Seit 22 Jahren leitet Dr. Manfred Rommel nun schon als Oberbürgermeister die Geschicke der Landeshauptstadt Stuttgart. Am 24. Dezember 1996 wird er seinen 68. Geburtstag feiern, und damit zum Jahreswechsel sein Amt an seinen Nachfolger Dr. Wolfgang Schuster übergeben. FACT sprach am 20. November im Rathaus mit dem scheidenden Bürgermeister. Hier direkt zum Rommel-Witz, der, wie in FACT angekündigt, ausschließlich auf der Homepage erscheint.
FACT: Herr Rommel, könnten sie zuerst einmal eine kleine Bilanz Ihrer Dienstzeit ziehen? Was hat Ihnen gefallen, was nicht? Hätten sie vielleicht gerne noch etwas realisiert?
M.R.: Natürlich. Wenn man so lange Bürgermeister ist wie ich, dann möchte man´s am liebsten ewig bleiben. Aber das selbstkritische Potential, das ich mir erworben habe, sagt mir, daß es doch starke Gründe gibt, aus dem Amt auszuscheiden. Mir hat die Arbeit gefallen. Ich darf das gar nicht laut sagen, sonst kommen die Leute auf die Idee zu denken, dem Rommel hat ja alles gefallen, der hat sich keine Verdienste erworben. Ich hoffe ja, daß man mich lobt und sagt, daß ich mich für die Stadt aufgeopfert habe. Zumindest so etwas in der Richtung möchte ich schon in meinen dienstlichen Nachrufen hören. Das Amt ist aber auch eine große Herausforderung, und der Mensch braucht Herausforderungen. Ich war ja vorher Staatsbeamter, Ministerialdirektor und Staatssekretär, relativ jung noch Amtschef im Finanzministerium, und das alles waren auch tolle Sachen. Aber was die Breite der Amtsgebiete betrifft, war das natürlich auf Wirtschaft und Finanzen verengt und hat die ganze Welt unter dem Aspekt zu hoher Geldausgaben gesehen. Als OB ist man dagegen doch auch in die Kultur, die Energie- und die Bankenwirtschaft hineingewachsen. Gesundheitspolitik, Sozialpolitik und so weiter - also ich habe den Eindruck, daß ich durch die Arbeit als Mensch vielseitiger geworden bin.
FACT: Gibt es konkrete Dinge, die Sie gerne durchgesetzt hätten, die vielleicht gescheitert sind oder die besser hätten laufen können?
M.R.: Das meiste hätte besser laufen können, aber ich bin froh, daß es überhaupt gelaufen ist. In diesem Zusammenhang muß ich auch mal etwas über die Beamten sagen, die sind nämlich besser als ihr Ruf. Viele sagen ja, die sitzen nur rum und haben keine Initiative. Diese Erfahrung habe ich im Rathaus nicht gemacht. Ich habe auch immer die Eigeninitiative gefördert, habe mich also nicht immer eingemischt und den Besserwisser gespielt. Wenn ich das gemacht hätte, wären die Leute rausgegangen und hätten das gesagt, was man in Württemberg oft sagt, nämlich den schwäbischen Gruß (Anm. d. Red.: auch bekannt als Götz-Zitat). Da muß man sich schon bemühen, daß man sich gegenseitig hilft, Hand in Hand arbeitet und sich nicht aufs hohe Roß setzt mit der Folge, daß zum Schluß gar kein Roß mehr da ist.
FACT: Meinen sie, daß es vom Amtsablauf und der Bürokratie her Unterschiede zwischen Stuttgart und anderen deutschen Städten gibt?
