DAS GEHEIMNIS DER MALERIN

 

Kapitel 1

 

Katie Brownwille stand mit dem Rücken zur Tür vor einem großen Bücherregal. Ihr dunkelblauer Anzug passte hervorragend zu ihren hellbraunen, schulterlangen Haaren. Das perfekte Outfit für eine Geschäftsfrau wie sie. Zwar lief im Moment alles drunter und drüber, aber trotzdem verlor Katie ihren guten Modegeschmack nicht. Ihr Buchladen, »Helens Bücherwelt«, südlich von Seattle gelegen, lief derzeit nicht besonders gut und brachte nur wenig Geld ein. Die meisten Kunden gingen nun ins große Einkaufszentrum gleich über der Straße, wo vor einigen Tagen ein neuer Büchermarkt ein Geschäft eröffnete. Die 32-Jährige summte eine Melodie vor sich hin, während sie dicke Folianten in die Regal schlichtete. Eigentlich würde sie lieber ihren Traumberuf, das Malen, ausüben, aber leider würde Katie dafür noch weniger Lohn bekommen. Wäre da nicht ihr Freund Nicolas, der ihr immer zur Seite steht, dann würde sowieso überall ein riesiges Chaos ausbrechen.

Plötzlich schlich jemand an Kat heran ... die Gestalt ergriff ihre Schultern ... Katie erschrak und fuhr verängstigt zusammen. Sie hätte schwören können, dass sie alleine gewesen wäre. Die Tür hatte sie auch abgeschlossen. Wer konnte das bloß sein? Die junge Dame drehte sich um und stöhnte erleichtert. »Oh, Jeff! Haben Sie mir jetzt einen Schrecken eingejagt...« Vor ihr stand Jeffrey Shannon, der unbeholfene Angestellte. Er hielt einen Stapel Papier in den Händen. »Was sind denn das für – «, begann Katie und wurde jedoch von Jeffrey unterbrochen. »Das ist eine Liste mit Ausgaben des letzten Jahres. Wenn es so weiter geht, dann sind wir ein weniger als zwei Monaten in Konkurs!« Jeff atmete hektisch und blickte tief in die braunen Augen seiner Arbeitgeberin. Doch Katie Brownwille schien nicht überrascht. Im Gegenteil. »Ich bin mir dessen bewusst«, antwortete sie und seufzte. Kat wusste, dass es ihren Buchladen, den sie von ihrer Mutter geerbt hatte, nicht mehr lange geben würde, wenn ihr nicht auf schnellstem Wege eine rettende Lösung einfiel. Womöglich würde Katie ihren einzigen Mitarbeiter Jeffrey kündigen müssen, um ihr geliebtes Geschäft ein paar Monate länger, über Wasser zu halten. Seit dem Tod ihrer Mutter Helen vor zwei Jahren, war Katie im Besitz des Ladens. Zwar hatte die Bücherwelt einige Stammkunden, doch selbst diese kauften nun nicht mehr sehr häufig bei ihr ein.

Gott sei Dank war da Kats Freund Nicolas, der immer für sie da war. Egal was auch geschehen mochte.

 

 

Kapitel 2

 

»Mr. Marks, sind Sie noch dran?«, ertönte eine Stimme aus der Hörmuschel. Nicolas, auch Nick, Nico oder Mark genannt, erstarrte bei dieser Stimme. Der Mann erhob den Blick von seinem Buch. Vor wenigen Minuten läutete das Telefon und Nico hatte wirklich keine Lust mit seinem Vorgesetzten über die Arbeit zu plaudern.

Er sammelte seine Gedanken wieder und antwortete zögernd in sein topmodernes silbergraues Mobiltelefon: »Ja, Mr. Kingston. Ich war nur kurz ... ähmm ... abgelenkt.« Auf Nicks Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, denn er wusste, dass er gerade seinen Chef angelogen hatte. Was ging es denn Steven Kingston an, was seine Angestellten in ihrer Freizeit machten? Nicolas konnte ja nicht einfach sagen: »Sorry, Chef, aber wenn ich mich auf meine Couch setzte, um ein Buch zu lesen, werde ich wohl kaum eine Minute für meinen Arbeitgeber übrig haben!«, und auflegen. Also blieb ihm keine Wahl übrig.

»Was gibt’s?«, fragte Nicolas, erhob sich von dem Sofa und schlenderte trotzig zur Küche. Die frühmorgendliche Sonne schien durch die großen Fenster der pastellfarbigen Wohnung. Seit dem Einzug mit Katie hatte Nico den Kauf nie bereut. Hier war er frei und fühlte sich wohl. Nick drückte auf einen Knopf der Espressomaschine, als Steve Kingston zu sprechen begann: »Es ist Folgendes, Mr. Marks: Ich habe soeben einen Brief aus Vancouver erhalten. Darin steht, dass Corg International in Kanada einen neuen Chef sucht, da Mr. Matthews verstorben ist. Jetzt soll ich einen meiner besten Mitarbeiter nach Vancouver schicken.« »Und weshalb rufen Sie mich an?«, fragte Nicolas, der immer noch nicht verstand, auf was sein Arbeitgeber hinaus wollte.

