200 Seiten
ISBN 3-938065-13-3
Wurdack Verlag
9,95 Euro
Stefan Wogawa - Golem & Goethe
Alex Wichert - Ball des Anstoßes
Bernhard Schneider - Interferenz
Arnold H. Bucher - Berechtigte Fragen
Heidrun Jänchen - Echos
J. Th. Thanner - Trichterbecher wachsen
Frank Haubold - Die Heilige Mutter des Lichtes
Uwe Hermann - Die Abteilung für kosmische Täuschungen
Petra Vennekohl - Kontrolle
Axel Bicker - Der Schwamm
Marlies Eifert - Weiße Elefanten
Edgar Güttge - Roda
Armin Möhle - Zwischenstopp auf Prox
Nina Horvath - Tod einer Puppe
Alexander Kaiser - Redpointer
Olaf Trint - Hinaus in die freie Natur
Christian Savoy - ETA 7
Melanie Metzenthin - Reproduktion
Thomas Kohlschmidt - Cinema Mentale
Birgit Erwin - Die nach uns kommen
Armin Rößler - Der Gravo-Dom
Das mächtige Bauwerk schwebte vor ihren Augen mehrere hundert Meter über der Oberfläche des Planeten. Das wuchtige achteckige Gebäude verjüngte sich sanft von unten nach oben. Aus seinem Dach ragte ein lang gestreckter Zwiebelturm, der noch einmal dieselbe Höhe wie das Hauptgebäude selbst haben mochte. So weit war das für den Betrachter noch zu akzeptieren, doch unten, dort, wo normalerweise - wäre der Turm auf dem Boden gestanden - das Fundament zu sitzen hatte, befand sich ein spiegelverkehrtes Abbild des gesamten Bauwerks. Als hätte ein Kind zwei Spielzeug-Türme aneinander geklebt und in die Luft geworfen, dachte Lowe ehrfürchtig. War dieses eine Gebilde schon schwer zu begreifen, so erschien es ihm als fast unmöglich, dass in der Atmosphäre des Planeten über fünfhundert dieser Dome schwebten.
"Wie … wie haben sie dieses Ding gebaut?", stieß Lowe hervor. "Das ist doch völlig unmöglich."
Kreisler schüttelte den Kopf. "Wir wissen es nicht", sagte er. "Unten, auf Shaari, gibt es keinerlei Hinweise. Weder auf die Dome noch auf Stätten, an denen sie erbaut worden sein könnten. Geschweige denn auf die Wusler. Als hätten sie nie dort existiert."
"Die Wusler?", fragte Lowe.
"Die Eingeborenen", antwortete Kreisler geduldig. "Die Shaari, wie sie offiziell nach dem Planeten genannt werden. Oder umgekehrt. Ich nenne sie die Wusler."
Lowe nickte. Natürlich. Diese Bezeichnung lag nahe.
Kreisler landete ihr kleines Schiff auf einer der Plattformen, die sich wie schwere Ringe an vielen Stellen um den Dom legten. Beim Blick auf den Schirm meinte Lowe, schemenhaft etwas durchs Bild huschen zu sehen. Ein Wusler. Er grinste. Der Name gefiel ihm.
"Gehen wir", sagte Kreisler. "Lassen Sie mich reden." Lowe hatte sich nicht schwer damit getan, die Grundzüge der relativ simplen Sprache der Shaari auf dem sechsmonatigen Flug von der Erde hierher zu lernen. Dennoch würde er Kreisler gern den Vortritt lassen. Schließlich hatte der Ältere ihm einiges an Erfahrung im Umgang mit den Eingeborenen voraus. Und Lowe hatte auch kein Interesse daran, sich schon jetzt in den Vordergrund zu drängen. Das stand erst später auf seinem Plan. Auch wenn er sich noch immer innerlich dagegen sträubte.
