Österreich und Europa

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EU-Reform: Schüssel für österreichisches Modell

"Nizza-Vertrag völlig unzureichend"

Schüssel: "Europa als Pflichtfach"

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EU-Reform: Schüssel für österreichisches Modell

Startschuss für "offenen Dialog" über Europa
Wien - Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat sich dafür ausgesprochen, ein eigenständiges österreichisches Modell für die Reform der EU-Strukturen zu entwickeln. Im Ö-1-Morgenjournal am Mittwoch betonte Schüssel, "zuerst müsse über Inhalte und dann über Institutionen" geredet werden. Man müsse die Frage stellen, was Europa und was die Länder tun sollten.
Zwischen Deutschland und Frankreich
Zur französisch-deutschen Diskussion über die EU-Reform meinte Schüssel, die Vorstellungen der deutschen Länder kämen den seinen nahe. Die Forderungen nach mehr Subsidiarität seien Frankreich fremd. Der EU-Rat solle jedoch seine Steuerungsfunktion wahren und nicht in eine zweite Kammer umgewandelt werden, wie das der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgeschlagen hat
Nationale Identität wahren
Laut Schüssel gilt es, innerhalb der EU die eigene nationale Identität nicht zu verlieren. Zugleich sollten aber die Strukturen verbessert werden. Als zentrales Organ sollte die EU-Kommission die Politik der EU umsetzten, sie brauche aber den Dialog mit den nationalen Regierungen und die Kontrolle durch das Europäische Parlament. Die EU-Räte sollten weniger, dafür aber besser koordiniert werden.
Bewegende Themen
Der Bundeskanzler betonte, dass sich die EU um eine europäische Regelung für jene Fragen bemühen sollten, die für die Bürger wichtig seien, etwa Road Pricing oder Mindest-Sicherheitsstandards für AKW. Europa müsse seine Niveau auf dem Gebiet des Umweltschutzes und der Bildung wahren. Außerdem trat Schüssel für eine Verschiebung des Gewichts der Agrarförderung weg von Preisstützungen und Prämien hin zur Entwicklung des ländlichen Raumes ein.
Vier Fragen
Aus den bisher vorliegenden Beiträgen zur Europa-Zukunftsdiskussion ergebe sich "ein Muster", aus dem die wesentlichen Fragen zur künftigen Gestalt Europas abgeleitet werden könnten, so Wolfgang Schüssel weiter. Die entscheidenden Fragen seien erstens die Frage der Inhalte - Was soll in Europa geregelt werden und was nicht? -, zweitens die Frage der Institutionen - Wer soll was in Europa regeln? -, drittens die Frage des rechtlichen Rahmens - Soll es eine europäische Verfassung bzw. eine Grundrechts-Charta geben? - und viertens die Frage der Organisation der Arbeit auf EU-Ebene. Schüssel plädierte für mehr "kreative Ideen", "wie man den Begriff Heimat Europa stärker sichtbar machen kann".

apa/aho

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"Nizza-Vertrag völlig unzureichend"

