OLYMPIA

Rettungsaktion fuer den Tempel des französischen Chansons

"L'Olympia" unter Denkmalschutz

Der französische Kulturminister Jack Lang hat am Donnerstag angekündigt, daß die berühmte Pariser Music-hall am Boulevard des Capucines - zwischen der Opera Garnier und der Madeleine - unter Denkmalschutz gestellt werden soll. Das 1893 mit einem gleichnamigen Ballett und der Goulue - die von Toulouse-Lautrec porträtierte Tänzerin und Sängerin hat ihrerseits erst vor kurzem eine historische Bleibe auf dem Friedhof Montmartre nahe ihrem "Moulin Rouge" erhalten - eröffnete "Olympia" ist von einer gigantischen Renovation bedroht. Eine solche will die Bank SocieteA Generalee dem ihr gehörenden Komplex zwischen der Rue Caumartin (mit dem ebenfalls geschützten Haus, in dem Stendhal seinen Kultroman "Le Rouge et le Noir" - die Farben auch des "Olympia" und der SocieteA Generalee - geschrieben hat) und dem nicht gefährdeten Theater "Edouard VII" von 1995 bis 1997 angedeihen lassen.

Gefährdete Pariser Institutionen

Alle Größen des französischen Chansons - mit der Ausnahme von Serge Gainsbourg und France Gall - und dann der moderneren Rock- und Popmusik sind im "Olympia" aufgetreten, nämlich unter anderen Maurice Chevalier und die Mistinguett und dann - nach einem Zwischenspiel als Kino - ab 1954 unter seinem rührigen Leiter und Talentsucher Bruno Coquatrix Gilbert Becaud, Edith Piaf, Charles Trenet, Jacques Brel, Charles Aznavour, Georges Brassens, Juliette Greco, aber auch Bob Dylan, die Beatles, die Rolling Stones und viele andere.

Das Kulturministerium will retten, was vom "Swinging Paris" und von den "Grands Boulevards" noch übriggeblieben ist, nachdem die Schließung des "Bobino" die Rue de la Gaite auf dem Montparnasse in ein trauriges Dasein zwischen Sexshops und koreanischen Fastfood-Restaurants verstoßen hat. Im Oktober 1988 hat Lang auch das teure und prestigeträchtige Restaurant "Le Fouquet's" auf den Champs-Elysees, deren Niedergang jetzt ebenfalls durch ein architektonisches Lifting aufgehalten werden soll, vor der Übernahme durch saudiarabische Spekulanten gerettet. Auch die nicht mehr rentablen "Folies-Bergere" haben ihre Schließung bis zum nächsten Herbst ankündigen müssen.

Renovation trotzdem notwendig

Gedrängt von Produzenten, Sängern und Fans, die viertausend Unterschriften zur Rettung des "Olympia" gesammelt haben, will Lang mit seiner Aktion allfälligen Plänen der Bank zuvorkommen, die sich bisher allerdings eher für eine Beibehaltung des immer noch profitablen Konzertsaales mit seinen über 2000 Plätzen ausgesprochen hat. Da eine Renovierung der Music-hall aber ohnehin notwendig ist, hat die Bank eine Versenkung des Saales in den Keller nicht ausgeschlossen. Falls der Denkmalschutz - wie bereits für den Billardsaal im ersten Stock - verordnet wird, wäre nur mehr eine sanfte Renovation zulässig. Aber die Unterschutzstellung kann nur den Saal retten, nicht jedoch seinen Betrieb. Die grossen Massenveranstaltungen finden jetzt schon im Osten, fern der grossen Boulevards, im Palais Omnisports von Bercy (17 000 Plätze) statt.

(Ulrich Meister,NZZ 1993)



