Die in Heumaden wohnende Malerin Gi Neuert wurde 1935 in Offenbach geboren, wuchs u.a. in Berlin auf und stammt aus einer künstlerisch veranlagten Familie. Schon während des Gymnasiums besuchte sie die Werkkunstschule, anschließend absolvierte sie neben verschiedenen Praktika u.a. die Akademie der Bildenden Künste und legte die staatliche Abschlußprüfung für angewandte Grafik mit Auszeichnung ab. 1958 heiratete sie, 1963 kam ihr Sohn zur Welt. 1969 zog sie nach Stuttgart um, wo sie sich fortan vor allem der Aquarellmalerei widmete. Ihre erste Ausstellung hatte Gi Neuert 1967 in Offenbach. In den folgenden Jahren folgten bedeutende weitere Ausstellungen u.a. in Konstanz und Zürich. 1983 produzierte der Hessische Rundfunk einen Kurzfilm mit ihr, 1989 erschien ihr erstes Buch “Gi Neuert. Malerei und Zeichnung” im Wasmuth-Verlag, 1995 ihr zweites Buch “Gi Neuert: Idee und Wirklichkeit”. (Dieses kann über die Redaktion bezogen werden.)
FACT: Frau Neuert, wann haben Sie mit dem Malen begonnen bzw. Ihr Talent dafür entdeckt?
Neuert: Also eigentlich malte ich als Kind schon ganz gerne. Als ich dann in der Schule war, malte ich mit farbiger Kreide Märchenbilder in Berlin auf die Straße. Die Begeisterung hat sich eigentlich bis über die Pupertät hinaus gehalten und im Gymnasium habe ich mich dann dafür entschieden, einen künstlerischen Beruf zu ergreifen. Mein Vater wollte nur, daß ich etwas studiere, womit ich hinterher auch Geld verdienen kann. Deswegen hat er von mir da doch gewisse Beweise erwartet. Meine Großmutter hat mir dann Abendkurse auf der Akademie finanziert, so daß ich sechs Semester Abendkurse auf der Akademie während dem Gymnasium besuchen und damit beweisen konnte, daß ich wirklich Talent habe. Nach dem Abitur bin ich dann auf die Akademie gegangen und habe Grafikdesign studiert.
FACT: Grafikdesign ist ja dann doch eine Verbindung zwischen Kunst und der - sagen wir - finanziellen Absicherung!
Neuert: Ja, ich bin da sogar der Meinung, daß eine gute Kunst gar nicht entstehen kann, wenn nicht vorher dem Ganzen ein gründliches Zeichenstudium zu Grunde liegt. Damit liege ich natürlich nach heutiger Ansicht über das Thema Kunst ganz weit entfernt, ich bin jedoch der Meinung, daß man viel weniger mit diesem Beruf in eine Sackgasse gerät, wenn man mal Zeichnen gelernt hat. Und das muß man als Grafikdesignerin ganz sicher können, wenn man sich auf den Weg begibt, den ich gegangen bin. Mein Talent lag ja auch im Zeichnen, weniger bei der Typografie und bei der Schriftgestaltung, ich habe eben gerne figürlich gezeichnet. Aber es war auch so, daß es damals an den Zeiten lag, das Kriegsende war erst neun, zehn Jahre zurück, damals hat man ja noch sehr viel praktischer gedacht, Deutschland war ja noch ein einziger Trümmerhaufen, es ging gerade erst aufwärts und man hat jemanden, der auf eine Akademie wollte und so eine brotlose Kunst studieren wollte, für verrückt erklärt. Die jungen Mädchen wurden auf die Handelsschule geschickt und sollten Stenografie und Schreibmaschinenschreiben lernen. Dazu hatte ich nun wirklich gar keine Lust und überhaupt kein Talent. Das haben auch Gott sei Dank meine Lehrer sehr schnell erkannt und meine Eltern waren eben nicht so verbohrt, daß sie das nicht auch begriffen hätten. Es war natürlich ein Risiko, aber wie gesagt, durch die Abendkurse konnte ich da ja schon etwas unter Beweis stellen. Während des Studiums habe ich dann hin und wieder kleinere Aufträge von bibliophilen kleinen Verlagen, die so kleine nette Büchlein machten, erhalten. Da habe ich natürlich für einen Apfel und ein Ei Zeichnungen geliefert, aber ich war selig, daß schon irgendetwas von mir gedruckt vorzuweisen war. Bei Wettbewerben macht man dann mit und da sehen die Eltern und die Lehrer dann schon, ob das etwas wird oder nicht. Es gab natürlich immer so ein paar Lehrer, besonders einen, der sagte, daß bei den Mädchen ja alles für die Katz sei, da wir ja doch mal heiraten und Kinder kriegen würden. Es kann natürlich sein, daß solch eine Bemerkung bei mir eine Oppositionshaltung hervorgerufen hat, daß ich mir gesagt habe, nein, das muß ja nun wirklich nicht so sein. Außerdem kann man das eine mit dem anderen ja auch verbinden, was ich nachher ja auch bewiesen habe.
FACT: Wie sah Ihre Laufbahn nach der Akademie aus?