Brüssel - Nizza ist gescheitert. Jetzt geht es ans Eingemachte". Elmar Brok, der Vertreter des Europäischen Parlaments bei der letzten Regierungskonferenz, findet die Ergebnisse des Nizza-Vertrages "völlig unzureichend für eine Union von 27 oder mehr Mitgliedern." Der nach Ansicht auch vieler EU-Parlamentarier missratene Gipfel vom vergangenen Dezember würde die Union nicht ausreichend auf die Osterweiterung vorbereiten. Als Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses will Brok bei der Vorbereitung der nächsten Vertragskonferenz (Post-Nizza-Prozess) kräftig mitmischen, um die Forderungen des Europa-Parlaments durchzusetzen. Die zentralen Punkte sind:
"Ein Konvent anstelle des Diplomatenspiels", so der CDU-Politiker, soll eine europäische Verfassung und ein Konzept über die Reform der EU-Institutionen erarbeiten.
Der Konvent sollte aus nationalen und Europa-Abgeordneten, Vertretern der einzelnen Regierungen und der EU-Kommission zusammengesetzt sein. Bis auf Großbritannien, Schweden und Dänemark haben sich bereits alle EU-Staaten für dieses neue Modell ausgesprochen.
Die Staats- und Regierungschefs beschließen den neuen EU-Vertrag auf Basis dieser Vorschläge.
Die Regierungskonferenz sollte nicht wie geplant im Jahr 2004, sondern schon unter italienischer EU-Präsidentschaft Ende 2003 abgeschlossen werden (EU-Vertrag von Rom). Der Grund: Im Juni 2004 finden Europa-Wahlen statt, und im Wahlkampf sollte daher über die Ratifizierung des neuen EU-Vertrages diskutiert werden.
Beim EU-Gipfel im Dezember dieses Jahres im belgischen Laeken sollte der inhaltliche Auftrag an die Regierungskonferenz und das Mandat des Konvents beschlossen werden.
Eine europäische Politiker-Persönlichkeit sollte den Konvent leiten. Drei Namen sind im Gespräch: Spaniens Ex-Ministerpräsident Felipe Gonzalez, Belgiens Ex-Premier Jean-Luc Dehaene und Deutschlands ehemaliger CDU-Vorsitzender Wolfgang Schäuble.
Über diese Forderungen, die Teil eines Berichtes "über den Vertrag von Nizza und der Zukunft der Europäischen Union" sind, wird heute, Donnerstag, im EU-Parlament abgestimmt. "Die große Mehrheit ist dafür", sind sich die Abgeordneten quer durch alle Fraktionen einig. Sollten die Staats- und Regierungschef in Laeken den Forderungen der Europa-Parlamentarier eine Absage erteilen, wollen diese bei der Abstimmung der Beitrittsverträge zur Waffe des Vetos greifen. Allerdings nur als letztes Mittel. "Die Beirittskandidaten sollen nicht Geiseln unserer Probleme sein", meint Brok.

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Schüssel: "Europa als Pflichtfach"

KURIER: Herr Bundeskanzler, Sie haben mit Ihrer Bemerkung über eine mögliche Beistandsgarantie für Aufsehen gesorgt. Wird eine solche Garantie auf europäischer Ebene diskutiert?

SCHÜSSEL: Die Debatte beginnt jetzt. Ich wollte die Frage stellen, ob man die Idee weiterverfolgen kann. In der Sicherheits-Debatte ist es wichtig, von Fundamentalpositionen wegzukommen. Im EU-Vertrag steht, dass die territoriale Integrität zu bewahren ist. Die solidarische Verpflichtung gibt es schon.

Bei den Verhandlungen über die EU-Erweiterung ist Realismus eingekehrt. Ist das in Nizza angepeilte Datum 2004 zu halten?

Realismus finde ich nicht schlecht. Das hilft der Erweiterung. Das Tempo der Verhandlungen übertrifft die Erwartungen. Eine ambitiöse Zielsetzung ist das einzige Mittel, um engagiert zu arbeiten. Letztendlich kommt es aber auf die Substanz an.
Ist ein so genannter Big Bang, die Aufnahme von zehn Ländern, im Jahr 2004 möglich? In Brüssel gilt dieses Szenario als realistisch.

Es ist nicht entscheidend, ob drei, fünf oder zehn Länder beitreten. Die gemeinsame Position war immer, dass jedes Land nach Erreichen vorgegebener Kriterien beitreten kann. Ich habe nichts dagegen, wenn sofort mehrere Länder Mitglied werden. Es wäre falsch, Staaten, die die Verhandlungen beendet haben, warten zu lassen.

Bei der Erweiterung stellt sich die Finanzfrage. Zuletzt verlangte Kommissionspräsident Prodi die Europa-Steuer.

