Die Stadt kauft ein, die Luft ist lau.
Da singt ein Mann, der Mann ist blau.
Sternhagelvoll singt er'n Choral
Vom süßen Trost im Jammertal.
Was für ein Jammer hat der wohl
Und was für'n Trost im Alkohol?

Die Leute schaun zum Münster hoch,
Der Mann pfeift aus dem letzten Loch.
Die Wermutflasche in der Hand
Steht der zum Abschuß an der Wand.
Der fiel doch so vom Himmel nicht,
Der war doch mal mit mir auf Schicht.

Der war so krumm wie ich und du
Auf Arbeit ohne Lust und Ruh.
Dann arbeitslos, das alte Lied:
Die Krise bricht das schwächste Glied.
Verschlossen war ihm Tür und Tor
Im Winterschnee stand er davor.

Dann nach paar Monat Arbeitsamt
ist er nicht mehr ins Amt gerannt.
Er war nicht clever, und auch alt,
Und roch nach Schnaps, ihm war so kalt.
Der Frühling kam, die Erd schlug aus,
Da war er reif fürs Arbeitshaus.

Erst im Akkord ein armes Schwein,
Dann auf'm Müll, mit Stempelschein,
Dann bloß noch die soziale Last':
Hier mal ein Bruch und dort im Knast.
Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
Wenn einer so zu Boden fällt?

Der Bischof glänzt im Goldornat,
Die Kirche küßt den Vater Staat.
,Der Aufschwung kommt! Es werde Licht!'
Sagt uns ein Fernseh-Grinsgesicht.
So wollen wir all danken dir
Unserm Erlöser für und für.

Die Stadt kauft ein, die Luft ist lau.
Da fällt ein Mensch, der Mensch ist blau.
Die Leute gehen schnell vorbei
und denken fromm an Polizei.
Da leidet einer große Not,
Vor Augen steht der kalte Tod.

Es stirbt sich schnell in diesem Staat,
Wo jeder seine Chance hat:
Wenn oben einer arriviert,
Dann bloß, weil unten wer krepiert.
ihr Wolken brecht und kotzt euch aus
Aufs Gottes- und aufs Herrenhaus.



Anmerkungen zu diesem Lied von Walter Moßmann:

Die Geschichte ist nicht erfunden. Ebensowenig wie die vom Schulkind, das sich aus Angst vor Zensuren aufgehängt hat. Ebensowenig wie die vom Referendaren, der sich mit Tabletten umgebracht bat, weil er seine Leistung nicht bringen konnte. Ebensowenig wie die von der Arbeiterin, die ihre Hand in der Maschine verlor, weil sie nicht schnell genug war

Jedesmal, wenn die Politiker in Ergriffenheit von der Leistungsgesellschaft reden wie von einem heiligen Gral, fallen mir solche Geschichten ein. Und die Ästbetik der Hocbleistungen, der Schnellen Brüter und der Neutronenbombe.

Das Muster für dieses Lied stammt aus dem 30jährigen Krieg, aus dem Jahr 1623 und heißt "0 Heiland, reiß den Himmel auf". Die Melodie ist von 1666. Sie wird vornehmlich an Advent von den Sympathisanten der Leistungsgesellschaft gesungen. Die Glocken läuten in der BRD und in der DDR den Sonntag ein.


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