Forum-Gast in der Basler-Zeitung am 8. feb 2001
Hansjürg Weder
 

Wahnsinn der Rinder oder der Menschen?


Nach der Schweinepest, den Dioxinhühnern, den Hormonkälbern und den Antibiotikalachsen ist der Rinderwahn das Thema, das Schlagzeilen macht und in den Medien dominiert. Es werden ganze Herden abgeschlachtet, verbrannt, verlocht und «entsorgt» - was immer Letzteres auch heissen mag.

Unerträgliche Vorkommnisse

Als engagierter Tierschützer und als Vegetarier drängt es mich, meinem Schmerz und meiner Empörung angesichts des herrschenden Tierelendes immer wieder Ausdruck zu verleihen.
Für Tierschützer sind die Vorkommnisse in der Massentierhaltung, bei der Vivisektion, bei den Tiertransporten, bei der Tierschlachtung und der Tiermast sowie beim Ausplündern der Meere und beim Zwang zum Kannibalismus für Rinder unerträglich. Angeklagt ist der Geist der habgierigen Grausamkeit, der mit der Selbstachtung und der Würde des Menschen unvereinbar ist. Wahre Menschlichkeit erlaubt es uns nicht, den Tieren Schmerzen und Leiden aufzuerlegen und sie nach dem Prinzip des Stärkeren zu quälen.

Himmelschreiendes Unrecht

Was den Tieren widerfährt, ist ein himmelschreiendes Unrecht. Sie leben in einer Welt des Grauens, des Schmerzes, der Todesangst, in einer Welt brutaler Quälereien bei technisch perfektionierter Gefühllosigkeit, und das mitten in unserer so genannt humanen, mitteleuropäischen Zivilisation. Es ist ein Frevel anzunehmen, jeder beliebige Vorteil des Menschen rechtfertige jedes beliebige Leiden von Tieren. Es ist höchste Zeit, dass wir mit dieser Mentalität von KZ-Betreibern Schluss machen.

Die Würde des Menschen

Was macht denn die Würde des Menschen aus, die ihn über die Tiere erhebt? Was macht ihn zum Herrn der Schöpfung? Nach Prof. Spaemann, Wien, «seine Fähigkeit, Dinge zu unterlassen, weil sie niedrig, widerwärtig und gemein sind, obwohl er sie ungestraft tun kann; seine Fähigkeit, für andere Lebewesen eine Fürsorgepflicht zu übernehmen, seine Fähigkeit auch, das Schwache zu schützen». Tiere sind schwach. Wer sie quält, wird nie befürchten müssen, dass ihnen ein Rächer ersteht, der den Spiess eines Tages umdreht. Sie werden nie als Kläger auftreten, nie als Richter, leider auch nie als Wähler - sonst würde unser ganzes politisches System auseinander brechen.

Wie die Sklavenbefreiungen

Immer wieder greifen Tierschützer, wie z. B. Dr. Erwin Kessler aus Tuttwil, zum Mittel der Tierbefreiung, was dann als Gewalt verschrien wird. Solche Tierbefreiungen sind nach Prof. Dr. Helmut F. Kaplan (Kolumnist und Autor mehrerer Bücher mit Themenschwerpunkt Vegetarismus) «ebenso legitim wie seinerzeit die Sklavenbefreiungen. Wer Sklaven befreite, reagierte auf institutionalisierte rassistische Gewalt, auf jene Gewalt, die Sklaven von denen angetan worden war, die sie gefangen, verkauft, gekauft und ausgebeutet hatten. Wer Tiere befreit, reagiert auf institutionalisierte Gewalt, auf jene Gewalt, die Tieren von denen angetan wird, die sie gefangen oder gezüchtet, verkauft, gekauft und ausbeuten». Sklaven- und Tierbefreiungen waren und sind nicht nur Reaktionen auf vorausgegangene Gewalt, sondern Aktionen zur Verhinderung künftiger Gewalt! Schliesslich wurden und werden Sklaven und Tiere nicht eingesperrt, um ihnen ein schönes Leben zu bescheren, sondern um sie auszubeuten und womöglich umzubringen. Sklaven oder Tiere ihren Peinigern zu entreissen, ist ebenso legitim und notwendig wie Vergewaltigungsopfern beizustehen oder Entführungsopfer zu befreien. Und beides bezeichnet man vernünftigerweise nicht als Gewalt, sondern als Mut, Mitleid oder schlicht Menschlichkeit. Es ist eine unerträgliche Pervertierung der Sprache und Verhöhnung der Opfer, diejenigen der Gewalt zu bezichtigen, die in Wirklichkeit Gewalt verhindern oder Gewalt beenden.

Brennende Tierkadaver 

Was tun?

Was aber ist zu tun? Was können Tierschützer unternehmen? Das Erste und mindeste, was alle Menschen guten Willens tun könnten, ist, Fleisch nur noch dann zu kaufen, wenn gewährleistet ist, dass die Tiere ein artgerechtes gutes Leben und einen gnädigen Tod hatten, auch wenn sich der Preis zugunsten der Tiere und Landwirte erhöhen sollte. Wenn dieser Beitrag des Einzelnen auch gering erscheinen mag; wer sich irgendwann in seinem Leben zum ersten Mal bewusst im Fleischverbrauch einschränkt, hat damit einen wichtigen Schritt getan. Alles weitere darf der Dynamik des ethischen Empfindens überlassen werden. Der Betreffende ist auf dem Weg zum Frieden mit den Tieren, auf dem Weg der Mitgeschöpflichkeit, auf dem Weg zur Ehrfurcht vor dem Leben.

Stimme für die Wortlosen

Tierschützer leihen ihre Stimmen den Wortlosen. Sie treten auf als Mittler zwischen den Menschen und den Millionen gemarterter Geschöpfe, die eine grauenhafte Anklage gegen die heutige Menschheit erheben und deren stummer Ruf um Hilfe keiner überhören darf. Hilfe auch für die wahnsinnigen Rinder, die von Wahnsinnigen zum Kannibalismus und damit zur Krankheit gezwungen werden. Denn sonst bewahrheitet sich einmal mehr Schillers Wort: «Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend immer Böses muss gebären.»
Wer sich dem Hilferuf der Kreatur anschliessen will, den lade ich ein, dem Fleischgenuss sukzessive zu entsagen und einer der vielen Tierschutzorganisationen beizutreten, wie z.B. Animals Angels (Antoniterstr. 1, D-79106 Freiburg in Br.), die die Tier-Todestransporte quer durch Europa begleitet. Und von unseren Kirchen ist zu fordern, dass sie sich der erweiterten Aufgabe stärker bewusst werden, die Tiere in ihre Botschaft einzubeziehen und Schutz und Schirm über sie auszubreiten, so wie dies immer wieder vorbildhaft in der Elisabethenkirche zu Basel geschieht.

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Hansjürg Weder,
geb. 1928. 1983-1995 Basler Nationalrat.

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