Und diese Autoren haben viele Freiheiten, viel mehr Freiheiten vielleicht als ihre berühmten Vorgänger und Klassiker, die ihre Freiheit erst ermöglicht haben. Für diese Anthologie haben sie Geschichten geschrieben, weil es ihnen Spaß macht, nicht um damit Geld zu verdienen - wie viele der Klassiker und Pioniere. Sie können experimentieren und ihrem Spieltrieb freien Lauf lassen. Als KurzgeschichtenautorInnen können sie den Leser auch mal in seinen Erwartungen herausfordern und ihn etwas geistige Anstrengung abverlangen.
Sie müssen nicht mehr die Unwissenheit und der Unvertrautheit der Leser mit dem Genre berücksichtigen. Nein, sie rechnen einfach nicht mehr mit Lesern, die nicht so einen erhöhten Standpunkt wie sie haben.
Eine Kritik sollte daher ansetzen, in wiefern es ihnen gelingt, den alten Mustern, Themen und Motiven neues Leben einzuhauchen.
Die Reise durch den Weltraum ist in "Golem & Goethe" von Stefan Wogawa zur Routine geworden. Selbst die intelligenten Maschinen fühlen sich unausgelastet. Und der einzige Mensch an Bord sieht sich nicht den Gefahren des Weltalls ausgesetzt, sondern ungehorsamen Maschinen. Da geschieht das völlig unerwartete, der zeitreisende Goethe verschlägt es in dieses Schiff, just als der Hauptrechner des Handelsraumschiffes zu dichten beginnt, und zwar ein sehr bekanntes Gedicht. Ein amüsante Wendung in dieser gelungenen Geschichte von Stefan Wogawa über die "Zeitlosigkeit" von Dichtung. (Interessant dabei, dass es sowohl einen Computer namens Golem "Also sprach Golem" von Stanislaw Lem, als auch einem zeitgereisten Goethe, "Ein Gespräch mit einem Herrn Goethe im Jahr ..." von Arno Schmidt, bereits gibt. Nur die Kombination eben noch nicht, und die macht's.)
Der Mars ist in "Ball des Anstoßes" von Axel Wichert zu einer Strafkolonie geworden, und der Turbo-Kapitalismus hat den Weltraum erreicht. Der Autor erzählt routiniert eine Begebenheit in dieser wenig erfreulichen Welt. Alles ist kommerzialisiert und gewinnorientiert, selbst der Dienst der Wachmannschaften.
Der Kosmos ist unberechenbar geworden. Bernhard Schneider erzählt in "Interferenzen" von der Erforschung des Mikrokosmos, was die Welt der Forscher erschüttert, die Realität uneindeutig werden lässt. Diese spannende Geschichte ragt heraus, weil sie auch etwas von der Erschütterung, die die Figuren erleben, auch auf den Leser überträgt.
Für die Klassiker der Science Fiction gab es noch Gewissheiten und sie wurden von einer optimistischen Stimmung getragen, aber heutige Autoren sehen die Grenzen des Menschen unterwegs im All bei seiner Belastbarkeit. Wie Heidrun Jänchen in der verschachtelten Geschichte "Echos" darstellt, erfordert die Erhaltung der geistigen Gesundheit während eines Raumfluges und der Suche nach außerirdischen Intelligenzen, nach Nachbarn im All, ungewöhnliche Maßnahmen. In dieser Geschichte schwingt mehr Wahrheit über den Menschen mit als man glaubt. Eine nachdenklich machende Geschichte.
Auch in "Der Schwamm" verliert die Mannschaft einer Forschungsstation, die auf einem schwammbedeckten Planeten liegt, langsam den Verstand. Auch in dieser lesenswerten Geschichte sind die Menschen mit ihrem Forschungseifer auf den unberechenbaren Kosmos aufgelaufen.
