387 Seiten
ISBN 3-89840-351-3
9,95 Euro
Subtiler Horror, Welten feinsten psychischen Grauens erschaffen eine Chronik des Schreckens.
Die Titelstory, die erste Einblicke in die neue Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik-Serie rund um die Vampirin Dilara gibt, ist vom Meister der Fantasy selbst.
Eddi M. Angerhuber „Das Nachtbuch“
Markus Heitz „Ein besonderer Geschmack“
Mark Freier „Das Höllenwunder“
Armin Rößler „Vergnügungspark“
Frank W. Haubold „Die Stadt am Fluß“
Alisha Bionda „Seelenpfand“
Markus K. Korb „Die Brut“
Barbara Büchner „Die Nahrung der Toten“
Michael Borlik „Engel der Nacht“
Dominik Irtenkauf „Mumienglanz in der Nekrophilharmonie“
Wolfgang Hohlbein „Die Schattenchronik“
Boris Koch „Heilig Abend bei Manfred“
Linda Budinger „Schattentrinker“
Christel Scheja „Der Verfluchte von Tainsborough Manor“
Marc-Alastor E.-E. „Lang lebe die Königin“
Dominik Irtenkauf & Javier Hurtado „Trauerflug aus dem Süden“
Christel Scheja „Geschöpfe der Nacht“ und ihre Ursprünge im Volksglauben
Christel Scheja „Wolfsgedanken“
Christel Scheja „Von den Toten, die unzerfallen ruh`n“
Dominik Irtenkauf „An die Ewigkeit verschworen“
Adrian dachte schon, die Fahrt würde gleich hier wieder vorbei sein, weil sich - vielleicht durch einen technischen Fehler, vielleicht durch schlichte Schlamperei - die Tür nicht rechtzeitig öffnen ließ. Doch da schoben sich die beiden Flügel mit einem angestrengten Knarren, aber wie von Geisterhand bewegt, beiseite. Undurchdringliche Dunkelheit empfing sie. Julie rückte näher, was ihm nicht ungelegen kam. Er legte beschützend seinen Arm um sie. Die Tür schloss sich mit dem gleichen unheimlichen Geräusch wieder hinter ihrem Wagen. Abrupt ging es abwärts, und Adrian fühlte, wie sich sein irritierter Magen hob. Nicht schon wieder, dachte er. Doch die Geisterbahn hielt ganz andere Schrecken bereit.
Links vor ihnen blitzte ein helles Licht auf. Sobald ihre Augen nicht mehr geblendet waren, sahen sie erneut einen Totenschädel - allerdings kein Bild, sondern den echten Kopf eines Skeletts, der im Zentrum des Lichtscheins ruhte. "Wie spannend", höhnte Adrian. Doch in diesem Moment öffnete sich der Mund des Schädels, und ein durch Mark und Bein gehendes Heulen war zu hören. Julie zuckte tatsächlich erschrocken zusammen, und auch Adrian war überrascht. Trotzdem lachte er.
Eine Berührung ließ ihn verstummen. Sanft streichelte etwas über sein Haar, aber er konnte nicht sehen, was es war. Julie kreischte. Er langte nach oben und bekam tatsächlich etwas zu fassen. Seine Finger schlossen sich um einen Gegenstand, der ein extrem dünnes Seil hätte sein können, wären da nicht die feinen, kaum wahrnehmbaren Härchen gewesen, die sich in großer Zahl auf der Oberfläche des Dings befanden. Adrian fragte sich noch, um was es sich handeln konnte, da spürte er plötzlich, daß es lebte. Er fühlte ein schwaches Pulsieren, als pumpe ein angestrengtes Herz Blut durch die Bahnen eines Körpers. Dann bewegte das Ding sich. Es hob sich langsam und zog dabei Adrians Hand mit sich. Verblüfft vergaß er, seine Finger wieder zu öffnen. Erst als er schon halb aus seinem Sitz gezogen worden war, ließ er los und fiel zurück in die trügerische Sicherheit des Wagens.
"Was zur ...?"