Olympias Tod und Wiedergeburt

Die berühmteste Music-Hall Frankreichs wird abgerissen und neu aufgebaut

Alle Stars des Chansons und des Showbusineß, alle außer Elvis Presley, standen im Olympia auf der Bühne, und viele nahmen hier von ihr Abschied.
Nicht immer so endgültig zwar, wie man meinte, aber doch immer so, als wäre es das letzte Mal: Für Josephine Baker kam 1956 Tout Paris um Mitternacht hierher und feierte sie wie eine Königin, bis vier Uhr morgens.
Hier rief Jacques Brel 1966 ins tobende Publikum: "Ich liebe euch alle, aber es ist zu Ende", zog in der Loge seinen klatschnassen Anzug aus und kam im Bademantel noch einmal auf die Bühne.
Hier sagte Barbara eines Abends, das war 1969, ganz überraschend Adieu.
Und Charles Trenet beendete hier 1975 seine Karriere, damit seine Mutter mit dem guten Gefühl sterben konnte, nichts verpaßt zu haben.
Und jetzt verabschiedet sich das Theater selber von seinem Publikum, im Pariser Olympia fällt heute zum letzten Mal der berühmte rote Vorhang.
Angeblich auch nicht so endgültig, wie es aussieht.
Die legendäre Music-Hall am Boulevard des Capucines wird zwar abgerissen.
Aber sie ersteht bereits von neuem, ein paar Meter weiter hinten und ein paar Meter weiter links.
In einem halben Jahr soll alles wieder sein wie vorher, die Akustik und die roten Plüschsessel mit den Zigarettenlöchern, die schwarzen Wände und die nachtblaue Decke.
Als wäre der ganze Saal ein Karton mit der Aufschrift "Nicht stürzen!" und könnte einfach abtransportiert werden.
Aber nichts ist so empfindlich gegen Erschütterungen wie Erinnerungen.
Die Vorgeschichte ist leider sehr prosaisch: Eine Bank vermöbelt das ganze Viertel in der Nähe der alten Oper. Wären vor vier Jahren nicht Hunderte von Künstlern zu seiner Verteidigung angetreten, hätte der damalige Kulturminister Jacques Lang nicht Anstalten gemacht, das Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen, dann wäre das Olympia längst spurlos verschwunden.
Die Bank setzte den identischen Neubau durch, und die Leitung des Familienunternehmens ergriff die Gelegenheit zur Runderneuerung.
Aber es wird nun eben niemand mehr sagen können: Hier, genau hier, stand die todkranke Edith Piaf 1959 vor ewig ausverkauftem Haus und sang "Milord", sang "Non, je ne regrette rien", und das Publikum hörte stehend zu.
Und hier, genau hier sang Yves Montand "Les Feuilles Mortes", und Marlene Dietrich kam mit den Liedern aus dem "Blauen Engel" auf die Bühne.
Das Gedächtnis dieser ausgetretenen Bretter reicht sogar noch weiter zurück, bis zum Bau der Music-Hall nach neuester englischer Mode im Jahre 1892.Damals konnte man zur Eröffnung La Goulue sehen, die berühmte Tänzerin und Sängerin, die Toulouse-Lautrec so oft gemalt hat.
Der Entfesselungskünstler Houdini entwand sich hier seinen Ketten.
Und weil man vergaß, diese Bühne abzureißen, als das Theater 1929 zum Kino wurde, blieb die Erinnerung erhalten und auch der Käfig unter dem Podium, in dem zuletzt die müde Löwin von Sarah Caryth eingesperrt war, so müde, daß sie im Scheinwerferlicht einschlief.
Das Kino - im Haus nebenan hatte schon 1895 die erste Filmvorführung der Gebrüder Lumiere stattgefunden - machte das Variete kaputt.
Aber 1952 übernahm Bruno Coquatrix das Haus, und das goldene Zeitalter des Olympia dauerte bis zum Tod von Coquatrix 1979.Der Mann hatte einen guten Riecher: In seinem ersten Programm trat ein Unbekannter auf, den bald alle als "Monsieur Hunderttausend Volt" kannten: Gilbert Becaud.
In der folgenden Show sang ein gewisser Georges Brassens.
Und dann entdeckte Coquatrix den jungen Eddie Constantine.
Johnny Halliday war damals der vierzehnjährige Blondschopf, der sich in den Kulissen herumtrieb.
Auch alle großen Namen des Jazz standen irgendwann in roter Neonschrift über dem Eingang des Olympia, von Louis Armstrong bis Ella Fitzgerald.
Die Musik von Sidney Bechet oder Cid Vicious, Pink Floyd oder den Rolling Stones brachte das Publikum zur Raserei, ganze Stuhlreihen wurden zu Staub.
Lange traten im Olympia vor den Sängern noch die Zauberkünstler, Fakire und Seehunde auf, Josephine Baker brachte ihren Zwergelefanten Tanya mit.
Der zweifellos genialste Cocktail vereinigte am 16.Januar 1964 die Beatles mit Sylvie Vartan und Trini Lopez.
Gilbert Becaud soll nun am Eröffnungsabend im November dem Olympia ein zweites Leben einhauchen.
Vom ersten bleiben nur zwei Erinnerungsstücke zurück: Aus der Mitte der Bühne will man ein Stück heraussägen und es in den Zuschauerraum einbauen.
Und ein Laserstrahl soll den Winkel in der Decke bezeichnen, wo sich das neue mit dem alten Olympia überschneidet: Ein Strahl, in dem der Glanz der Vergangenheit gebündelt ist.

(Berliner Zeitung 1997)