"Kontrolle" von Petra Vennekohl hat die Gen-Technik zu einer neuen Zweiklassengesellschaft geführt. Die vorgebliche genetische Optimierung des Menschen ist eine wichtige Problematik, aber in dieser Geschichte wird sie vor dem Hintergrund der Erforschung außerirdischen Lebens erzählt und das ist nicht richtig schlüssig, weil Hintergrund und Vordergrund merkwürdig unverbunden nebeneinander stehen.
Eher humorvoll nimmt es Uwe Hermann mit "Die Abteilung für kosmische Täuschungen", wo sich unser naturwissenschaftliches Bild vom Kosmos als Täuschung herausstellt. Allerdings sind die Details so abstrus, dass man den Autor unmöglich verdächtigen kann, christlichen Fundamentalisten in die Hände zu spielen; er will den Leser nur verblüffen und das gelingt im recht gut.
"Tod einer Puppe" von Nina Horvath, "Reproduktion" von Melanie Metzenthin sind Geschichten, die die Verwischung zwischen natürlichen und künstlichem Körper betreiben. Bei der Geschichte von Horvath weiß man nicht, ob die Erzählerin, in der Geschichte eine angehende Medizinerin, überhaupt noch den Unterschied erkennen kann, und lässt den so Leser unsicher zurück, eine Geschichte, die einem ratlos macht. "Reproduktion" ist eher abstrus. Die Vorstellung, dass man den Mensch kybernetisch von der kleinsten Zelle nachbilden kann, will ich als Leser nicht so recht akzeptieren.
Christian Savoy schlägt in "ETA7" passagenweise den Ton eines Geschichtenerzählers an, angemessen für die Geschichte, die uns in erste Linie in Erstaunen versetzen will. Eine Geschichte aus 2001 Nächten gewissermaßen, denn ich musste an "Die Haarteppichknüpfer" von Andreas Eschbach und an "2001 - Odyssee im Weltall" denken. Die Menschen stoßen auf "Clio" (einem Saturn/Neptun/Jupitermond?) auf ein außerirdisches Artefakt, das beim Kontakt ein Signal in die Weiten des Alls schickt. Dessen Inhalt, die Botschaft "Kommt!", versetzt die Militärregierung der Erde in Panik und die Maßnahmen dagegen führen über die Jahrhunderte zu immer absurderen Formen.
Vom Verlust der natürlichen Umwelt, ein seit den 70er Jahren aktuelles Thema der SF, erzählen pointiert zwei Geschichten. Sie gehören für mich zu den Highlights. Es sind "Hinaus in die freie Natur" von Olaf Trinkt und "Die nach uns kommen" von Birgit Erwin. Die Begegnung mit der Natur ist in der ersten die ultimative Herausforderungen für die Menschheit, die sich nach der Zerstörung der biologischen Umwelt in ihre künstlich virtuelle Welt zurückziehen musste.
"Die nach uns kommen" ist eine Postdoomsday-Geschichte. Ein Krieg hat die Erde völlig verheert und die Zivilisation hinweggefegt. Aber die Menschen, die die Welt vor dem Krieg kannten, wollen ein Teil davon in die Welt danach retten. Die nach uns kommen können jedoch mit ihren Begriffen nichts mehr anfangen.
Erstere hat eine gelungenes sarkastisches Ende, zweite vermag anzurühren durch die überzeugende Schlichtheit und die Konsequenz der Erzählung. So verpacken beide Autoren den Zweifel an den menschlichen Fähigkeiten in "leichte" Geschichten.