Im ‚Das Nachtbuch' (Eddie M.Angerhuber) wird ‚roter Wein' im ‚Licht der Kerzen' serviert. In ‚Schattenchronik- der ewig dunkle Traum'(Wolfgang Hohlbein) steht das Haus Dilaras in vornehmer Gegend, bei Marc Alastor E.-E. handelt es sich bei der Protagonistin um eine Königin. ‚Mumien-Auswickel-Parties'in ‚Schattentrinker' (Linda Budinger) können nur in exzentrischen Kreisen stattfinden, die sich um den Überlebenskampf nicht zu kümmern brauchen etc. Die Sprache paßt sich diesen Gegebenheiten an. Keine Experimente, selten abgebrochenen Satzteile. In der Regel fließen die Sätze in ‚altem' Stil. Auch die traditionelle Rechtschreibung, überhaupt die äußere Gestaltung, alles paßt sich der vornehm- düsteren Welt, in der Vampire agieren, an. Variiert werden die typischen Vampirmotive : Blut saugende ‚Untotote', die Jagd machen auf Menschen- meist sehr junge Mädchen. Gelegentlich erfolgt eine Umwandlung von Menschen in Vampire nach festen Regeln der ‚Unterwelt'.. Am ungebrochensten kommen diese Elemente in Michael Borliks ‚Engel der Nacht'vor.
Interessanter sind sublimere Formen. Formen, die beispielsweise in einem Zwischenbereich zwischen Wirklichkeit und Traum spielen. So ist sich ‚Dilara' bei Wolfgang Hohlbein (s.o.) nicht sicher, ob es sich bei dem Erlebten um Alpträume handelt. Die Spannung besteht im langsamen Weg des Erkennens bei gleichzeitigen Fluchttendenzen. Flucht aus der phantastisch düsteren grausigen Welt, die trotz allem Widerstand auch eine gewisse unübersehbare Anziehungskraft auf die Heldin besitzt.
Den sublimeren Formen ist auch Alisha Biondas Erzählung zuzurechnen. - Bei ‚Seelenpfand' fehlt der Biß in die Halsschlagader des anderen; das ‚Aussaugen' erfolgt auf subtilere Art. Die Handelnden, zwei Liebende, haben das Gefühl des Ausgeliefert - Seins. Sie sehen sich als Marionette des anderen. Beide möchten aus der Beziehung ausbrechen. Fast hat man den Eindruck , daß die Autorin dieser Geschichte etwas aus dem wirklichen Leben eingehaucht hat. Die Liebenden leben wirklich, sind also nicht halbtot oder scheinlebend. Und als Lebende haben sie eine Chance, vielleicht anders als man es von Vampiren gewohnt ist. Deutlicher als bei den anderen Geschichten der Anthologie wird bei ‚Seelenpfand' das Vampirprinzip zum Lebensprinzip von realen Menschen: Wie der eine sich am Leben erhält, indem er sich anderes Leben in gewisser Weise einverleibt, dies wird an Protagonisten demonstriert, die im Hier und Jetzt leben, und die nicht die Verfremdung zu typischen Vampiren über sich ergehen lassen mußten.
Die Welt der ‚Schattenchronik' Bd.1 ist mit wenigen Ausnahmen in der Vergangenheit angesiedelt, einschließlich Altägypten. Mumien haben an sich schon etwas Grausiges, um so mehr, wenn der Vorgang des Einbalsamierens aus der Sicht des Toten beschrieben wird- zwischen Hoffen und langsam sicher werdender Gewißheit der Königin(s.o.), daß es sich bei den Handlungen der Priester nicht um lebenserhaltende Maßnahmen handelt. (Marc Alastor E.-E.). Oder wenn die auszuwickelnde Mumie bei den ‚Auswickelparties' auf bestimmte Mittel eines Gelehrten so reagiert wie erwartet oder auch wieder nicht erwartet: Sie wird wieder zum Leben erweckt und reagiert auf nicht vorhersehbare und vor allem nicht erwünschte Weise. Es kommt auch vor, daß Vampire in unserer Welt agieren, sich wie in der Geschichte von Markus Heitz in ‚Ein besonderer Geschmack' moderner Technologie bedienen, d.h. wissen, wie man mit Internet, Mails umzugehen hat. Das ist interessant zu lesen, hat Witz. Aber man hat doch den Eindruck, daß sie ‚fremd' gehen, nicht so recht in die Netz- Gemeinschaft gehören.
