Als Stella 5 Tage unterwegs nach und in Wien(2005)

Dach des Stephansdomes

Den großen Koffer hatte ich schon am Abend vorher im Auto verstaut, ebenso eine Plastiktüte mit fünf Paar Schuhen. Geschlafen hatte ich sehr unruhig. War es die Aufregung oder war es das Kännchen Kaffee, das ich noch am Vortag getrunken hatte?

Sonntag in aller Früh, bevor die Nachbarin aufsteht, will ich noch den kleinen Koffer und einen Korb mit einer guten Brotzeit in das Auto schaffen, da läuft sie aber schon in ihrem Garten herum. Kann sie nicht mal an einem Sonntag länger schlafen, sodass ich ungesehen ins Auto gelangen und losfahren kann? Es dauert zum Glück nicht lange und sie verschwindet wieder ins Haus.

Mir kommt eine frühere Szene in den Sinn: Ich bin fertig zum Ausgehen, sie kehrt in aller Ruhe den Bürgersteig, eine Nachbarin mit Hund kommt hinzu und sie reden und reden. Eine Stunde vergeht, ich lackiere mir, um die Zeit zu nutzen, die Fingernägel. Die nächste Stunde vergeht. Was Frauen so alles schwätzen können!

Bevor die Nachbarin jetzt ein Fenster erreicht, sind die restlichen Gepäckstücke im Auto, einschließlich meiner selbst. Ich klappe noch beide Sonnenblenden herunter. Sicherheitshalber. Muß ja nicht jeder gleich sehen, wer hier hinter dem Steuer sitzt. Man weiß ja nie. Los geht´s.

An der nächsten offenen Tankstelle fülle ich den Tank bis alle Luftblasen heraus sind. Die Fahrt unterbreche ich für eine Brotzeit vor Passau und für eine Kaffeepause in der Barockstadt St. Pölten. Zehn Stunden und ich bin zum ersten Mal im Ausland, in Wien.

Das Einchecken geht ohne eine Regung des Erstaunens von Seiten des Mannes hinter der Theke. Ich hatte mit meinem männlichen Namen telefonisch das Zimmer bestellt. Nun stehe ich als Stella vor ihm, fülle den Anmeldeschein aus: Herr... (Nachname), ... (Vorname), Geschlecht: männlich. Am liebsten hätte ich ergänzt: "... in Gestalt einer Frau".

Dann hält er meine VISA-Karte in der Hand, ich unterschreibe mit meinem Männernamen. Keine Regung, keine Bemerkung, alles wie selbstverständlich.

"Wo kann ich mein Auto parken?" frage ich.
"In der Tiefgarage. Kostet 50 Cent pro Stunde."
Das kann doch nicht sein! Ich will mein Auto drei Tage und drei Nächte stehen lassen. Zusätzliche Kosten: 12 Euro mal 3 macht 36,- Euro Parkgebühren. Ich übernachte in einem Etaphotel, um Geld zu sparen! Und jetzt noch Parkgebühren!
Der Mann sieht meine Ratlosigkeit und Bestürzung und meint: "Sie können auch in einer Seitenstraße kostenlos parken. Erste Ampel links. Nur 5 Minuten Fußweg von hier."
"Danke, das finde ich Klasse."

Das Etapzimmer ist etwas großzügiger geschnitten als die in Deutschland. Aber auch hier sind ganz schlechte Lichtverhältnisse am Spiegel. Da gerät die Schminkerei eher zu einem Zufallsprodukt, als perfekt geplant. Zu allem Übel ist auch noch eine von den zwei Lampen über dem Spiegel kaputt. Also wieder zum Mann an der Theke und die Fehlermeldung gemacht.

Selbstsicherheit, Selbstbewusstsein, Selbstverständlichkeit sind unabdingbare Voraussetzungen, um als Crossdresser seine "Frau" zu stehen und siehe da, es funktioniert. Sei es beim Kauf von Theater- und Konzertkarten und dem damit verbundenen Anstehen in einer Menschenschlange, dem Bezahlen mit der Scheckkarte mit männlichem Namen oder dem Kauf des "Wien-Tickets" (72 Stunden mit allen Verkehrsmitteln für 12,- Euro) und die U-Bahnfahrten oder die Fahrt mit dem Lift auf den stürmischen Stephansdomturm. Die Perücke saß fest und flog nicht weg. Alles verläuft trans-normal.

Im Café Central, dem Prachtcafé im venezianisch-neugotischen Stil werde ich freundlich bedient.

Prachtcafé im venezianisch-neugotischen Stil

Ich lächle die Kellnerin an, wenn sie vorbeikommt und sie lächelt fröhlich zurück. Später bitte ich sie, ob sie ein Foto von mir machen kann.
"Na klar!" So einfach geht das.
Zum Schluß: "Vielen Dank für die freundliche Bedienung."
Sie lacht: "Ist doch selbstverständlich. Kommen sie bald wieder."

Ich bin nicht katholisch, trotzdem ziehen mich die Dome unwiderstehlich an.

Mit der Messe, dem Schwenken des Räucherfasses und dem Geheimnis des Glaubens - für mich als protestantischer Christ ist dies kein Geheimnis - kann ich nicht allzu viel anfangen. Es sind die Orgelmusik und der Hall der himmlischen Klänge in der Weite der Domhallen, die mir manchmal erschauernd den Rücken runter laufen.

