Atommüll
Das russische Parlament hat in dritter und letzter Lesung ein Gesetz erlassen, das den Import von radioaktiven Abfällen aus dem Ausland erlaubt.
Von Roman Berger, Moskau
In Russland liegen Tausende von Atomsprengköpfen herum, sind zehn Atomkraftwerke und Dutzende mit Atomreaktoren angetriebene U-Boote in Betrieb. Jetzt will das ökologisch ohnehin schon schwer geschädigte Russland innert zehn Jahren bis zu 20 000 Tonnen oder rund ein Zehntel der in der Welt angehäuften hoch verstrahlten Brennrückstände von Atomkraftwerken gegen viel Geld importieren und aufbewahren.
Sicherheit nicht gewährleistet
Die Befürworter des Gesetzes, das die Duma am Mittwoch in dritter Lesung verabschiedet hat, sprechen von abgebrannten Brennstäben, die nur vorübergehend zur Wiederaufbereitung in Russland gelagert und nach 30 Jahren wieder in die Ursprungsländer zurückgeschickt werden sollen. Russland erhalte dafür insgesamt 20 Milliarden Dollar, die zu 75 Prozent für die Beseitigung von Umweltschäden und die Renovation von AKW verwendet werden sollen. Die Idee, mit solchen Einfuhren viel Geld zu verdienen, hatte Präsident Jelzin im Jahre 1995. Damals wurde ein entsprechender Erlass des Kremls vom Obersten Gericht als gesetzeswidrig aufgehoben. Jetzt hat das 450 Sitze zählende Parlament mit einer Mehrheit von 243 Stimmen das Importverbot aufgehoben.
Auch Umweltschutzorganisationen wie das Grüne Kreuz, das bei der Beseitigung von Chemiewaffen eng mit der Regierung zusammenarbeitet, lehnen das neue Gesetz ab. Der Parlamentsentscheid missachte die öffentliche Meinung, erklärt Sergei Baranowski, Vizepräsident des Grünen Kreuzes Russland. Umweltschutzorganisationen sammelten im November die für einen Volksentscheid zum Importverbot nötigen 2,5 Millionen Unterschriften. Die zentrale Wahlkommission erklärte das Begehren als ungültig. Laut Umfragen würden fast 80 Prozent ein Importverbot unterstützen.
Die mit dem Import verbundenen Probleme seien nicht abgeklärt worden, erklären Kritiker weiter. Russland sei gar nicht vorbereitet, so grosse Mengen von Atommüll aufzunehmen. Ein den notwendigen Sicherheitsnormen entsprechender Transport der gefährlichen Fracht über Tausende von Kilometern bis zu den Endlagern in Sibirien ist nicht gewährleistet. In Russland hat es mehrere schwere Unfälle in atomaren Endlagern gegeben.
Vor kurzem hat die Kommissarin für Umwelt der Europäischen Union, Margot Walstrom, in Moskau darauf hingewiesen, dass die Bedingungen in russischen Endlagern sowie die der Transporte den europäischen Standards nicht entsprechen. Solange sich hier nichts ändert, dürften Länder der EU sich hüten, atomare Rückstände nach Russland zu exportieren. Dagegen aber besteht die Möglichkeit, dass Moskau die Abfälle aus Ländern wie Iran, Indien und Nordkorea übernimmt. In diesen Ländern baut Russland Kernkraftwerke.
Und was geschieht mit den aus
dem Atommüllgeschäft stammenden Milliarden? Vor kurzem
wurde Atomminister Jewgeni Adamow entlassen, nachdem ihm illegale
Geschäfte in der Atomindustrie, Geldwäsche und Veruntreuung
nachgewiesen werden konnten. Der neue Minister, der Wissenschaftler
Alexander Rumjanzew, soll jetzt den Stall ausmisten. Aber auch
Rumjanzew musste in einer öffentlichen Diskussion zugeben,
er könne nur sein Ehrenwort geben, dass die Gelder nicht
zweckentfremdet würden, im Gesetz gebe es leider dafür
keine Garantien.
"Das Schweizer Parlament muss endlich russisches Roulett verhindern", schreibt Greenpeace Schweiz in einer Reaktion auf den Beschluss der Duma. Im September 1998 hat die Umweltschutzorganisation ein von der Schweizer Atomindustrie mit Moskau unterschriebenes vertrauliches Protokoll publiziert, in dem die Absicht geäussert wurde, rund 2000 Tonnen Atommüll nach Russland zu schicken. Dies sei rund die Hälfte des insgesamt produzierten Schweizer Atommülls bei einer AKW-Laufzeit von rund 40 Jahren. Um den Handel zu besiegeln, so Greenpeace, müssten auch in der Schweiz Gesetze geändert werden. Die Schweizer Atomindustrie habe angekündigt, sie wolle die Exportbeschränkungen im Entwurf des neuen Kernenergiegesetzes streichen. "Der Entscheid der Duma ist ein Schritt Richtung Billig-Entsorgung für die Schweizer Atomindustrie", schreibt Greenpeace. Die Schweiz müsse das Verursacherprinzip ernst nehmen und das Abschieben ihrer Probleme ins Ausland verhindern.
Die Schweizer Atomindustrie wies die Vorwürfe zurück. Es gehe nicht darum, einfach Müll nach Russland zu schicken und zu vergessen, sagte Hansjörg Ruh von der Schweizerischen Vereinigung für Atomenergie. In Frage käme nur ein sicheres, internationales Lager unter Aufsicht. Der Entscheid der Duma sei ein kleines positives Signal, weil er diese Option enthalte.
Für den Bundesrat steht die Entsorgung im Ausland nicht zur Diskussion. Am Grundsatz der Endlagerung im Inland werde nicht gerüttelt, sagte Michael Aebersold vom Bundesamt für Energie. Heute sind Exporte nur zulässig, wenn im Empfängerland die Sicherheit garantiert ist und wenn das eidgenössische Parlament zugestimmt hat. Internationale Lager würden diskutiert, so Aebersold, aber sie müssten in Staaten liegen, in denen die demokratische Mitsprache und der technische Standard gewährleistet seien. (R. B./st)