Anders wenn das Phantastische, Groteske auf eigentümliche Weise in unsere Welt eindringt, wie dies am ehesten in ‚Vergnügungspark' von Armin Rößler oder auch in ‚Die Stadt am Fluß' von Frank H. Haubold greifbar ist. Fast Alltägliches- ein Vergnügungspark als Ablenkung an einem arbeitsfreien Tag aufgesucht - verwandelt sich kafkaesk in einen nicht mehr begreifbaren Alptraum. - In ‚Die Stadt am Fluß' verwandelt sich eine normale Kleinstadt nach Jahren in einen Raum, wo ‚trust in the night' möglich ist. Das Strandbad verrottet in kniehohem Unkraut. Brennesseln, Disteln, die Umkleideräume mutieren zur Ruine. Alles in der Stadt, die der Protagonist nach Jahren wieder aufsucht, ist fremd und bekannt zugleich. Erklärungsversuche erweisen sich als sinnlos. So wenn die jung gebliebene ‚Erste Liebe' in einem Tunnel am Straßenrand steht und als Anhalterin mitgenommen werden will. Langsam - kaum wahrnehmbar wie in ‚Die Stadt am Fluß - oder auch plötzlich wie in ‚Vergnügungspark' wächst Phantastisches in den ‚normalen' Raum hinein. In einen Raum, in dem - bezogen auf nahezu alle Geschichten- bekannte moralische Gesetzmäßigkeiten, Vorstellungen von Recht und Ordnung, Lohn für sozialen Einsatz u. ä. nicht mehr gelten.
Bleibt man als Leser ratlos zurück, wenn in ‚Die Nahrung der Toten' (Barbara Büchner) das Opfer einer jungen Frau für ihren toten Geliebten einem grausigen Ende zugeführt wird? Oder wenn der ‚Lehrer', der dem unheimlich ‚Wispernden' im Auftrag von Dorfbewohnern nachgeht, das Abenteuer nicht ehrenvoll beendet, sondern am Ende das Leben verliert(Dominik Irtenkauf & Javier Hurtado:'Trauerflug aus dem Süden.')
Dominik Irtenkauf weist in dem lesenswerten Essay am Ende der Sammlung auf Nietzsche hin, der von Gut und Böse als altem Wahn spricht. Auf jeden Fall trifft dies, wie zu sehen war, auf die Vampirwelt zu, wie sie uns unter anderem in dieser Sammlung vorliegt. Von der ersten Erzählung mit dem Titel ‚The Vampyre'(1819) - zu Unrecht Lord Byron zugeschrieben - die den Vampir - Aberglauben mit suggestiv erotischen Zügen versetzt, bis zu den heutigen ‚Vampiren' ist es ein langer variationsreicher Weg. Ein Variationsreichtum, der gerade auch in dieser Anthologie zur Geltung kommt. Die Sammlung zeigt, welche unglaublich vielfältigen Möglichkeiten gestalterischer Art- bezogen auf die Darstellung seelischer Prozesse, existentieller Not, unheimlich grotesker Atmosphäre im Vampir- Mythos enthalten ist.
Der Vampir - ein gedankliches Muster, das Aufschluß gibt, über Facetten menschlicher Persönlichkeit - wie Dominik Irtenkauf im abschließenden Essay meint? In gewisser Weise ist er mehr als ein gedankliches Muster oder Teil eines Welterklärungsmodells. Er zeigt in allen seinen Facetten Züge von Leben.
Ansonsten haben die Herausgeber Alisha Bionda & Michael Borlik in diesem Band viele der Autoren versammelt, die in der Szene mittlerweile Rang und Namen haben: Eddie M. Angerhuber, Barbara Büchner, Linda Budinger, Christel Scheja, Marc-Alastor E.-E., Boris Koch und Markus K. Korb, um nur einige zu nennen; und natürlich ist Markus Heitz ein Schriftsteller, der wie Hohlbein unangefochten zur ersten Liga in Deutschland zählt. Wer das Inhaltsverzeichnis liest und sich auskennt, wird den Band bedenkenlos erwerben und nicht enttäuscht werden. Viele Geschichten handeln natürlich von Vampiren, jedoch stehen auch andere Spezies untoter oder böser Wesen zur Auswahl.
Gelangweilt habe ich mich bei keiner Geschichte, das stand auch nicht zu erwarten. Sehr gern würde ich weiter verfolgen, was Markus Heitz' in "Ein besonderer Geschmack" beginnt, denn die spannende Story um das jagende und gejagte Paar Elaine und Gedeon liest sich gleichfalls wie ein Auftakt. Besonders hervorzuheben aus der Menge des hier gebotenen Guten wären auf jeden Fall noch Boris Kochs Groteske "Heiligabend bei Manfred", die Christian von Aster gewidmet ist und dieser Widmung vollauf gerecht wird, sowie Linda Budingers "Schattentrinker", eine gelungene Verbindung von ägyptischen Mysterien und Vampir-Stoff. Auch Christel Schejas "Der Verfluchte von Tainsborough Manor" hat es mir angetan, denn schon der erste Satz entführt in eine sehr schön geschriebene Gothic Tale, die exquisit endet. Und schließlich will ich noch "Die Brut" von Markus K. Korb erwähnen, eine weitere gelungene Hommage an Howard Philips Lovecraft aus der Feder dieses Autors.