M.R.: Ich denke schon, daß es da gewisse Unterschiede gibt. Der Schwabe ist ein besonderer Buchstabenmensch. Wenn etwas vorgeschrieben ist, dann fällt es dem Schwaben unheimlich schwer, das vorgeschriebene etwas großzügiger auszulegen. Der Schwabe möchte mit dem Schriftlichen im Reinen sein, wenn er in der Verwaltung tätig ist. Er möchte auch möglichst geschätzt werden, und damit das der Fall ist, macht er sich immer selber klein und denkt, diese Art Bescheidenheit würde seinem Ansehen nützen. Er macht auch seine Stadt klein, sagt beispielsweise in Stuttgart ist ja alles schlecht, ist nichts los, oder ich bin ja nur ein kleiner Fabrikant. Wenn man ihm dann aber sagt, du bist doch gar kein kleiner Fabrikant, du hast doch 50 Angestellte, dann sagt er nein, ich habe 240 Angestellte. Er sagt nämlich nur, daß er so klein ist, damit die anderem ihm sagen, daß er groß ist. Dann freut er sich. Das ist zwar etwas seltsam, aber es ist so.
FACT: Wie sind sie eigentlich zur Politik gekommen?
M.R.: Ich bin ja schon seit 1950 in der CDU, habe aber nie daran gedacht, daß ich mal Berufspolitiker werden könnte. Ich habe dann später unter dem Einfluß meiner Frau ein ganz ordentliches zweites Staatexamen gemacht, bin danach in die Verwaltung gegangen, und dann kam eins nach dem anderen: Regierungsassesor, Regierungsrat, Oberregierungsrat, Regierungsdirektor, Ministerialrat, Ministerialdirigent, Ministerialdirektor, zum Schluß noch mit dem Titel Staatsekretär geschmückt, durch Fleiß und treue Arbeit geben. Ich war auch lange Zeit Mitarbeiter von Filbinger und später von Kiesinger. Ich war in Bonn, und als Kiesinger Kanzler wurde, habe ich an der Regierungserklärung der Großen Koalition mitgewirkt. Ich habe da alle möglichen Berühmtheiten, die man heute nur noch aus den Geschichtsbüchern kennt, persönlich kennengelernt. Strauß, Brandt, Wehner - dazu noch alle in einer Regierung - das war schon sehr beeindruckend für mich.
FACT: Was wäre denn aus Ihnen geworden, wenn sie nicht in der Politik gelandet wären?
M.R.: Dann wäre ich wahrscheinlich Ministerialdirektor geblieben und wäre im Finanzministerium ergraut und verkalkt.
FACT: Haben Sie privat einen speziellen Ausgleich zur Politik oder ein besonderes Hobby?
M.R.: Das Privatleben leidet leider Not. Ein unterhaltsames persönliches Leben ist in meiner Position nicht möglich, da muß man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Eine gewisse Freude an der Arbeit muß man da schon entwickeln. Wer also zum Beispiel gerne redet, der ist schon am rechten Platz. Da findet man dauernd Zuhörer, was sonst ja nicht der Fall ist. Aber hier kann man dauernd reden und die Leute hören zu, manche schlafen auch ein, aber die wachen ja wieder auf, wenn applaudiert wird. Sowas ist schon sehr unterhaltsam, besonders, wenn man wie ich im Jahr 250 bis 300 Reden halten muß. Das lernt man im Lauf der Zeit, auch ich. Ich habe am Anfang immer gedacht, die Menschen wollten belehrt werden, wollten etwas hören, was sie noch nicht wissen. Diese Meinung ist aber vollkommen falsch. Man hätte eigentlich von seinem eigenen Schülerdasein her schon begreifen sollen, daß man keineswegs immer Lust hat, neues zu hören, sondern eigentlich am alten genug hat. So ist es auch in der Politik, und darum muß man auf listige Weise vorgehen, um Bereitschaft zu wecken, einen neuen Gedanken mitzudenken. Da habe ich ja bekannterweise meistens irgendwelche Witze erzählt. Ein belehrender Vortrag von einer Stunde Dauer ist etwas schreckliches. Viele denken ja, sie müßten besonders lange sprechen, dabei kann man den Leuten keine größere Freude machen wie schnell wieder aufzuhören.
FACT: Haben sie denn einen Lieblingswitz?
