sich beispielsweise schlicht nicht mitteilen.

Weniger kritisch sieht der Berner Deutschlehrer Bertrand Knobel vom Gymnasium Muristalden die SMS-Kommunikation. «Wer die Sprache kreativ nutzt, tut dies auch via SMS», ist er überzeugt. Kulturpessimismus sei nicht angezeigt, auch wenn der SMS-Verkehr wenig Differenzierungen zulasse.

Die scheinen bei den Schülerinnen und Schülern allerdings kaum gefragt. «hdg» tippt der 13-jährige Beda Greuter ein, «ha di gärn». Damit ist alles klar gesagt, was gerade angezeigt ist.

SMS-Sprache ist Dialekt. «Wenn einer auf Hochdeutsch schreibt, ist er mega-out», sagt die 13-jährige Olivia Näf. Der Absender einer hochdeutsch verfassten Nachricht verrate sich gleich als Anfänger.

Der Dialekt stört den in Herisau AR lebenden Sekundarlehrer Lorenz Hanselmann. «Für den Deutschunterricht ist das bestimmt nicht förderlich.» Für Hanselmann, selbst ein eifriger Handy-User, gehört dies zur Dialektwelle, die Deutschlehrern das Leben derzeit ohnehin erschwere. «Am Schluss sind wir Lehrer die Einzigen, die sich noch um die korrekte Hochsprache bemühen.» Satzzeichen oder Gross- und Kleinschreibung seien bei der SMS-Verständigung beispielsweise obsolet. Sprachverluderung hin oder her ­ Handydeutsch lässt sich aus der Schule nicht mehr wegdenken. Für die Wissenschaftlerin Christa Dürscheid liegt der Reiz dieser Kommunikationsform in der «durch die Schrift gewähleisteten Intimität». Nachrichten können ausgetauscht werden, ohne dass andere deren Inhalt erfahren. Simsen ist auch unaufdringlicher; der Adressat muss nicht unmittelbar antworten wie bei einem Telefongespräch.

«SMS fördern die Unverbindlichkeit», sagt Lehrer Hanselmann. Jede Abmachung lässt sich mit einer Kurznachricht rückgängig machen. Beziehungen lassen sich einfach knüpfen, aber genauso einfach auflösen. Von der enttäuschten Liebe via SMS zu erfahren, gehört heute zum Teenager-Schicksal. Jede noch so kurze Aussprache erübrigt sich. Dafür ist umgekehrt die Hemmschwelle bei den Short Messages tiefer, mit jemandem den ersten Kontakt überhaupt aufzunehmen. SMS-Kommunikation in der Schule ist unter den Teenagern obligatorisch. Die 13-jährige Viviane Maurer hat erst seit kurzem ein Handy. Mit dem Argument «alle haben eins» kam sie möglichen elterlichen Einwänden zuvor. Dabei ist SMS-Kommunikation im Alltag nur selten unumgänglich. Viviane erinnert sich nur gerade an eine einzige Episode, als sie wirklich auf ihr Handy angewiesen war, weil sie einen Zug verpasste und ihr Zuspätkommen ankünden musste. «95 Prozent der verschickten Nachrichten sind überflüssig», konstatiert Lehrer Hanselmann.

Diese Sicht teilen Schülerinnen und Schüler nicht. Für sie bestimmt das Handy nicht nur das Sozialleben. Im Einzelfall erleichtert es den Schulalltag, zum Beispiel als kleine Hilfe während der Prüfungen, sofern das Ding mit Geschick unbemerkt zum Einsatz kommt. Allerdings fürchtet das Lehrpersonal das Handy als «Spickinstrument» nicht mehr als andere Hilfsmittel. «Bei uns müssen sie das Handy nur während der Maturprüfungen deponieren», sagt Walter Staub, Rektor des Berner Gymnasiums Muristalden.

Fantasievoll eingesetzt, kann die SMS-Kommunikation Lehrern gar die Arbeit vereinfachen. So berichtet der französische «Figaro» im November von zwei Schulen an der Côte d'Azur, die jeden Morgen SMS an die Eltern abwesender Schüler verschicken. Wenn es keinen Grund für die Abwesenheit der Sprösslinge gebe, reagierten die Eltern laut dem Bericht stets sehr schnell. Der Alptraum für notorische Schulschwänzer.

Die nützliche Seite der SMS-Kommunikation hat auch Lehrer Hanselmann trotz seiner Skepsis erfahren. Schülerinnen und Schüler erkundigen sich bei ihm via SMS nach Hausaufgaben oder Prüfungsthemen: «Manchmal schicken sie mir sogar eine persönliche Nachricht.»

