Essen
Obschon die industrielle Tierhaltung wenig Kredit geniesst, ist Biofleisch nach wie vor eine Rarität. Jetzt wollen Bio Suisse und Coop den Marktanteil markant steigern. Geht das?
Von Beat Bühlmann
Wer sich aufmacht, um in der Dorfmetzgerei einen Rindsbraten mit der Bio-Knospe zu kaufen, hat nicht viel Auswahl. Trotz BSE-Rindern, Hormonschweinen oder Dioxinhühnern findet sich kaum ein Stück Biofleisch hinter der Ladentheke. In der Schweiz verkaufen überhaupt nur 30 gewerbliche Metzgereien Fleisch mit dem Label der Knospe, und auch die Grossverteiler zügeln den Appetit auf Biofleisch - selbst beim Marktleader Coop entfällt lediglich ein Prozent des Fleischabsatzes auf die Bio-Knospe. Laut Bio Suisse, der Vereinigung Schweizer Biolandbau-Organisatoren, macht der Handelsanteil von Biofleisch gesamtschweizerisch nur zwei Prozent aus. Wie ist das zu erklären?
Der Biobauer
Peter Häfliger ist Biobauer im luzernischen Schenkon und Präsident der IG Biofleisch Zentralschweiz (mit 160 Mitgliedern). Während er vor dem Freilaufstall erklärt, warum er den harmlosen Pilz, von dem seine 13 Kälber befallen sind, nicht medikamentös behandelt, kommt sein Nachbar, mit dem er zusammenarbeitet, vorbei und stellt ihm zwei Kannen mit Milch vor den Stall. Häfliger, der einen biologischen Mastbetrieb führt, hat keine eigenen Milchkühe und braucht diese Kuhmilch zum Tränken der Kälber. "Milchpulver ist im Biobetrieb verpönt", sagt Häfliger und tätschelt eines seiner Kälber. Er mästet, vorwiegend mit Futter vom eigenen Hof, gegen 80 Stück Grossvieh, verzichtet jedoch mit Rücksicht auf die Nährstoffbilanz auf die Schweinehaltung.
"Es mangelt nicht an Biofleisch", sagt Peter Häfliger, "doch viele Bauern können es unter diesem Label gar nicht verkaufen." Das Fleisch kommt in die normalen Absatzkanäle, mit dem Resultat, dass die Produzenten beim Preis markante Abstriche in Kauf nehmen müssen. "Viele Metzger scheuen Aufwand und Risiko", sagt Häfliger, "jedenfalls hat die IG Biofleisch keinen Metzger gefunden, der Biofleisch in grösserem Ausmass verarbeiten möchte." Im Gegensatz zu den Gemüse- und Milchprodukten, die inzwischen einen anständigen Marktanteil ausweisen (Biopastmilch macht bei Coop 38 Prozent aus, die Karotten 34 Prozent), ist das Angebot beim Biofleisch völlig unterentwickelt.
"Der Markt ist klein und unberechenbar", sagt Toni Niederberger, Zuger Biobauer und bei der Bio Suisse für die Reorganisation des Fleischmarktes zuständig. Weil die Koordination zwischen Produzenten und Abnehmern bislang fehlte, waren plötzlich zu viele Schweine auf dem Markt, und die Preise brachen zusammen. Mit den gut fünf Franken, die im letzten Herbst pro Kilo Schlachtgewicht zu lösen waren, konnten die Schweinemäster nicht einmal das Futter bezahlen. "Damals hat der Biobauer für jedes Schwein 100 Franken draufbezahlt", sagt Niederberger. Viele Biobauern hätten deshalb aufgehört, Schweine zu mästen. Die Biomast ist nur attraktiv, wenn der höhere Aufwand auch entschädigt wird. Allein das Schweinefutter ist im Biobetrieb um 50 Prozent teurer als in der konventionellen Mast.
Die Biobauern und ihre Vermarkter haben es allerdings auch verpasst, die Qualität ihrer Fleischproduktion ins richtige Licht zu rücken. "Das ganzheitliche Denken, das hinter dem biologischen Landbau steht, haben sie vielen Konsumentinnen und Konsumenten noch nicht bewusst machen können", kritisiert Simonetta Sommaruga, die Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz. Auch Peter Häfliger räumt selbstkritisch ein, die Bioszene habe zu stark ideologisch argumentiert, statt professionelles Marketing zu betreiben. Er selber kennt allerdings keine Absatzprobleme. Jeden Donnerstagmorgen um sieben Uhr fährt er mit einem Rind in den nahe gelegenen Schlachthof. Der Dorfmetzger zahlt ihm 9.50 Fr. pro Kilo. "Der Absatz ist garantiert, und der Preis in Ordnung", sagt Häfliger. Das Häfliger-Fleisch, wie es geheissen wird, ist beim Metzger Jakob Aerne in Sursee zu kaufen. Weil schon die Väter Häfliger und Aerne miteinander geschäfteten, sind auch die Söhne handelseinig geworden - daran hat Häfligers Umstellung auf den Biolandbau nichts geändert.