Das Motiv der außerirdischen Invasion geistert seit den Anfängen durch die Science Fiction Landschaft. Zwei Geschichten greifen es in unterschiedlicher Form auf. "Redpointer" und "Cinema mentale" von Thomas Kohlschmidt. Diese Geschichte ist einer der schwächsten im Band. Sie ist schlicht viel zu kurz, die Schilderungen der Auswirkungen eines Bewusstseinstausches zwischen Mensch und Alien bleiben deswegen unbefriedigend. "Redpointer" von Alexander Kaiser spielt nach einer Invasion des Sonnensystems durch Außerirdische. Ein junger Mann irrt durch eine Trümmerlandschaft und eine Militäreinheit versucht zu verhindern, dass er von den Außerirdischen aufgegriffen wird. Ein gigantisches Täuschungsmanöver als Grundidee finde ich , aber Kaiser versteht es sie spannend und anschaulich zu erzählen. Er ist souverän im Umgang mit den Versatzstücken und auch der emotionale Touch weiß zu gefallen.
Da gibt es noch die Geschichten:
"Trichterbecher wachsen" von J. Th. Thanner: in die beschauliche Welt von Häuslebesitzern bricht das Unerwartete in Form von schnellwachsenden Trichterbecherpflanzen from outer space ein. Thanner gelingt eine glaubwürdige Schilderung der Reaktion zweier älterer Paare auf dieses Ereignis. Darin erschöpft sich die Geschichte jedoch. Als Leser habe ich eine "Conclusio" erwartet.
"Zwischenstopp auf Prox" von Armin Möhle: Nette Geschichte über interstellare Schmuggler. Jeder versucht jeden zu übervorteilen und auszutricksen. Ein sympathischer genießerischer Zug dieser berechnenden und eher nüchternkalten technischen Welt enthüllt sich in der Schlusspointe.
Arnold H. Bucher erzählt mit "Berechtige Fragen" einen langen Witz über die bürokratische Gesetzes und Formularflut - mit treffender Pointe.
"Roda" von Edgar Gütge ist eine bizarre Geschichte. Alle Lebewesen sind intelligent und kommunizieren ohne große Verständigungsprobleme, Telepathie ist sogar möglich. Gütge reizt diese Sache aus, aber den Rezensenten ließ dieses Garn leider kalt, weil er keinen roten Faden erkennen konnte.
Frank Haubold entwirft in seiner Geschichte "Die heilige Mutter des Lichtes" eine ökologisch orientierte Zukunftswelt, die nach dem Zusammenbruch eine matriarchalisch theokratische Form gefunden hat. Dieser Weltentwurf besitzt Originalität, die zentrale Idee von der Blendung und Immunisierung der Neugeborenen hat sich mir wegen ihrer Kompliziertheit beim ersten Lesen nicht richtig entschlossen. Es ist immer eine heikle Sache, aus einem beschränkten Blickwinkel einen komplexen Sachverhalt zu schildern, zumal en passant. Daher hat Haubold auch eine zweite Perspektive eingeführt, die im reizvollen Kontrast zur ersten steht.
"Weiße Elefanten" sieht ein Beobachter in einer Stadt der fernen Zukunft, der zum ersten Mal die Außenwelt erforschen will. Dann sieht er plötzlich Horden von primitiv bewaffneten Menschen auf die Stadt zu bewegen. Aber die Allgemeinheit insbesondere die Verantwortlichen der Stadt leugnen die Existenz, bis die "Primitiven" in die Stadt eindringen. Eine flüssig erzählte Parabel von Marlies Eifert.
Zum Abschluss konfrontiert uns der Herausgeber in seiner Geschichte mit einer rätselhaften, aber faszinierenden außerirdischen Zivilisation. Die Shaari bauen so genannten Gravo-Dome aus Stein, die über dem Planeten schweben und von dem Gravo-Organ, eine Lebensform, die sich jeder Zuordnung zur technischen oder biologischen Sphäre entzieht, in der Schwebe gehalten werden. Wie in allen Geschichten Rößlers bleibt die fremde Kultur mysteriös oder unerklärt. Auch die Welt der Gravo-Dome kann man eigentlich nur erfahren und nicht verstehen. Und die Perspektivfigur, die eigentlich mit dem Organ nichts Gutes im Schilde führte, erfährt ein neues emotionales Erlebnis.