Er öffnete die Kühlschranktür, holte die Milch heraus und goss ein bisschen etwas davon in seinen heißen Kaffee. Ein Lachen drang an sein Ohr. Mr. Kingston sprach amüsiert weiter.

 

 

Kapitel 3

Die Tür wurde schlagartig aufgerissen. Elizabeth Brownwille trat aus Ihrem großen Apartment. Kaum ins den dunkelblauen Ford eingestiegen, rast sie los. Auf den Straßen war viel Verkehr, daher kam sie nur langsam voran.

Unzählige Minuten waren vergangen, als Elizabeth bei »Helens Bücherwelt« angekommen war. Die Autotür schwang auf und eine modern gekleidete Dame stieg heraus. »Schwesterherz!«, rief sie, als sie in den kleinen Buchladen kam, »Hallo?« Plötzlich hörte sie die Stimme ihrer Schwester. Elizabeth kam auf Katie zu und umarte sie freundschaftlich. »Was führt dich hierher?«, fragte Kat ruhig und blickte Liz mit einem erstaunten Gesicht an. Seit langem kam ihre Schwester nicht mehr in den Buchladen. Aber weshalb war sie heute da? Liz war letzte Woche 30 Jahre alt geworden und seit der Geburtstagsfeier hat sie Katie nicht mehr gesehen. Ist sie wieder einmal pleite und braucht Geld? Wenn dies der Fall ist, kann ich ihr leider auch nicht aushelfen, da ich selbst knapp bei Kasse bin, dachte Kat Brownwille. Das Verhältnis zu ihrer einzigen Schwester war sehr gut, aber wenn es um Geldsorgen ging, konnte es sogar manchmal zu kleinen Streitereien kommen. »Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht Zeit und Lust hättest, mich in deiner Mittagspause in das neue Chinarestaurant zu begleiten«, sprach Elizabeth endlich. Es wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn Liz ein Buch kaufen würde, dachte Katie und musste ein Kichern unterdrücken. Sie wollte beinahe die Einladung ablehnen, doch plötzlich knurrte ihr Magen. Kat schnitt eine peinlich berührte Grimasse und nickte: »Okay. Lass uns gehen!«

»Wow, hier ist es ja schön!«, staunte Katie als sie das neu gebaute Restaurant betrat. Auch Liz war sichtlich beeindruckt. Der moderne asiatische Stil zusammen mit den köstlichen Gerüchen von Saucen, Fleisch und Reis, ergeben eine wunderbare, unvergleichliche Mischung. Elizabeth holte tief Luft, um das einzigartige Aroma, das durch das gesamte Gebäude strömte, in ihre Lungen zu pressen. Der Kellner Chi-Hang wies die beiden zu einem Tisch. Sie nahmen Platz und Katie begann unruhig von einer Pobacke auf die andere hin- und herzuwetzen. Sollte sie das Geheimnis lüften? Würde es Elizabeth verstehen? Ja. Ihre Schwester musste es verstehen. Aufgeregt begann Kat zu sprechen: »Ich muss dir etwas – « Das junge Dame wurde abgebrochen. Ein weiterer Angestellter des Chinarestaurants kam zum Tisch und fragte nach den Wünschen. Katie bestellte sich ein Shanghai-Huhn süß-sauer mit einem Orangensaft und Liz orderte sich eine gebackene Hühnerbrust mit pikantem Gemüse. Als sie die Bestellung beendeten und die Bedienung kehrt Richtung Küche machte, wandte sich Elizabeth Brownwille ihrer Schwester zu. »Du wolltest gerade etwas sagen«, erinnerte sie Kat in freundlichem Ton. Das Herz pochte. Katie schien einen Schweißausbruch zu bekommen. Das Herz wurde immer schneller und schneller. »Na gut, aber du musst mir versprechen, es niemanden zu erzählen und schon gar nicht Nicolas. Das soll er nämlich von mir persönlich erfahren.« Liz hob die Finger und schwor. »Die Sache ist die...«, begann Kat und zitterte am ganzen Leib. Ihre Gedanken überschlugen sich und sie wusste nicht, wie sie es am besten formulieren sollte. Dann platze Katie einfach heraus: »Ich bin schwanger!«

 

Wie es mit Kat, Nick und Liz weiter geht erfahrt in in einigen Tagen...