München bei 30 Grad und Unwetter

Das ETAP-Hotel in Garching direkt an der Endstation der U6 ist mein Quartier für 4 Tage. Wie immer gibt es kein Problem mit Name und Scheckkarte. Am ersten Abend mache ich einen Erkundungsgang durch Garching. Im Freien sitzend esse und trinke ich etwas und setze meine Lektüre fort: "Ein Mann aus Samt und Seide" von Evelyn Holst. Aimée liest gerne. Da ist sie beschäftigt und ab und zu schaut sie auf, um Leute zu beobachten. Ein Paar mit Hund kommt. Sie: Schwarzer enger Lederrock. Er: Ein richtiger Mann (Macho?), schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, braun gebranntes Gesicht mit Schnurbart und Vollglatze, Goldkette um den Hals, Pfeife rauchend. Was für ein Mann! Und ich? Nicht Mann nicht Frau, irgend was dazwischen.

Der nächste Morgen. Frühstück im Hotel. Die Frau von der Hotelleitung kommt zu mir und überreicht mir das "Journal für die Frau", eine Aufmerksamkeit des Hauses mit einem Aufkleber drauf: "Die schlaue Frau übernachtet bei ETAP." Ich fühle mich geschmeichelt.

Morgen gehe ich in das Deutsche Theater. Also probiere ich heute aus, wie ich da hinkomme und wie lange ich brauche. Nach dem unangenehmen Erlebnis von Molly, einer Frankfurter Freundin, die nachts in Frankfurt von 7 Jugendlichen tätlich angegriffen wurde, bin ich sehr verunsichert. Soll ich nicht doch lieber abends mit dem Auto nach München reinfahren?

Im Kaufhof besorge ich eine Kleinigkeit, gehe ins Restaurant, trinke etwas (wichtig bei der Hitze!). In den Kaufhäusern ist es angenehm kühl.

Am Abend bin ich in der Nationaloper. Also fahre ich zeitig ins Hotel, um mich noch mal schick zu machen. Vier Jungs, etwa 12 Jahre alt, sie hatten mich schon im Kaufhof entdeckt und gelacht und getuschelt, treffe ich erneut in der U6. Sie haben wieder ihren Spaß, steigen früher aus und klopfen im Vorbeigehen ans Abteilfenster und verschwinden lachend. Ich lache und winke zurück. Harmlos!

Da ich für die Oper ein schwarzes, langes Kleid mit pinkfarbenem Blumenmuster trage, lackiere ich mir die Nägel entsprechend von orange auf pink. Rasur mit Trockenrasierer, noch mal schminken, wieder fertig.

Im Augenblick sitze ich im Theatinerhof bei einer Kanne Cafe und einem Apfelstrudel und beginne diesen Bericht.

Die Oper fängt um 19.00 Uhr an: Manon Lescaut von Puccini. Ein Mann in Livree reißt die Karte ab: "Ich wünsche einen schönen Abend, Signora!" Klang da etwas Ironie aus dem "Signora"? Nein, ich glaube das war ehrlich gemeint. Schön. Ich wandele in dem wunderschönen Foyer unter festlich gekleidetem Publikum, Spiegel über Spiegel, eine Wonne für das narzisstische Herz eines Transvestiten. Am Ende müssen wir noch lange in der Eingangshalle warten, weil ein fürchterliches Unwetter über München hinwegzieht. Ich unterhalte mich mit meiner Platznachbarin und die Wartezeit vergeht schnell.

Der Nachhauseweg mit der U6 ist problemlos. In der Ubahnstation Odeonplatz läuft den ganzen Tag leise klassische Musik (sehr beruhigend). Außerdem ist er videoüberwacht, was ein Gefühl der Sicherheit vermittelt.

Während ich weiter schreibe sitze ich wieder im Cafe im Theatinerhof. Es ist gut, wenn man einen Ort hat, an dem man sich wohl fühlt, das Publikum angenehm ist, die Bedienung freundlich ist und einen schon kennt.

Heute besuche ich das Nymphenburger Schloss mit den vielen kleinen Schlösschen im Park. Seid ihr schon mal mit offenen Schuhen in einem Schlosspark gelaufen? Ständig sind winzige Steinchen im Schuh, machen das Laufen zur Qual. Ich habe Angst um meine dünnen Sommerstrümpfe. Gestern ging mir ein Paar gleich beim ersten Tragen kaputt: Die großen Fußnägel waren nicht gut geschnitten und gefeilt. Im Schlosspark überholt mich eine Schulklasse mit lachenden und schwatzenden Kindern. Vor denen habe ich immer großen Respekt, mache einen großen Bogen, weil die so offen und direkt sein können. Dieses Mal wusste ich nicht wohin ich ausweichen sollte. Sie nehmen aber keine Notiz von mir, sind zu sehr mit ihren eigenen Witzen beschäftigt. Nicht eine dumme Bemerkung gab es bis jetzt von den Münchnern und den vielen Touristen. Angeschaut werde ich öfters, aber immer mit Wohlwollen oder Gleichgültigkeit. Schaut jemand fragend mein Gesicht an, dann geht der zweite Blick nach unten auf meine Beine, aber die sehen wie die einer Frau aus, schlank, hauchdünne Strümpfe, rasiert, lackierte Fußnägel, Sandaletten. Ok! Das Cafe schließt in 15 Minuten.

In 1 ½ Stunden fängt die Flamenco Show im Deutschen Theater an. Toll, diese heißblütigen Frauen und die kraftvollen, energischen Männer. Wieder frage ich mich: Wo stehe ich? Was bin ich?

Es ist 23.00 Uhr. Der Nachhauseweg steht mir bevor. Ich muss an Molly denken. Die langen unterirdischen Gänge der S-Bahn, wenig Menschen, einige komische Gestalten. Ein wenig mulmig ist mir zu Mute. Nichts anmerken lassen, Selbstbewusstsein zeigen! Weitergehen. Die Station am Marienplatz ist voller Menschen. Ich entdecke einen Sitzplatz. Sitzend falle ich weniger auf bei einer Größe von 1,85 plus 4 cm Absatz. Zum Glück kommt der Zug bald. Gut! Eine Gruppe gackernder Mädchen nimmt keine Notiz von mir. An einer Haltestelle geht ein glatzköpfiger junger Mann an meinem Fenster vorbei, klopft an die Scheibe und zeigt mir einen Vogel. Was für ein Glück, dass ich ihm nicht direkt auf dem Bahnsteig begegnet bin.

Der letzte Tag. Die gemütliche Heimfahrt mit Pause in Würzburg lässt diese wunderschöne Zeit als Aimée langsam ausklingen. Obwohl jeder Tag als Aimée immer etwas angespannt ist wegen des Auftritts in der Öffentlichkeit, waren die Tage trotzdem eine Zeit der Entspannung und nach all dem was ich erlebt habe auch Tage der Zufriedenheit und Ermutigung.

 

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