Noch'n Gedicht

Kostproben meiner Lieblingslyrik

Eine Lieblingsbeschäftigung von mir ist das Lesen, Lernen und Aufsagen von Gedichten aller Art. Hier ein paar meiner Favoriten:
 
 

 
Ich habe dich so lieb 

Ich habe dich so lieb! 
Ich würde dir ohne Bedenken 
Eine Kachel aus meinem Ofen 
schenken. 

Ich habe dir nichts getan. 
Nun ist mir traurig zu Mut. 
Auf den Hängen der Eisenbahn 
Leuchtet der Ginster so gut. 

Vorbei – verjährt – 
Doch nimmer vergessen. 
Ich reise. 
Alles, was lange währt, 
ist leise. 

Die Zeit entstellt 
Alle Lebewese. 
Ein Hund bellt. 
Er kann nicht lesen. 
Er kann nicht schreiben. 
Wir können nicht bleiben. 

Ich lache. 
Die Löcher sind die Hauptsache 
An einem Sieb. 

Ich habe dich so lieb! 

Joachim Ringelnatz, 1928 
  

  Edge 

The woman is perfected. 
Her dead 

Body wears the smile of accomplishment, 
The illusion of a Greek necessity 

Flows in the scrolls of her toga, 
Her bare, 

Feet seem to be saying: 
We have come so far, it is over. 

Each dead child coiled, a white serpent, 
One at each little 

Pitcher of milk, now empty. 
She has folded 

Them back into her body as petals 
Of a rose close when the garden 

Stiffens and odors bleed 
From the sweet, deep throats of the night flower. 

The moon has nothing to be sad about, 
Staring from her hood of bone. 

She is used to this sort of thing. 
Her blacks crackle and drag. 

Sylvia Plath, 1963 
 
 

Mandeln 

Zähle die Mandeln, 
zähle, was bitter war und dich wachhielt, 
zähl mich dazu: 

Ich suchte dein Aug, als du’s aufschlugst und niemand dich ansah. 
Ich spann jenen heimlichen Faden, 
an dem der Tau, den du dachtest, 
hinunterglitt zu den Krügen, 
die ein Spruch, der zu niemandes Herz fand, behütet. 

Dort erst tratest du ganz in den Namen, der dein ist, 
schrittest du sicheren Fußes zu dir, 
schwangen die Hämmer frei im Glockenstuhl deines Schweigens, 
stieß das Erlauschte zu dir, 
legte das Tote den Arm auch um dich, 
und ihr ginget selbdritt in den Abend. 

Mache mich bitter. 
Zähle mich zu den Mandeln. 

Paul Celan, 1952 
 

Komm, sage mir, was du für Sorgen hast 

Es zwitschert eine Lerche im Kamin, 
Wenn du sie hörst. 
Ein jeder Schutzmann in Berlin 
Verhaftet dich, wenn du ihn störst. 

Im Faltenwurfe einer Decke 
Klagt ein Gesicht, 
Wenn du es siehst. 
Der Posten im Gefängnis schießt, 
Wenn du als kleiner Sträfling ihm entfliehst. 
Ich tät es nicht. 

In eines Holzes Duft 
Lebt fernes Land. 
Gebirge schreiten durch die blaue Luft. 
Ein Windhauch streicht wie Mutter deine Hand. 
Und eine Speise schmeckt nach Kindersand. 

Die Erde hat ein freundliches Gesicht, 
so groß, daß man's von weitem nur erfaßt. 
Komm, sage mir, was du für Sorgen hast. 
Reich willst du werden? - Warum bist du's nicht? 

Joachim Ringelnatz, 1928 
 

Trost 

Unsterblich duften die Linden. 
Was bangst du nur? 
Du wirst vergehn und deiner Füße Spur 
Wird bald kein Auge mehr im Staube finden. 
Doch blau und leuchtend wird der Sommer stehn 
Und wird mit seinem süßen Atemwehn 
Gelind die arme Menschenbrust entbinden. 
Wo kommst du her? Wie lang bist du noch hier? 
Was liegt an dir? 
Unsterblich duften die Linden. 

Ina Seidel, 1927 

 
 
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