Forza Italia: ein Parteitag wie ein Solidaritätskonzert

von Peter Weber

Im Foyer trifft der Besucher zunächst auf ein Trümmerfeld aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dann begegnet er den Protagonisten der 50er Jahre in Lebensgröße, Kommunistenführer Palmiro Togliatti mit Hammer und Sichel auf der roten Fahne und Regierungschef Alcide De Gasperi mit dem weiß-rot gekreuzten Schild der Christdemokraten, alles aus Pappmaché. Der erfolgreiche Nachkriegspremier weist auch den weiteren Weg zum Wohlstand über eine originalgetreu nachgebaute Nierentischküche, die erste Lambretta, einen Fiat 500 und weitere Erinnerungsstücke aus dem goldenen Zeitalter des Miracolo Italiano. Vor dem eigentlichen Eingang zur Halle heißt es dann noch, einen dunklen Zeittunnel zu durchqueren, in dem bedrohliche Blitze zucken, bevor der Besucher endlich die neue Walstatt der Freiheit betritt: den ersten Parteitag von Forza Italia.

Um die Versammelten in der Halle von Assago auf das Kommende einzustimmen, gibt es zuerst eine spektakuläre Lasershow, die jedem Pink-Floyd-Konzert zur Ehre gereichen könnte. Nach dem letzten Lichtblitz dann ein Paukenschlag, und auf der Bühne stimmt der große Chor der Mailänder Scala die Nationalhymne an. Lichtshow und Dekorationen sind in lieblichen Blautönen gehalten, von denen sich das strahlende Weiß der Bühne wie eine prächtige Schönwetterwolke abhebt.

Die Moderation übernimmt nun die jüngste und ganz ohne Frage hübscheste Abgeordnete der Partei ("Miss Forza Italia"), die den Parteigründer und Vorsitzenden Silvio Berlusconi zu seiner Eröffnungsrede begrüßt. Der spricht über zwei Stunden, obwohl er das Wesentliche schon am Tag zuvor in einem Zeitungsinterview ausgeführt hat. In der Frage der Verfassungsreform erklärt er, daß Forza Italia eigentlich für einen starken Präsidenten sei, aber auch ein Kanzlersystem akzeptieren könne. Ähnlich eindeutig ist die Position in Bezug auf das Wahlsystem, wo manches nun für eine Rückkehr zum Proportionalsystem zu sprechen scheint, u.a. auch die Tatsache, daß sich damit am ehesten die lombardischen Sezessionisten Umberto Bossis umwerben ließen, denen nur leider so rein gar nichts an der so kraftvoll gesungenen Nationalhymne zu liegen scheint. Alles steht und fällt aber mit der Justizreform, wo endlich klare Garantien für die Angeklagten und eine harte Linie gegen die unbotmäßigen Staatsanwaltschaften durchgesetzt gehört.

Außer den Mailänder Richtern können am Ende dennoch eigentlich alle Angesprochenen zufrieden sein, vom verbündeten Nationalistenführer Gianfranco Fini als einem der eifrigsten Befürworter der anvisierten Präsidialverfassung bis zu ex-Präsident Francesco Cossiga als ihrem schärfsten Kritiker. Lediglich Ministerpräsident Romano Prodi moniert im entfernten Rom die Wankelmütigkeit des Oppositionsführers und die inhaltliche Nichtigkeit seines Parteitags.

Neben den langen Reden des Vorsitzenden kommen alle anderen Beiträge im weiteren kaum zur Geltung. Eine kontroverse Diskussion politischer Inhalte ist aber ohnehin nicht vorgesehen, und Änderungsanträge zur bereits vorformulierten Abschlußerklärung sind auch nicht zulässig. Bei den Wahlen zum Parteipräsidium, den ersten seit der Gründung vor vier Jahren, werden gerade einmal 6 der 25 Mitglieder von den Delegierten gewählt; die Nominierung der übrigen bleibt dem Parteivorsitzenden vorbehalten. Eigentlich handelt es sich dabei um eine recht überflüssige Vorsichtsmaßnahme, denn eine Chance bei der Abstimmung haben ohnehin nur die Treuesten der Treuen wie beispielsweise der Meinungsforscher Gianni Pilo, der seinem Arbeitgeber täglich die maßgeschneiderten Umfrageergebnisse liefert. Der Parteigründer und unumstrittene Hauptaktionär Berlusconi läßt sich am Ende per Akklamation in seinem Amt als Parteivorsitzender bestätigen. "Das ganze gleicht mehr einer Messe als einem Parteitag," kommentiert Marco Taradash, in den letzten vier Jahren einer der kompetentesten Parlamentarier Forza Italias, der wegen seiner kritischen Positionen kurzfristig suspendiert wurde.

Am letzten der drei Tage zieht der Parteitag zur Mailänder Piazza del Duomo, wo sich ca. 100.000 Anhänger eingefunden haben. Zum Abschluß wird noch einmal der Chor der Scala aufgeboten. "Phantastisch", stammelt ein strahlender Berlusconi angesichts des wogenden Fahnenmeers und stimmt dann noch einmal die Parteihymne "Forza Italia", danach die Nationalhymne "Fratelli d’Italia" und schließlich Adriano Celentanos "Azzurro" an. Die wogenden Menschenmassen glücklicher, harmonisch fahnenschwingender und fröhlich mitsingender Anhänger vor einem sichtlich bewegten und schon fast heiseren Parteichef ergeben wirklich eindrucksvolle und mitreißende Fernsehbilder.

Mit diesem Kongreß Ende April konnte Berlusconis Forza Italia daher den televisiven Nominierungsparteitagen amerikanischer Prägung als erste europäische Partei ganz ohne Zweifel endlich das Wasser reichen. Die Frage war nur, wozu die Inszenierung zu dem Zeitpunkt diente. Zwar konnte die Bewegung des Medien-Tycoons, die in den Umfragen auf deutlich unter 20 % zurückgefallen war, nach ihrem Mailänder Spektakel kurzfristig wieder ein paar Prozentpunkte aufholen. Berlusconi gab sich zuversichtlich, daß seine Partei bei den nächsten Wahlen sogar jeden dritten Wähler auf ihre Seite ziehen werde. Zu den Prioritäten des Forza-Italia-Chefs scheint der in Aussicht gestellte Wahlsieg aber dennoch nicht zu zählen. Tatsächlich gibt er als Oppositionsführer weiter das überzeugendere Opfer ab, und solange er diese schon etwas angeschlagene Position noch behauptet, ist es wesentlich leichter, glauben zu machen, daß es sich bei seinen jetzt anstehenden Strafverfahren in Wirklichkeit um die politischen Prozesse des neuen "Regimes" der italienischen Linken gegen ihren heftigsten Widersacher handelt. Anfang Juni forderten die Staatsanwaltschaften in zwei Prozessen wegen Korruption und Bilanzfälschung insgesamt 8½ Jahre für den ehemaligen Medienunternehmer. Berlusconi dürfte daher schon wissen, warum er auf seinem Parteitag seinen Anhängern die alte neue Parole ausgab, "die heiligste Vokabel im Wortschatz von Forza Italia : Libertà".