Ausländer
Von Andrea Fischer
Bern. - Trotz eines vergleichsweise geringen wirtschaftlichen Wachstums hat die Schweizer Bevölkerung seit 1990 um 5,9 Prozent zugenommen. Das Wachstum gehört im innereuropäischen Vergleich zu den höchsten. Das zeigen die ersten Ergebnisse der Volkszählung 2000, die gestern vom Bundesamt für Statistik in Bern veröffentlicht wurden. Der Zuwachs ist zu praktisch gleichen Teilen auf einen Geburtenüberschuss wie auf Wanderungsgewinne zurückzuführen. Jede(r) Fünfte der insgesamt 7 280 000 Einwohnerinnen und Einwohner besitzt einen ausländischen Pass.
Italiener nicht mehr grösste Gruppe
Was die Zusammensetzung der ausländischen Wohnbevölkerung angeht, so zeigen die Daten markante Verschiebungen. Die grösste Gruppe stammt heute als Folge der internationalen politischen Situation aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien (heutige Bundesrepublik Jugoslawien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenien). Sie lösten damit die Italiener an der Spitze ab, deren Zahl wegen der Rückkehr ins Herkunftsland weiterhin rückläufig war. Zugenommen hat nicht zuletzt auch die Einwanderung aus aussereuropäischen Staaten. Diese liegt jedoch hinter dem europäischen Durchschnitt.
Die Aufsplitterung der ausländischen Bevölkerung
auf eine Vielzahl von ethnischen Gruppen zeigt sich in einer neuen
Sprachenvielfalt: Fast 10 Prozent der gesamten Bevölkerung
sprechen als Hauptsprache keine der vier Landessprachen. Kurdisch,
Albanisch, Serbisch oder Türkisch sind heute viel stärker
verbreitet als das Rätoromanische. Dagegen ist der Gebrauch
der Landessprachen unter den Ausländerinnen und Ausländern
der zweiten Generation weit verbreitet. Für Werner Haug,
Vizedirektor des Bundesamts für Statistik, ist dies ein Zeichen
dafür, dass sich die Integrationsbemühungen bezahlt
machen. Zudem drückt sich die veränderte Zusammensetzung
der ausländischen Bevölkerungsgruppen in den Religionen
aus. Die Zahl der Muslime hat sich in den letzten zehn Jahren
auf 310 000 verdoppelt. Der Islam ist damit zur drittgrössten
Religion geworden, auch unter Schweizer Bürgerinnen und Bürgern.
Immer mehr Menschen siedeln sich im Umfeld der grossen Agglomerationen an. Diese müssen deshalb neu definiert werden.
Von Andrea Fischer, Bern
Auf den ersten Blick zeigt sich das Bild einer Schweiz, die sehr homogen wächst. Tatsächlich weisen die gestern vom Bundesamt für Statistik in Bern präsentierten Ergebnisse der Volkszählung 2000 für alle Kantone ein Bevölkerungswachstum auf, mit Ausnahme von Basel-Stadt und Glarus, deren Einwohnerzahl rückläufig war.
Beim detaillierten Blick auf die einzelnen Kantone, Grossregionen und die verschiedenen Gemeindetypen sind jedoch deutliche Unterschiede festzustellen, hält Martin Schuler vom Institut de recherche sur l''environnement construit in seiner Analyse fest. Am meisten zugelegt hat die Grossregion Zürich im Osten des Landes, zu welcher auch die sehr stark gewordenen Zentralschweizer Kantone und die Ostschweiz gehören. Auch die Bevölkerungszunahme der Region von Genf und Waadt im Westen des Landes liegt über dem gesamtschweizerischen Durchschnitt von 5,9 Prozent, der Espace Mittelland und die Nordwestschweiz liegen hingegen darunter.