Der Vorschlag ist alt. Er war nie mehrheitsfähig, weil er die Frage aufwirft, ob diese Steuer zusätzlich die Bürger belastet. Man kann sich ausmalen, dass neue Abgaben die Europa-Begeisterung nicht heben. Eine Möglichkeit wäre, die Steuer auf die Mitglieder zu verlagern. Das aber hätte Auswirkungen auf das nationale Budget.

Wer zahlt die Erweiterung?

Die Kommission muss die Frage beantworten, ob man mit dem in Berlin beschlossenen Finanzrahmen der EU in Höhe von 1,27 Prozent des Bruttonationalprodukts aller Mitgliedsländer auskommt. Ist das nicht der Fall, muss man in die Ausgaben-Diskussion gehen. Das ist besser als eine neue Steuer zu erfinden.

Wie sollen die Ausgaben neu geregelt werden?

Mit der Umschichtung des Agrarbudgets kann man die Erweiterung finanzieren. Heute fließen davon 90 Prozent in Marktordnungsprämien, die nicht kofinanziert sind. Für die Entwicklung des ländlichen Raumes werden nur zehn Prozent ausgegeben. Ich schlage eine bescheidene Kofinanzierung und Degression bei der Marktordnung vor. Das hätte interessante Folgen und würde die Reform des Agrarsystems in den Kandidatenländern positiv beeinflussen.

Sie sind für einen "Selbstbehalt" der Länder?

Durch neue Beitritte werden bestimmte Regionen Förderungen verlieren. Auch das Burgenland. Spanien, Portugal, Griechenland und Irland werden nicht mehr so viel Geld bekommen. Es gibt ein Prinzip: Die Kosten der Erweiterung müssen von allen getragen werden, nicht allein von den Nettozahlern.

Beim Gipfel im Dezember im belgischen Laeken wird der Fahrplan für die EU-Reform festgelegt und das Mandat für die Regierungskonferenz definiert. Was sind die österreichischen Positionen?

Zuerst muss man die Inhalte diskutieren - Aufgaben-Abgrenzung und europäische Identität - , dann erst die Frage der Institutionen. Bei der Kompetenzaufteilung ist zu klären, welche Bereiche mehr Europa brauchen: Die Außen-, Sicherheits- und Währungspolitik, die Forschung sowie Umwelt-, Verkehrs- und Atompolitik. Weniger Europa und mehr Subsidiarität muss es dort geben, wo es um Bürgernähe geht. Es ist ja absurd, im Rahmen der Binnenmarktordnung Beihilfen für kleine Kulturfestivals oder für Grenzregionen zu verbieten. Subsidiarität gilt auch für den Naturschutz.

Wie wichtig ist für Sie die Reform der Institutionen?

Das Europäische Parlament muss die volle Budgethoheit bekommen. Der Rat braucht eine Verbesserung seiner Arbeitsmethoden. Es ist klar, dass die Kommission die Außenvertretung der Union ist. Ich bin dafür, die unübersichtliche Drei-Säulen-Struktur (Binnenmarkt, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Innere Sicherheit und Justiz) vollständig aufzuheben.

Hat Österreich für seine Positionen Bündnispartner?

Wir liegen mit den Themen im Mainstream. Ich bin als Regierungschef nicht auf den Berg Sinai gestiegen, um etwas zu verkünden. Der Europa-Dialog mit den Bürgern, den wir gestartet haben, ist einzigartig, realistisch und sehr demokratisch.

Was meinen Sie mit "europäischer Identität"?

Ich finde es gut, wenn die Bürger Europa als ihre Heimat empfinden. Man muss die Symbolik - gemeinsame Währung, Europa-Hymne und die Fahne - mit Inhalten füllen. Das Unterrichtsfach Europa soll verpflichtend von der Grundschule an für alle Schüler vorgeschrieben sein. Auch soll es künftig die Möglichkeit der Individualklage vor dem Europäischen Gerichtshof geben.

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