Das Wunder von Rom: Frischer Wind in der italienischen Kulturpolitik -
Tausendsassa und Manager in einem.
von Peter Weber
Beim Filmfestival in Cannes mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet, wollte Italiens berühmtester Komiker Roberto Benigni sich diesmal mit einem einfachen Kuß als Ausdruck der Dankbarkeit nicht mehr zufrieden geben: "Wenn ich ihn zu packen kriege, dann werde ich ihn an Ort und Stelle vergewaltigen, denn in der Liebe darf es keinen Stillstand geben !" Das Objekt der lüsternen Begierde war Italiens Kulturminister Walter Veltroni (PDS), der sich an der Cote d’Azur nicht nur im Abglanz der Erfolge italienischen Filmschaffens sonnte.
Der notorische Kinofan Veltroni hat allen Grund, mit Befriedigung auf die Ergebnisse seiner bisherigen Arbeit zu blicken, nicht nur hinsichtlich der Filmindustrie. Innerhalb von zwei Jahren hat er das notorisch verstaubte und mittellose Kulturministerium umgekrempelt und zu einer der glänzendsten Adressen im Regierungsteam von Romano Prodi gemacht. Als der Linksdemokrat Veltroni, der in Italien auch als Filmkritiker geschätzt wird, bei der Regierungsbildung 1996 das Kulturressort beanspruchte, hatte Ministerpräsident Romano Prodi noch ungläubig zurückgefragt: "Als Vizepremier und Anführer der PDS-Riege im Kabinett könntest Du ohne weiteres in der ersten Liga spielen, im Innen-, Verteidigungs- oder Außenministerium...!"
Der Kulturpolitiker Veltroni, mit 42 Jahren einer der jüngsten im Kabinett, ließ sich jedoch nicht umstimmen. Das Ausmaß der Herausforderung war ihm dabei wohl selber nicht ganz klar gewesen. Für Erhalt und Pflege der umfangreichen, häufig von akutem Verfall oder von Kunstdieben bedrohten Kulturschätze des Landes, stand seinem Ministerium gerade ein Etat von 300 Mrd. Lire pro Jahr (ca. 300 Millionen DM) zu Verfügung, ein Tropfen auf dem heißen Stein in dem mit historischen Kunst- und Kulturgütern überreich gesegneten Land. Die erste Idee zur Überbrückung der akuten Diskrepanz unterbreitete Veltroni seinem Parteifreund und Kollegen Vincenzo Visco im Finanzministerium, der sich einverstanden erklärte, die Einnahmen aus dem Mittwochslotto (ca. 300 Mrd. Lire) für Kulturzwecke zur Verfügung zu stellen. Nach dieser unkomplizierten Verdoppelung des Etats wurden die zusätzlichen Gelder umgehend für 70 Restaurationsprojekte zur Verfügung gestellt.
Längere Öffnungszeiten der Museen
Anschließend wandte Veltroni sich dem Museumswesen zu. Manche Verbesserungen waren hier bereits von seinen Vorgängern eingeleitet worden, insbesondere von dem parteilosen Minister Alberto Ronchey, der die durch Bürokratie und Zentralismus gelähmten Museen 1993 erstmals aus ihrer Lethargie weckte. Die Öffnungszeiten wurden seitdem wiederholt verlängert, mehrere seit Jahren geschlossene Museen wie z.B. die Villa Borghese in Rom wieder zugänglich gemacht. Seit April 1998 haben die sechzehn wichtigsten Museen in Turin, Mailand, Venedig, Florenz, Rom und Neapel bis 22.00 Uhr geöffnet. Die Besucherzahlen stiegen danach im Durchschnitt um ein Viertel, in manchen Fällen sogar um über 500 %.
Veltroni hat die Führungsriege seines Ministeriums völlig umgekrempelt und zahlreiche Fachleute aus dem kulturschaffenden Bereich um sich geschart, die in der Folge in allen Bereichen stärkere Privatinitiative zu mobilisieren suchten. Die wichtigsten Museen und Superintedendenzen wurden daher nun in Unternehmen umgewandelt, unter der Leitung von Managern, die ihre Einnahmen für die Entwicklung eigener Projekte und Strukturverbesserungen verwenden können. Im weiteren suchte Veltroni Privatunternehmen direkt einzubinden, die bestimmte Projekte und Museen adoptieren konnten. Zwanzig Unternehmen haben allein für Pompeji ihre Unterstützung zugesagt und dürfen nun im Gegenzug das Image der Römerstadt für Werbezwecke benutzen. Innerhalb eines Jahres gelang es Veltroni so, den Etat seines Hauses um über 3.125 Mrd. Lire aufzustocken und damit praktisch zu verzehnfachen. "Im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger hat Veltroni sich nicht darauf beschränkt zu erklären, daß die Kulturgüter eine Ressource des Landes seien, sondern er hat mit Leidenschaft, Intelligenz und Ideen in diese Ressource investiert," erklärt anerkennend der als Kunstkritiker profilierte Oppositionspolitiker Vittorio Sgarbi.
Die positive Bilanz hat sogar die Befürchtungen hinsichtlich einer kulturellen Ausgrenzung kritischer Stimmen und oppositioneller Richtungen in den Hintergrund treten lassen. Italien hatte in dieser Hinsicht durchaus einschlägige Erfahrungen gesammelt, nicht nur während des Faschismus, sondern auch auf subtilere Art und Weise unter dem demokratischen Parteienregime der ersten Republik. Die Tatsache, daß Veltroni in dem erweiterten Kulturministerium nun alle Fäden in den Bereichen Kino, Theater, Musik, Museen und Denkmalschutz in der Hand hält, hat sich bisher aber eher als Vorteil im notorischen Kompetenzgewirr der italienischen Bürokratie erwiesen. Der Kunstsammler Arturo Schwarz, der dem italienischen Staat schon vor zehn Jahren seine umfangreiche Sammlung zum Geschenk anbot, fand erst jetzt den passenden Ansprechpartner und urteilt nun: "Veltroni hat in wenigen Monaten mehr getan als alle seine Vorgänger in 50 Jahren !"
(Weber, Peter : Tausendsassa und Manager in einem. Das Wunder von Rom: Frischer Wind in der italienischen Kulturpolitik, in: Das Parlament, a.48 no.25-26, Bonn, 12. June 1998, p.15.)