CARPE DIEM
Nummer 1 (1995)
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Der Bürger
als Soldat
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Die Mehrheit der Schweizer Bürgerinnen und Bürger
würde «ihr» Land noch heute mit Waffengewalt
verteidigen, notfalls bis zum Tod. Des Schweizers freundliche Haltung
zum Militär liegt grösstenteils in der Tradition der
Schweizer Armee - und das Schweizervolk ist für ihren Hang an
Traditionen weltweit bekannt. Aber auch die feste Verankerung der
Armee in Wirtschaft, Politik und Volk spielt eine grosse
Rolle.
Die Schweiz besitzt eine einzigartige und merkwürdige
Armee: Pazifistische Demokraten und eingefleischte Nationalisten sind
Seite an Seite zu finden. Jeder Schweizer hat in der Armee die
gleichen Chancen, egal aus welcher sozialen Schicht oder Region er
stammt. Auch der höchste «Militärgrind» begann
eines Tages mit der Rekrutenschule!
Die meisten begegnen dem Militär mit einer Art Hassliebe.
Jeder Soldat erinnert sich gerne an seine Diensterlebnisse - und
Dienstfreunde sind meist Freunde fürs Leben. Kein Behagen
bereiten Stichwörter wie «übertriebene, starre
Hierarchie» oder «Prahlerei, Alkohol und Drogen». Das
Kader ist überzeugt, dass es nicht schadet, die Faust im Sack zu
machen. Wenn aber Persönlichkeiten gebrochen werden, geht es
auch der Armeeleitung zu weit. Deshalb wird der menschenorientierten
Führung in der Armee 95 mehr Beachtung geschenkt und die
Unteroffiziersschule um zwei Wochen verlängert. Die Rekruten und
Soldaten sollen in Zukunft mehr Selbstverantwortung übernehmen -
auf Befehle kann aber nicht verzichtet werden.
Ein Demokratiebeweis der Schweizer Armee ist die
persönliche Abgabe von Gewehr bzw. Pistole an jeden Wehrmann.
Die Schweiz ist das einzige Land, in dem die Soldaten ihre Waffe nach
Hause nehmen. Trotzdem ist das Kapitalverbrechen nicht grösser
als in andern Ländern.
Die Schweizer Armee unterstützt aber auch die Wirtschaft.
Sogar Aufträge ans Ausland sind teils sinnvoll: Oft verpflichtet
sich das Partnerland um gleichwertige Aufträge an die Schweizer
Wirtschaft.
Sogar der Tourismus und Einzelhändler profitieren von der
Armee, sind doch viele Soldaten während der Dienstzeit
Konsumenten, welche ihr Geld in andern Regionen ausgeben.
Anderseit bietet die Wirtschaft der Armee auch ein grosses
Opfer. Dazu gehören Lohnzahlungen während der Dienstpflicht
oder etliche Zeitausfälle zu Dienstzwecken. Wie gross der
finanzielle Aufwand der Wirtschaft ist, kann nur schwer
abgeschätzt werden und wird bei den Militärausgaben nicht
berücksichtigt.
Ist es möglich, eine so fest verankerte einzigartige
Armee, wie sie in der Schweiz existiert, ohne weiteres abzuschaffen?
Vielleicht - aber bestimmt nicht ohne Opfer!
Alexander Meier
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© 1997/1996 by A. Meier, Switzerland
Last update: 17.02.97
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