Der Dorfmetzger
"Ich habe automatisch auch auf Biofleisch umgestellt", sagt der 35-jährige Metzgermeister. Zumindest das Rindfleisch führt er nun ausschliesslich in Bioqualität; einzig vor Weihnachten oder Ostern, wenn die Nachfrage besonders gross ist, bietet er zusätzlich Spezialstücke (wie Entrecôte oder Filet) aus konventioneller Tierhaltung an. Im Übrigen muss sich die Kundschaft nach seinem Angebot richten, das sich aus den 250 Kilo Rindfleisch ergibt, die Landwirt Häfliger jede Woche liefert. "Ich muss das ganze Tier vermarkten", sagt Metzger Aerni, "andernfalls geht die Rechnung nicht auf." Deshalb ist er froh, dass er das Biorindfleisch auch an die Kantine der Wäschefabrik Calida, das örtliche Altersheim oder an einzelne Restaurants liefern kann.
Der grösste Teil geht jedoch über den Ladentisch, auch wenn er die Lizenz für die Knospe nicht gelöst hat. "Die Kundschaft kennt die Qualität und kümmert sich nicht um das Label", glaubt Aerne. Zudem sei es mit der alten Fleischwaage, die er inzwischen ersetzt hat, gar nicht möglich gewesen, den Warenfluss präzis aufzuzeichnen. Nun überlegt er sich ernsthaft, die Biolizenz zu lösen - und gelegentlich auch beim Schweinefleisch auf Bio umzusteigen. Schon heute macht das Biofleisch annähernd 20 Prozent seines Umsatzes aus - so viel, wie Bio Suisse mittelfristig in der ganzen Schweiz erreichen möchte. Jakob Aerne führt eine der wenigen Metzgereien, die überhaupt Biofleisch im Sortiment haben. Warum dieses Desinteresse? Nach Einschätzung von Balz Horber, Direktor des Metzgermeisterverbandes, fürchten viele Metzger die logistischen und administrativen Probleme, die sich mit Biofleisch ergeben.
Anders sieht es bei den Grossverteilern aus. Sie beurteilen das Biofleisch als Wachstumsmarkt. So will die Migros den Bioanteil am Fleischumsatz auf zehn Prozent steigern, und Coop hat kürzlich erklärt, innert vier Jahren bis zu 25 Prozent des Rindfleisches in Bioqualität zu verkaufen. "Wir wollen das Biofleisch aus der Nische herausholen und damit auch ein Zeichen für die Produzenten setzen", sagt Coop-Sprecher Karl Weisskopf. Bis Ende Jahr soll das abgepackte Biofleisch in 120 Coop-Filialen (heute 70) angeboten werden. Beim Schwein will Coop das Absatzvolumen auf fünf, beim Geflügel auf zehn Prozent steigern. Im Gegensatz zur Rindermast, die vortrefflich zur Graswirtschaft passt, decken sich Schweine- und Hühnerhaltung nicht so ohne weiteres mit den Richtlinien des biologischen Landbaus.
Philipp Renggli, ein Biobauer oberhalb des Sempachersees, versucht es seit drei Jahren mit der Pouletmast. Er öffnet den Vormaststall, wo die Küken bei 32 Grad Celsius die ersten drei Wochen verbringen. Tochter Patricia streckt dem Besucher eine Handvoll Körner entgegen, die den Küken vorgesetzt werden - ohne das Antibiotikum, das üblicherweise dem Futter beigemischt wird. Stattdessen wird den Bioküken etwas Impfstoff ins Trinkwasser gegeben, damit sie die eigenen Abwehrkräfte aktivieren. Später kommen sie in einen der eineinhalb Tonnen schweren Hühnerställe, die der Bauer mit dem Traktor regelmässig auf dem Feld zu verschieben hat, damit sich die Parasiten im Auslauf nicht zu stark verbreiten.
Was heisst Biomast beim Poulet? Maximal 400 Hühner im Stall, ein Auslauf von zwei Quadratmetern pro Huhn, mit Biofutter mästen, Sitzstangen, ein Sandbad, und Zucht des "Siebenbürgen-Nackthalses", eine Hühnerrasse, die robuster ist und langsamer wächst. "Statt 40 Tage, wie sonst üblich, haben unsere Hühner 60 Tage Zeit, um das Schlachtgewicht von 1600 Gramm zu erreichen", erklärt Renggli. Trotzdem geht seine Rechnung auf. Für die Biopoulets, die er an die SEG-Poulets AG liefert (und diese wiederum an Coop), erhält er 6.10 Fr. pro Kilo. "Der Aufwand ist gross, aber wir können es schaffen", sagt die Bäuerin Judith Renggli.