Abgerundet wird der Band mit drei Essays von Christel Scheja und einem von Dominik Irtenkauf. Scheja wendet sich eher an ein "Einsteiger-Publikum", informiert kurz, aber faktenreich über Vampire, Werwölfe und Mumien in der Geschichte und den Mythen der Völker; dabei schlägt sie stets die Brücke ins Heute, zu modernen Filmen, Büchern und Spielen. Irtenkauf schließlich brilliert mit einem eloquent-ironischen Text über Vampire und Künstler, er bietet Essayistisches in Reinkultur, gelungenes Pendant zu seinem (positiv) auffälligen Stil aus den Geschichten "Trauerflug aus dem Süden" (gemeinsam mit Javier Hurtado) und "Mumienglanz in der Nekrophilharmonie".
Folgt außerdem noch eine Autorengalerie mit Fotos sowie Kurzbio- und -bibliographien, eine schöne Ergänzung, wie ich finde, ich lese so etwas immer mit Interesse und sehe mir auch gern die Gesichter der Schreibenden an, die ich aus vielen anderen Publikationen kenne, zum größten Teil aber noch nie persönlich treffen konnte.
Und natürlich verleihen die Illustrationen von Pat Hachfeld, liebevoll gestaltete Titelblätter der Geschichten, dem ganzen Band ein düster-romantisches Flair ...
Alles in allem: BLITZ bietet uns hier aus der semiprofessionellen und professionellen dunklen Szene wiederum Schwergewichtiges - und das bezieht sich nicht auf Dicke und Grammzahl des Buches!
Die Geschichten lesen sich wie albtraumhafte Phantasien und spiegeln damit den äußeren Eindruck, den man dank des Titels und des Covers, von dem Buch bekommt. Mark Freier leistet eine hervorragende Arbeit, was das Layout der neuen Serie betrifft und zeigt ganz nebenbei, dass er auch mit dem geschriebenen Wort umzugehen versteht, denn die dritte Geschichte "Höllenwunder" ist von ihm selbst verfasst worden.
Die Illustrationen der einzelnen Storys wurden von Pat Hachfeld gezeichnet und sind sehr stimmungsvoll und düster. Von ihrer bizarren Gestaltung her, passen sie sich perfekt dem Geist der Geschichten an und bilden ein stimmiges Gesamtbild.
Die Titelstory von Wolfgang Hohlbein selbst führt den Leser behutsam in die Welt der Vampirin Dilara ein und gibt einen ersten Einblick in die Schattenchronik und den Bösewicht Antediluvian. Die Charakterisierung gelingt dem Meister der Fantasy spielerisch und weckt die Lust mehr über Dilara und ihren Feind zu erfahren. Vielleicht trägt Hohlbein noch weitere Beiträge zu der Serie bei, wünschenswert wäre es allemal.
Auch die Herausgeber Alisha Bionda und Michael Borlik haben für diese Anthologie zur Feder gegriffen und dunkle, phantastische und teils melancholische Storys zum besten gegeben. Alisha Biondas "Seelenpfand" handelt von der bedingungslosen Liebe und Abhängigkeit eines Paares, erzählt aus der Perspektive der Frau, des Mannes und schließlich Beider. Borliks "Engel der Nacht" spiegelt die Faszination einer Sterblichen an dem todbringenden Treiben eines Vampirs wider.
Die erste Geschichte, "Ein besonderer Geschmack", von Markus Heitz, wirkt ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen und liest sich wie eine Episode zu einer ganzen Serie, doch der Autor bietet dem Leser eine spannende Erzählung über zwei verstoßene Dämonen, die Jagd auf ihre ehemaligen Artgenossen machen. Eine Story in der Tradition von "Blade" oder "Hellsing".
Eddie M. Angerhuber trägt mit "Das Nachtbuch" ihren Beitrag zu dieser Sammlung bei und beschert dem Leser eine kurzweilige Geschichte über ein Buch, welches die Geheimnisse des Todes hütet. Armin Rößler und Fank H. Haubold entführen uns in "Vergnügungspark" und "Die Stadt am Fluß" in die ganz persönlichen Albträume zweier Männer, die der Schrecken plötzlich und unerwartet überfällt.