Ein Band mit thematischer Vielfalt und wenig schlechten Geschichten. Das Cover, inspiriert wohl von der Geschichte "Der Gravo-Dom", ist wieder recht gelungen und trägt zum positiven Gesamteindruck bei.
Der Golem als phantastischer Archetyp und Goethe als Weltliterat, das sind Marksteine in der literarischen Landschaft. Sie werden im Titel geführt, um den Leser neugierig zu machen. Sie sind aber auch zwei weit entfernte Leitsterne, auf dem Weg durch die unendliche Weiten. Und wenn man sich an ihnen orientiert, dann können sie nicht hoch oder weit entfernt genug sein.
In »Golem & Goethe« melden sich 21 Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu Wort. Hören wir, was sie zu sagen haben:
Golem & Goethe - Stefan Wogawa
Die Titelstory lebt von ihren unwahrscheinlichen Zufällen, aus denen sich neue Wendungen ergeben. Allein schon die Darstellung des Verhältnisses zwischen dem Frachterkommandanten und seinem Schiffsrechner ist ungewöhnlich und lädt zum Schmunzeln ein. Auf diesem guten Einstieg findet die Erzählung eine sichere Basis. Unterhaltsame Zerstreuung für zwischendurch.
Ball des Anstoßes - Axel Wichert
Phantastische Konflikte zwischen Menschen und Nicht-Menschen, Wichert bezeichnet sie als »Virtuelle« (möglicherweise Roboter, Androiden, ...) - ein Meister dieses Themas war zweifellos Isaac Asimov. Schon lange kommt es immer wieder zu Verdrängungen von Arbeitskräften durch Werkzeuge. Was geschieht mit den Menschen in so einem Fall? Wichert gewährt uns einen Blick in die Zukunft hinsichtlich dieses Details: »Virtuelle hielten sich an Vorschriften, aber die besten Hacker blieben die Menschen.« Hervorragend gezeichnete Entwicklung.
Interferenz - Bernhard Schneider
Was mit der harmlosen Zerstreutheit eines Quantenphysikers zu beginnen scheint, entwickelt sich schnell zu unglaublichen Interferenzerscheinungen, die sich die Protagonisten über Paralleluniversumstheorien zu erklären versuchen. Entgegen Einsteins »Gott würfelt nicht!« reichen wissenschaftliche Erklärungen nicht aus. Möglicherweise hat Gott doch seine Finger im Spiel, wenn es um die letzten Geheimnisse des Universums geht. Die Frage bleibt nur, wie durch Interferenzen die Erkenntnis verhindert werden kann.
Berechtigte Fragen - Arnold H. Bucher
Tatsächlich ist völlig unwichtig, was ein Kesslok ist. Und warum man ihn weder beschäftigen noch unterbringen darf. Wichtig sind allein die Berechtigungsnachweise, die uns unsere deutsche Zukunft im Bürokratenland aufzeigen. Absolut vorstellbar, gar so weit weg sind wir davon nicht mehr. Vor einigen Tagen ging die »Berliner Hundehölle« durch die Medien. Ein deutliches Beispiel für die Aktualität der Problematik, selbst wenn die mediale Aufschauklung des Höllenthemas offensichtlichen BILD-Charakter hatte.
Echos - Heidrun Jänchen
SETI ist ein Begriff. Damit im Zusammenhang ergibt der Titel allein schon einen Sinn und bewirkt die Einbildung des Storyverlaufs. Immerhin erweist sich die Assoziation teilweise als Trugschluss und die fragmentarische Erzählweise bewirkt gleichzeitig eine Spannung, so dass es doch noch den Aha-Effekt am Ende gibt. Wie schon bei Jänchens Beitrag zum Vorgänger »Überschuss« ist das Stückwerk der Geschichte etwas schwierig lesbar, summiert sich aber endlich zu einem sinnvollen Gesamtbild.