Eine schöne Geste, die jedes Mal auch mich wie selbstverständlich einschließt, ist die Aufforderung des Priesters: "Reichet einander die Hände zum Frieden."
Ganz ohne erstaunte, "dumme" oder fragende Blicke wünschen mir die katholischen Glaubensgeschwister die Hand reichend: "Der Friede sei mit dir."
Ich erwidere den Gruß: "Der Friede sei mit dir."
Am Ende bedanke ich mich bei einem der Musiker (Bassist) für die Musik.
"Wer war der Komponist dieser wunderschönen Musik?" will ich wissen.
"Franz Schubert," und ein Strahlen huscht über das Gesicht des Bassisten.
Ich hatte eine Messe von Franz Schubert gehört, für 4 Singstimmen, mit zwei Geigen, Baß und Orgel.

Das Lachen habe ich bei dem Kellner am Abend in der "Pizzeria da Gennaro" (Nähe Dom) vermisst. Er bediente kühl, sachlich und konzentriert. Hat er ein Problem mit mir? Ich beobachte ihn eine zeitlang. Die anderen Gäste werden genau so bedient: kühl und sachlich. Er ist also wie er ist. Mit zwei Wiener Herren am Nachbartisch lacht er. Die sind nicht das erste mal hier. Die kennt er.

Heute steht Schloß Schönbrunn auf dem Programm: 40 Prunkräume von insgesamt über 1400 Zimmern und die lebhafte Führung mit vielen Geschichten über Maria Theresia und Sissi werden zu einem besonderen Erlebnis. Die Touristen und der Gruppenführer geben nicht eine Sekunde zu verstehen, dass jemand dabei ist, der nicht dazu gehört. Es ist ein wohltuendes Gefühl von Anfang an. Die großen Spiegel in jedem Raum verführen mich, ständig hineinzuschauen. "Spieglein, Spieglein an der Wand..." Der Spiegel sagt mir: "Du siehst gut aus, Frisur, Makeup sind tadellos."
Am Ende der Führung frage ich: "Wie wurden zur Kaiserzeit die restlichen 1400 Zimmer genutzt?"
"Das waren Zimmer für über 1000 Bedienstete. Die reichten nicht einmal, sodaß viele noch außerhalb wohnen mussten."

Gloriette

Ich bin froh, dass ich meine geschlossenen Schuhe angezogen habe. Beim Gang zur Gloriette hätte ich mir bei jedem Schritt über die Kieswege lauter Steinchen in die offenen Schuhe geschaufelt. Alle Tische sind bei diesem herrlichen Sonnenwetter natürlich besetzt. Ich warte zwei Minuten. Da! Einer wird frei, schnell hin.
Später fragt eine junge, werdende Mutti: "Darf ich mich zu ihnen setzen?"
"Natürlich!"
Ich betrachte dies als Zeichen von Akzeptanz.

Einkaufsstraßen, Mariahilfer Straße, Kärntner Straße, Naschmarkt, den dritten Tag in Pumps. Die Füße freuen sich auf den kalten Wasserstrahl aus der Dusche am Abend. Ruhepause für die schmerzenden Füße ist wieder einmal das Café Central. Nachdem ich mir ein anderes Plüschcafé angeschaut habe, Café Frauenhuber, Wiens ältestes Café (Insider Tipp des Marco Polo Führers) bin ich doch wieder im Central gelandet. Heute sogar mit Livemusik am Klavier. Der junge Ober bedient mich aufmerksam und freundlich.

Es wird Zeit. Ich mache mich auf den Weg ins Hotel, neu schminken und ankleiden für den Konzertabend. Vor dem Konzert gehe ich noch mal zum Italiener am Steffansplatz. Der Kellner erkennt mich wieder, ist freundlich, fragt gleich ob ich wieder Apfelsaft möchte. Bist du bekannt, akzeptabel gekleidet wirst du in der Regel freundlich und höflich bedient. Was heißt "in der Regel!" Ich würde sagen: "Immer!"

Konzert im Haus der Gesellschaft der Musikfreunde Wien

Das Konzert war einmalig: Beethoven, Tschaikowsky und ein moderner Komponist. Ich unterhalte mich glänzend mit meiner Platznachbarin. Mit einem japanischen Pärchen habe ich auf englisch viel Spaß, sie suchten hilflos ihren Platz. Ein Wiener Paar sitzt getrennt. Ich biete ihm, der neben mir sitzt meinen Platz an, sodaß seine Freundin neben ihm sitzen kann. Dafür nehme ich ihren Einzelplatz. Sein zuvor finsteres, verschlossenes Gesicht hellt sich zusehends auf und er bedankt sich überschwänglich.

So wurde die Wienreise zu einem Erlebnis, das mir weiterhin viel Selbstsicherheit gab und das mir wieder einmal zeigt: Akzeptabel gekleidet und geschminkt, mit Selbstbewusstsein sich sicher in der Menge bewegen, ruhig auch mal Menschen ansprechen, um bestimmte Gruppierungen von jugendlichen Ansammlungen einen großen Bogen machen und wir brauchen als Transvestiten keine Ängste und Bedenken haben, wenn wir uns in der Öffentlichkeit unter Menschen bewegen.

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