M.R.: Ich habe immer wieder Witze, die die Situation beschreiben. Die haben oft schon einen gewaltigen Bart und wiederholen sich auch. Ich habe zum Beispiel gestern beim Jubiläum des Gemeindeversicherungsverbandes gesprochen, vor allem von der Überversicherung, daß die Versicherung manchmal weitaus mehr Freude bringt als der Unfall Schmerz. Dann habe ich eben einen Witz erzählt, der in diesen Zusammenhang paßt: 2 Holzfäller arbeiten im Wald, als ein Baum umstürzt. Der eine wird von dem Baum erschlagen, der andere kann gerade noch zur Seite springen. Einige Wochen später treffen sich die Witwe und die Frau des Überlebenden. Fragt diese die Witwe: "Na, wie geht´s Ihnen denn?" Sagt die Witwe: "Mir geht´s besser denn je, ich kriege 3000 Mark Rente." Sagt die andere: "Mist, und mein Trottel springt zur Seite."
FACT: Sie gehen bald in den Ruhestand. Wird das tatsächlich ein Ruhestand oder eher ein Unruhestand?
M.R.: Bislang habe ich noch eine Menge Arbeit, die mir aus dem Rathaus nachfolgt. Darüberhinaus bin ich ja letztes Jahr noch zum deutsch-französischen Koordinator ernannt worden, als Nebenamt. Da habe ich mir bislang viel Ansehen durch Untätigkeit erworben und werde im nächsten Jahr mehr tun müssen. Dafür habe ich mir jetzt auch selbst wieder ein bißchen französisch beigebracht. Etwas konnte ich auch noch aus meiner Kriegsgefangenschaft. Ich habe jedenfalls nicht vor, an der schwäbischen Funktionslust zu Grunde zu gehen und mir das, was ich beruflich nicht mehr tun muß, durch zahllose Ehrenämter aufzubürden. Ich hoffe, daß ich ein Stück Freiheit gewinne. Als Schüler und Student hat es mir überhaupt nichts ausgemacht, nichts zu arbeiten, und in diesen Zustand möchte ich wieder zurück.
FACT: Zum Schluß möchten wir natürlich nochmal kurz auf die Oberbürgermeisterwahl eingehen. Wir nehmen an, Sie sind zufrieden?!
M.R.: Natürlich, wobei ich persönlich gar nichts gegen den Rezzo Schlauch habe. Ich habe auch verschiedene Freunde, die ich mir durchaus auf dem Posten des OB vorstellen könnte, nur glaube ich nicht, daß die die Arbeit mit dem nötigen Nachdruck betreiben würden. Deshalb habe ich Herrn Schuster gebeten, nach Stuttgart zurückzukommen, auch mit dem Gedanken, daß ich mich um einen Nachfolger kümmern muß.
FACT: Sie haben den Herrn Schuster also schon seit längerer Zeit im Auge gehabt?
M.R.: Ja. Der Rezzo Schlauch ist zwar ein gescheiter und witziger Mensch, aber ich habe den Eindruck, daß ihm selbst ein großer Stein vom Herzen gefallen ist, daß er im Bundestag hat bleiben dürfen und nicht Bürgermeister werden mußte. Im Bundestag ist es doch auch nett, mit dem Joschka Fischer zusammen.
FACT: Wenn der Herr Schuster jetzt das Amt antritt, muß er sich ja erst mal einarbeiten. Da stehen Sie sicher mit Rat und Tat zur Verfügung?
M.R.: Sicher. Aber ich habe selbst die Erfahrung gemacht, daß man immer zu einem, der ausscheidet, sagt, daß man auf seinen Rat nicht sobald verzichten könne und werde. In Wirklichkeit wird man aber kein einziges mal gefragt werden. Die wissen schon ganz gut, was sie machen sollen.
FACT: Was halten sie jetzt für das Hauptproblem, das ansteht?
M.R.: Ein sehr großes Problem ist Stuttgart 21. Das ist ja nichts anderes als eine einigermaßen vernünftige Schnellbahntrasse durch Stuttgart. Die Freigabe des Bundesbahngeländes ist nur ein Nebenprodukt. Da macht man seit Jahren rum, ohne das Problem ernstzunehmen. Jetzt ist man nach vielen Prüfungen zu der beschlossenen Lösung gekommen, aber die Diskussionen hören nicht auf.
FACT: Wir danken Ihnen für dieses Interview und wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft.
J.B. / R.M. |