"Trauerflug aus dem Süden" handelt vom Verschwinden mehrerer Menschen in einer düsteren Moorlandschaft und zweier Männer, die sich auf die Suche der Vermissten machen und selber den Schrecken finden.
Barbara Büchners Geschichte "Die Nahrung der Toten" handelt von der nekrophilen Abhängigkeit einer Liebenden zu ihrem Geliebten über den Tod hinaus, doch auf dem Friedhof macht sie die Bekanntschaft mit ghoulenhaften Untoten. Die Story ist atmosphärisch dicht und poetisch erzählt worden, so dass man enttäuscht ist, als die Geschichte schon nach drei Seiten vorbei ist.
Boris Koch trägt mit seine Story "Heiligabend bei Manfred" den humoristischen Teil zu dieser Anthologie bei, rundum gelungen.
Marc-Alastor E.-E., Dominik Irtenkauf und Linda Budinger verknüpfen geschickt die ägyptische Mythologie mit dem Vampirismus und verleihen dem Genre neue Aspekte. Insbesondere Linda Budingers "Schattentrinker" hat mir gefallen, denn neben dem viktorianischen London als Schauplatz, wird auch der Mythos "Jack the Ripper" mit neuem Leben erfüllt.
Auch Christel Scheja bleibt dieser Epoche treu und präsentiert dem Leser eine wildromantische Geschichte, um einen verfluchten Mann, der die Unsterblichkeit säte und Einsamkeit erntete.
Markus K. Korb liefert mit "Die Brut" eine fesselnde Story über Leichenfresser, die in einem Labyrinth hausen, welches direkt aus H.P. Lovecrafts Cthulu-Mythos zu stammen scheint.
Abgerundet wird dieser einmalige Erzählband mit informativen, spannend geschriebenen Essays, über die Ursprünge des Vampir- und Werwolfglaubens, die sich hinter den Erzählungen nicht zu verstecken brauchen.
Diese Anthologie bietet allen, die sich für Vampire interessieren, kurzweilige Unterhaltung mit einem informativen Background.
Der Band startet mit der zunächst eher konventionell anmutenden Story "Ein besonderer Geschmack" von Markus Heitz. Die Geschichte eines Dämonenpärchens auf Rachefeldzug, das aus ureigensten Motiven auch mal das Werk des Herrn tut und sich dabei einer ganz besonders "explosiven Mischung" bedient, entwickelt allerdings beim genaueren Hinsehen einen feinen unterschwelligen Witz.
Eddie Angerhubers "Das Nachtbuch" erzählt von einem seltsamen Folianten, dem einzigen Trost einer in ewiger Nacht Gefangenen. Am Ende der Geschichte ist nichts so, wie es am Anfang schien ... mehr soll hier nicht verraten werden.
Überhaupt scheinen seltsame Bücher in der Anthologie eine besondere Rolle zu spielen, schließlich verdankt die Serie einem solchen auch ihren Titel, nämlich der "Schattenchronik", aus Wolfgang Hohlbeins "Schattenchronik - der ewig dunkle Traum". Der Meister der Fantasy verwebt in der Geschichte der jungen Dilara, deren Leben kurz vor ihrer Verlobung völlig aus den Fugen gerät, geschickt Gegenwart, Erinnerungen und Visionen der Zukunft, während Dilara in den Seiten des mysteriösen, alten Buches blättert. In Gedanken durchlebt sie noch einmal die vorhergegangene Nacht, an die sie nur bruchstückhafte Erinnerungen hat und in deren Verlauf ihr Verlobter auf grauenvolle Weise zu Tode kam. Oder ist auch das nur eine der verstörenden Visionen, die mit der Schattenchronik zu tun haben und Realität und Wahnsinn ineinander fließen lassen? Gibt es Antediluvian, den uralten Vampir aus dem Buch wirklich? Was will er von ihr und wer ist die Frau aus dem Buch, die ihr so frappierend ähnelt? Der Leser kann Dilara ihre Verwirrung gut nachempfinden, denn so wie es ihr beim Durchblättern der Schattenchronik geht, fühlt man sich als Leser dieser Anthologie gelegentlich auch.
Aber auch für diejenigen, die es weniger blutig mögen, ist gesorgt. Boris Kochs "Heiligabend bei Manfred" ist mit knapp zwei Seiten ein echter Quickie und beleuchtet auf heiter witzige Weise die Frage, ob Vampire eigentlich Weihnachten feiern.