Trichterbecher wachsen - J. Th. Thanner
Nachbarskonflikte sind die eine Sache, der sich Thanner widmet. Tragisch sind ihre Auswirkungen. Interessant ist die Darstellung der anderen Sache, der Konflikte zwischen Spezies, die sich zumindest einseitig nicht als intelligent erkennen.
Die heilige Mutter des Lichts - Frank W. Haubold
Haubold entwirft eine erschreckende Zukunftsvision, die nur allzu logisch die Fehler der menschlichen Entwicklung ausmerzen will. Nach einer großen Katastrophe kommt es zu einem Neuanfang. Welche menschliche Unart führte zu allem Elend? Krieg. Darum organisiert die PACEM das Leben der Überlebenden. Aber wäre diese Vision mehr als eine Utopie? Ist wirklich der Schrecken aller Kriege nur auf Männer zurück zu führen? Man erinnert sich vielleicht nur des Nibelungenlieds, in dem Krimhild aus Rachegelüsten ein grausiges Gemetzel verursacht. Haubolds Vision liest sich drastisch und zeigt mit unwahrscheinlich kalter Logik einen möglichen Weg.
Die Abteilung für kosmische Täuschungen - Uwe Hermann
Belustigende Unterhaltung für zwischendurch, eine auf die absolute Spitze getriebene Verschwörung.
Kontrolle - Petra Vennekohl
Das alte Lied in neuem Gewand: Privilegierte Gruppen versuchen immer und überall, ihre Privilegien zu verteidigen - um jeden Preis. Was sich als Lösung anbahnt, ist im Vorfeld spürbar, aber durch die Erkenntnis der Protagonisten erhält die Geschichte eine dramatische Note.
Der Schwamm - Axel Bicker
Diese Geschichte kann richtig berühren in ihrer Ausdrucksstärke: Aus Todesangst geborener Forscherdrang führt zu brutalen Methoden und ethischer Unverantwortlichkeit, im Endeffekt doch aus Selbstsucht. Bicker lässt uns an dieser Entwicklung aus der Sicht des Opfers teilhaben. Es scheint wie eine lebendige Abstraktion von Tragödien, die sich in Verbindung von Wissenschaft und Habsucht unter Menschen abspielen.
Weiße Elefanten - Marlies Eifert
Was nicht sein darf, ist nicht. Und nach gegenteiliger Erkenntnis die historische Ausrichtung auf einen völlig nebensächlichen Aspekt. Tragisch.
Roda - Edgar Güttge
Äußerst unterhaltsam, mit viel Witz und Kreativität geschrieben! Güttge wird den Erwartungen voll gerecht. Sein Hang zur Übertreibung macht aus seinen Geschichten wundervolle Komödien, die sich doch an gesellschaftlichen Eigenarten orientieren.
Zwischenstopp auf Prox - Armin Möhle
Gut erzählte Geschichte über Beziehungen - leider kommt ihre Pointe nicht klar zum Ausdruck.
Tod einer Puppe - Nina Horvath
Die Handlungsumgebung ist etwas unvollständig, das tut der Geschichte aber keinen Abbruch: Hier entsteht eine aufwühlende Stimmung. In ihrer Kürze ist die Geschichte perfekt.
Redpointer - Alexander Kaiser
Eine umfangreiche Geschichte, deren Knackpunkt sich in der Darstellung gegen Ende befindet. Die Handlung der Erzählung dient eher der Verschleierung als der Auflösung, es werden aber gleichzeitig gute Einblicke in die Aufgaben der Protagonisten gewährt. Im Endeffekt ordnet sich also die Verschleierung der Erkenntnis unter, so dass eine sehr spannende Geschichte entsteht, deren Umfeld großräumig ausbaufähig ist. Hervorragende Ideen stapeln sich hier.