Während Schuler das Wachstum der beiden Grossregionen mit deren wirtschaftlicher Stärke beziehungsweise Spezialisierung erklärt, ist die Vergrösserung einzelner Voralpen-Zentren in den Kantonen Wallis und Graubünden zurzeit nicht erklärbar. Schuler weist jedoch darauf hin, dass in den umliegenden Alpenländern ähnliche Entwicklungen zu beobachten seien.
Geburten und Wanderung
Ausschlaggebend für die Bevölkerungszunahme in den wachstumsstarken Kantonen seien sowohl der Geburtenüberschuss wie auch die Zuwanderung aus dem In- und Ausland. Aus den Zahlen geht dabei hervor, dass es meist die Zugezogenen waren, die für einen Geburtenüberschuss sorgten. Auf der andern Seite sind die wachstumsschwachen Gebiete durch eine überdurchschnittliche Alterung geprägt.
Das relative Ungleichgewicht zwischen den einzelnen Metropolen steht laut Martin Schuler im Widerspruch zur Idee einer harmonischen Entwicklung des gesamten städtischen Netzes in der Schweiz. Überhaupt konzentriere sich das Bevölkerungswachstum nicht auf die bereits bestehenden Agglomerationen, die durch den öffentlichen Verkehr gut erschlossen sind. Am stärksten seien nämlich jene Gemeinden gewachsen, die zwar in unmittelbarer Nähe von grossen Agglomerationen liegen, jedoch mit rund 30 bis 40 km eine relativ grosse Distanz zu den eigentlichen Zentren aufwiesen. Dieses Phänomen der Periurbanisierung habe eine Anpassung der Agglomerationsgrenzen zur Folge: Wegen ihres starken Wachstums würden viele Gemeinden, die ausserhalb der heutigen Agglomerationen lägen, in diese integriert werden, so wie das seit 1941 nach jeder Volkszählung gemacht worden sei.
Nicht gerade von einer Trendwende, aber mindestens von einer - vorübergehenden - Verlangsamung kann man bei der demografischen Alterung der Schweizer Bevölkerung sprechen, bilanziert Philippe Wanner vom Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien in Neuenburg. Zum einen ist die Anzahl der Kinder zwischen 1990 und 2000 praktisch konstant geblieben, da in dieser Zeit die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer ihre Kinder bekamen. Zum andern ist die Zahl der über 80-Jährigen deutlich weniger gewachsen als in den vorangegangenen Jahrzehnten, bedingt durch die geburtenschwachen Jahre zwischen 1915 und 1920, während des Ersten Weltkriegs und der so genannten spanischen Grippe.
Nicht zuletzt war es jedoch vor allem die Zuwanderung einer
jungen Ausländergeneration, die die Alterung der schweizerischen
Bevölkerung vorübergehend bremste. Denn mit der Einwanderung
der 90er-Jahre kamen in erster Linie junge Leute, insbesondere
junge Erwerbspersonen mit ihren Kindern in die Schweiz, und diese
drückten somit auch etwas den Altersdurchschnitt.
Wacklige Sitze
Die neuen Bevölkerungszahlen auf Grund der Volkszählung
haben einzelne Sitzverschiebungen im Nationalrat zur Folge. Fest
steht laut Martin Schuler von der ETH Lausanne bereits jetzt,
dass die Kantone Bern und Basel-Stadt je einen Sitz abgeben müssen.
Zu den Gewinnern gehören Freiburg und Schwyz. Noch offen
ist, ob der Kanton Appenzell Ausserrhoden seinen zweiten Sitz
behalten kann. Dieser wackelt laut Schuler seit 1960. Ausschlaggebend
sind jedoch nicht allein die Zahlen von Appenzell. Bestätigen
muss sich noch der Zuwachs im Kanton Waadt, dem möglichen
Gewinner des Sitzes. Das definitive Resultat ist erst in ein paar
Monaten zu erwarten, wenn auf Grund der Feinzählung auch
die Zahl der Zweitwohnsitze bereinigt wird. (afi)