Biopoulets bleiben Nischenprodukt
Doch die biologische Pouletmast wird vorderhand "eine Nischenproduktion" bleiben, wie Stefan Wolf von der SEG anmerkt; die Biopoulets aus inzwischen fünf Betrieben machen weit weniger als ein Prozent des Geflügelhandels aus (rund 60 Prozent werden ohnehin importiert). "Mit den heutigen Richtlinien ist es schwer, die Produktion wesentlich zu steigern", meint Wolf. Bei gewissen Punkten könne man durchaus "über die Bücher gehen", räumt Christof Dietler ein, der Geschäftsführer von Bio Suisse. Doch in der Grundhaltung müsse sich der biologische Landbau treu bleiben, andernfalls laufe er Gefahr, in die Zwänge der industriellen Landwirtschaft zu geraten. So wäre es völlig verfehlt, die 350 000 Schweine von Naturaplan umgehend auf Bio umstellen zu wollen. "Der Markt mit Biofleisch muss harmonisch wachsen", sagt Dietler. Deshalb akzeptiert Bio Suisse, dass Coop unter dem Label Naturaplan nicht nur Biofleisch verkauft (das Knospe-Fleisch wird aber künftig gekennzeichnet).
Sind die ambitionierten Ziele,
wie sie Coop und Migros vorgeben, überhaupt zu erfüllen?
"Für die erste Wachstumsstufe können die bestehenden
Biobetriebe das durchaus leisten", glaubt Toni Niederberger
von der Bio Suisse. Später brauche es dann weitere Biobetriebe,
um der Nachfrage genügen zu können. Doch die Absichtserklärung
der Grossverteiler sei "ein gutes Signal" für die
Produzenten, jetzt umzusteigen. Damit Landwirte und Viehhändler
den Markt mit Biofleisch besser in den Griff bekommen, organisiert
Bio Suisse bis Ende Jahr einen "Bio Pool". Mit Hilfe
dieser zentralen Koordinationsstelle in Basel will Bio Suisse
den Handel mit Biofleisch in den nächsten drei Jahren um
jeweils 30 Prozent steigern. "Zusammen mit den Fleischverwertern
müssen wir jetzt in die Offensive gehen", sagt Verwaltungsratspräsident
Toni Niederberger, "denn der Markt hat erkannt, dass die
Konsumenten Biofleisch wollen."
Vor einem halben Jahr sprach der Bund das Tiermehl-Exportverbot aus. Die Entsorgung von Knochenmehl ist ungelöst.
Von Helene Arnet
Der Fax, der am Montagmorgen, 27. November 2000, auf dem Tisch von Heinrich Geistlich, dem Verwaltungsratspräsidenten der Geistlich Agrasana AG landete, brachte eine Wende in die über 150 Jahre alte Geschichte der Schlieremer Firma. Der Geistlich Agrasana AG wurde per Fax mitgeteilt, der Export von Knochenmehlen sei ab sofort verboten. Die Angst vor einer Verbreitung von BSE hatte Europa ergriffen.
Damit wurde die Firma Geistlich über Nacht von einer Produzentin von hochwertigen Tierfutterzusätzen zur Entsorgerin von geächteten Schlachtnebenprodukten. "Mental haben wir diesen Wechsel nur schwer nachvollzogen", seufzt Geschäftsführer Andreas Geistlich ein halbes Jahr nach dieser Wende. Auch funktional ist die Entsorgung noch nicht gelöst. Auf der Web-Seite Geistlich Agrasana steht: "Wir sind zur Zeit in der Umstrukturierung."
Aus vier Produkten wird eines
Ein Lastwagen fährt ins Firmengelände der Geistlich in Schlieren ein und entlädt Knochen, die mit Fleischresten behaftet sind. Täglich werden hier aus der ganzen Schweiz durchschnittlich 200 Tonnen Knochen angeliefert, im Jahr rund 50 000 Tonnen. Vor der Entladungsstation liegt der süssliche Geruch noch in der Luft, der früher bei gewissen Wetterlagen in ganz Schlieren zu riechen war. Die Biofilteranlage, welche im Jahr 2000 in Betrieb genommen worden ist, verhalf der Limmatstadt wieder zum Duft einer gewöhnlichen Agglomerationsstadt.
