Kernkraft
Hans-Rudolf
Gubser strahlte vor einigen Wochen viel Zuversicht aus. «Ende
März», erklärte der Verwaltungsratspräsident
des nationalen Zwischenlagers für radioaktive Abfälle
(Zwilag) in Würenlingen, wolle man den Betrieb aufnehmen.
Das Fest für 100 Geladene hatte ein Jahr zuvor stattgefunden.
Im Zwilag floss der Würenlinger Chardonnay, dazu gabs zarten
Kalbskarreebraten. Pfarrer Hans Zünd erbat Gottes Schutz
und sparte nicht mit Weihwasser. Noch
diesen Frühling, so wie derzeit in Deutschland, hätten
Castor-Behälter hochradioaktiven Schweizer Atommüll
- Abfallprodukt aus einem Recyclingprozess - aus der Wiederaufbereitungsanlage
im französischen La Hague zurück in die Schweiz bringen
sollen. Mit dem Ziel, den strahlenden Abfall für einige
Jahrzehnte im Zwilag in Würenlingen zu versenken. Hans-Rudolf
Gubsers Startschuss war voreilig. Das Zwilag ist für die
Lagerung des hoch- und mittelradioaktiven Atommülls nicht
bereit. Immer noch nicht bereit - obwohl erste Ankündigungen
gar den Frühling 2000 als Startdatum für den Betrieb
der Anlage genannt hatten. Die
Häme der Atomkritiker über die «Pleiten und Pannen»
im Zwilag bleibt nicht aus. «Welche Stümpereien gibt
es noch zu entdecken?», fragt Kritiker Leo Scherer, Stiftungsrat
der Schweizerischen Energiestiftung (SES). Zahlreiche.
So zahlreich, dass die Hauptabteilung für die Sicherheit
der Kernanlagen (HSK) bereits Ende 2000 intervenierte und das
Freigabeverfahren für die Anlage abbremste. Denn die «Stümpereien»
sind immer noch nicht aus dem Weg geräumt. «Es gibt
zu viele offene Fragen», sagt Anton Treier, Sprecher der
HSK, Anfang Woche. Bisher
wurde lediglich bekannt, dass es Probleme mit dem Boden des Lagers
gibt. Nach einer ersten Prüfung stellte sich heraus, dass
er den hohen Temperaturen der bis zu 130 Grad heissen Atommüllbehälter
nicht standhalten konnte. Die Sicherheitsbehörde HSK war
es, die dem Zwilag Vorschläge unterbreitete, wie das Problem
zu lösen sei - obwohl das nicht ihre Aufgabe ist. Dem gefährlichen
Missstand einer Überhitzung will das Zwilag jetzt mit «wärmeisolierenden
Matten» begegnen. Die
vielen anderen Zwilag-Probleme kommen erst jetzt an den Tag.
Die Zwilag-Verantwortlichen machten sie nie publik - und erklären
stattdessen, man wolle den Betrieb im April aufnehmen. Die
Sicherheitsbehörde HSK sieht das weniger optimistisch. Sie
steht immer stärker auf die Bremse. Denn die Mängelliste
ist so lang, dass selbst den zurückhaltenden Experten der
HSK mulmig wird. Zum Beispiel wegen der Betriebsvorschriften.
Sie seien «mangelhaft bis fehlend», sagt HSK-Sprecher
Anton Treier. «Die
Zwilag-Leute arbeiten so», sagt Stefan Füglister von
Greenpeace, «als befänden sie sich in einer geschützten
Werkstatt.» Greenpeace Schweiz will das nicht länger
hinnehmen und fordert wegen «Fehlkalkulationen des Managements
und der ungelösten Probleme in der Anlage» einen Notstopp:
Der Bundesrat soll die Betriebsbewilligung des Zwilag widerrufen. Protokoll-Auszüge
eines Hearings der parlamentarischen Kommission für Umwelt,
Raumplanung und Energie (UREK), die FACTS vorliegen, belegen:
Die Verantwortlichen des Zwilag können bis heute nicht garantieren,
dass sie überhaupt fähig sind, die gefährliche
Zwischenlagerung richtig zu organisieren. In der UREK-Sitzung
von Ende November 2000 klärte Wolfgang Jeschki, HSK-Direktor,
die Mitglieder der UREK über den Stand der Dinge auf. Jeschki
präsentierte den verdutzten Nationalräten einen ganzen
Rattenschwanz von ungelösten Problemen. In
den Zwilag-Gebäuden, wo der gefährliche hochradioaktive
Atommüll ein halbes Jahrhundert lang abkühlen muss,
bevor er in ein Endlager gebracht werden könnte, ist der
Brandschutz ungenügend. Ein zuständiger Experte habe
festgestellt, sagte Wolfgang Jeschki der UREK, «dass da
einige Dinge nicht in Ordnung sind». Zudem
mussten die Parlamentarier von Jeschki Details über «ungenügende
Vorschriften» betreffend Inbetriebnahme der Anlage erfahren.
Es sei ferner «erstaunlich, dass man beim Personal sparen
will», sagte Sicherheitschef Jeschki. «Man hat beim
Bau der Anlagen keineswegs gespart.» Der Bau des Zwilag
kostete bisher eine halbe Milliarde Franken. Die
Zwilag-Verantwortlichen pflegen weiterhin ihre Politik der kleinen
Schritte: Sie korrigieren und verbessern erst, wenn die Sicherheitsbehörde
HSK interveniert. Zwilag-Betriebsleiter Jean-Pierre Wenger erwartet die Freigabe nach Ostern. Anton Treier von der HSK hingegen sagt, dass die Sicherheitsbehörde noch kein grünes Licht geben will. «Das», sagt Treier, «wird vermutlich länger dauern.» |
Zwilag-Betriebsleiter |
«Wirklich
stark unterschätzt» Das
Zwilag werde bald eröffnet, versichert Betriebsleiter Jean-Pierre
Wenger. «Es fehlen noch ein paar Papiere und einige Betriebsvorschriften»,
sagt er. FACTS:
Herr Wenger, wann treffen die ersten Castor-Transporter mit hochradioaktivem
Müll bei Ihnen in Würenlingen ein? FACTS:
Zuerst müssen Sie aber die amtliche Freigabe für die
Anlage erhalten. Warum ist die Geschichte des Zwilag ein Debakel? FACTS:
Vor einem Jahr bereits haben Sie Einweihung gefeiert. Warum ist
das Werk immer noch nicht für den Betrieb freigegeben? FACTS:
Wie wollen Sie das Ziel erreichen, die Anlage nach Ostern in
Betrieb nehmen zu können? FACTS:
Ausgerechnet beim Personal haben Sie gespart. Wo sind die Leute,
die fähig sind, das Zwilag in Betrieb zu nehmen? FACTS:
Sie wollen hochradioaktiven Müll einlagern - obwohl der
Boden der Anlage nicht genug hitzeresistent sei. Wie eliminieren
Sie dieses Sicherheitsrisiko? FACTS:
Damit ist das Sicherheitsrisiko noch nicht ausgeräumt. Um
welche Details müssen sich die Spezialisten noch kümmern? FACTS:
Was, wenn ein Müllbehälter und der Boden die Hitze
doch nicht aushalten? FACTS:
Gibt es Studien über die Langzeitsicherheit solcher Atommüllbehälter? FACTS:
Wenn das Okay kommt, überwiegt die Freude oder sind Sie
dann einfach erleichtert? |