Die Geschichte der Herausgeberin Alisha Bionda fällt ebenfalls aus dem Rahmen. Sie erzählt mit überraschenden Perspektivwechseln von einer obsessiven Liebesbeziehung, der nur auf den ersten Blick etwas Vampirisches anhaftet und die den Leser recht nachdenklich zurück lässt.
Auch in Frank Haubolds "Stadt am Fluss" wird kein Blut vergossen, der Leser fühlt sich trotzdem bei der Fahrt des heimkehrenden Ich-Erzählers durch seine offenbar (fast) verlassene Heimatstadt auf beklemmende Weise an "Die Mächte des Wahnsinns" erinnert. Das Gegenteil einer Coming-of-Age Geschichte und dazu gut geschrieben.
Soliden Horror bieten die Geschichten von Armin Rößler über einen Grusel-Vergnügungspark, in dem einiges realer ist, als man denken sollte und Dominik Irtenkauf und Javier Hurtados "Trauerflug aus dem Süden" in dem ein in spanischer Sprache gewisperter Hauch eine ganz besondere Rolle spielt.
Michael Borlik, der andere Teil des Herausgeber-Duos geht in "Engel der Nacht" der Frage nach, wie ein Vampir versucht, seine sterbliche Angebetete zu erobern und wie diese darauf reagiert - Romantik auf Vampirart, garantiert nicht unblutig!
Zwei weitere Geschichten verquicken das Vampirthema mit ägyptischer Mythologie, nämlich die Geschichten von Linda Budinger, die den Leser mit der köstlichen Idee ( hoffentlich!?) einer "Auswickelparty" überrascht, bei welcher einem vertrockneten englischen Lord seine Faszination für Mumien zum Verhängnis wird.
Marc-Alastor E.E. schafft das wirkliche Kunststück, die Vorgänge bei der Vorbereitung einer Mumie aus Sicht der Mumie selbst zu schildern - sehr gelungen! Eine Geschichte, nach der man gleich im Lexikon nachschlagen würde, wie das noch mal war, mit der Mumifizierung - wenn man sich nicht gerade zu sehr gruseln würde, versteht sich.
Zwei wirkliche Highlights hält der Band für den Leser noch zum Schluss bereit. Markus K. Korbs "Die Brut" erinnert von der Grundidee her an Stephen Kings "The Boogeyman", variiert das Thema aber sehr schön auf eine Weise, die eher an Poe oder gar Lovecraft denken lässt. Christel Schejas "Der Verfluchte von Tainsborogh Manor" beschwört gekonnt die Atmosphäre jener Gothic Novels herauf, die ihre Heldin so gerne liest und erzählt auf diese Weise eine eher romantische Vampirgeschichte. Der Band wird durch verschiedene Essays zum Thema abgerundet.
Erwähnenswert ist noch, dass alle Stories mit exclusiven, inhaltlich passenden Ilustrationen des Wolfsburger Künstlers Pat Hachfeld versehen sind - sehr ungewöhnlich für dieses Format und für den Leser noch ein zusätzliches "Sahnehäubchen". Ach ja: Das Preis-Leistungsverhältnis überzeugt ebenfalls: 387 Seiten praller Horror und mehrere Stunden wohlig, gruseliges Lesevergnügen plus Hintergrund-Informationen für 9,95 Euro - was will man mehr?
Meines bisherigen Wissens werden die zukünftigen Bände dieser Serie jeweils einen geschlossenen Roman beinhalten, die - dargestellt durch unterschiedliche Autoren - das Leben und Wirken der Vampirin Dilara zum Thema haben und dieses aus wohl unterschiedlichsten Blickwinkeln zu betrachten wissen. In "Der ewig dunkle Traum" wird dieser Reigen lediglich durch den Namensgeber dieser Serie - Wolfgang Hohlbein - anhand seiner Geschichte "Schattenchronik - der ewig dunkle Traum" eröffnet. Dies hat aber keinerlei negativen Einfluß auf die anderen Geschichten zur Folge, da sich diese ja um ein ähnliches Thema bewegen und ohne Probleme zu überzeugen wissen.
Übrig bleibt somit ein schön aufgemachter Kurzgeschichtenband - gewürzt mit einigen Essays am Ende des Buches - , der nicht nur durch seine Verpackung, sondern auch durch seinen abwechslungsreichen und gut ausgewählten Inhalt den Leser geschickt von der Qualität dieses Eröffnungsbandes und somit den noch folgenden Romanen überzeugen kann. Ich denke, jedem Leser bleibt nur der Drang zum nächsten Werk...