Neuert: Nach der Akademie hatte ich natürlich durch meine Wettbewerbe, die ich so gewonnen hatte, schon gewisse Verbindungen zu Verlagen und ich hatte ja auch ein Praktikum bei McCann, einer bekannten Werbeagentur in Frankfurt, gemacht. Da hat man dann schon Einstiegsmöglichkeiten, die Zeiten waren damals auch anders, es gab nicht diese große Arbeitslosigkeit. Alles war im Anfang, dann ist es immer einfacher, als wenn eine übersatte Gesellschaft eigentlich nichts mehr braucht. Ich hatte dann eine Stellung angenommen bei einem Verlag in Karlsruhe, der Burda angeschlossen war und unter anderem die “Freundin” herausbrachte. Damals zeichnete man noch sehr viel in Zeitschriften, das Foto hatte noch nicht so sehr die Zeitschriften erobert. Es gab tolle Modezeichner, wie Gruau in Frankreich oder Gerd Grimm, das waren unsere “Götter”, die wir anbeteten, so wollten wir malen und zeichnen können. Ich zeichnete aber ein bißchen anders, aber auch modische Illustrationen, keine reinen Modezeichnungen: Die Modelle, die meine Damen trugen, hatte ich selbst erfunden. In der “Freundin” machte ich unter anderem die Kosmetikseiten, ich habe aber auch Kurzgeschichten illustriert, zum Beispiel von John Steinbeck. Bei der “Freundin” war ich ein Jahr lang. Da ich meinen Namen immer neben meine Zeichnungen schreiben durfte, bekam ich schnell Angebote von Firmen. Damals hatte ich meinen Mann schon kennengelernt, der Redakteur bei der “Freundin” war, so daß ich das Risiko eingehen konnte, mich selbständig zu machen.
FACT: Wie kam Ihr Wechsel von der Grafik zur freien Malerei?
Neuert: Da gibt es eine ganz simple Erklärung. Ich hatte geheiratet und nach fünf Jahren wurde unser Sohn Markus geboren. Ich habe erkannt, daß ich den Terminaufträgen, die zuverlässig ausgeführt werden müssen, nicht mehr gerecht werden konnte. Ich habe dann begonnen, so langsam den Wechsel vorzubereiten, ich habe ihn nicht schnell vollzogen, da man dazu Zeit braucht. Nach der Geburt meines Sohnes habe ich außerdem eine recht schöne Entdeckung gemacht, ich hatte nämlich den großen Wunsch, mein Kind zu portraitieren. Das habe ich dann seltsamerweise auf Anhieb gekonnt. Wie man ein Auge, eine Nase oder den Mund zeichnet, das hatte ich auf der Akademie gelernt, aber daß das Gezeichnete so überzeugend war, das war schon etwas Neues für mich. Das war nun schon die Überleitung zur freien Malerei. Ich habe also schon noch diesen oder jenen Auftrag angenommen, aber auch mit der Portraitmalerei habe ich schon ein bißchen Geld verdient. Außerdem kam mir auch in die Quere, daß das Foto in der Werbung immer aktueller wurde, die Fotografen haben uns Zeichner verdrängt. Ebenfalls kam hinzu, daß das Grafikdesign immer irgendwelchen Moderichtungen unterworfen ist, die ziemlich stark ausgeprägt, nervig waren. Ich wollte etwas machen, das dauerhaft Gültigkeit behält und Qualität hat, nicht so oberflächlich ist. Das alles hat mich dazu bewogen, freie Kunst zu machen. Ich habe mit Naturstudien angefangen, die noch recht gegenständlich waren, ich hatte meinen eigenen Stil noch nicht gefunden.
FACT: Welche Maltechniken bevorzugen Sie?
Neuert: Ich bevorzuge die Leuchtkraft des Aquarells, da wirkt das Papier mit. Aquarellfarbe ist einfach die schönste Farbe, die die Malerei zu bieten hat. In der Acrylmalerei habe ich dann ja so meine eigene Technik entwickelt, indem ich mehrere Schichten der herrlich leuchtenden Farbe übereinander legte und so etwas aquarelliges fabriziert habe, was der Leuchtkraft des Aquarells ebenbürdig ist.
FACT: Welcher Stilrichtung würden Sie sich zuordnen? Neuert: Ich bin noch ein bißchen gegenständlich, ich möchte nicht völlig abstrakt werden. Ich finde, wenn ein Bild auf den ersten Blick abstrakt erscheint, man aber plötzlich eine Säule, einen Torbogen, eine Kuppel entdeckt, auf einmal erkennt man die ganze Stadtlandschaft, diese Rätselhaftigkeit, an der arbeite ich oft recht hart, bis ich ein Bild verschlüsselt habe. Ich bin ein Grenzgänger, meine Malerei ist eine Kombination zwischen Gegenständlichem und Abstraktem. Das allein finde ich für mich reizvoll.
FACT: Woher nehmen Sie die Inspiration zu Ihren Bildern?
Neuert: Im Laufe meines Lebens hat sich herausgestellt, daß ich eine starke Affinität zur Architektur habe. Mich hat immer wieder fasziniert, wenn ich in den Süden um das Mittelmeer herum gefahren bin, das Licht, der Himmel, die Architektur. Ich habe erkannt, um einen eigenen Stil zu finden, darf man nicht zu viele Sujets angehen. Ich bin von der Architektur stark beeinflußt. Eine große Begegnung für mein künstlerisches Schaffen war meine Venedigreise vor 20 Jahren, die Architektur hat mich so beeindruckt, das Licht und vor allem die Spiegelungen haben es mir so angetan, daß ich sie als zentrales Thema in meine Bilder aufgenommen habe. Das hat mir einen starken Ruck gegeben, meine Bilder in eine bestimmte Richtung zu bringen. Die Architektur ist mein Synonym geworden. Ebenfalls liebe ich Farben, das ist meine Ausdrucksmöglichkeit. Man kann sehr farbig sein, so wie ich das in meinen Bildern bin, aber man muß sich hüten, bunt zu werden, das ist dann wirklich keine Kunst mehr. Bilder die etwas Leuchtendes haben sollen, die von innen Licht haben, wie es Gall über meine Bilder sagte, denen muß man unbunte Farben gegenüberstellen.
R.M. |