Andreas Geistlich reiht vier Behälter vor sich auf: Der eine enthält Knochenfett, welches beim Ausschmelzen der zerkleinerten Knochen abgeschöpft wird und äusserst nahrhaft ist. Dann folgt Fleischmehl mit einem Proteingehalt von 60 Prozent, Knochenmehl mit 40 Prozent Proteingehalt und Gelatinenschrot, das in der Filmindustrie als Trägermaterial vor den Zeiten des Rinderwahnsinns hoch begehrt war. Mit einem Handwisch schiebt der Geschäftsführer drei der vier Behälter weg und ersetzt sie durch einen einzigen: "Seit dem Verfütterungsverbot verarbeiten wir die Knochen nur noch zu einem Einheitsmehl und zu Fett." Auf dem Hof werden übermannshohe Säcke mit dem weisslichen, geruchlosen Knochenmehl abgefüllt. Täglich werden hier rund 90 Tonnen Mehl produziert, doch nur zirka ein Viertel kann bis jetzt direkt entsorgt werden. Die Firma Reni in Niedergösgen verfügt über einen Wirbelschichtofen, der das feine Mehl verbrennen kann. Der Rest wird in firmeneigenen Räumen gelagert, deren Standort Geistlich "aus Sicherheitsgründen" geheim hält. "Die Lagersuche war sehr schwierig", ergänzt Andreas Geistlich. Bereits stapeln sich in drei Lagern rund 8000 Tonnen Knochenmehl, und der Platz wird eng. Jährlich fallen 20 000 Tonnen Knochenmehl an. Andreas Geistlich sagt: "Es ist frustrierend: Wir erfüllen den Leistungsauftrag des Bundes, aber unser Knochenmehl kann nicht entsorgt werden. Es fehlt einfach an Öfen."
Schweizerische Kehrichtverbrennungsanlagen nehmen das Mehl nicht an. Aus Kapazitätsgründen, und weil das Mehl die Filteranlagen verstopfen könnte. Als Notlösung betrachten die Geistlichs auch die mit Unterstützung des Bundes ausgehandelte Möglichkeit, das Mehl in spezielle Verbrennungsanlagen nach Deutschland zu exportieren. Seit Juni sind erste Lieferungen nach Herten in Nordrhein-Westfalen gegangen, wo das Knochenmehl von Geistlich bei der Firma RZR zur Verbrennung zugelassen wurde. "Es ist aber unsinnig, die Ware in ganz Europa herumzukarren", meint Verwaltungsratspräsident Heinrich Geistlich. Auch mussten die Lieferungen bereits vorübergehend gestoppt werden. Aus technischen Gründen.
Lukas Perler vom Bundesamt für Veterinärwesen bezeichnet die Exporte von tierischen Mehlen vorerst noch "als Versuch". Auch werde die Konkurrenz auf dem europäischen Entsorgungsmarkt zunehmen, da alle Schlachtabfall-Verwertungsfirmen vor dem Problem stehen, wohin sie mit den Mehlen sollen. Die Centravo AG, Schlachtabfall-Verwerterin mit Filiale am Zürcher Schlachthof, verarbeitet in ihrer Tochterfirma GZM Extraktionswerke AG im Bernischen Lyss vor allem Fleischabfälle zu Fleischmehlen. Sie hat mit deren Entsorgung weniger Probleme, da diese Mehle in hiesigen Zementwerken verbrannt werden können.
Suche nach langfristigen Lösungen
Die Verbrennung in Zementwerken funktioniert bei Knochenmehlen nicht. Deren hoher Phosphorgehalt hemmt die Betonbindung. Deshalb suchen die Verantwortlichen der Geistlich fieberhaft nach Alternativen. Fündig wurden sie bis jetzt aber nur im aargauischen Döttingen, wo, so hoffen sie, rund ein weiteres Viertel des stetig anfallenden Mehls verbrannt werden kann.
"Langfristig am besten wäre es, wenn wir das Mehl selber verbrennen könnten", meinen Andreas und Heinrich Geistlich. Das würde eine Millioneninvestition mit hohem Risiko bedeuten, besteht doch bis jetzt nirgends Erfahrung im Umgang mit diesem Material. Die beiden setzen nun Hoffnungen in einen Kontakt mit dem Betreiber einer Holzfeuerung. "Die Verbrennung von Sägemehl ist möglicherweise vergleichbar mit unserem Material." Die Firmeninhaber denken laut darüber nach, auf dem noch frei stehenden Firmengelände Verbrennungsöfen zu errichten. Daneben prüfen sie die Machbarkeit einer Tankanlage, in der die Knochensubstanzen blubbern und von Mikroorganismen abgebaut werden.
Von BSE zu Gentech