Hinaus in die freie Natur - Olaf Trint
Nachdem sich die Menschheit vor einer vergifteten Umwelt zurückziehen musste, gelingt Wissenschaftlern die Erneuerung außerhalb der von Menschen bewohnten Bereiche. Dem normalen Menschen ist ein Leben außerhalb der eigenen vier Wände inzwischen unvorstellbar geworden. Ist er so anpassungsfähig, wie immer behauptet wird? Würde er sich nicht eher von einer völlig fremden Umgebung überfordert sehen? Trint zeigt ironisch und mit guter Erzähltechnik, was eine Flucht vor der Natur nach sich ziehen könnte. Dabei geht er noch radikaler vor als sein großer Vorgänger Isaac Asimov in seinen »Baley«-Romanen.
E T A 7 - Christian Savoy
Die Bedeutung von E T A 7, »Estimated Time of Arrival: sieben Jahre«, geht ziemlich unter in der kompakten Erzählung. Davon abgesehen, entwickelt Savoy die Menschheit unter dem Druck einer potenziellen, unaufhaltsamen Bedrohung und wirft dabei Streiflichter auf Persönlichkeiten der Entwicklung und auf wegweisende Geschehnisse. Sehr fesselnd geschrieben und mit einem der Menschheit entsprechenden dramatischen Ende.
Reproduktion - Melanie Metzenthin
Knackige Geschichte über das Thema der Akzeptanz künstlicher Menschen als echte Individuen.
Cinema Mentale - Thomas Kohlschmidt
Dramatischer Verlauf eines Versuchs, mit einer andersartigen, blutrünstigen außerirdischen Intelligenz Kontakt aufzunehmen. Die thematische Ähnlichkeit zu Bickers »Schwamm« ist erstaunlich und nicht zu übersehen. Fehlgeschlagene Erstkontakte beschäftigen uns anscheinend stark – ein Zeichen unserer unvollkommenen Bereitschaft oder unserer Angst? Eindrucksvoll geschrieben.
Die nach uns kommen - Birgit Erwin
Ein Endzeitszenario aus der Sicht eines Kindes. Das Mädchen versteht nicht die Beweggründe seines älteren Bruders, der die Welt noch vor dem Krieg kannte. Aber durch ihre Augen erhaschen wir einen Hauch der neuen Welt und der brutalen Ausweglosigkeit. Bedrückend.
Der Gravo-Dom - Armin Rößler
Geradlinige Story, deren Entwurf höchst interessant ist. Lowes Gedanke »Ich habe Zeit« widerspricht allerdings seiner Infektion durch die Auftraggeber. Was genau ist mit ihm passiert, als er seinem Ziel so nahe war? Der Umschwung ist schwer verständlich. Unterhaltsam ist die Story aber allemal.
Fazit:
Was in dieser Anthologie an Ideenvielfalt und technischen Fertigkeiten zusammenkommt, ist beachtenswert. Dieses Mal gibt es keinen einsamen Favoriten, alle Geschichten sind auf einem sehr hohen Niveau angesiedelt. Fünf Erzählungen heben sich nochmals ein wenig ab. Sie berühren den Leser richtig und stehen für den jeweiligen Charakter ihrer Art: Schneiders »Interferenz« für die Wissenschaft, Bickers »Schwamm« für den Erstkontakt, Güttges »Roda« für überbordenen Humor, Horvaths »Tod einer Puppe« für erschreckende Versuche, Savoys »E T A 7« schließlich für das Kosmische.
Nicht zu vernachlässigen ist das Vorwort zu diesem Band! Selten war ein Vorwort so lesenswert wie dieses; damit hat Rößler scharf vorgelegt, was schwer zu toppen sein wird.
Insgesamt bietet die Sammlung spannende, tief gehende, lustige, düstere und ergreifende Unterhaltung, der sich niemand entziehen sollte. Zwar bleibt das Gefühl von vorwiegend pessimistischen Visionen geprägt, wird aber von humor- und wundervollen Erzählungen gut aufgelockert. Mehr davon!