Das freut den Empfänger, auch wenn die Mitteilung noch so banal ist. Davon ist zumindest Ünzile Karakas überzeugt.

Etwa wenn sie ganz einfach die Worte «Sim ne haber?» eintippt und in die Türkei schickt. Damit erkundigt sie sich nach dem Wohlbefinden ihrer Freunde in der Heimat ­ und freut sich auf die Antwort.

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«nicht kommen muss lernen sorry»

«Sprach-Verarmung» bedauern die einen. «Finesse und Fortschritt» behauptet Literaturprofessor Moraldo.

Von Sabine Windlin

Handy-Sprache ist schwierige Sprache. «Hab dich lieb», leuchtet es beim Empfänger auf dem Display. Nebst Freude über die Sympathiebekundung mischt sich Irritation. Ich soll mich lieb haben?

Fehlende Personalpronomen bei SMS-Nachrichten sind eine von zahlreichen syntaktischen Reduktionen, welche die Kommunikation per Handy fördert. Die Senderin hat mit der Eliminierung des Wörtches «Ich» Zeichen und Zeit gespart. Für die Wächter des Sprachpurismus Grund genug, Alarm zu schlagen. Von einem «historisch einzigartigen Massenselbstmord einer in Tausenden von Jahren gewachsenen Wörter- und Regelgemeinschaft namens deutsche Sprache» spricht Walter Krämer vom Verein zur Wahrung der deutschen Sprache.

Anders der Milaneser Sprach- und Literaturprofessor Sandro Moraldo. Er würdigt die Finessen telefonischer Textbotschaften als Fortschritt. Geradezu euphorisch lobpreist er den «schöpferischen Antrieb», «die Erfindungskraft und den Gestaltungsreichtum» der Generation@. «Der Zwang zum Platzsparen macht ungeahnte Stilmöglichkeiten sichtbar.»

«Wer die neuen Codes nicht lesen kann, ist Analphabet in einem so radikalen Sinn, wie es der Schriftunkundige in der Vergangenheit war», sagt der Kommunikationsexperte Vilém Flusser.

Professor Moraldo analysierte während zweier Jahre die Short Messages italienischer und deutscher Jugendlicher. «Die Schreiber beweisen eine produktive Auseinandersetzung mit Sprache», lautet seine Schlussfolgerung. Dass die Grossschreibung nur noch bei emotionalen Ausbrüchen zur Anwendung kommt? Das findet er sinnvoll. Dass nach der Interpunktion meist keine Leerstelle gesetzt wird? Entspricht dem Ökonomieprinzip der Textbotschaft. Kreativität attestiert Moraldo den Jugendlichen, die sich mit UR2good2B4got10 (you are too good to be forgotten) verabschieden und mit Zahlen und Zeichen Silben ersetzen. k1 steht für «keins» M& für «Mund».

Das Fazit des Sprachforschers dürfte viele Eltern und Lehrer beruhigen, die sich um die Ausdrucksfähigkeit ihrer Kinder sorgen. Das Mobiltelefon ist für die Alltagskommunikation geradezu prädestiniert. Einzige Voraussetzung: Der SMS-Partner muss das Kürzel decodieren können.

Mit der Kurznachricht hält der 1850 etablierte und 1999 abgeschaffte Telegrammstil wieder Einzug («nicht kommen muss lernen sorry»). Keinem Menschen wäre es laut Moraldo damals in den Sinn gekommen, die Reduktion aufs Wesentliche als Sprachverarmung zu geisseln. Im Gegenteil: Das Extrem sprachlicher Knappheit machte Sinn, um den Besuch von Tante Paula anzukünden und über die Geburt von Fritz zu berichten.


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pg, Pech gehabt

Sie tippen «hdg» und meinen «ha di gärn». Damit ist alles klar gesagt, was gerade angezeigt ist.


ka keine Ahnung

pg Pech gehabt

bse bin so einsam

cu bis bald (seeyou)

bigbedi bin gleich bei dir

isdn ich sehe deine Nummer

bb bye bye

ilyf I love you forever

img ich mag dich

tws träum was Süsses

hdg habe dich gern

sz schreib zurück

gn8 gute Nacht

4u2 für dich auch (for you too)

2u zu dir (to you)

2l8 zu spät (too late)

b4 vorher (before)

j4f nur zum Spass (just for fun)

*g* grins

*fg* freches Grinsen

*mfg* mega-freches Grinsen

*lol* lautes Lachen

*knuddl* ich umarme dich

 

*heul* ich bin traurig

;-) Augenzwinkern

:-) gut gelaunt

:*-) bin besoffen

:-D lachen

:-D) lautes Lachen

:-x Kuss

:-X grosser Kuss

:-( traurig

:-(( sehr traurig

:'-) weinen


 

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